aus scinexx.de, 26. 9. 2024 Hat die Null im Gehirn
eine Sonderstellung? zu Ebmeiers Realien zu Philosophierungen,
Wie verarbeitet unser Gehirn die Null?
Experiment enthüllt, welche Neuronen auf leere Mengen oder die Ziffer Null reagieren
Sonderrolle oder nicht? Die Null hat einen besonderen
Stellenwert in Zahlenraum – aber wie ist das für unser Gehirn? Welche
Neuronen die Zahl Null verarbeiten und ob sie dies anders tun als bei
anderen Zahlen, haben Forschende nun untersucht. Dabei zeigte sich: Es
gibt spezielle Neuronen, die leere Mengen oder die Ziffer Null
verarbeiten. Allerdings scheint die Null trotzdem in den mentalen
Zahlenstrang integriert zu sein, wie das Team in „Current Biology“
berichtet. Was aber bedeutet dies konkret?
Sie kennzeichnet eine Leere, das Fehlen von Etwas, ist aber
gleichzeitig eine Zahl: Die „Null“ hat im Zahlenraum eine Sonderstellung
– und ist auch historisch gesehen ein „Nachzügler“: Zwar nutzten
indische Mathematiker schon vor rund 1.700 Jahren
erstmals ein eigenes Symbol für die Null und auch die Babylonier hatten
dafür ein Symbol. Aber weder die Griechen und Römer noch die antiken
Chinesen kannten eine Null. Erst im siebten Jahrhundert hatte die Null
einen festen Platz im westlichen Zahlensystem.
Ähnliches zeigt sich in der Entwicklung von Kindern: „Sie verstehen
die Null als kleinste Zahl unter den positiven Zahlen typischerweise
erst mit rund sechs Jahren – lange nachdem sie zu zählen gelernt haben“,
erklären Esther Kutter von der Universität Bonn und ihre Kollegen. Und
selbst im Erwachsenenalter scheint unser Gehirn mit dem Konzept der Null
mehr Mühe zu haben als mit anderen Zahlen, wie längere Reaktionszeiten
und höhere Fehlerraten in Tests nahelegen.
Blick bis aufs einzelne Neuron
Doch wie erkennt und verarbeitet unser Gehirn die Null? Bekannt ist, dass es spezielle Hirnreale für Zahlen sowie für das Addieren und Subtrahieren gibt. Studien an Rhesusaffen legen zudem nahe, dass das Gehirn leere Mengen in einem zweischrittigen Prozess
verarbeitet. Doch welche Neuronen bei der Zahl Null aktiv werden, war
bisher unbekannt. Deshalb haben Kutter und ihr Team dies nun erstmals
mithilfe der Einzelneuronen-Analyse untersucht.
Möglich wurde das Experiment, weil einigen Patienten vor
neurochirurgischen Operationen haarfeine Elektroden ins Gehirn
implantiert werden. Sie sollen normalerweise Anfallsherde bei Epilepsie
erkennen oder anderen Anomalien. In diesem Fall halfen die abgeleiteten
Signale der in den Schläfenlappen sitzenden Elektroden aber dabei, dem
Gehirn bei der Arbeit zuzusehen. Das Team zeigte den Testpersonen dafür
verschiedene Punktmengen oder Ziffern zwischen null und neun und
beobachtete, welche Neuronen jeweils feuerten.
Eigene Hirnzellen für die Null
Es zeigte sich: Je nach Zahlenwert oder Menge feuerten jeweils andere
Neuronengruppen im Schläfenlappen der Patienten. Auch die Taktrate der
Aktivierung unterschied sich je nach Menge der gezeigten Punkte. „Dabei
fanden wir auch Neuronen, die spezifisch nur bei der leeren Menge
feuerten“, berichten Kutter und ihr Team. „Dies zeigt, dass die Neuronen
nicht nur auf zählbare Anzahlen reagieren, sondern auch auf das Fehlen
von zählbaren Objekten.“
Dabei ist jedoch nicht egal, ob wir die Zahl „Null“ als arabische
Ziffer oder als Menge sehen, wie die Experimente enthüllten. Stattdessen
werden symbolische Repräsentation und Menge offenbar von jeweils
eigenen Hirnzellen verarbeitet. „Die Neuronen reagierten entweder auf
die arabische Ziffer Null oder die leere Menge, nicht jedoch auf
beides“, berichtet Kutter. Es scheint demnach im Schläfenlappen keine
formatunabhängigen „Null-Detektoren“ zu geben.
Trotzdem Teil des Zahlenstrangs
Das Entscheidende jedoch: Als die Forschenden die Aktivierungsmuster
genauer untersuchten, zeigte sich ein sogenannter Abstandseffekt: Wenn
zwei Mengen oder Zahlen direkt benachbart sind, beispielsweise drei und
vier, kommt es zu neuronalen Überlappungen. Dabei feuert ein Teil der
eigentlich für die eine Zahl zuständigen Neuronen bei der Nachbarzahl
mit. Wie sich zeigte, tritt dieser Abstandseffekt nicht nur bei normalen
Zahlen auf, sondern auch bei der Null – unabhängig davon, ob die Null
als Ziffer oder Menge gezeigt wird.
