Montag, 5. Februar 2024

Es ist verpfuscht.

El Aqsa brennt                      zu öffentliche Angelegenheiten 

Sie haben mich gestern recht verstanden: Der pp. Zwei-Staaten-Lösung für Palästina stehe ich skeptisch gegenüber - nicht, ob sie wünschenwert, sondern ob sie möglich wäre. 

Am wünschenswertesten wäre gewesen, wenn auf dem Gebiet des damaligen britischen Protektorats ein demokratischer Rechtsstaat entstanden wäre, in dem die Angehörigen aller Glaubensbekenntnisse und aller Ethnien gleichberechigt nebeneinander leben. Aber das hat damals keiner - jedenfalls keiner, der für eine nennenswerte politische Kraft gestanden hätte - gewollt. 

Na, und heute schon gar nicht.

Wann immer mehr oder weniger autorisierte Wortführer der palästinensischen Seite später für die Zwei Staaten ihre Unterschrift gegeben haben, sind ihnen die bewaffneten Gruppen in den Rücken gefallen. Die israelischen Repräsentanten waren demokratisch und rechts-staatlich legitimiert und hätten dauerhafte Übereinkünfte zertifizieren können. Aber der Rückhalt im eigenen Lager schwand, je klarer es wurde, dass es auf palästinensicher Seite keine Größe gibt, mit der man Verträge schließen kann, weil "die Palästinenser" - wer sind sie und wo? - es bis heute nicht vermocht haben, sich selber eine Repräsentanz zu geben.

Inzwischen haben in Israel diejenigen eine breite Mehrheit hinter sich, die nicht riskieren  wollen, mit einer palästinensischen Behörde ein Abkommen zu schließen, um beim näch-sten Morgengrauen von einer Horde Mordbrennern im Schlaf überfallen zu werden. 

Soll ich ihnen sagen, dass ich es besser weiß?


Ganz oder gar nicht.

Chan Yunis                       zu öffentliche Angelegenheiten

Es hat sich bis heute keine politische Autorität gefunden, die für "die Palästinenser" hätte Abkommen schließen können, die dann auch eingehalten wurden. Von der Hamas ist an der Stelle gar nicht zu reden, denn einen solchen Anspruch hat die noch nie erhoben. Was von ihr zu erwarten ist, haben sie am 7. Oktober gezeigt. Mit ihr ist kein Abkommen zu erzielen, sondern sie muss vernichtet werden.

Das Den Haager Gericht hat geurteilt, dass Israel bei der Verfolgung dieses Ziels das Völkerrecht zu beachten habe. Verstand es sich nicht von selbst? Es in oberster Instanz auszusprechen konnte nicht schaden. Doch sein Ziel hat das Gericht Israel nicht streitig gemacht.

Ob Israel dem Haager Spruch Folge leistet, wird im Einzelnen selbstverständlich umstritten sein. Das liegt in der Natur von Kriegen; und eines asymmetrischen, in dem die eine Seite das Völkerrecht für sich noch nie als verbindlich erachtet - sondern das bloße Dasein ihres Gegners bestritten - hat, schon gar.

Der gesunder Menschverstand sagt: Wenn Israel sein Ziel nicht bis zu Ende verfolgt, son-dern auf halbem Weg stehen bleibt, dann sind die vielen Tausend Opfer, die bereits gefallen sind, für nichts und wieder nichts gestorben. Das wäre wirklich ein Kriegsverbrechen. 


Intelligenz ohne Bewusstsein?

                                  zu Philosophierungen,

Wie immer man Intelligenz definiert - die intellektiven, "durchblickenden" Fähigkeiten der Bienen und Hummeln dürften in die Definition passen.

Mit dem Bewusstsein ist es ganz was anderes. Es hat nur einen Sinn, wenn es eine Intelli-genz bezeichnet, die ihrer selbst 'bewusst' wird. Nämlich indem sie sich und die Dinge außer ihr von einander unterscheidet, um sich zu ihnen in ein Verhältnis zu setzen; allge-mein gesprochen: aus einem un bestimmten Zustand in einen bestimmteren zu versetzen. Das geschieht nicht 'von allein', sondern mit Absicht [denn das ist es, was wir unter Absicht verstehen].

