Freitag, 31. Mai 2024

Wir sind alle ein bisschen hybrid.

Zellen und DNA 
aus scinexx.de, 29. 5. 2024    Der Lehrmeinung nach tragen alle Zellen des Körpers denselben DNA-Code in sich...
                                                                                                                                                              
zu Jochen Ebmeiers Realien
Wir alle sind genetische Mosaike
Selbst bei gesunden Menschen haben Zellen überraschend viele Chromosomen-Abweichungen
 
Verblüffende Entdeckung: Eigentlich sollte das Erbgut in allen Zellen unseres Körpers gleich sein. Doch das stimmt nicht, wie nun eine Studie am Beispiel menschlicher Knochenmarkszellen enthüllt. Demnach ist selbst bei gesunden Menschen eine von 43 dieser Zellen genetisch massiv verändert – Chromoso-menstücke sind vertauscht, verkehrt herum eingebunden oder wurden mehr-fach kopiert. Dadurch können die genetischen Unterschiede innerhalb unseres Körpers sogar größer sein als zu anderen Menschen, wie die Forschenden in „Nature Genetics“ berichten.
 
Jeder von uns besitzt einen einzigartigen DNA-Bauplan, der in jeder einzelnen Zelle unseres Körpers steckt. Gängiger Annahme nach variieren dabei je nach Organ und Gewebe zwar die Genaktivität und die regulierenden Anlagerungen am Erbgut, der grundlegende DNA-Code ist jedoch in allen Zellen eines Individuums identisch. Zwar können im Laufe des Lebens durch DNA-Schäden oder Kopierfehler bei der Zellteilung Mutationen entstehen. Doch gerade bei jüngeren, gesunden Menschen sollte das Genom in jeder Zelle weitgehend übereinstimmen – so die Annahme.

Diese Formen der Chromosomen-Mutationen kommen in unseren Zellen vor. 

DNA von Blutstammzellen im Vergleichstest

Doch die Lehrmeinung liegt offenbar falsch, wie nun Karen Grimes vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg und ihre Kollegen herausgefunden haben. Für ihre Studie hatten sie Blutstammzellen aus dem Knochenmark von 19 Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters – vom Neugeborenen bis zum 92-Jährigen – untersucht. Sie unterzogen dabei jeweils mehrere Zellen jedes Individuums einer Einzelzell-Sequenzierung. Diese sogenannte Strand-Seq-Methode zeigt die Basenabfolge jedes DNA-Strangs in jeder einzelnen Zelle.

Die Analysen enthüllten Überraschendes: Bei den Blutstammzellen von 84 Prozent der Teilnehmenden zeigten sich teils deutliche Abweichungen vom einheitlichen DNA-Code. Dazu gehörten fehlende Stücke von Chromosomen, aber auch zusätzliche Kopien oder Umkehrungen bestimmter DNA-Abschnitte. Anders als Genmutationen, die oft nur einzelne DNA-Basen betreffen, verändern diese Chromosomenmutationen ganze Abschnitte des Erbguts auf einmal.

„In jeweils einer von 43 Zellen eines Individuums haben wir solche neu entstandenen Mosaik-Strukturvarianten entdeckt – unabhängig vom Alter“, berichten die Forschenden.

Lehrbuchmeinung widerlegt

Das bedeutet: Selbst in jungen Jahren sind unsere einzelnen Zellen offenbar genetisch unterschiedlicher als bisher angenommen. „Es ist schlichtweg verblüffend, wie groß die bislang unentdeckte Heterogenität in unseren Genomen ist“, sagt Koautorin Ashley Sanders vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin. „Wir begreifen hier gerade, dass nicht jede Zelle in unserem Körper die exakt gleiche DNA hat – im Gegensatz zu dem, was in den Lehrbüchern steht,“

Diese Veränderungen der DNA finden sich zudem nicht etwa in Krebstumoren oder anderen krankhaft veränderten Zellen, sondern bei völlig gesunden Menschen. „Die Studie unterstreicht, dass wir alle Mosaike sind“, sagt Seniorautor Jan Korbel vom EMBL. „Selbst vermeintlich normale Zellen tragen alle möglichen Genmutationen in sich. Letztlich bedeutet das, dass es mehr genetische Unterschiede zwischen einzelnen Zellen in unserem Körper gibt als zwischen uns Menschen.“

Mit dem Alter wachsen die Unterschiede

Die Analysen ergaben auch, dass diese genetischen Unterschiede zwischen den Zellen mit dem Alter mehr werden. Im Schnitt wiesen 36 Prozent der Blutstammzellen bei den über 60-Jährigen solche subklonalen Strukturvarianten der Chromosomen auf. „Was dies für die Definition eines ’normalen‘ menschlichen Alterns bedeutet und wie sich dies auf die Arten von Krankheiten auswirken kann, unter denen wir leiden, sind überaus wichtige Fragen für das Forschungsfeld“, sagt Korbel.

Bisher ist allerdings ungeklärt, ob diese Zunahme von Subklonen deswegen auftritt, weil die Kontrollmechanismen im Alter versagen – und daher ein bloßes Symptom des Alterns ist. Oder ob diese Erbgutveränderungen vielleicht sogar eine treibende Kraft vieler Alterserscheinungen sind. „Unsere künftigen Einzelzellstudien sollten uns klarere Erkenntnisse darüber liefern, wie diese Mutationen, die bisher unbemerkt blieben, unsere Gesundheit beeinflussen und möglicherweise dazu beitragen, wie wir altern“, so Korbel. (Nature Genetics, 2024; doi: 10.1038/s41588-024-01754-2)

Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft; 29. Mai 2024 

 - von Nadja Podbregar

 

Nota. - Sollte es reine Menschenrassen je gegeben haben, dürfte nach ein bis zwei Millionen Jahren davon kaum was überiggeblieben sein. Erstens.

Und zweitens: Männliche Invividuen tragen jeweils nur ein Geschlechtschromosom - x und y - in sich; keins von beiden hat eine Sicherheitskopie wie das xx bei Frauen. Naturgemäß werden Mutationen von ihnen also eher entwickelt als von weiblichen Individuen. Das ist riskant - anfällig gegen Anfeindungen jeder Art voll neuer Mög-lichkeiten.
JE

 

Donnerstag, 30. Mai 2024

Tschuljung.

geraldine rauch                       zu öffentliche Angelegenheiten

Kaum dass sie einen Posten ergattert haben, lassen sie's gutsein - sie haben ihre Gutmensch*innenheit hinlänglich bewiesen, indem sie für die Gleichstellung von Frauen was geleistet haben. Ab da sind sie ganz ungeniert; man* kann sich ja immernoch entschuldigen. 