Daraus schließen die Forschenden, dass das Konzept der Null in
unserem Gehirn keine eigene, vom restlichen Zahlenraum isolierte Einheit
darstellt, wie teilweise vermutet. Stattdessen wird die Null offenbar
mit in den Zahlenstrang einsortiert – sie bildet sein unteres Ende.
Diese Eingliederung der Null erfolgt sowohl bei Punktmengen als auch bei
Ziffern als symbolischen Repräsentationen dieser Mengen, wie das Team
feststellte.
Symbol gleicht Unterschiede aus
Allerdings: So ganz „normal“ ist die Null für unser Gehirn trotzdem
nicht. „Die Reaktion auf die leere Menge stach heraus, weil dabei
signifikant höhere Fehlerraten und längere Reaktionszeiten auftraten“,
berichten Kutter und ihre Kollegen. „Das legt nahe, dass die Null in
Form leerer Mengen dennoch einen speziellen Status im mentalen
Zahlenstrahl hat.“ Beim Anblick der Ziffer Null traten diese
Auffälligkeiten interessanterweise aber nicht auf.
Das bedeutet, dass es unserem Gehirn leichter fällt, die Ziffer Null
zu verarbeiten als das, wofür sie steht – eine leere Menge. Offenbar
verwischen die abstrakten Zahlensymbole die fundamentalen Unterschiede
zwischen dem Etwas und dem Nichts. „Die symbolische Repräsentation kann
die Außenseiterrolle der Zahl Null offenbar ausgleichen“, erklären
Kutter und ihr Team. (Current Biology, 2024; doi: 10.1016/j.cub.2024.08.041)
Quelle: Universitätsklinikum Bonn
von Nadja Podbregar
Nota. - 'Offenbar verwischen die abstrakten Zahlensymbole die fundamentalen Unterschiede zwischen dem Etwas und dem Nichts'! Denn schon die Begriffe ha-ben die ihnen zugrundeliegenden Vorstellungen verblassen lassen. Mit den abstrakten Symbolen kann der Verstand leichter operieren, doch die anschaulichen Bilder las-sen sich erwägen - das tun Symbole nicht.
Halten wir fest: Das Experiment setzte voraus, dass Zahlen im Gehirn entstanden sind. Und als sie da waren, hat dasselbe Gehirn die Null hinzu erfunden. Anders ergibt die Versuchsanordnung keinen Sinn.
Zahlen entstehen aus Zählen. Nicht aber die Null. Wie die Berichterstatterin schreibt: Sie bezeichnet ein Fehlen. Erst mussten die aus abzählbaren Mengen entstandenen Zahlen in der Vorstellung zu einer unendlichen Reihe gefügt werden, damit auffallen konnte: Wenn es ein Ende nicht gibt, kann es auch einen Anfang nicht geben. Die Eins, die in die Mannigfaltigkeit hinein gesetzt wurde, um mit dem Zählen anfangen zu können, ist vom Zählenden willkürlich plaziert worden - er hätte auch später anfangen können. Dann musste er aber auch früher anfangen können.
Zahlen dienen nicht nur zum Abzählen.
Solange sie nur zum Abzählen gebraucht werden, existieren Zahlen nur medial, doch nicht real: Sie bezeichnen nur und haben keinen Eigen-Sinn. Werden sie aber astrologisch verwendet, bezeichnen sie nicht Realien, sondern Phantasmen - aber so, als ob sie Realien bezeichneten.
Historisch hat sich aus der Astrologie die Astronomie entwickelt, und nun konnten - mussten - die Zahlen sich praktisch bewähren. Es konnte die Vorstellung aufkom-men, sie wären Zeichen für Wirkliches - und also selber ein kleines Bisschen wirk-lich.
Man konnte mit dem Rechnen anfangen.
Und so konnten sie die Geometrie begründen, die ohne sie nicht reell gewesen wäre. Geometrie handelt von Raumverhältnissen. Ohne Zahlen gäbe es in der Wirklichkeit keine verstehbaren Verhältnisse, denn Geometrie betrachtet das Wirkliche als ein einiges Kontinuum, das von ihnen konstituiert wird.
Zahlen sind seither nicht mehr medial, sondern konstituiv.
Wenn dem so ist, muss der Zählbarkeit ein Zustand vorangegangen sein, wo nicht gezählt werden konnte: nämlich vor der Eins. Das kann man umkehren - sofern man die Null als die Grenze der Zählbarkeit feststellt: minus Eins, minus Zwei...
Mit andern Worten, Null setzt die Mathematik voraus, nicht umgekehrt.
Kein Wunder, dass sie den Alltagsverstand befremdet.
*
Die Null war die Schallgrenze, die das analoge Vorstellen vom digitalen Denken geschieden hat. An die Stelle der Anschauung von Mengen - Äpfel und Birnen - tritt das Operieren mit Symbolen. Konnte es auch woanders als beim Rechnen ent-stehen? Wahrscheinlich - zufällig und bei besonderer Gelegenheit; doch davon ist uns nichts überliefert. Beim Rechnen aber musste es geschehen. Das Rechnen ist in diesem engeren Sinn der Ursprung des Begriffs, nicht das Reden. Es ist das Grund-muster des diskursiven Verfahrens. In der Mengenlehre wird dieser Zusammenhang durch Umkehrung wiederherge-stellt.
JE