Einem Lebewesen Bewusstsein zuschreiben bedeutet, ihm die Fähigkeit zuschreiben, seine Absichten aus eigenem Antrieb (sponte sua) zu fassen und nicht blindlings einem geneti-schen Programm zu folgen. Das wird man Bienen und Hummeln wohl nicht nachsagen können, so komplex ihre intellektiven Leistungen immer seien.

Aber philosophisch und gar transzendental philosophisch sind sie doch. In der Vernunftkri-tik ist stets einschränkend die Rede von unserer "endlichen"  Intelligenz - im Unterschied zu einer möglichen 'höheren', unendlichen Intelligenz (die nur die Intelligenz des Schöpfers sein könte, der selbst noch das Ding an sich durchschaut, weil er es ja erschaffen hat). 

Die auch nur hypothetische Annahme einer solchen höheren Intelligenz ist aber theoretisch gar nicht zulässig. Es bliebe der Reflexion also nur 'unsere endliche' Intelligenz ohne eine sie spezifizierenden Gegensatz. Da kommen Bienen und Hummeln gerade recht. Während man die intellektiven Fertigkeit der Säugetiere* noch weitgehend unter Bezug auf die menschli-chen beschreiben kann, und zwar durch mehr oder weniger, leben die Bienen (Insekten) "in einer anderen Welt", und das ist der springende Punkt: Die Intelligenz ist, nach Form und Gehalt, eine andere, weil die Welt, der sie gilt, eine andere ist. Oder umgekehrt? Aber das wäre ja dasselbe. 

Eins bleibt aber übrig: Unsere Intelligenz entspricht nach Form und Gehalt unserer Welt, oder umgekehrt. Einen andern Gegensatz, der sie bestimmen könnte, braucht sie gar nicht.

*) Fledermäuse und Meeressäuger fielen schon ein bisschen aus dem Rahmen. 

26. 5. 18 

 

Nachtrag: Unter Bewusstsein versteht man eine Intelligenz, die sich 'gegen sich selbst' wen-det. Ein Selbst ist ihr nur dann gewärtig, wenn sie es vom Rest der Welt unterscheidet: Aufs Unterscheiden kommt es an.


Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog JE

Sonntag, 4. Februar 2024

Ist uns die Sprachfähigkeit eingeboren oder haben wir sie uns selber anerschaffen?


Cicero, Rom                                                                                                                                                             zuJochen Ebmeiers Realien 

Im heutigen Tagesspiegel gibt Hartmut Weweretzer einen kurzen Abriss des wissenschaft-lichen Streits darüber, ob uns das Vermögen zur Sprache genetisch eingeboren ist, oder lediglich eine Leistung unserer Kulturgeschichte; Anlass ist ein neues Buch des amerikani-schen Schriftstellers Tom Wolfe, das er kurz und knapp verreißt. Er fahrt fort:

"Der moderne Mensch entwickelte sich vor 150 000 bis 200 000 Jahren in Ostafrika, die Sprache folgte vor 80 000 bis 150 000 Jahren, schätzt Gerhard Roth. Entscheidend war die menschliche Anatomie. Der aufrechte Gang verlagerte den Kehlkopf nach unten und war so maßgeblich am Ausprägen der Sprechfähigkeit beteiligt, etwa der Möglichkeit, Vokale zu artikulieren. Im Gehirn rückte – im Vergleich zu den nächsten Verwandten des Menschen – Sprache und Sprechen „nach oben“, in die hochentwickelte Hirnrinde. Hier ist die Sprache fest in einer Reihe von Hirnzentren und Verbindungsrouten verankert. So fest, dass ein Neurologe von der gestörten Sprache eines Schlaganfall-Patienten ableiten kann, welches Hirnareal ausgefallen ist. Und schließlich haben in den letzten Jahren erste Funde von Sprach- oder Grammatik-Genen wie FoxP2 von sich reden gemacht.