 

 

Unser Laienverstand.

            zu öffentliche Angelegenheiten

Aller philologischen Gelehrsamkeit zum Hohn hat er bewiesen, dass Affektiertheit doch von Affe kommt.

 

 

 

Tierische Intelligenzen zum Xten.

Schwarzkopfmeise sitzt in Schneelandschaft auf Ast mit roten Beeren 
aus spektrum.de, 29.05.2024        Schwarkopfmeisen in den Wälder Nordamerikas           zu Jochen Ebmeiers Realien

Meisen bilden Erinnerungen als neuronalen Barcode
Schwarzkopfmeisen können sich Tausende von Futterverstecken merken. Jedes Versteck erhält dabei einen einzigartigen »Barcode« im Gehirn, der beim Wiederfinden reaktiviert wird. Lässt dies Rückschlüsse auf das menschliche Gedächtnis zu?

Dank dem episodischen Gedächtnis können wir uns an die großen und kleinen Dinge erinnern, die unser Leben füllen: zum Beispiel an die Geburt eines Kindes oder einfach daran, wo wir am Tag zuvor unser Auto geparkt haben. Episodische Erinnerungen kombinieren das Was, Wo und Wann eines Ereignisses. Auch Tiere besitzen diese Fähigkeit – so merken sich etwa Eichhörnchen und einige Vogelarten genau, wo sie im Herbst die unzähligen Samen versteckt haben, die ihnen durch den Winter helfen.

Es wird angenommen, dass episodische Erinnerungen im Hippocampus gebildet werden, aber die genauen neuronalen Mechanismen sind immer noch unklar. Im Fokus der Forschung standen bisher vor allem die Ortszellen, die eine räumliche Kartierung der Umgebung ermöglichen. Sie sind immer dann aktiv, wenn ein Mensch oder ein Tier einen bestimmten Ort betritt. Die Neuronen feuern unterschiedlich – je nachdem, was das Tier sieht, was seine Ziele sind und so weiter. So können die Zellen zwischen verschiedenen Ereignissen unterscheiden, auch wenn diese am selben Ort stattfinden. Allerdings müsste der Hippocampus seine »Karte« somit ständig aktualisieren, damit episodische Erinnerungen in Ortszellen realisiert werden können.

Forschende um Dmitriy Aronov von der Columbia University in New York kamen in einer in »Cell« veröffentlichten Studie auf eine alternative Idee: Vielleicht entstehen episodische Erinnerungen unabhängig von Ortszellen? Um dem auf den Grund zu gehen, führten sie Experimente mit Schwarzkopfmeisen (Poecile atricapillus) durch. Die Vögel ziehen im Winter nicht weg und müssen daher im Herbst Futterverstecke anlegen, um nicht zu verhungern. Sie sind Meister des episodischen Gedächtnisses und können sich an die Plätze Tausender von Leckerbissen erinnern, die sie in Rinden oder Astlöchern verstecken. Wie sie das schaffen, stellte die Wissenschaft bisher vor Rätsel.

Die Fachleute bauten eine Indoor-Arena mit 128 Versteckmöglichkeiten. Mit Hilfe von Videokameras zeichneten sie auf, wann die Schwarzkopfmeisen Sonnenblumenkerne versteckten und wiederfanden. Dank winziger implantierter Elektroden konnten Aronov und seine Kollegen genau nachvollziehen, was dabei in den Neuronen des Hippocampus vor sich ging. Sie fanden Überraschendes: Die Ortszellen veränderten ihre Signale nicht, wenn die Vögel neue Erinnerungen bildeten. Stattdessen feuerten jedes Mal, wenn eine Meise einen Samen versteckte, einige Nervenzellen kurzzeitig in einem einzigartigen Muster – wie ein Strichcode. Dieses Muster wurde reaktiviert, wenn das Tier den Samen wiederfand, selbst nach langen Zeiträumen. »Die Barcodes waren selbst für benachbarte Verstecke völlig unterschiedlich«, sagt Selmaan Chettih, Erstautor der Studie. »Sie sind unglaublich präzise«, fügt er hinzu.

Jeder Barcode repräsentiert ein einmaliges Ereignis

Jeder Barcode repräsentierte ein einmaliges Ereignis. Auch wurde der Code gelöscht, sobald die Meise den Samen gefunden hatte. »Höchstwahrscheinlich vergessen die Vögel es dann, da sie sich nicht mehr daran erinnern müssen«, sagt Vladimir Pravosudov, ein Evolutionsökologe an der University of Nevada in Reno. »Mit Hilfe der Barcodes lässt sich womöglich eine Erinnerung speichern, die viele einzelne Ereignisse beinhaltet. Gleichzeitig verhindert der Code, dass sich die Ereignisse gegenseitig stören oder ineinander verschwimmen«, sagt Chettih.

Da episodische Erinnerungen sowohl bei Vögeln als auch bei Menschen vom Hippocampus abhängen, könnte bei uns ebenfalls ein solcher Barcode existieren, glaubt Chettih. Pravosudov stimmt zu: Es handele sich wahrscheinlich um einen Artgrenzen überschreitenden, allgemeinen Mechanismus. Womöglich können in naher Zukunft entsprechende Studien bei Menschen stattfinden. »Es gibt bereits Labore, die Aufzeichnungen aus dem Hippocampus bei menschlichen Patienten mit Schläfenlappenepilepsie machen«, sagt Chettih und fügt hinzu: »Während die neuralen Prozesse, die dieser Art von Gedächtnisbildung zu Grunde liegen, noch undurchsichtig sind, ... sind Barcodes eine viel versprechende Möglichkeit.«

 

Eichelhäher
aus derStandard.at, 27. Mai 2024

Kluge Rabenvögel
Eichelhäher können auf "mentale Zeitreise" gehen
Die Waldvögel mit den schmucken blau-schwarz gestreiften Federn sind wahre Erinnerungskünstler und verfügen über ein episodisches Gedächtnis, wie Tests zeigen

Eichelhäher gehören zu den Rabenvögeln. Und das bedeutet, dass die sowohl optisch wie auch akustisch auffälligen Singvögel, die ihresgleichen und andere Tiere vor möglichen Feinden warnen, zu ziemlich außergewöhnlichen Intelligenzleistungen imstande sind. Einige der Eigenschaften dieser nicht gerade wohltönenden Alarmisten des Waldes ("screaming jay") waren der Forschung bereits bekannt. So sind die Männchen laut dem Rabenvogelfachmann Cord Riechelmann dazu in der Lage, die Futtervorlieben der Weibchen zu erkennen, ohne dass die Weibchen ihnen ihre Laune mitgeteilt hätten. Das können nicht alle männlichen Vertreter der Spezies Homo sapiens von sich behaupten.

