Donnerstag, 15. August 2024

Wir brauchen keine Werte.


Guarento di Arpo, Himml. Heerschar,1360                                              zu Philosophierungen zu öffentliche Angelegenheiten 

... Das ist lobenswert, aber halbherzig. Er hätte schreiben sollen: "Wir brauchen keine Werte"; oder doch wenigstens: Wir bräuchten keine Werte - wenn wir uns endlich darauf verständigen könnten, dass im öffentlichen Raum Vernunft walten soll. 

Der realistisch aufgefasste 'Wert' ist nämlich ein begrifflicher Bastard, der nur Lö-cher verkleistern soll: die Löcher, die sich aufgetan haben, seit das Absolute aus dem irdischen Leben verschwunden ist. Es hieß nicht so und hatte sich in diverse rivalisierende Glaubenskongregationen zersetzt, deren Partikularität auch dem Dümmsten ins Auge sprang, als sich im 30jährigen Krieg die Religion nicht als verbindender Leim, sondern als kriegstreibendes Gift entpuppte. 

Es musste etwas gefunden werden, auf das sich Alle verständigen konnten, weil es über den Religionen stand und diese unbeachtet lassen könnte "etsi deus non dare-tur". Zu beachten: Die Idee eines irdischen Vernunftreichs ist nicht aus scholasti-schen Spekulationen der Philosophen entstanden, sondern aus der politischen Er-fordernis des wirklichen Lebens.

Das war dann aber doch nicht der Stein des Weisen, wie man gehofft hatte. Denn dass Vernunft herrschen sollte, war "Konsens";  doch was Vernunft "überhaupt ist", wäre so strittig gewesen, wie es die religiösen Dogmen waren, die in die Katastro-phe geführt hatten.* Also hat man die Frage vorsichtig ausgeklammert. Statt zu be-stimmen, was Vernunft ist, beschränkte man sich darauf, zu regeln, wie sie verfährt - nämlich 'klar und deutlich wie der Geome-ter'.

In der Sache war man also kaum gebessert. Was absolut ist, kann keinen reellen Streit entscheiden, denn es ist nicht positiv. Positiv könnte es sein, wenn es be-stimmt wäre - doch dann wäre es nicht absolut. Und so traten im Zusammenleben der Staaten im 19. Jahrhundert an die Stelle der Vernunft die Bündnissysteme der imperialistischen Großmächte (was schließlich in den Weltkrieg führte). Im inneren Zusammenleben der Staaten traten rivalisierende Weltanschauungen in Gestalt von Klassen- und Programmparteien als ordnende Kräfte auf. 

Und die vertraten "Werte". Verhackstückte, verweltlichte, "anschauliche", handhab-bare Portionen vom ehemals Absoluten: relativ Absolute. Ein Notbehelf, besser als gar nichts, sollte man sagen. Doch als solchen sollte man ihn besser unterm Mantel halten und nicht an die große Glocke hängen. Denn wer das tut, kann wirklich nur demagogische Absichten verfolgen.

Als unbestimmtes Absolutum kann Vernunft gar nicht herrschen, sondern nur kon-kret und bestimmt. Das ist umso mühseliger, je weniger Leute es einsehen. Man müsste ein Mittel finden, dass es mehr werden. Die Vernunft braucht ihre Prosely-ten in der Welt wie die ersten Christen unter Juden und Heiden.

*) Nicht der Wortlaut der Dogmen hat den 30jährigen Krieg verursacht; sondern der Glaube, dass das weltliche Zusammenleben durch Dogmen geregelt werden könnte - sobald nämlich jeder seine eigenen hatte. Real waren politische Konflikte; die Konfessionen folgten ihnen und gossen Öl ins Feuer.

Kommentar zu Über Werte. JE, 18. 7. 21



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