Donnerstag, 4. Juli 2024

Geschmack und Absicht in der Kunst.

 Vera Mukhina                                                                              aus Geschmackssachen

Es ist offenbar etwas anderes, ob ich von der Kunst als einem kulturellen Faktum, oder von der Kunst als von dem rede, was der Künstler tut. Vor allem dann, wenn ich nach dem Gewicht des Ästhetischen - und, symmetrisch, der Rolle der Absicht - in der Kunst frage.

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Wobei - dies gleich vorweg - die Frage nach der Absicht nicht dasselbe ist wie die Frage der Gegenständlichkeit. Dass in dem Maße, wie die außerästhetische Absicht aus den Werken schwand, auch die Gegenstände erst verflachten und dann verblass-ten, liegt nahe, und dass sie schließlich ganz verbannt wurden, war psychologisch unvermeidlich. Aber dauern konnte es nicht. Denn für die ästhetische Wahrneh-mung ist es zweierlei, ob eine Absicht schlicht und einfach nicht da ist - Da wird der Beschauer sagen: Da gibt's nichts zu sehen -, oder ob sie aktiv bestritten wird: Dann 'betrachte' ich ein Verhältnis, nämlich das Verhältnis von Gestalt und Absicht selbst.

Das bloße Fortlassen der Gegenstände hatte nur am Beginn der Abstrakten Kunst eine polemische Spitze. Nach einer Weile wurde es selber konventionell, dekorativ und - leer. Malevitch hat den Bogen in nur wenigen Jahren ganz geschlagen. In den fünfziger Jahren war ein Gegenstand auf einem Bild skandalös. Heute ist ein ab-straktes Bild einfach anachronistisch. Selbst Cy Twomblys Kritzeleien deuten Ge-genstände immerhin an.

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Die ältesten Artefakte der Menschheit, die wir als Kunstwerke ansehen, weil wir einen geschmacklichen Gestaltungswillen am Werk sehen, dürften kultischen Zwecken gedient haben. Was der Kult sonst auch immer sein mag - eine Absicht hat er, und nur davon ist hier die Rede. Irgendwann gilt dann der Kult nicht nur spirituellen, sondern auch weltlichen Mächten. Von Kunst im engeren Sinn könnte man schon reden, soweit die zusätzlich aufgewendete ästhetische Mühe nicht pro-saisch dem Schmuck, sondern einer Weihe des Gegenstands zugedacht ward, die jenseits seiner irdischen Brauchbarkeit liegt. Das Ästhetische hat sich in einem ge-wissen Sinn schon verselbständigt; aber noch nicht als ästhetisches. 

Die Kunst der (italienischen)* Renaissance ist dann ein ständiges Bäumchen-ver-wechsle-dich zwischen dem Schönen als Versinnlichung des Numinosen und den heiligen Berichten als Vorwand für neue Abenteuer des Geschmacks. Hier ist Kunst gewissermaßen zu sich gekommen. Eindeutigkeit zur einen oder anderen Seite kann sich ein begnadeter Exzentriker erlauben - der ist selber fragwürdig -, aber der Main-stream lebt von der Vieldeutigkeit.

Die allerdings dahinschmolz in dem Maß, wie im Rokoko das Heilige nur noch pa-rodistisch als das Schaurige überlebte und die Kunst der Romantik das Vieldeutige geradezu zu ihrem Gegenstand machte. Folglich wird sie zunehmend sich selbst zum Thema. Selbstbezüglichkeit ist ein Kennzeichen der modernen Malerei, unter jedem Bild steht mit Geheimtinte: Na, wie hab ich das gemacht?! Und gedacht hat sich der Maler: Ich hab es so gemacht, weil er es anders gemacht hat.** Das liegt allerdings weit außerhalb aller absichtslosen Betrachtung. Dass der Künstler keine Absicht verfolgte, wer soll das glauben? Der will zur Geltung kommen, das sieht ein Blinder mit dem Krückstock.

Na ja, er muss seinen Lebensunterhalt verdienen, das ist ein mildernder Umstand. Und natürlich muss er dazu auf den Markt schielen, das kann man ihm nicht ver-übeln. Dabei mag manches auf die Leinwand kommen, was seinem eignen Ge-schmacksurteil nicht standhält. Er träumt davon, eines Tages nur mein Eigenes malen zu können. Doch wenn er Pech hat, weiß er, wenn's so weit ist, nicht mehr, was sein Eigenes ist. 

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Das Problem, dass sein Eigenes nach aller Wahrscheinlichkeit schonmal dagewesen ist, bleibt ihm allerdings nicht erspart. Der Versuchung, hilfsweise die Absicht in die Kunst zurückzutragen, ist schon mancher erlegen, und die Ausflucht in die Selbst-parodie ist längst nicht mehr originell. Andererseits: Ob man dieses darf oder jenes nicht, ist kein ästhetischer Gesichtspunkt. Das Ästhetische kann sich immer nur al-lein rechtfertigen, in jedem Stück neu.

*) Die Renaissance nördlich der Alpen hat es nie bis zum Schönheitskult der Italie-ner gebracht. Sie war immer expressiver. Was wurde ausgedrückt? Erkanntes oder Angeschautes?


**) Das gabs natürlich schon immer, aber nur in kleiner Münze, betreffend die in-dividuelle Kunstfertigkeit. Heute hat jeder seine eigene Kunstphilosophie, und eigentlich dünkt sich jeder unvergleichlich.
24. 6. 18



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