Zu diesem erstaunlichen Vermögen, das darauf schließen lässt, dass die Männchen ihre Partnerinnen als Individuen mit eigenen Stimmungen und Innenleben wahrnehmen, kommt nun eine weitere kognitive Glanzleistung hinzu: Die gefiederten Schlaumeier können auf "mentale Zeitreise" gehen, wie der Psychologie-Dissertant James Davies (Universität Cambridge) argumentiert. Das bedeutet, dass die gefiederten Intelligenzbestien mental in die Vergangenheit zurückblicken und sich vergangene Ereignisse wieder ins Gedächtnis rufen können. Diese Fähigkeit gilt als Basis des episodischen Gedächtnisses und wurde Tieren lange abgesprochen. Das hat auch damit zu tun, dass diese Form der Rückerinnerung bislang eng an die Sprache geknüpft schien.

Meister des Merkens

Bleibt die Frage, wie die Forschenden um James Davies auf diese Eigenschaft der Eichelhäher stießen, deren Name davon herrührt, dass die Vögel pro Saison 3000 bis 5000 dieser Baumfrüchte pro Saison sammeln und verstecken. Dafür wieder müssen sich logischerweise so einiges merken. Und zufälliges Merken wiederum ist eben eine Voraussetzung der "mentalen Zeitreise" – also etwa, wenn wir uns bewusst an den letzten Supermarktbesuch zurückerinnern und uns dabei zufällig wieder einfällt, welche Farbe die Bluse der Frau an der Kasse hatte. Ende der zweckdienlichen Abschweifung und zurück zum eigentlichen Experiment.

Bei den Tests sahen die sieben teilnehmenden Eichelhäher (drei Weibchen, vier Männchen) zunächst, wie die Forschenden einen Mehlwurm unter einen Becher in einer Reihe von vier identischen Bechern legten. Im Anschluss erhielten sie dann für die richtige Identifizierung des Bechers mittels Ziehen an einem Fadens, der mit dem Bescher verbunden war, eine Belohnung. Die Eichelhäher wurden also darauf trainiert, sich den richtigen Becher zu merken.

EichelhäherWo ist der Wurm? Einer der sieben Eichelhäher beim Gedächtnistest.

Beim eigentlichen Test änderte sich dann die Gedächtnisprüfung: Die Eichelhäher sahen zwar wieder, wie Futter unter einen der Becher gelegt wurde, die nun alle eindeutige visuelle Merkmale (verschiedene bunte geometrische Figuren) aufwiesen. Danach wurden die Vögel aber für zehn Minuten von den Bechern getrennt.

Episodischer Gedächtnisbeweis

In dieser Pause stellten die Forschenden die Becher um und ordneten sie neu an. Trotz der veränderten Position der Becher und der Zeitverzögerung identifizierten die Vögel den Becher mit dem Mehlwurm immer noch in 70 Prozent der Fälle korrekt anhand der visuellen Merkmale. Obwohl die visuellen Unterschiede zwischen den Bechern während des Trainings unwichtig waren, waren die klugen Vögel in der Lage, diese Unterschiede beim Test zu bemerken und sich später daran zu erinnern – ganz ähnlich wie das beim episodischen Gedächtnis des Menschen passiert.

Die Schlussfolgerung des Teams um James Davies im Fachblatt PLoS One: Da die Eichelhäher in der Lage waren, sich an Details zu erinnern, die zum Zeitpunkt der Erinnerung keinen besonderen Wert oder keine besondere Bedeutung hatten, ist davon auszugehen, dass sie zufällige Informationen innerhalb eines erinnerten Ereignisses aufzeichnen, abrufen und darauf zugreifen können. Diese Fähigkeit ist charakteristisch für jenen Modus des menschlichen Gedächtnisses, bei dem wir vergangene Ereignisse (oder Episoden) geistig "wiedererleben" – das sogenannte '"episodische Gedächtnis".

Für die Forschenden ist offensichtlich, dass die Eichelhäher diese fortgeschrittene Form der Erinnerung dank ihres ständigen Gedächtnistrainings in freier Natur erworben haben. Dabei erinnern sie sich nicht nur an die eigenen Eichelverstecke und das jeweilige Haltbarkeitsdatum der versteckten Früchte. Ihr Gedächtnis hilft den Intelligenzbestien natürlich auch dabei, die Futterverstecke ihrer Artgenossen zu plündern, die sie beim Verstecken beobachtet hatten.

Originalpublikation:

PLoS One: "Eurasian jays (Garrulus glandarius) show episodic-like memory through the incidental encoding of information"

 

Nota. - Einer meiner Lieblissprüche heißt: Intelligenz ist Gedächtnis plus Humor. - Kann man Schwarzkopfmeisen oder Eichelhähern das Lachen beibringen?
JE

 

 

 

Mittwoch, 29. Mai 2024

Solche Klageweiber sind es, ...

                                     zu öffentliche Angelegenheiten

 ... die unsere Staatsform zum Gespött machen.




Eine längst akute Gefahr.

                      zu Jochen Ebmeiers Realien

„Eine echte KI-Machtübernahme wäre lautlos und unaufhaltsam“
 KI-Experte Stuart Russell warnt vor extremen Risiken unkontrollierter Weiterentwicklung der Systeme. Science-Fiction-Filme könnten uns darauf kaum vorbereiten.
aus Tagesspiegel vom 23. 5. 2024

Nicht, dass das Hypernetz die Macht übernimmt, ist die Gefahr, sondern dass es zu-sammenbricht - und ohne es nichts mehr läuft. Um die Macht zu übernehmen müss-te es sich zu einem Subjekt vereinigen und das wollen - was es nicht kann

Aber zusammenbrechen kann es ganz ohne zu wollen.
Und eine Variante davon wäre, dass es verrückt wird.

 

Dienstag, 28. Mai 2024

Sonifikation: Aus einem analogen Modus in den andern.


aus nzz.ch, 17. 5. 15                                                                       zu Jochen Ebmeiers Realien

In wissenschaftlichen Daten steckt Musik

Das Erbgut des Menschen lässt sich ebenso in Klänge verwandeln wie Gehirnströme
Immer öfter werden Messwerte und Zahlenangaben in Audiodaten verwandelt. Die «Vertonung» macht das Erkennen von Mustern leichter und komplexe Datensätze verständlich. Das soll künftig sogar Chirurgen beim Operieren helfen.

Mithilfe einer Hirn-Computer-Schnittstelle macht Rodrigo Cádiz Musik.
Mithilfe einer Hirn-Computer-Schnittstelle macht Rodrigo Cádiz Musik.

Rodrigo Cádiz, Komponist und Professor an der Päpstlichen Katholischen Universität in Santiago de Chile, bereitet sich auf seinen Auftritt vor. Das Instrument trägt er an der Stirn. Es sieht aus wie ein verrutschter Kopfhörer, ist aber eine Hirn-Computer-Schnittstelle. Die eingebauten Elektroden messen seine Hirnströme, die ein Computer in Töne übersetzt. Cádiz sitzt bewegungslos, mit geschlossenen Augen, auf einem Stuhl.

