Sonntag, 21. Juli 2024

Quelle der Kreativität im Gehirn lokalisiert

Kreatives Gehirn 
aus scinexx.de, 17. 7. 2024                                                                                       zu Jochen Ebmeiers Realien

Quelle der Kreativität im Gehirn lokalisiert
Hirnwellen enthüllen neuronale Schaltstelle des kreativen Denkens

Ideenquelle: Wo in unserm Gehirn sitzt die Kreativität? Lässt sie sich über-haupt verorten? Eine Antwort darauf haben nun Forschende mithilfe von EEG-Analysen gefunden. Demnach gibt es zwar kein festes Hirnareal für Kreativität, wohl aber eine weit verzweigte Schaltstelle über mehrere Hirn-regionen hinweg, ohne die wir keine Ideen generieren können. Die Erkennt-nisse könnten künftig auch Menschen helfen, bei denen dieses Schalternetz-werk nicht richtig funktioniert.

Die besten Ideen kommen uns manchmal plötzlich und unverhofft, während wir über etwas völlig anderes nachdenken. Wie dieser paradoxe kreative Prozess in unserem Gehirn vonstatten geht, war bisher allerdings unklar, weil er nur schwer zu erforschen ist. „Im Gegensatz zur Motorik oder zum Sehen sind höhere kognitive Prozesse wie Kreativität nicht von einer bestimmten Stelle im Gehirn abhängig“, erklärt Ben Shofty von der University of Utah. „Es gibt keinen Kreativitätscortex.”

Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Kreativität eine Gehirnfunktion mit defi-niertem Ablauf und Ursprung ist. So kann eine lokale Hirnverletzung infolge eines Schlaganfalls beispielsweise unsere kreativen Fähigkeiten sowohl positiv als auch negativ verändern. Das deutet darauf hin, dass es theoretisch möglich sein müsste, die neurologischen Grundlagen der Kreativität zu lokalisieren.

Farbige Punkte zeigen die Positionen aller Elektroden bei allen Patienten, farbcodiert nach Hirnregionen. Rote Punkte in den unteren Bildern zeigen die Positionen der Elektroden im „default mode network“ (DMN). 

Blick ins Gehirn von Epilepsie-Patienten

Ein Team um Shofty und Erstautorin Eleonora Bartoli vom Baylor College of Medicine in Houston hat nun untersucht, wie verschiedene Hirnareale zusammen-arbeiten, um kreatives Denken zu ermöglichen. Die von den Neurochirurgen ver-wendete EEG-Technik liefert mithilfe winziger, ins Gehirn implantierter Elektro-den präzise Momentaufnahmen der Hirnaktivität in verschiedenen Regionen. Sie wird normalerweise bei Epilepsie-Patienten angewandt, um Anfälle im Gehirn zu lokalisieren.

Bartoli und ihre Kollegen baten für ihre Studie 13 solcher Patienten mit implantier-ten Elektroden, kreative neue Einsatzmöglichkeiten für Alltagsgegenstände wie einen Stuhl oder eine Tasse zu benennen. Zum Vergleich forderten sie die Testper-sonen auf, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen – ohne konkrete Aufgabe – sowie, sich auf ein Signal auf einem Bildschirm zu konzentrieren.

Bei ihren Hirnstrom-Beobachtungen fokussierte sich das Team auf das sogenannte Ruhezustandsnetzwerk (Default Mode Network, DMN). Dieses Netzwerk verbin-det verschiedene Nervenzellen in unterschiedlichen Arealen der Hirnrinde und ist unter anderem beim Nichtstun, Meditieren und Tagträumen aktiv, während unser Gehirn keine spezifische Aufgabe zu lösen hat. „Es ist ein Netzwerk, das im Grun-de die ganze Zeit funktioniert und unseren spontanen Bewusstseinsstrom aufrecht-erhält“, erklärt Shofty.

