Cicero, Rom zuJochen Ebmeiers Realien
Im heutigen Tagesspiegel gibt Hartmut Weweretzer
einen kurzen Abriss des wissenschaft-lichen Streits darüber, ob uns das
Vermögen zur Sprache genetisch eingeboren ist, oder lediglich eine
Leistung unserer Kulturgeschichte; Anlass ist ein neues Buch des
amerikani-schen Schriftstellers Tom Wolfe, das er kurz und knapp verreißt. Er fahrt fort:
"Der moderne Mensch entwickelte sich vor 150 000 bis 200 000 Jahren
in Ostafrika, die Sprache folgte vor 80 000 bis 150 000 Jahren, schätzt Gerhard Roth. Entscheidend war die menschliche Anatomie. Der aufrechte Gang
verlagerte den Kehlkopf nach unten und war so maßgeblich am Ausprägen
der Sprechfähigkeit beteiligt, etwa der Möglichkeit, Vokale zu
artikulieren. Im Gehirn rückte – im Vergleich zu den nächsten Verwandten
des Menschen – Sprache und Sprechen „nach oben“, in die hochentwickelte
Hirnrinde. Hier ist die Sprache fest in einer Reihe von Hirnzentren und
Verbindungsrouten verankert. So fest, dass ein Neurologe von der
gestörten Sprache eines Schlaganfall-Patienten ableiten kann, welches
Hirnareal ausgefallen ist. Und schließlich haben in den letzten Jahren
erste Funde von Sprach- oder Grammatik-Genen wie FoxP2 von sich reden
gemacht.
Es könnte gut sein, dass das alles die nötigen
Ingredienzen für den menschlichen Sprach-instinkt sind, für eine tiefe
biologische Verwurzelung der Sprache à la Pinker. und Chomsky. Es kann
aber auch sein, dass das Gehirn wie ein Schweizer Armeemesser
funktioniert. Aus-gestattet mit einigen exzellenten intellektuellen
Werkzeugen ist es in der Lage, sich eine Sprache zurechtzuschneidern und
sie sich anzueignen, bei jedem Menschen aufs Neue. Das ist Tomasellos
Annahme. Wer hat recht? Am Ende werden die Tatsachen den Streit
ent-scheiden."
Was immer Sprache sonst noch ist, sie ist auch ein artikuliertes System von Symbolen. Ein Symbol symbolisiert etwas, sonst ist es keins. Was ist dieses Etwas? Es ist die Bedeutung
des Symbols. Ein Symbol gibt es nicht ohne Bedeutung. Aber gibt es
Bedeutungen ohne Sym-bole? Aber ja, so ist es in unserm alltäglichen
Denken. Bedeutungen scheinen auf im Ge-dankenstrom, verbinden sich mit
den darauf folgenden zu neuen, komplexeren Bedeutun-gen, und so fort.
Wenn ich nicht absichtlich darauf merke, ziehen sie an mir vorbei bis an
den Punkt, 'auf den ich hinauswollte': das Denkergebnis. Wenn ich das erfassen und behal-ten will, dann allerdings brauche ich ein Symbol. Erst das Symbol macht eine Bedeutung fungibel, und das bedeutet letzten Endes nichts weiter als: bedeutend, denn eine Bedeutung, mit der sich nichts anfangen lässt, ist keine.
Historisch
wird es sich so zugetragen haben, dass sich Bedeutungen und ihre
Wortsymbole in einem systemischen Prozess miteinander und auseinander
entwickelt haben - das Ganze hat schließlich eine Vorgeschichte von
einigen Millionen Jahren. Da ist die Frage, ob das Ei früher da war als
die Henne, sinnlos. Aber genetisch ist die Antwort eine ganz andere: Sie
mögen sich gleichzeitig und zusammen entwickelt habe; aber die
Wortsymbole um der Be-deutungen willen, und nicht umgekehrt.
5. 10. 16
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