Dann beginnt seine Performance. Aus dem Lautsprecher erklingen dumpfe sphärische Geräusche, überlagert von einem Pfeifton. Cádiz öffnet seine Augen. Die Klänge werden abwechslungsreicher, der Rhythmus schneller.

Als er hin und her wippt, seine Hände öffnet, wieder schliesst und sie dabei betrachtet, als er aufsteht und langsam umhergeht, steigert sich die Musik ins Dramatische. Cádiz komponiert sie just in diesem Augenblick.


Auftritt von Rodrigo Cádiz in der Universität Bielefeld.

Der Auftritt findet im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld statt. Denn die Klänge begeistern nicht nur Fans von elektronischer Musik; Wissenschafter und Ärzte sind ebenfalls fasziniert. Sie hoffen, dass ihnen das Anhören von Hirnwellen künftig bei der Erforschung und Diagnostik von Krankheiten des Gehirns hilft.
 
Ein Physiker verwandelt EEG-Daten in Klänge

Unter Cádiz’ Zuhörern ist Thomas Hermann, Physiker an der Universität Bielefeld und Experte für die Vertonung von Informationen jeglicher Art. Auch für ihn ist Musik eine Leidenschaft. Doch wenn er Hirnwellen und andere Daten in Klänge verwandelt, geht es ihm nicht um neue Musikstücke, sondern um pure Wissenschaft.

Forscher in allen möglichen Disziplinen müssen mit immer komplexeren Datensätzen umgehen. Dafür sollten sie nicht nur ihre Augen, sondern auch ihre Ohren nutzen, findet Hermann: «Das macht die gesamte Informationsverarbeitung angenehmer für den Menschen.» Zudem erleichtere die Sonifikation – so der Fachbegriff für die Verklanglichung von Daten – blinden und sehbeeinträchtigten Personen den Zugang zur Wissenschaft und ihren Ergebnissen. Ganz gleich, ob es dabei um die Erkundung des Weltraums oder die Entschlüsselung unseres Erbguts geht.

Der Bielefelder Physiker hat schon Hirnwellen von Epilepsiepatienten vertont, die per Elektroenzephalografie (EEG) aufgezeichnet wurden. Ein epileptischer Anfall klingt dann so, als würden mehrere Personen im Gleichtakt kräftig auf Metall einschlagen. «Während des Anfalls feuern die Neuronen synchronisiert, diesen Zustand höherer Ordnung hören wir deutlich als Rhythmus», erklärt Hermann. «Unsere Ohren nehmen derart rhythmische Muster und insbesondere deren subtile Veränderungen feiner wahr als unsere Augen.»

Die Ohren befinden sich in ständiger Alarmbereitschaft

In der Erforschung der Epilepsie ist die Verklanglichung schon jetzt von Vorteil. Statt auf einen Bildschirm mit Hirnstromkurven zu schauen, hören die Wissenschafter den Verlauf des Anfalls, während sie ihr Augenmerk voll und ganz auf den Patienten richten. Ebenfalls hilfreich wäre die Technik beim Patienten-Monitoring daheim oder im Krankenhaus. Auffällige Geräusche alarmieren den Hörsinn sofort und sogar dann, wenn Angehörige oder Pflegepersonal schlafen, denn dabei schliessen sie nur die Augen, nicht die Ohren.

Dass der Hörsinn eine ausgeprägte Warnfunktion besitzt, wissen wir von Sirenen und vom Martinshorn. Aber auch von Messinstrumenten wie dem Geigerzähler, der bei radioaktiver Strahlung knackt. Das Gerät gibt es seit fast hundert Jahren. Die Sonifikation ist demnach keine neue Idee. Hermann beschäftigt sich damit seit über zwei Jahrzehnten und hat schon alles Mögliche hörbar gemacht – vom Wetterbericht über den Spritverbrauch eines Autos bis zu Bewegungsprofilen von Spitzensportlern.

Das grösste Potenzial sieht er aber in der Medizin. Ärzte seien besonders offen für den Sound der Daten: «Sie lernen schon in ihrer Ausbildung den Umgang mit dem Stethoskop und wissen daher, dass die Ohren ein guter Kanal für die Informationsaufnahme sind.»

Ist die Vertonung künftig eine Hilfe bei Operationen?

Bald könnte die Technik Einzug in OP-Säle halten. In einem Projekt mit der Zürcher Universitätsklinik Balgrist hat Sasan Matinfar, Sonifikationsspezialist an der Technischen Universität München, den Blutverlust während einer Operation vertont. Warme, beruhigende Hintergrundklänge wie von einem Xylofon signalisieren den Chirurgen, dass alles in Ordnung ist.

Bei hohem Blutverlust verändern sich die Töne, bis ein unangenehm klirrender Sound akute Gefahr meldet. Im Modellversuch hat das bestens funktioniert. Für den Einsatz im OP-Saal fehle aber noch ein Sensorsystem, das die Blutmenge korrekt in Echtzeit erfasse, sagt Matinfar.

Der Blutverlust im Laufe der Operation und andere Datensätze aus wenigen verschiedenen Parametern werden meist mit Rechenvorschriften (Algorithmen) vertont, die jedem Messwert einen bestimmten Sound zuordnen. Je nach Veränderung der Werte variieren zum Beispiel Tonhöhe oder Lautstärke, Rhythmus, Tempo oder der Klang an sich. Zur Verfügung stehen elektronisch erzeugte Töne, aber auch digitalisierte echte Geräusche vom Donnergrollen über Glockenschläge bis zum Vogelgezwitscher.

Matinfar, der vor seinem Informatikstudium Musik studiert hat, benutzt auch Passagen aus klassischen Musikstücken, etwa dramatische Stellen aus einer Cellosuite von Johann Sebastian Bach oder beruhigende Abschnitte aus einem Präludium. Dank künstlicher Intelligenz füllt sich der Werkzeugkasten der Sonifikation immer mehr. Selbst Songs aus individuellen Playlists lassen sich heute schon verwenden.

DNA und RNA werden zu Audiospuren

So vielfältig wie die Mittel der Sonifikation, so vielfältig sind auch die bereits vertonten Daten. Als Soundtrack gibt es bereits den Anstieg der globalen Temperatur und der CO2-Konzentration der Atmosphäre, das Insektensterben sowie teleskopische Beobachtungen von Spiralnebeln, Gravitationswellen und anderen astronomischen Phänomenen.