Ursprung der Kreativität lokalisiert

„Wir konnten sehen, was innerhalb der ersten Millisekunden passiert, wenn wir versuchen, kreativ zu denken“, berichtet Shofty. Tatsächlich war bei den Patienten zuallererst das DMN aktiv, während sie die Kreativitäts-Aufgabe erfüllten, wie die Aufnahmen enthüllten. Anschließend synchronisierte sich die DMN-Aktivität mit anderen Hirnarealen, die auch beim Problemlösen oder bei der Entscheidungsfin-dung beteiligt sind.

Die Forschenden schließen daraus, dass der Ursprung kreativer Ideen im DMN liegt und andere Hirnregionen die Ideen anschließend prüfen und bewerten.

Ohne DMN keine Kreativität

Um die Vorgänge im Default Mode Network genauer zu untersuchen, dämpften Bartoli und ihre Kollegin über die Elektroden während einem der Tests vorüber-gehend gezielt einzelne Teile dieses Netzwerks. Tatsächlich präsentierten die Test-personen daraufhin weniger originelle Einsatzmöglichkeiten für die Alltagsgegen-stände, verloren sich aber unverändert in Tagträumen. Das zeige, dass diese Ab-schnitte des DMN spezifisch und unbedingt für das kreative Denken benötigt werden, so das Team.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die kausale Rolle des DMN beim kreativen Den-ken“, sagt Bartoli. Bei ähnlichen, ungerichteten Denkprozessen wie dem Tagträu-men ist das Netzwerk demnach ebenfalls aktiv, aber die im Test manipulierten Regi-onen sind nicht essenziell für diese Prozesse. Die Forschenden vermuten daher, dass Kreativität auf das Zusammenspiel des DMN mit anderen Hirnregionen an-gewiesen sein könnte, Tagträumen hingegen ausschließlich einzelne Teile des DMN benötigt.

Hilfe bei Depressionen

Die Ergebnisse könnten künftig möglicherweise dazu beitragen, das kreative Denken gezielt anzukurbeln. Zudem könnten sie Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen helfen, bei denen diese Regionen des Gehirns übermäßig aktiv sind, wie das Team berichtet. Das Default-Mode-Netzwerk besser zu verstehen, könnte demnach helfen, bessere Behandlungen zu entwickeln. (Brain, 2024; doi: 10.1093/brain/awae199)

Quelle: University of Utah; 17. Juli 2024 

von Claudia Krapphat

 

Nota. - Kreation nennt man das Schaffen von etwas Neuem, Kreativität ist die Befähigung dazu. Genau gesagt und mit Kant zu reden: "ein Vermögen, einen Zustand, mithin auch eine Kette von Ereignissen, schlechthin anzufangen".* Da geschieht nichts ex nihilo, es ging ein Zustand a voraus. Aber der neu begonnene Zustand b ist keine Fortführung, keine Verlängerung, keine irgendwie beschaffene Erhaltung seiner. B war in a nicht 'angelegt', nicht vorbereitet, nicht "angedacht". Bestimmt wurde der Zustand b nicht durch den Zustand a, weder materialiter noch formaliter, sondern durch den Träger von a, er fängt einen neuen Zustand schlecht-hin an.

Der Standardzustand DMN ist selber un bestimmt. Na ja, mehr oder weniger! Mehr in Hinblick auf sein bloßes Vorhandensein zwischen all den andern Dingen, die in Raum und Zeit vorkommen. Weniger aber oder gar nicht, wenn ich ihn an dem Um-stand messe, dass sich dieser Organismus in einer Welt behaupten soll, die ihm nicht ea ipsa zu Gebote steht: Das muss er selbst besorgen, "kreativ".

Hirnphysiologie ist nicht Transzendentalphilosophie und hat sich vor dieser nicht zu rechtfertigen. Doch umgekehrt wäre die Transzendentalphilosophie buchstäblich gegenstands los, wenn ihre Fragestellungen nicht von der Hirnphysiologie und jeder andern empirischen Wissenschaft untersucht und nach ihre spezifischen Kriterien beurteilt werden könnten. So dass die Transzendentalphilosophie sich allerdings vor den realen Wissenschaften zu rechtfertigen hat. Sie kann keine andern Sachverhalte behaupten als jene; sie will allerdings jenen einen intelligiblen Sinn abgewinnen, sie blieben sonst bête comme un fait.
*) KrV, A 447
JE

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