 


Es könnte gut sein, dass das alles die nötigen Ingredienzen für den menschlichen Sprach-instinkt sind, für eine tiefe biologische Verwurzelung der Sprache à la Pinker. und Chomsky. Es kann aber auch sein, dass das Gehirn wie ein Schweizer Armeemesser funktioniert. Aus-gestattet mit einigen exzellenten intellektuellen Werkzeugen ist es in der Lage, sich eine Sprache zurechtzuschneidern und sie sich anzueignen, bei jedem Menschen aufs Neue. Das ist Tomasellos Annahme. Wer hat recht? Am Ende werden die Tatsachen den Streit ent-scheiden."

Was immer Sprache sonst noch ist, sie ist auch ein artikuliertes System von Symbolen. Ein Symbol symbolisiert etwas, sonst ist es keins. Was ist dieses Etwas? Es ist die Bedeutung des Symbols. Ein Symbol gibt es nicht ohne Bedeutung. Aber gibt es Bedeutungen ohne Sym-bole? Aber ja, so ist es in unserm alltäglichen Denken. Bedeutungen scheinen auf im Ge-dankenstrom, verbinden sich mit den darauf folgenden zu neuen, komplexeren Bedeutun-gen, und so fort. Wenn ich nicht absichtlich darauf merke, ziehen sie an mir vorbei bis an den Punkt, 'auf den ich hinauswollte': das Denkergebnis. Wenn ich das erfassen und behal-ten will, dann allerdings brauche ich ein Symbol. Erst das Symbol macht eine Bedeutung fungibel, und das bedeutet letzten Endes nichts weiter als: bedeutend, denn eine Bedeutung, mit der sich nichts anfangen lässt, ist keine.

Historisch wird es sich so zugetragen haben, dass sich Bedeutungen und ihre Wortsymbole in einem systemischen Prozess miteinander und auseinander entwickelt haben - das Ganze hat schließlich eine Vorgeschichte von einigen Millionen Jahren. Da ist die Frage, ob das Ei früher da war als die Henne, sinnlos. Aber genetisch ist die Antwort eine ganz andere: Sie mögen sich gleichzeitig und zusammen entwickelt habe; aber die Wortsymbole um der Be-deutungen willen, und nicht umgekehrt.
5. 10. 16

 
 
 

Samstag, 3. Februar 2024

Wie dein Gehirn die Welt sieht.

Schematische Darstellung der Nervenbahnen im Gehirn. 
aus planet-wissen                                                                                                                           zuJochen Ebmeiers Realien 

Das Gehirn mit seinen Milliarden von Nervenzellen wiegt nur etwa 1,4 Kilo-gramm. Dabei verbraucht es 20 Prozent der Energie unseres Körpers, um die vielfältigen Sinnesreize aus der Umwelt zu verarbeiten.

Von Hans Jürgen von der Burchard

Das Gehirn macht sich sein eigenes Bild

Was unsere Umgebung an optischen Eindrücken hinterlässt, sind lediglich Lichtflecken auf dem Augenhintergrund – kein 1:1-Abbild der Realität. Erst nach und nach lernt das Gehirn, diese "Lichtspiele" zu deuten und speichert Formen, Farben, Gegenstände oder Gesichter in unterschiedlichen Arealen ab. Jeder neue Seheindruck wird mit schon bekannten Wahr-nehmungen verglichen.

Ist es ein Stuhl, ein Auto oder ein Mensch? Das Gehirn entscheidet sich für die wahrschein-lichste Interpretation. Es erfasst nicht die Welt, so wie sie ist, sondern macht sich sein eige-nes Bild.

In den meisten Fällen funktioniert das, aber nicht immer. Wird das Gehirn mit Neuem, Un-gewohntem konfrontiert, werden alle Ressourcen für die Bewertung benötigt. Und phasen-weise kann dabei der Denkapparat auch ganz schön durcheinander kommen.

Optische Täuschung: Fehlinterpreation der Realität

Im Jahre 1946 entwarf der US-Psychologe und Augenarzt Adelbert Ames einen verblüffen-den Raum. Menschen, die sich in einem völlig normal erscheinenden Zimmer von einer Ecke in die andere bewegen, verändern darin scheinbar ihre Größe. Aus Zwergen werden Riesen und umgekehrt.