Mark Temple, Molekularbiologe an der Western Sydney University in Australien, macht sogar unser Erbgut hörbar. Sein einfachster Algorithmus ordnet den vier DNA-Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin jeweils eine andere Note zu und übersetzt die Sequenz der Basen so in eine Tonfolge. Eine andere von ihm entworfene Rechenvorschrift fasst drei aufeinanderfolgende Basen zu einem Ton zusammen. Im genetischen Bauplan für Proteine legt eine solche Dreierfolge fest, welche Aminosäure an welcher Stelle ins Protein eingebaut wird.

Damit die Tonfolgen harmonisch klingen, definiert Temple die Töne entsprechend dem gängigen Dur-Moll-System. Das verbessere die Hörbarkeit und erlaube die Verklanglichung von grossen Datenmengen, sagt er. Aus einer Basensequenz generiert er zudem verschiedene Audiospuren, die übereinanderlegt Akkorde ergeben.

Zu hören sind sogar Fehler in der DNA

Zunächst vertonte Temple einzelne DNA-Sequenzen. Gegenwärtig beschäftigt er sich damit, krankheitsauslösende Genfehler und andere Variationen im Erbgut aufzuspüren. Dafür vergleicht er die Tonspuren von mutierter und fehlerfreier DNA. Es gebe für den Sequenzvergleich zwar viele bioinformatische Methoden, sagt Temple, aber noch keine Sonifikationstechnik.

Damit Gendefekte leicht zu hören sind, lässt er fehlerfreie Sequenzen sanft und Unterschiede hart klingen. Diese Technik ergänzt die klassischen Methoden der Genanalytik. Sie macht die Daten zudem Personen mit Sehbehinderungen zugänglich – aber auch Laien, die mit den üblichen Codes und grafisch-visuellen Darstellungen nicht viel anfangen können. Vielleicht, spekuliert Temple, sei es für das Wohlbefinden von Menschen mit genetischen Krankheiten hilfreich, die Einzigartigkeit ihrer DNA zu hören. Der medizinische Nutzen ist aber noch nicht bewiesen.

Temple agiert zwischen Wissenschaft und Kunst. Er verklanglicht die Daten nach klaren Regeln, seine Projekte haben wissenschaftliche Inhalte. Aber er spielt mit den Tonspuren und stellt sie in einem Dateiformat bereit, das Musiker und Tonstudios direkt verarbeiten können. Temple hat schon RNA-Abschnitte des Coronavirus in Musik verwandelt. Erst kürzlich improvisierte er auf der E-Gitarre zur vertonten DNA des Eukalyptusbaumes, um das Bewusstsein für die Schönheit der Bäume und ihre Bedeutung für das Klima zu schärfen.

Um ein Musikstück zu erhalten, hat Temple verschiedene Tonspuren übereinandergelegt. Unten läuft die RNA-Sequenz durch, die als Code für das Oberflächen-Glykoprotein dient. Die Buchstaben stehen für die vier RNA-Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil. Die Ketten aus den Kreisen sind Aminosäuresequenzen, die Buchstaben stehen für die jeweiligen Aminosäuren.

Auf Musik und generell auf Töne reagieren wir oft emotional und intuitiv. Schon aus einem einzigen Geräusch können wir vielfältige Informationen ableiten. Diese Fähigkeit nutzen wir zum Beispiel, wenn wir gegen eine Wand klopfen, um ihre Dicke oder Dämmung festzustellen.

Das Herz klingt anders als die Lunge

In der Medizin zählt das Abklopfen und gleichzeitige Abhören mit dem Stethoskop zu den etablierten Untersuchungsmethoden. Geschulte Ärzte erkennen sogar Lungenkrankheiten wie die Tuberkulose am Klopfgeräusch. Das brachte Thomas Hermann auf eine ungewöhnliche Idee zur Vertonung von komplexen Datensätzen. Am Computer konstruiert er daraus Netzwerke, sozusagen virtuelle Instrumente, die beim «Anschlagen» eingängige Töne erzeugen.

Auch dieses Vorgehen soll Einzug in den OP-Saal halten. Sasan Matinfar, der Münchener Sonifikationsspezialist, nutzt die Methode für eine Klangreise durch den menschlichen Körper. «Wir verwandeln die Charakteristika verschiedener Gewebe in Geräusche», sagt er. Die Daten für die Berechnung der Netzwerke stammen aus der medizinischen Bildgebung. Sie geben an, wie starr oder weich, wie dicht und strukturiert ein Gewebe ist.

Vertonung von Gewebe im menschlichen Körper (Herz, Lunge, Leber, Knochen, Muskel).

So vertont, klingt die Lunge dumpfer als das Herz, ein Knochen härter als Fettgewebe und sogar ein Tumor anders als gesundes Gewebe. Auf dieser Basis entwickelt Matinfar ein klangliches Navigations- und Orientierungssystem für Chirurgen. Es soll ihnen zum Beispiel dabei helfen, Tumorgewebe vollständig zu entfernen. Ferner erleichtert es das präzise Operieren in kritischen Bereichen, etwa wenn ein Krebsgeschwür dicht an einem wichtigen Nerv oder Blutgefäss sitzt.

Bis jetzt werden solche Operationen bildgestützt durchgeführt. Dabei muss der Arzt aber ständig vom Patienten weg auf einen oder mehrere Monitore blicken. Die Verklanglichung der Bilddaten erlaubt es dem Operateur, sein Augenmerk permanent auf den Patienten zu richten. An Modellen und in Virtual-Reality-Experimenten haben Ärzte die klangliche Navigation schon ausprobiert. Tests im OP-Saal stehen aber noch aus.

Nicht nur Ärzte, sondern wir alle «leben in einer Kultur, die uns mit visuellen Informationen überlastet und den Hörsinn vernachlässigt», fasst Hermann zusammen. Mit dieser Einseitigkeit möchte er Schluss machen. Und das ist gut so. Denn angesichts der stetig steigenden Flut von immer komplexeren Daten haben grafisch-visuelle Darstellungen ihre Grenzen erreicht.

 

Nota I. - Analoges digitalisieren tun wir den ganzen Tag, sobald wir nur den Mund auftun. Unsere Zivilisation beruht darauf. Aber Etwas aus einem analogen Modus in einen andern analogen Modus übersetzen ohne digitalen Zwischenschritt: den Begriff - das ist neu. Für die Vorstellung ist es wie ein Fleischwolf. Da gibts gedank-lich noch zu tun. Ob es wohl möglich wird, Digitales unmittelbar in Analoges zu-rückzumodeln - ohne Worte? Das ist mehr als bloß ein technisches Problem. Aber noch gestern hätte ich geschworen, Hörbarmachen von Sichtbarem sei das auch.
 

