Samstag, 16. September 2023

Aristoteles versus Plato. (Ein bisschen Bildung)

Plato und Aristoteles, aus Raffael, Die Schule von Athen

... Über den positiven Gehalt der Lehren von Plato und Aristoteles erfahren wir nichts. Das liegt am Darstellungsprinzip des Verfassers: Er berichtet von dem, was bei den antiken Autoren bis heute für Naturwissenschaftler von Bedeutung ist; und das ist bei Plato fast nichts und bei Aristoteles im Wesentlichen die Logik. Dass metaphysische Spekulationen und ontologische Flausen noch immer das Denken manchen Naturwissenschaftlers heim-suchen, würde in eine kritische Darstellung gehören, die jedoch nicht in der Absicht des Verfassers liegt. Das wäre aber ein größerer Beitrag zur Bildung junger Naturwissenschaft-ler, als das Aufsammeln positiver Resultate, die sie ja doch schon im Rahmen ihrer natur-wissenschaftlichen Fächer kennengelernt haben, und deren Rückführung auf antike Quel-len. 

Denn das Wesentliche der Philosophie sind nicht ihre positiven Resultate, die eng an ihre Zeit gebunden sind, sondern die großen umfassenden Weltsichten, in die sie eingefügt und aus denen sie entstanden waren.

Der Mangel tritt bereits im Bericht über die Vorsokratiker auf. Man erkennt ihn schon am Anfang an einem spektakulär Abwesenden: Heraklit. Man zählt ihn zu den ionischen Natur-philosophen, obwohl er über die Natur nicht spekuliert, weshalb Josef Honerkampt ihn übergeht. Erhalten sind von ihm rund 60 Fragmente, die nicht in Zusammenhang miteinan-der stehen und von denen viele nur als Satzbruchstücke überliefert sind. Er heißt noch heut Der Dunkle, denn was er im Einzelnen gemeint haben mag, ist ganz der Phantasie der Leser anheimgegeben. Doch der Kern seiner Weltansicht ist formuliert in jenem Satz, durch den er unsterblich ist: Alles fließt. Das einzig Wirkliche ist die flüchtige Erscheinung, das einzig Dauernde der Wechsel, es gibt nichts als das ewige Werden. Darin sieht er allerdings den logos walten, aber was er darunter verstanden hat, ist in den Fragmenten nicht einmal angedeutet (er scheint allerdings etwas mit dem Feuer zu tun zu haben).

Heraklit war ein Zeitgenosse des Xenophanes von Elea. Der mag von ihm nichts gewusst haben, aber sein Nachfolger Parmenides, der eigentliche Stifter der eleatischen Schule, müsste, obwohl am andern Ende der griechischen Welt angesiedelt, immerhin vom Grund-motiv seiner Lehre gehört haben. Jedenfalls liest sich fast jedes seiner viel reicher überliefer-ten Fragmente wie eine direkte Antwort auf Heraklit. Was ist, ist, Punktum. Was erscheint, scheint nur. Das wahre Sein ist der Anschauung verschlossen und nur dem Denken zugäng-lich. 

Zwischen diesen Polen oszilliert das abendländische Denken seither, und man kann die Geschichte der Philosophie auffassen als das unerschöpfliche Bemühen, Heraklit mit den Eleaten unter einen Hut zu bringen.

Zu allererst kann man Plato so auffassen und von den Zeitgenossen wurde er so aufgefasst, und sie haben ihm nachgesagt, in seiner Jugend sei er Herakliteer gewesen - was unser Autor nicht erwähnt. Und wirklich kann man das, was nach fast zweieinhalb Jahrtausenden noch immer als der harte Kern des Platonismus angesehen wird, die Ideenlehre, kaum anders lesen als den Versuch, Sein und Werden miteinander dialektisch zu vermitteln. Wobei in der Überlieferung das Schwergewicht eindeutig beim substanziellen Sein gelegen hat und das Werden nur als Akzidens erscheint.

Und da wir schonmal so weit sind, noch ein paar Worte zu Aristoteles. Fast so wirksam wie Plato mit seinen Ideen, war jener mit seinen Entelechien, wenn auch mehr in der Vorstel-lung als im Begriff. Danach bestünde die Welt aus lauter Einzeldingen, Individuen, dem, was der Platoniker als Werden und Schein geringschätzte. Ein jedes Individuum ist mit seiner eigenen Bestimmung telos, das Ziel, auf das es hinwill - ausgestattet, so dass an der Erscheinung des Werdens durchaus ein Wahres, Seiendes anschaulich wird. 

Während das christliche Denken des ersten Jahrtausend völlig von Plato und den Neuplato-nikern beherrscht war, brachte die Wiederentdeckung des Aristoteles durch die Scholastiker den ersten großen Umsturz des abendlichen Geistes: Im Nominalismus feierte das Indivi-duum triumphierend Wiederauferstehung, zum erstenmal wurde die Philosophie nicht nur untergründig und irgendwie "an sich", sondern ausdrücklich und polemisch kritisch, denn die von Plato vergöttlichten Begriffe wurden auf einmal zu bloßen Sammelnamen für ein-ander ähnliche Dinge, von Menschen erdacht und nur für ihre Zwecke da. 

Ohne dies keine Renaissance und keine Neuzeit und keine Kopernikanische Wende.

Das Problem, vor dem Aristoteles haltgemacht hatte: nämlich wie unter all diesen durchein-anderlaufenden Einzelzwecken am Ende ein zusammenhängender Kosmos zustande kom-men konnte, war für die kirchengläubigen Scholastiker a priori gelöst. Man muss die Welt "nur" selber als eine Entelechie auffassen. Aber was sich dabei denken ließe, hätte Aristote-les nicht sagen können. Die christliche Lösung, der selbsterzeugte Schöpfergott, stand ihm nicht zu Gebot. Sokrates war wegen Leugnung der griechischen Götter zum Tode verurteil worden. Und so kam schon zu Lebzeiten des Aristoteles das Gerücht auf, dieser habe neben der exoterischen Lehre, die er seinen Schülern öffentlich vorgetragen hat, seinen Auserwählten noch eine gehei
me esotetische Lehre mitgeteilt.

Alles hat seine Zeit. Mit Galileo, der Platos Ideen in die mathematische Auffassung von den Naturgesetzen umgeformt hat, ging die Scholastik unter. Leibniz hat dann allerdings in seinen Monaden die aristotelischen Entelechien zu neuem Leben erweckt und mit der prä-stabilierten Harmonie auch den Schöpfergott zu neuen Ehren bringen wollen; was aber nach dem 30jährigen Krieg ein aussichtsloses Unterfangen war.

Kommentar zu 
Platon und Aristoteles (für Naturwissenschaftler) JE , 10. 3. 19 

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