Dienstag, 16. Juli 2024

Metaphorik und Begrifflichkeit.

Rosace, Vincennes                         

Die Metapher ist kein Begriff. Sie ist immer vieldeutig und bildhaft unstet. Er ist eindeutig und festgestellt; und wo nicht, muss er es schleunigst werden, wenn er sich weiter vernehmen lassen will.

Für ernstgemeinte Philosophie, nämlich eine solche, die sich als Wissenschaft ver-steht, scheint nur er in Frage zu kommen; sie höchstens mal als Zwischenüber-schrift.

Doch ist es wirklich nur ein Schein. Wo von reellen Gegenständen die Rede ist, die sich definieren und an ihrem Ort situieren lassen, ist das Begreifen allerdings der angemessen Modus des Verstehens. So verfahren die realen und namentlich die Naturwissenschaften. Doch dazu gehört die Philosophie nicht. Sie beschäftigt sich nicht mit einem reellen, sondern mit einem schlechthin ideellen Gegenstand - der allerdings, und das macht die Sache kompliziert, in der wirklichen Welt nicht nur wirklich vorkommt, sondern die führende Rolle spielt; nämlich mit dem Geist, dem Denken, dem Urteilen, dem Vorstellen, dem Wissen selbst. 

Mit dieser führenden Rolle beschäftigt sich ihrerseits eine reale Wissenschaft: die sogenannten Geistes-  oder besser so zu nennenden idiographischen Wissenschaf-ten. Sie beschreiben die Schicksale und Wirksamkeit der tatsächlichen Vorstellungen und Meinungen der Menschen in deren geschichtlichen Verstrickungen. 

Nicht so die Philosophie. Sie fragt nicht, welches Verhältnis die wirkliche Welt zu den Vorstellungen hat, sondern umgekehrt, welches Verhältnis die Vorstellungen zu den Dingen der Welt haben - nämlich ob sie über jene gültige und sei es nur prag-matisch gültige Aussagen treffen können.

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Die begriffliche Darstellung der Welt hat eine selbstverständliche, aber darum un-ausgesprochene Prämisse. Die Welt wird vorgestellt als ein sich dehnender Raum von definierten Bedeutungspartikeln. Ob dabei dem Bedeutungspartikel ein be-stimmtes, ebenso partikulares Phänomen 'entspricht' - und was Entsprechung hier heißen soll -, mag unentschieden bleiben; doch dies ist der Vorsellungsrahmen; auch der Vorstellungsrahmen der auf Wittgenstein sich berufenden 'analytischen' oder, wie sie sich selber nennt, "systematischen" Philosophie dieser Tage; und es ist die einzige Vorstellung, die ihre Selbstbenennung als systematisch irgend rechtfertigen könnte.

Der Haken ist: Ein solches logisches Bedeutungsuniversum hinge in der Luft. Es hat nichts, das es begründet. Es kann nur so tun, als begründete es sich 'durch sich selbst': dadurch, dass "alles passt". Aber das träfe für das Wahnsystem eines Parano-ikers so gut zu wie für die Vernunftsysteme der Begriffshuber: Es "trägt sich selbst", so verwundert sich die Phänomene auch die Augen reiben.

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Dem hatte, sollte man meinen, die kritische Philosophie ein für allemal ein Ende bereitet. Ihr völlig reali-stischer Ausgangspunkt war, dass sich ein oder das Ver-nunftsystem historisch einmal ausgebildet hatte und allgemeine Geltung bean-spruchte. Letzteres durfte es aber auf die Dauer nur, wenn es sich als begründet rechtfertigen konnte. Sache der Philosophie war es seither, seine Gründe ausfindig zu machen und es selbst als gültig zu erweisen; oder es als reine Phantasmagorie zu verwerfen.

Das historisch vorfindliche Vernunftsystem besteht aus einer Mannigfaltigkeit von definierten Begriffen und den logischen Schlussverfahren, durch die sie idealiter schlechthin mit einander verknüpft sind; wobei als Aufgabe der Philosophie nur übrigbliebe, die Art ihrer Verküpfung ausfindig zu machen - und gegebenenenfalls die Definitionen zu ajustieren

Dies ist nun seinerseits kein 'Begriff' - in dem Sinne nämlich, dass es aus vorab ge-gebenen Begriffen und erwiesenen Schlussverfahren konstruiert woden wäre: Denn damit wäre das Vernunftsystem logisch 'sich selbst vorausgesetzt' - und hinge, wie gesagt, frei in der Luft.

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Eine kritische, ihre Gründe überprüfende Philosophie kann die von Begriffen er-füllte Welt nicht als gegeben voraussetzen, sondern höchstens, sofern es gelingt, aus den Bedingungen ihre Möglichkeit verständlich machen. Sie stößt dabei schließlich, nachdem alle historisch-faktischen Bestimmungen von ihr abgezogen sind, auf das vorstellend tätige Subjekt. Mit Begriffen kann sie nichts anfangen, denn die Bedin-gungen der Möglichkeit eines Vernunftsystems soll sie ja erst erweisen! Wie ein X, das unbestimmt und doch zur Selbstbestimmung bestimmt sein soll, 'sich selbst be-stimmt', kann nich diskursiv in Begriffen und Logik "mit der Klarheit und Deutlich-keit des Geometers" demonstriert, sondern allenfalls in Bildern anschaulich gemacht werden. Dieses sich-selber-Bilden zu Etwas... muss nicht, aber kann vorgestellt wer-den. Muss allerdings, wenn vorab Übereinkunft da ist, dass... am Ende das Vernunft-system herauskommen soll.

Wo Begriffe noch nicht bestimmt sind, sondern erst noch bestimmt werden sollen, kann die Sprache nur mehr oder minder zwingende Bilder verwenden; Wortbilder, Metaphern.

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Das unternimmt Blumenberg nicht. Er illuminiert die Bildergeschichten der Myt-hen durch... Bilder. Dies bis in die äußerste Weite und bis ins kleinste Detail. Er türmt die Bilder zu babylonischen Höhen und verfolgt sie bis in die äußersten Ver-ästelungen. Das ist sehr lehrreich - wenn man es wissen will. Ob man es wissen soll oder gar muss, bleibt metaphorisch in der Schwebe. Der bleibende Ertrag beispiels-weise seiner voluminösen Arbeit am Mythos ist, von den philologischen Subtilitäten abgesehen, die ja nicht jedermanns Sache sind, dass in den Mythen Aussagen über die Welt zu finden sind, die sich in diskursiver Sprache kaum formulieren lassen. Und so greift er immer wieder auf metaphoische Wendungen zurück, die zufällig etwas erhellen - nämlich wenn der Leser zufällig sowieso seiner Meinung zuneigt.

Mir hat namentlich ein Satz über Fichtes radikalisierte Version, den echten durch-geführten Kritizismus gefallen: ein endgültiger und "letzter Mythos" - die "Geschich-te, die von dem spielenden oder abenteuernden oder bildnernden Ursubjekt han-delt".*

Der Schönheitsfehler ist bloß - Metaphern können den Andern bestenfalls zum Einverständnis verlocken, aber, anders als die begriffliche Demonstration, nicht zwingen. Beim  anschaulichen Hervorbringen der einen Vorstellung aus der vor-angegangen ist der Zweck die Prämisse, und nur so ist die Darstellung zwingend. Nur darum kann sie auf Begriffe verzichten.
 
*) Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt/M, 1999, S. 295f.
Kommentar zu Hans Blumenberg würde heute hundert. JE, 13. 7. 20


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