Nota II. - NEIN!  Das ist ganz falsch - noch bevor ich's gepostet habe, ist es mir glücklich klargeworden: Da ist gar nichts "unmittelbar". Zwischen Sehen und Hören liegt ein Vermittlungsberg, der höher ist als der Himalaja. Da ist erst eine Datenmenge größer als der Weltozean, dann eine Rechnerkapazität jenseits aller menschlichen Möglichkeiten, und schließlich ein Algorithmus, der selber lernen konnte. Und alle nicht nur möglich, sondern wirklich gemacht durch denkende menschliche Individuen! Wie konnte ich annehmen, Begriffe hätten keine Rolle gespielt? 

Man kann immer wieder nur staunen, wie sehr uns die Digitalisierung den Blick auf das Funktionieren unserer Reflexion schärft.
JE


Good news is no news.

Jugendkriminalität geht zurück 
- in Amerika.

                                           zu öffentliche Angelegenheiten

  Sebastian Herrmann berichtet heute in der Süddeutschen:

Daten aus den USA legen nahe, dass Jugendliche heute im Schnitt später straffällig werden als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Analyse ist zwar um-stritten, klar scheint aber zu sein, dass Jugendkriminalität seit Jahren sinkt.

Da bin ich mal gespannt, welche Blätter das sonst noch bringen werden, und in welcher Aufmachung...
JE 


Montag, 27. Mai 2024

Das Orientbild der Europäer...

...und das orientalische Bild vom Westen. 

 
aus derStandard.at, 6. 4. 2024                          Schlacht von Lepanto                                 zu öffentliche Angelegenheiten

Historisches Stereotyp
Wie Europa das Bild des kulturell unterlegenen Orients prägte
Exotisch, gefährlich und roh: So berichteten europäische Reisende jahrhundertelang über das Osmanische Reich. Diese Berichte werden nun genau unter die Lupe genommen

"Zu Bethlehem hab ich gesehen ein Chamaelicontem / das ist ein Thierlein von Haut und ansehen wie ein Frosch / doch etwas höher und länger / hat gespalten Füßlein wie ein Kuh / es laufft gar schnell wie ein Eidechs / und verendert sein Haut in allerley Farben."

Chamäleon Orient-Impressionen Nationalbibliothek

Texte wie dieser, in denen Gelehrte der frühen Neuzeit, also ab dem 15. Jahr-hundert, über ihre Reisen in den Orient berichten, gibt es viele in der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB). Zu viele, um sie mit herkömmlichen Forschungsmethoden auszuwerten. In dem Projekt Osmanische Natur in Reiseberichten, 1501–1850 (ONiT), analysiert nun ein Team aus Historikerinnen, Bibliothekaren und Data-Scientists frühneuzeitliche Reiseberichte in großem Stil und nutzt dabei Algorithmen und Machine-Learning.

Stereotype des Orients

"Der westliche Blick auf den Orient ist die längste Zeit von Stereotypen geprägt worden. Naturdarstellungen spielten dabei eine große Rolle", sagt Arno Strohmeyer. Der stellvertretende Leiter des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Professor für Geschichte der Neuzeit in Salzburg will mit einem Forschungsteam herausfinden, inwiefern Darstellungen von Flora, Fauna und Landschaften den westlichen Blick auf das Osmanische Reich geprägt haben. Fördergelder stammen vom Wissenschaftsfonds FWF.

Orient Impressionen ÖNBOrientimpressionen, wie sie in der Österreichischen Nationalbibliothek haufenweise dokumentiert sind.

Neben dem eingangs zitierten Text, der 1608 erstmals publiziert wurde, werden in dem Projekt über 3.000 frühneuzeitliche Reiseberichte auf Deutsch, Englisch, Französisch und Latein analysiert. Diese wurden von der Nationalbibliothek in den vergangenen Jahren digitalisiert und stehen nun Forschenden der ÖAW, der Uni Salzburg und des Austrian Institute of Technology (AIT) zur Verfügung, die die vorhandenen Texte und Abbildungen interdisziplinär auswerten. Dabei kommen innovative Methoden der digitalen Geisteswissenschaften zum Einsatz.

KI findet Pferd und Maus

Um die großen Datenmengen handhabbar zu machen, setze man auf maschinelle Auswertung durch Algorithmen, erklärt Doris Gruber, die hauptverantwortliche Wissenschafterin bei ONiT. Durch eine Datenbank haben die Forschenden Zugriff auf Naturdarstellungen in Text und Bild. "Mit dem von uns entwickelten Tool können wir mit Prompts über sprachliche Grenzen hinweg nach Bildern suchen – das ist revolutionär", erklärt Gruber.

Orient Impressionen ÖNB WüstenmausAuch Wüstenmäuse dürfen bei den Orientbeschreibungen natürlich nicht fehlen.

So kann man in die vom Forschungsteam entwickelte Datenbank etwa den Begriff "Landschaft mit Pferden" eingeben. Sodann werden einem dutzende Beispiele entsprechender Abbildungen angezeigt, die von einem eigens entwickelten Algorithmus aus tausenden digitalisierten Reiseberichten extrahiert werden. Man habe dafür einerseits auf bestehende Machine-Learning-Tools zurückgegriffen, andererseits auch eigene Anwendungen entwickelt, sagt Michaela Vignoli, Data-Scientist am AIT und Projektmitarbeiterin.

"Bilder werden in mathematische Repräsentationen umgewandelt. Ein Algorithmus, der darauf trainiert wurde, Ähnlichkeiten zu erkennen, und gelernt hat, wie ein Pferd aussieht, kann dann das ganze Korpus durchsuchen und alle Abbildungen mit Pferden anzeigen." Egal also, ob das gesuchte Tier in den Texten als "Pferd", "horse", "equus" oder "cheval" vorkommt, der Algorithmus findet die entsprechende Stelle in Sekundenschnelle.

Kulturelle Überheblichkeit

"Schon jetzt können wir sagen, dass Beschreibungen der osmanischen Flora und Fauna genutzt wurden, um die vermeintliche kulturelle Überlegenheit Europas und die Unterlegenheit des Orients zu behaupten", sagt Doris Gruber. Beschreibungen gefährlicher Tiere brachten so nicht nur Exotik in die Reiseliteratur, sondern kommunizierten auch kulturelle und politische Werthaltungen.

Orient Impressionen ÖNB HyäneWilde, gefährliche Tiere unterstreichen das Bild des verrohten Orients.

Bislang wurde auf Basis der Wiener Sammlung der europäische Blick auf das Osmanische Reich untersucht, er soll durch Reiseberichte aus weiteren europäischen Bibliotheken erweitert werden, ergänzt Jacopo Jandl von der ÖNB, der sich um die technische Seite des Projekts kümmert. Um auch die Gegenperspektive zu berücksichtigen, würde man im nächsten Arbeitsschritt aber auch persische, arabische und osmanische Handschriften in die Analyse einbeziehen. Zu diesem Zweck haben die österreichischen Forschenden erst kürzlich eine Kooperation mit der Marmara University in Istanbul gestartet.

