Sonntag, 7. Dezember 2025

Europa: eine Bestandsaufnahme.

                                           zu öffentliche Angelegenheiten

Die Welt hat sich letzthin drastisch verändert. Jeder ist sich selbst der Nächste be-deutet Jeder gegen Jeden. Russland, China und Trumps Amerika denken an sich selbst zuerst. Wenn Europa dazwischen nicht zerrieben und aufgeteilt werden will, muss es voranschreiten und nicht auf der Stelle treten: Stillstand heißt hier Rück-schritt.

Als Schrittmacher kommt nur Deutschland in Frage. Selbst wenn Macron wollte - Frankreich kann es nicht. Nicht nur sind wir die Stärksten, sondern wir haben - eben darum - auch am meisten zu verlieren. Ist das nicht ungerecht? Zwei Weltkrie-ge hat Deutschland um die Vorherrschaft in Europa geführt und verloren, dann
hat es sie im Frieden gewonnen, und jetzt - spielt Europa in der Welt nur noch die zwei-te, dritte Geige und droht, zur Einflusszone der Andern zu werden.

Aber warum denn nicht? fragt der Gutmensch. Wenn andernorts der Nationalismus blüht, müssen wir doch nicht mitmachen; klein, aber mein. Und die Laubenpieper-patrioten akklamieren: Genau!

Sie stecken mit dem Kopf noch im 19. Jahrhundert. Wenn sich in Europa zwei Dut-zend Nationen überwinden und vereinen, ergäbe das einen neuen, kontinentalen Nationalismus? Sollen wir größer und stärker sein wollen als die anderen, nur weil wir's sind und weil wir in unserm Winkel nunmal aufeinanderhocken?

Der entscheidende Punkt ist aber: Womit und wodurch werden wir die zwei Dut-zend Nationen überwunden haben? Durch das, was ihnen bleibt, wenn man das beiseite lässt, was sie unterscheidet. Und das ist nicht etwas, das sie immer schon gewesen wären, sondern etwas, das sie mit und gegen einander geworden sind. 


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Der Reichtum Europas und das, was die Welt von uns bekommen kann, ist die Mannigfaltigkeit von zwei dutzend Kulturen, die auf kleinstem Raum nicht neben-einander, sondern schon immer miteinander bestehen, jahrhundertelang im Krieg, seit siebzig Jahren eher im Frieden. Sie werden durch ihre Unterschiede mehr an-einander gebunden als getrennt, denn jeder Unterschied zwischen zweien wird, wenn man auf ihn reflektiert und von den andern absieht, ein Gegensatz, und diese Gegensätze teilen wir miteinander.

In Europa wurde die Vernunft geboren. Nicht aus unserer Weisheit, eher aus der Torheit, aber eben den widerstreitenden Torheiten von so vielen. Vor fünfhundert Jahren - wir haben eben das Jubiläum gefeiert - zerriss das einigende Band, das die Römische Kirche um die gegensätzlichen Kulturen gelegt hatte, und die Glaubens-spaltung trieb Europa in einen kontinentalen Bürgerkrieg, den Dreißigjährigen. Ge-führt wurde er von vielen Mächten, aber auf deutschem Boden. Was nachgeborene Historiker den deutschen Sonderweg nannten, hatte dort seinen Anfang.

Doch auch die Vernunft. Sollten die politischen Mächte wieder zu einem friedlichen Verkehr miteinander finden, bedurfte es einer mit unstrittiger Autorität ausgestatte-ten Instanz über den Glaubensbekenntnissen, deren Urteile einem jeden Individu-um von gesundem Verstand zuzumuten wären.

 
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Genau genommen ist das, was man heute unter Europa versteht, begründet worden im Westfälischen Frieden von 1648. Es hat seine Zeit gebraucht, doch schlicßlich ging aus der Vorstellung von einem Recht, das 'allein schon aus unserer Natur' folgt, unausweichlich die Idee der allgemeinen unveräußerlichen Menschenrechte hervor. 

Hätte sie auch anderswo aufkommen können als in Europa? Sie ist es nicht. Aber hier ist sie mit Notwendigkeit aufgekommen. Mit Notwendigkeit, weil sie gerade nicht selbstverständlich war und - selbst in Europa - noch heute nicht geworden ist: Nur hier ist sie nicht beiläufig, nicht "umständehalber", nicht 'durch Nichtwissen', sondern ausdrücklich und grundsätzlich bestritten worden; nicht ideell, sondern praktisch in Fleisch und Blut und Rauch und Asche. Das war in Europa, und wer sollte davon zeugen, wenn nicht wir Deutschen in Europa?

Mit andern Worten, die Zukunft Deutschlands liegt in Europa nicht, weil es uns so am besten passt; sondern weil die Zukunft der Welt im entscheidenden Punkt an Europa hängt, und weil es unsere wenn schon sonst niemand Anderes Pflicht ist, darüber zu wachen. 

28. 6. 18

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