Obwohl wir wissen, dass das eigentlich nicht sein kann, erliegen wir der optischen Täu-schung. In Wirklichkeit ist der Ames-Raum völlig schief konstruiert – trapezförmig verzerrt.

Das Gehirn spielt uns einen Streich, weil wir aus Erfahrung nur rechtwinklige Räume ken-nen. So kommt es zu einer Fehlinterpretation der Realität.

Zwei Personen in einem Ames-Raum
Das Gehirn sieht einen rechtwinkligen Raum

"Change Blindness": Der Blick fürs Wesentliche

Jeder kennt das aus eigener Erfahrung. Wir lenken unsere Aufmerksamkeit auf das, was am wichtigsten erscheint. Alles andere blenden wir aus, auch wenn sich da einiges tut. Fachleute sprechen von "change blindness", also "Veränderungsblindheit".

In einem Versuch wurden etwa Passanten von einer Reporterin gebeten, herauszufinden, welche der beiden Strecken auf einer Abbildung länger ist. Unter dem Vorwand, einen Maßstab holen zu wollen, duckte sich die Reporterin hinter ihrem Stand, so dass eine Kollegin ihre Rolle einnehmen konnte.

Fazit des Versuchs: Die meisten bemerkten den Reportertausch nicht. Denn das Gehirn hat nur eine begrenzte Verarbeitungskapazität. Es wirkt wie ein Filter, der eben nicht alles zum Bewusstsein durchlässt.

Was tut sich im Kopf?

Das Gehirn lässt sich nicht auseinandernehmen wie eine Uhr. Aber dank moderner bild-gebender Verfahren wie der Kernspintomografie können Forscher den grauen Zellen bei der Arbeit zusehen.

Aktive Nervenzellen müssen ausreichend mit Blut versorgt werden. Diese Veränderung im Hirngewebe lässt sich mit Hilfe von Computern sichtbar machen. Sie verdeutlicht Ort und Ausmaß der Gehirnaktivität.

Hirnscan aus dem MRT
Dank moderner Technik können Forscher dem Hirn bei der Arbeit zusehen

Wird einer Versuchsperson das Bild eines bekannten Objekts gezeigt – zum Beispiel ein Auto –, sieht man, welche Nervenzellen aktiv sind. Andere Nervenzellen springen beim Erkennen von Gesichtern an. So wissen Forscher inzwischen ziemlich genau, welche Hirnregionen für die Verarbeitung unterschiedlicher Wahrnehmungen zuständig sind.

Die Informationsverarbeitung im Gehirn hilft uns, im Alltag Entscheidungen zu treffen. Es hat gewissermaßen die individuelle Lebenserfahrung gespeichert und lenkt dementspre-chend unser Verhalten.

Wer zum Beispiel mit Hunden immer nur gute Erfahrungen gemacht hat, wird ihnen ver-trauensvoll begegnen. Wer dagegen schon einmal von einem Hund gebissen wurde, wird sie eher meiden.

Das Ohr filtert überflüssige Geräusche aus

Nicht alles, was die Sinne registrieren, gelangt auch ins Gehirn. Bestes Beispiel ist das Gehör. Geräusche, Stimmen und Musik erreichen das Ohr als Druckwellen. Aber nur ein Teil der so übermittelten akustischen Information wird vom Gehirn verarbeitet. Das Ohr filtert alles Überflüssige aus.

Diese Tatsache haben sich die Entwickler des MP3-Verfahrens zunutze gemacht. Die Bezeichnung MP3 steht für "MPEG Audio Layer 3". Dabei wird entsprechend der begrenzten Wahrnehmung unseres Gehörs all das aus den ursprünglichen Audiodaten entfernt, was für den Klangeindruck unbedeutend ist. Dadurch ist es möglich, Musik extrem kompakt zu speichern, ohne hörbaren Qualitätsverlust.