Kooperative Geisteswissenschaften

Das Innovationspotenzial sieht Projektleiter Arno Strohmeyer aber nicht nur in den konkreten Forschungsergebnissen, die somit erzielt werden. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geisteswissenschaftern und Datenwissenschaftern sei wegweisend. "Data-Scientists denken in Nullen und Einsen. Historiker operieren mit ganz anderen Kategorien. Wir mussten eine gemeinsame Sprache entwickeln, um über die Grenzen unserer Disziplinen hinweg kommunizieren zu können", sagt Strohmeyer.

Orient-Impressionen der Österreichischen NationalbibliothekOrientimpressionen der Österreichischen Nationalbibliothek.

Machine-Learning und künstliche Intelligenz werden das Arbeiten in den Geisteswissenschaften auf vollkommen neue Beine stellen, glaubt auch Doris Gruber. "Durch digitale Forschungsmethoden wird die Forschung künftig deutlich kooperativer als bislang. Bei ONiT erproben wir diese Art der interdisziplinären Zusammenarbeit."

Digitale Infrastruktur

Ein weiterer Mehrwert des Projekts sei die Entwicklung einer digitalen Forschungsinfrastruktur, ergänzt Max Kaiser. Er leitet die Abteilung Forschung und Datenservices an der ÖNB, welche die Daten für ONiT bereitstellt. "Wir stellen die erhobenen Metadaten und die entwickelten Algorithmen dauerhaft für die Nachnutzung zur Verfügung. Somit profitieren auch spätere Forschungsprojekte vom jetzt erworbenen Know-how", freut sich Kaiser.

Apropos: Wer selbst eine imaginäre Reise in den Orient unternehmen möchte, kann dies über die Suchmaschine der ÖNB tun. Alles, was man dazu machen muss, ist, "projectonit*" in die Suchmaske einzugeben, dann erscheinen die im Projekt erforschten und vollständig digitalisierten Reiseaufzeichnungen. Nur auf die Suche nach einem Chamäleon muss man sich vorerst noch selbst machen.

 

Nota. - Postkolonialer Saubermann! Wissen Sie, was nach Ansicht mancher Histo-riker die tiefere Ursache für den unaufhaltsamen Niedergang des Osmanischen Reichs gewesen ist? Die aus dem hellenistischen Ostrom ererbte kulturelle Über-heblichkeit des muslimisch gewordenen Nahen Ostens gegenüber den ungebildeten Ungläubigen des Westens. 

Die Kreuzfahrer hatten sich quasi von allein überlebt, und Europa war für den Sultan im Vergleich zu den immer wieder kriegerisch hervorbrechenden Persern nur ein lästiger Nebenkriegsschauplatz. Noch nach der Seeschlacht von Lepanto ließ er sich von seinem Großwesir brieflich versichern, der Verlust der türkischen Flotte ließe sich wieder wettmachen und er könne ruhig schlafen...

Man hat an der Hohen Pforte nicht bemerkt, wie seit dem 16. Jahrhundert der transatlantische Handel den in der Levante und dem Persischen Golf rasch übertraf und sich die Rolle Europas in der Welt schlagartig änderte. Die beiden osmanischen Vorstöße auf Wien waren sehr aufwändig, wurden aber halbherzig geführt, weil sie zu keinem strategischen Plan gehörten. Auch nach dem Scheitern der zweiten Bela-gerung gab es kein Umdenken; man hat sich einfach vom Westen abgewandt und wieder dem nahöstlichen Kerngeschäft überlassen.

Im neunzehnten Jahrhundert war dann der Sultan schon der kranke Mann am Bos-porus, und vor hundert Jahren schließlich hat Mustafa Kemal das Kalifat abge-schafft. 

Es wäre ratsam, dass sich der postkoloniale Blick von seiner hypnotischen Fixie-rung auf Europa löst und auch mal der Andern Seite Aufmerksamkeit zukommen lässt.
JE


Klugheit und Anstand.

F. X. Messerschmidt, Einfalt                               zu Philosophierungen, wozu sonst?

Kluge Leute gibt's genug; an anständigen fehlt es. Und solange die Volksmeinung dahin geht, dass anständige Leute nicht besonders klug sein könnten, wird es an Anständigen fehlen und nicht an Klugen. 

Du fragst mich, was anständig ist? Frag dich selbst, du fragst mich ja auch nicht, was klug ist.
2. 2. 15 

 
 
 

Sonntag, 26. Mai 2024

Die Zeit wird knapp.


aus nzz.ch, 25.05.2024                                                                                            zu öffentliche Angelegenheiten

Eine parteiübergreifende Allianz in Deutschland plädiert für den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Boden
Immer wieder greifen Putins Truppen die Ukraine von russischem Staatsgebiet aus an. Doch die Verteidiger dürfen die vom Westen gelieferten Waffen nicht zur Abwehr jenseits der Grenze einsetzen. 
 
Nun kommt Bewegung in die Debatte, auch in Deutschland.

von 
Marco Seliger, Berlin

In Anbetracht der Lage in der Ukraine hat in Deutschland offenbar ein Umdenken über den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Boden eingesetzt. Nachdem am Freitag Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Verbündeten aufgefordert hatte, die restriktiven Einsatzregeln zu lockern, sprachen sich am Samstag auch namhafte deutsche Politiker aus Regierung und Opposition dafür aus.&nbsp Aus den USA waren bereits Ende der Woche entsprechende Signale zu vernehmen gewesen. Das russische Regime in Moskau hatte daraufhin die Regierung in Washington vor einem entsprechenden Schritt gewarnt.

Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten, erklärte gegenüber der NZZ, unter der Bedingung, dass die USA und die anderen Verbündeten zusammen mit Deutschland zu einem entsprechenden Beschluss kämen, sei der Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium für ihn vertretbar. Völkerrechtlich sei er eindeutig vom Selbstverteidigungsrecht der Ukraine gedeckt.

Anton Hofreiter, außenpolitischer Fachmann der Grünen und Vorsitzender des Europa-Ausschusses des Bundestags, sagte, es gehe um den Schutz der ukrainischen Bevölkerung. «Daher sollten wir die Ukraine nicht daran hindern, mit den gelieferten Waffen russische Kampfjets auch im russischen Luftraum abzuwehren», äußerte er in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Alexander Müller, verteidigungspolitischer Sprecher der Liberalen, erklärte, wenn die russische Armee, wie in Charkiw, unmittelbar die ukrainische Grenze angreife, wo es kein ukrainisches Hinterland gebe, dann müsse auch die Wirkung auf die Militärbasen der Angreifer auf deren Territorium möglich sein.

