Samstag, 31. August 2024

Global, westlich, postkolonial.

rotary                         zu Geschmackssachen, zu öffentliche Angelegenheiten    

"Der Westen und der Rest" - das klingt im ersten Moment problematisch, weil hi-storisch uninformiert und unkritisch. Doch nach kritischer Durchforstung erweist es sich vielleicht immerhin als Fragestellung nützlich - nicht erst aus Trotz wegen documenta 15.

In welcher Absicht kann man überhaupt Kunstgeschichte schreiben, und eine globale zumal? Lesen mag man sie aus den diversesten Motiven, doch dafür mussten sie zuerst geschrieben und - vor allen Dingen auch gedruckt werden.

Im 19. Jahrhundert kam die Kunstgeschichte also auf, um die europäischen Nati-onen gegeneinander zu profilieren. Ein ausgesprochener Renner unter deutschen Jugendlichen war am Jahrhundertende das Buch des Rembrandtdeutschen, das frei-lich mehr Weltanschauung enthielt als Kunstgeschichte. Doch die Neigung zur Ide-ologisierung liegt in diesem Fach selbst begründet. Wie soll man etwa über den ex-plosiven Aufschwung der holländischen Malerei und insbesondere der Landschafts-kunst reden, ohne das "Goldene Zeitalter" zu erwähnen und die Entstehung einer Nation aus dem Befreiungskrieg?


Den Hang zum Exotischen hat Europa aus derselben Zeit, dem 17. Jahrhundert, und dass nordamerikanische und afrikanische Volkskunst bis heute Neugier erregt, macht es in politisch korrekten Zeiten selbstverständlich, an eine Globalgeschichte der "Kunst" zu glauben. Der Pfusch, der auf der jüngsten documenta zu internatio-naler Berühmtheit gekommen ist, setzt allerdings ein großes Fragezeichen.

Eine globale Wirtschaftsgeschichte hat insofern Sinn, als wir es heute mit einer glo-balen Wirtschaft zu tun haben. Das war nicht immer so, sondern ist entstanden durch die jahrhundertelang fortschreitende Verflechtung regionaler zu nationalen, und der nationalen Märkte zu einem Weltmarkt. Das Ergebnis sind internationale Standards.

Etwas Vergleichbares hat es in der Kunst nicht gegeben. Ein übernationaler Kunst-markt hat sich im 20. Jahrhundert zwischen Europa und Nordamerika etabliert, und wenn man an ihm eine Dynamik erkennen kann, dann ist es die von einem gemein-samen europäischen Ursprung in Düsseldorf und Paris über eine gemeinsame ame-rikanische Nachkriegszeit zu einer weltweiten Beliebigkeit, zu der jetzt auch postko-lonialer Schmarrn Zugang finden - nicht weil ein weltweiter Geschmack dahin ge-führt hätte, sondern geschmacksfreie Geldflüsse. Doch der Geschmack mag ihnen folgen, achje.

Anders als die Wirtschaft hat die Kunst nicht zu weltweiten Standards geführt, weil sie keine weltweite Substanz hat. Die Erzeugnisse der Wirtschaft konnten schließ-lich weltweit vermarktet werden, weil sie letzten Endes alle irgendwo von irgend-wem gebraucht werden: Es sind Lebensmittel, auf die keiner dauerhaft verzichten kann. Darum haben sie einen Wert. Die Erzeugnisse der Kunst mögen diesem ge-fallen und jenem nicht - wirklich brauchen tut sie keiner. Weltweit gültige Maßstäbe können sich nur ausbilden, wo unablässig alles getauscht werden muss.

Wenn aber Kunst nicht als originärer Teil des Wirtschaftens aufgefasst werden kann, was ist sie dann? Das wurde jahrhundertelang versucht: Kunst zu definieren durch die Merkmale ihrer Werke. Das sollten, mag man meinen, ästhetische sein. Kunst bringt Dinge hervor, die gefallen - "ohne Interesse", sagt Kant; nämlich ohne spezifische Nützlichkeit (und wenn sie eine solche doch aufweisen, wird gleich ihre Qualifizierung als Kunst strittig)

Und das hat es wohl gegeben, seit es Menschen gab. Nämlich so, dass die Defini-tion des Menschen von der Paläanthropologie nicht zuletzt daran gemessen, ob sie - Kunst hervorbrachten. Zu allererst nämlich als Schmuck und Körperbemalung. Ob sie aber nicht wohl auch andere Zwecke hatte - kultische oder ethnische -, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Die frühesten Höhlenmalereien wären ohne solche wohl nicht entstanden. Das ästhetische Gefallen mag immer nur verzichtbare Zutat ge-wesen sein.

Man müsste annehmen dürfen, die ästhetisch ausgezeichneten 'Arte'fakte wären vornehmlich oder womöglich nur um des Gefallens willen zustande gekommen. Das könnte man aber dem individuellen Werk unmöglich ansehen. Man müsste schon Werkgruppen identifizieren können, die man aus außerästhetischen, d. h. irgendwie kollektiven, nämlich gesellschaftlichen Gesichtspunkten... als geschmack-lich bedingt ansehen könnte; genauer gesagt: durch ihr allmähliches Ausscheiden aus gesellschaftlichen Zusammenhängen als 'Kunst' unterscheiden kann.

Das lässt sich offenbar aber nur retrospektiv und sozialhistorisch bewerkstelligen. Nämlich aus dem Faktum heraus, dass irgendwo irgendwann eine Werksgattung entstanden ist, die sowohl seitens ihrer Verfertiger als auch seitens ihrer Liebhaber allein des Gefallens willen geschaffen wurde. Genauer gesagt, als und weil irgend-wann irgendwo eine Kunst um der Kunst willen zur Welt gekommen ist.

Und das war gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Europa und Nordame-rika. Anders gesagt, eine Kunst geschichte ist überhaupt nur aus westlicher Perspek-tive möglich. Voraussetzung ist ein Idealtyp von "Kunst", der als Maßstab für den Rest der Welt gelten kann.
 
Ja, das habt Ihr davon, dass Ihr postkolonial alles in einen Topf rühren wolltet!
 
Kommentar zu Globale Kunstgeschichte? JE, 21. 8. 22

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