Freitag, 2. Februar 2024

Die allererste Prognose.

typofactory                                      zu Philosophierungen,    

Na selbstverständlich tun wir im Oberstübchen noch etwas mehr, als immerzu nur Progno-sefehler zu korrigieren. Nämlich Prognosen entwerfen. Die kämen von allein durch die Er-fahrung auf uns zu? Aber die Erfahrung bestand in der Korrektur von Prognosefehlern

Man kann es drehen und wenden wie man will: Um die Annahme einer Allerersten Pro-gnose kommen wir nicht herum. Damit Erfahrungen überhaupt gemacht werden können, müssen nicht nur die Instrumente - Kants Apriori - 'zuhanden' sein, sondern ein vorgän-giger Sinnentwurf: Fichtes Tathandlung.

Wenn nun das Predictive Coding ideengeschichtlich bis auf J. F. Herbart (und mit ihm auf die englische Assoziationspsychologie) zurückgeführt wird, sollte nicht vergessen werden, dass Herbart bei J. G. Fichte in der philosophischen Lehre war. Ein früh und entschieden abtrünniger Schüler zwar, aber es hat ihn nicht gehindert, sich am Material der Fichteschen Philosophie reichlich zu bedienen (wie später auch Schopenhauer). 

Hier ist es der Primat des Praktischen in all unserer Vorstellungstätigkeit; ihrer Intentionalitä und Gerichtetheit: 'Wollen', 'Streben', 'Trieb'. Das (lediglich zum Behuf der Erklärung an-genommene) 'Ich' ist ursprünglich schlechthin handelnd, aber es handelt nicht nur 'einfach so', sondern immer um zu....

Wenn man also sucht, mit welcher Philosophie sich die neue Psychologie am besten ver-trägt, muss man nicht weit gehen, es reicht ein Klick zu meinem Blog. (Dass Metzinger das nicht passt, habe ich nicht anders erwartet. Würde er mir zustimmen, hätte ich einen Fehler gemacht.)

Kommentar zu Denken ist das Überprüfen von Prognosen. JE, 28. 10. 16

 

Donnerstag, 1. Februar 2024

Sind Systeme schlechthin unsicher?

                                         zu Philosophierungen, zuJochen Ebmeiers Realien 
aus spektrum.de, 16. 1. 2024                                                            Wie sich ein System im Lauf der Zeit entwickelt, ist prinzipiell unsicher   

Neue Art von Unsicherheit in der Physik entdeckt
In der Realität kann man niemals alles ganz genau wissen: Messwerte sind immer ungenau. Bisher kannte man zwei Effekte, die fundamentale Unsicherheit erzeugen. Nun kommt ein dritter hinzu.

Physikalische Gleichungen setzen gemeinhin exakte Werte für physikalische Parameter voraus: Temperatur, Druck oder Geschwindigkeit werden durch einen festen Wert darge-stellt. Doch in der Wirklichkeit kann man die Zahlen nicht beliebig genau bestimmen. Messinstrumente erzeugen kleine Unsicherheiten, ebenso wie zufällige Schwankungen von Punkt zu Punkt oder im Lauf der Zeit. Zu diesen klassischen Ungenauigkeiten kommt nun eine dritte Art von Unsicherheit, die Jan Korbel und David H. Wolpert vom Complexity Science Hub Vienna nun in der Fachzeitschrift »Physical Review Research« beschrieben haben. Wie die beiden Forscher berichten, sind auch die Werte, die die Entwicklung eines physikalischen Systems bestimmen, nicht beliebig genau bestimmbar. Im Gegensatz zu den bekannten Fehlerquellen sei noch völlig unklar, wie man diese Art von Fehler in den mathematischen Verfahren berücksichtigt, schreiben sie.

Wenn man ein reales physikalisches Experiment mathematisch beschreibt, berücksichtigt man bisher zwei Arten von Fehlern. Zum einen kennt man den Zustand des Systems nicht präzise. Deswegen ersetzt man die präzisen Messwerte durch eine Wahrscheinlichkeitsver-teilung. Zum anderen beschreibt man die Wechselwirkungen mit der Außenwelt als einen Zufallsprozess. Die nun beschriebene neue Art der Unsicherheit betrifft die Entwicklung des Systems im Lauf der Zeit. Man beschreibt sie durch eine so genannte Übergangsma-trix – eine Gruppe von Werten, die angibt, wie das System von einem Zustand in den nächsten übergeht. Diese Werte allerdings, argumentieren Korbel und Wolpert, seien ebenso wenig beliebig genau bekannt. Das heißt, die Übergangsma-trix selbst und wie schnell diese Übergänge ablaufen, sind ebenfalls mit einer eingebauten Unsicherheit behaftet.