Scholz soll endlich Taurus liefern

Damit plädierten wichtige Parlamentarier aller drei Regierungsparteien dafür, das Einsatzverbot auf russischem Boden zu beseitigen. Dabei haben sie die oppositionelle Union an ihrer Seite. Fraktionsvize Johann Wadephul sagte der NZZ, «westliche Beschränkungen bei der Nutzung von uns gelieferter Waffen helfen nur Russland und sollten sofort aufgehoben werden». Nach wie vor, meinte er weiter, bleibe der Kanzler aufgefordert, endlich die Taurus-Lieferung zu ermöglichen.

Seit gut einem Jahr diskutiert die Politik in Berlin über eine Lieferung dieses Waffensystems an die Ukraine. Bundeskanzler Olaf Scholz weigert sich bisher und steht dabei einer Front aus seinen Koalitionspartnern Grüne, FDP und Teilen seiner SPD sowie der Union gegenüber. Scholz lehnt die Taurus-Lieferung unter anderem mit der Begründung ab, es sei nicht auszuschliessen, dass der Marschflugkörper von den Ukrainern gegen Ziele auf russischem Boden eingesetzt würde. Taurus hat eine Reichweite von etwa 500 Kilometern.

Die Taurus-Befürworter in Berlin hatten bisher argumentiert, es gebe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Ukrainer die Restriktionen für den Waffeneinsatz beachten würden. Das hätten sie bisher auch getan. Die Debatte fand also vor dem Hintergrund statt, dass Taurus nur innerhalb der Ukraine gegen russische Ziele, etwa die Brücke von Kertsch auf die Krim, eingesetzt würde. Nun aber gehen die Überlegungen in Berlin offenkundig darüber hinaus. Russische Ziele auf russischem Boden mit westlichen Waffen anzugreifen, erscheint jetzt zumindest Fachpolitikern als legitim.

Befeuert wurde dieser Wandel mutmaßlich von den Entwicklungen auf dem Gefechtsfeld. Seit Wochen attackieren russische Truppen die grenznahe Region um Charkiw. Die Millionenstadt im Nordosten der Ukraine liegt immer wieder unter russischem Beschuss. Die Angriffe erfolgen zumeist aus Gebieten hinter der Grenze, gegen die sich die Ukrainer mit westlichen Waffen bisher nicht wehren können. Präsident Wolodimir Selenski hatte diese Einschränkungen erst vor gut einer Woche kritisiert. Russland könne von seinem Gebiet aus sämtliche Waffen auf die Ukraine abfeuern, während dies seinem Land umgekehrt nicht möglich sei. «Das ist der größte Vorteil, den Russland hat», sagte Selenski in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.

Der Völkerrechtsexperte Matthias Herdegen von der Universität Bonn sieht das Recht aufseiten der Ukraine. «Das Recht auf Selbstverteidigung deckt gerade militärische Operationen auf dem Territorium des Angreiferstaates», äussert er. Gerade dafür sei es da. Wenn westliche Staaten den Einsatz der gelieferten Waffensysteme auf das Gebiet der Ukraine beschränkten, sei dies allein eine Frage der politischen Opportunität, sei es aus Sorge um eine Eskalation oder aus reiner Ängstlichkeit vor dem Kreml, meint Herdegen.

Am Freitag erklärte Nato-Generalsekretär Stoltenberg in der britischen Wochenzeitung «Economist», es sei an der Zeit, dass die Verbündeten darüber nachdächten, ob sie einige der Beschränkungen für den Einsatz von Waffen, die sie der Ukraine zur Verfügung gestellt haben, aufheben sollten. «Besonders jetzt, wo ein Grossteil der Kämpfe in Charkiw nahe der Grenze stattfindet, ist es für die Ukraine sehr schwierig, sich zu verteidigen, wenn ihr die Möglichkeit genommen wird, diese Waffen gegen legitime militärische Ziele auf russischem Gebiet einzusetzen.»

Zugleich räumte Stoltenberg, der im Oktober nach zehn Jahren im Amt seinen Posten aufgeben wird, das Risiko einer Eskalation ein. Es gehe darum, «zu verhindern, dass dieser Krieg zu einem ausgewachsenen Krieg zwischen Russland und der Nato in Europa wird», sagte er. Er unterschied jedoch zwischen der Lieferung von Waffen und Ausbildung sowie einem direkten militärischen Engagement der Nato. Die Allianz biete der Ukraine Ausbildung, Waffen und Munition an, werde aber nicht direkt von Nato-Territorium aus in Kampfhandlungen über oder in der Ukraine eingreifen.

Der Bundeskanzler äussert sich ablehnend

Sein Amtsvorgänger Anders Fogh Rasmussen hatte Mitte Mai gefordert, die Nato-Länder in Osteuropa sollten die Möglichkeit erhalten, russische Raketen und Drohnen, die auf die Ukraine zufliegen, mit bodengestützten Flugabwehrsystemen abzuschiessen. Stoltenberg wies diesen Vorschlag zurück. «Wir werden uns nicht an diesem Krieg beteiligen», sagte er dem «Economist». Die Nato sei nicht vor 75 Jahren gegründet worden, um einen Krieg zu führen, sondern um ihn zu verhindern. Auch in der deutschen Politik stossen die Überlegungen Rasmussens auf weitgehende Ablehnung.

Die «New York Times» hatte zuletzt berichtet, US-Aussenminister Antony Blinken wolle dafür werben, der Ukraine den Einsatz amerikanischer Waffen auf russischem Gebiet zu ermöglichen. Blinken war in der vergangenen Woche zum vierten Mal in seiner Amtszeit in Kiew und soll nach seiner Rückkehr für eine Lockerung der bisherigen Regeln plädiert haben. Präsident Joe Biden und der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan mahnen bisher zur Vorsicht und lehnen den Einsatz amerikanischer Waffen auf russischem Gebiet ab.

Diese Haltung hat offensichtlich auch nach wie vor der deutsche Kanzler. Am Freitag, noch vor der Veröffentlichung des «Economist»-Interviews mit Stoltenberg, sagte Scholz bei einem Besuch des portugiesischen Ministerpräsidenten in Berlin, es mache «überhaupt keinen Sinn, irgendwelche Spekulationen darüber anzustellen, was irgendwer irgendwo erwägt». Es sei sehr viel wichtiger, darauf hinzuweisen, «dass wir sehr klare Regeln haben». Damit wollte Scholz mutmaßich ausdrücken, dass er einen Einsatz westlicher Waffen auf russischem Boden ablehnt.

Allerdings war Scholz bisher immer ein Befürworter eines mit den Amerikanern und anderen wichtigen Nato-Partnern abgestimmten Vorgehens. Wenn am Sonntag Emmanuel Macron zu einem dreitägigen Staatsbesuch nach Deutschland kommt, kann er zumindest schon einmal den französischen Präsidenten fragen, wie dessen Position ist.

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