Dienstag, 9. Dezember 2025

Wie wir Sprachen erlernen.

Symbolbild: Mann mit offenem Mund und Begrüßungswörter in verschiedenen Sprachen 
aus scinexx.de, 25. 11. 2025                         Bei unserer Muttersprache können wir Anfang und Ende einzelner Wörter hören, bei Fremdsprachen nicht                                                                           zu Jochen Ebmeiers Realien 

Neurobiologie
Wie unser Gehirn Wortgrenzen entschlüsselt
Hirnareal im Schläfenlappen dekodiert sprachtypische Klangmuster

Neuronale Worterkennung: Fremdsprachen sind für unser Gehirn das reinste Kuddelmuddel aus nahtlos ineinanderfließenden Wörtern. Wie unser Gehirn darin Ordnung schafft, haben nun Forschende herausgefunden. Demnach lernen wir die Muster unserer Muttersprache oder einer uns vertrauten Sprache erst durch jahrlange Übung zu erkennen und können dadurch einzelne Wörter heraushören. Möglich machen dies bestimmte feinjustierbare Neuronen in demselben Hirnareal, das auch Vokale und Konsonanten in Sprachen erkennt.

Wenn wir normal sprechen, machen wir meist keine bewussten Pausen zwischen den einzelnen Wörtern. Dennoch nehmen wir diese unausgesprochenen „Leerzeichen“ bei unseren Mitmenschen mühelos wahr – allerdings nur, wenn wir unserer Muttersprache lauschen. Bei Fremdsprachen können wir die Wortgrenzen hingegen nicht hören und nehmen das Gesprochene zunächst als kontinuierlichen Fluss wahr. Deshalb fällt es uns schwerer, die gehörten Sätze zu verstehen. 

Symbolbild von Neuronen im Gehirn
Der Gyrus temporalis superior (STG) liegt im Temporallappen der Großhirnrinde und verarbeitet verschiedene Sprachlaute.

Wie verarbeitet unser Gehirn Mutter- und Fremdsprache?

Aus früheren Studien ist bekannt, dass es in unserem Gehirn mehrere Areale gibt, die an der Verarbeitung von Sprache beteiligt sind. Dazu gehört der sogenannte Gyrus temporalis superior (STG) im Temporallappen der Großhirnrinde, welcher für einfache Lautverarbeitung zuständig ist, zum Beispiel die Unterscheidung von Konsonanten und Vokalen. 

Doch spielt dieses Hirnareal darüber hinaus auch eine Rolle bei der Erkennung von Wortgrenzen? Dieser Frage sind nun Forschende um Ilina Bhaya-Grossman, Yizhen Zhang und Matthew Leonard von der University of California in San Francisco in zwei Studien nachgegangen. An der ersten Studie nahmen 20 Testpersonen teil, die nur Spanisch, Englisch oder Mandarin als Muttersprache hatten. Zudem nahmen acht zweisprachige Testpersonen teil, die sowohl Spanisch als auch Englisch fließend beherrschten.

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Die Forschenden spielten den Teilnehmenden jeweils rund 20 Minuten lang verschiedene Sätze auf Englisch, Spanisch und Mandarin vor und zeichneten parallel deren Hirnaktivität auf. Mithilfe von maschinellem Lernen suchten sie in den Daten anschließend nach Mustern und Unterschieden zwischen Sprachen, die den Testpersonen vertraut oder fremd waren.

Bestimmte Neuronen bei Muttersprache aktiver

Die Auswertung ergab: Unabhängig von der gehörten Sprache traten sehr ähnliche Aktivitätsmuster im Gyrus temporalis superior (STG) auf. Diese ermöglichen offenbar die bereits bekannte universelle, oberflächliche Erkennung von Lauten, etwa von Konsonanten und Vokalen, die in allen Sprachen vorkommen, schließt das Team.

Doch die Daten zeigten auch: Wenn die Teilnehmenden ihre Muttersprache oder eine ihnen gut bekannte Sprache hörten, wurden bestimmte Neuronen in diesem Hirnareal stärker aktiv. Diese Nervenzellen reagierten dann zusätzlich auf Betonungen oder andere Klangreize, die Wortanfang oder -ende markieren. Hörten die Testpersonen hingegen eine ihnen unbekannte Sprache, blieben diese Neuronen normal aktiv und reagierten nicht auf diese zusätzlichen Reize.

Besonders schnelle Signalverarbeitung

In einer zweiten Studie wiederholten die Forschenden das Experiment mit 16 englischsprachigen Probanden und englischen Radionachrichten. Dabei untersuchten sie genauer, wie diese spezialisierten Neuronen bei der Erkennung der Muttersprache funktionieren.

Dabei stellten sie fest, dass diese Neuronen sich nach einem Wortende-Signal sehr schnell regenerieren und in den Ausgangzustand zurückkehren. Dadurch können sie viel mehr und schneller Sprachreize verarbeiten – und so über die universellen Sprachsignale hinaus gleichzeitig auch zusätzliche Klangmuster wie Wortgrenzen verarbeiten, die nur der jeweiligen Muttersprache eigen sind. 

Jahrelange Übung ermöglicht Worterkennung

„Es ist wie eine Art Neustart, bei dem das Gehirn ein erkanntes Wort verarbeitet und sich dann zurücksetzt, damit es mit dem nächsten Wort weitermachen kann“, erklärt Leonard. Die beiden neuen Studien zeigen damit, dass der Gyrus temporalis superior (STG) hochspezialisierte Subtypen von Neuronen enthält, die im Laufe jahrelanger Spracherfahrung feinjustiert werden und so lernen, Anfang und Ende von Wörtern zu erkennen.

„Das beweist, dass der STG nicht nur Laute wahrnimmt, sondern mithilfe von Erfahrung Wörter während des Sprechens identifiziert“, so Seniorautor Edward Chang von der University of California in San Francisco. „Diese Studien liefern uns einen neuronalen Bauplan dafür, wie das Gehirn kontinuierliche Laute in sinnvolle Einheiten umwandelt.“ 

Hirnareal verarbeitet mehrere Dinge gleichzeitig

Die Studien belegen damit, dass verschiedene Aspekte von Sprache nicht zwingend in unterschiedlichen Hirnarealen, sondern im Falle des Gyrus temporalis superior auch in ein und demselben Areal gleichzeitig verarbeitet werden. „Letztlich stimmen die aktuellen Ergebnisse mit der Auffassung überein, dass der STG eine übergeordnete auditorische Region ist, die als Schnittstelle zwischen Spracheingabe und linguistischem Wissen fungiert“, schreibt das Team.

Das erklärt auch, warum Verletzungen dieser Hirnregion das Sprachverständnis beeinträchtigen können, selbst wenn das Gehör einer Person intakt ist. Folgestudien sollen diese entdeckten Zusammenhänge nun auch am Beispiel anderer Sprachen überprüfen. (Nature, 2025, doi: 10.1038/s41586-025-09748-8; Neuron, 2025, doi: 10.1016/j.neuron.2025.10.011

Quelle: University of California – San Francisco; 25. November 2025 - von Claudia Krapp

 

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