Diese zusätzliche Unsicherheit über die Dynamik eines physikalischen Systems habe reale Konsequenzen, berichten Korbel und Wolpert. In einer Pressemitteilung des Instituts nennen sie das Beispiel der optischen Pinzette. Dabei halten Laserstrahlen kleine Objekte in der Schwebe. Um die Laser optimal einzustellen, misst man wiederholt den Zustand des Systems, kleine Schwankungen betrachtet man dabei als Ergebnis der Messungenauigkeit. Die Schwankungen können jedoch, so die Forscher, auch das Ergebnis der unbekannten Dynamik des Systems sein – und diese Unsicherheit führe dazu, dass die optimale Ein-stellung der Laser schwieriger werde. Thermodynamisch gesprochen sei sie eine zusätzliche Quelle von Entropie, und damit führe sie dazu, dass man für bestimmte Prozesse mehr Energie aufwenden muss als bisher theoretisch berechnet.

 

Nota. - Praktisch wär's, wenn die Wirklichkeit - und nennten wir sie: die Zeit - digital aus einer Reihenfolge definierter Zustände bestünde, von denen der eine - kausal? - von dem vorangegangenen bestimmt wäre. 

So wurde es vor der Revolution der Thermodynamik aufgefasst. Sie führte, an Stelle der isolierbaren Verursachungsketten, die systemische Betrachtungsweise in die Naturwissen-schaft ein. Die ununterscheidbar einander kreuzenden Verursachungen müssen in macherlei Hinsicht analog ihrerseits als ein Ganzes, als eine Kette augefasst werden - dann folgt nicht Fakt B aus Fakt A, sondern geht der neue Zustand aus dem vorigen hervor. Der 'Zustand' ist nicht definiert - eingegrenzt - als eine endliche Summe von isolierbaren 'Fakten', sondern wird aufgefasst als eine Gegebenheit sui generis, innerhalb derer der Beobachter wenn er Glück hat einzelne 'Momente' unterscheiden und mit ihresgleichen in Verbindung bringen kann. 

Während in der klassischen Naturwissenschaft die 'eigentliche' Wirklichkeit in den Zustän-den bestand, traten mit der Thermonynamik die Übergänge gleichwertig dazwischen: Die Zustände sind Interpunktionen in einer unablässigen Veränderung und fallen bloß eher ins Auge des Betrachters als jene: Sie sind prägnanter - weil sie eben dauern, man kann sie mehrmals ansehen und sie bleiben wie sie sind, während Veränderungen schwinden. In der thermodynamischen Betrachtung kehrt sich das Verhältnis um, hier ist es die Veränderung, die dauert, während die Zustände flüchtig bleiben. 

Was ist, ist, meint Parmenides, aber Heraklit sagt, Alles fließt. Das ist keine Frage, die durch theoretische Analyse klärbar wäre. Das ist eine Prämisse, die, so oder so, vor aller Frage in die Wahrnehmung hineigesteckt wird. Was für eine Philosophie einer wählt, hängt davon ab, was für ein Mensch er ist. Weltanschauungen kann man aus ihnen nicht herleiten, denn sie liegen ihnen zugrunde. Die Kritik kann, umgekehrt, vielmehr die Prämissen aus den Welt-anschauungen herausrechnen. Man kann sie dann wieder zurücktun, aber nun nur, nachdem man sie beim Namen genannt hat.

Ob nun einer die Fiktionen System und Zustand zur Grundlage seiner Weltauffassung macht oder nicht, steht ihm frei; wenn er nur zugibt, dass es so ist.

Es ist hier nobabene von physikalisch realen Systemen die Rede, nicht von den Begriffskon-struktionen der Philosophen. 
JE

 

Blog-Archiv

"Wir brauchen einen Sicherheitsrat der Willigen in Europa."

aus ntv, 15. 9. 2025                                                                                       zu öffentliche Angelegenheiten Au...