Samstag, 13. Juli 2024

Gibt es eine bürgerliche Kultur?

Gauguin            aus Geschmackssachen, zu öffentliche Angelegenheiten

Es gibt keine bürgerliche Kultur; es gibt eine kapitalistische Kultur - aber deren schöp-ferischer Träger, deren Autor, deren Ur-Heber ist nicht die Bourgeoisie,* sondern... deren Kostgänger.

Andere herrschende Klassen bedurften der Kultur als Rechtfertigung ihrer Ausbeu-tungsordnung - und diese rechtfertigte jene in der Tat; Ausbeutung, Aneignung des gesellschaftlichen Mehrprodukts für Macht und Herrlichkeit - die Ausbeuter brauch-ten selber einen Grund, um sich von sich zu überzeugen, der Luxus allein tats nicht, und es gab sogar Aubeutergesellschaften, wo die Ausbeuter gar keinen Luxus kann-ten:** Sparta.

Der Kapitalismus aber bedarf keiner Legitimation - jedenfalls nicht für die Agenten des Kapitals: Dessen Ausbeutung ist der Profit, und der rechtfertigt sich selbst. Die Kapitalisten
brauchen keine Kultur, um sich ihrer eigenen raison d'être zu versichern: der Gewinn besorgt das selbst. Das heißt: Sie brauchen keine eigne Kultur! Als Mit-tel ihrer Erbauung als Privatleute können die Elemente der Kultur x-beliebiger Her-kunft sein,*** vorzugsweise sogar feudaler, denn dem Adel gegenüber hat der neu-reiche Routurier seinen Minderwertigkeitskomplex nie abgelegt: Die Produkte der feudalen Kultur dem Edelmann abkaufen zu können - welch ein Triumph!


Die Kapitalisten sind insbesondere nicht die Träger der Bildung - sie sind nicht die Ideologen ihrer Klasse: Zu dem Zweck müssen sie sich eine ganze Klasse von Kost-gängern halten - nicht zur Rechtfertigung vor der arbeitenden Masse. Macht recht-fertigt sich selbst - auch vor den Beherrschten; Reichtum rechtfertigt sich selbst... nur für die Reichen, nicht für die Armen.


Baudelaire

Die Ideologen der Feudalität seien ebenfalls nicht die Feudalen selbst gewesen? Doch: Der Klerus ist Teil der Feudalität, ein eminenter Bestandteil, Ingrediens; nicht zuletzt eben durch den Gegensatz, den er in mancher Hinsicht zum Blutadel bildet. Aber die höfische Kultur, die der Ritter, war ein ureigenstes Erzeugnis des Adels, ihr Mythos, ihre Mythologie, ihr Lebensstil, ihr Minnelied...

Die Bourgeoisie muß ein Corps von Panegyrikern für bares Geld einkaufen, um sich den Ausgebeuteten angenehm, d. h. wenigstens respektabel zu machen.

Allerdings muß sie nicht weit suchen. Die Zukurzgekommenen aller Stände, die nach den Fleischtöpfen schielen, die meinen, von Rechts wegen auch einen An-spruch auf die besseren Plätze zu haben, sind es schon ihrem Dünkel schuldig, diese ihre prekäre Lage mit höheren Weihen auszuschmücken, um sie sich selbst schmackhaft zu machen - und sich vor allen Dingen die Aussicht auf den indivi-duellen Aufstieg, und sei er noch so illusorisch, als versöhnenden und zu 'prakti-schem Leben' ertüchtigenden Hoffnungsschimmer nicht zu verstellen.

So entsteht die Intelligenz als spezifischer Klassenausdruck des Kleinbürgertums, die Intelligenz als Ausdruck der kleinbürger-lichen Existenzbedingungen in der kapitalistischen Gesellschaft - sie ist Autor und Konsument der "bürgerlichen Kultur": Die Kultur des Kapitalismus ist in ihrem Wesen nach kleinbürgerliche Kultur.

*) cf. England: Dessen originale Kulturleistung ist der comfort, Kreation der ver-bürgerlichten Aristokratie: des gentleman.
**) Die Feudalen der Blütezueit steckten weit mehr von dem angeeigneten Mehr-produkt in die Kirchenschätze, als sie verpraßten - und selbst das taten sie nicht einmal allein.
***) Die Verfertiger der kulturellen Gegenstände sind selbstverständlich Hand-werker und Artisten.

aus e. Notizheft, 9. 3. 1986 

van Gogh

PS. Gauguin war als Bankier gescheitert, bevor er beschloss, berufsmäßiger Maler zu werden; van Gogh war erst als Kunsthändler und dann als reformierter Prediger gescheitert.
14. 7. 24 
 
 
Nachtrag.
Gewiss entwickelt das Bürgertum in seinen Milieus einen herrschenden Ge-schmack. Aber er erteilt typischerweise keine persönlichen Werkaufträge mehr, sondern begibt sich als Käufer auf den Markt. Dessen Wege sind unergründlich. Stile entwickeln sich so nicht mehr, es beginnt das Zeitalter der Moden, Manieren und Marotten. Ist es eine Befreiung der Kunst? Wer einen Auftrag ausführt, weiß, was erwartet wird. Wer für den Markt werkelt, kann seiner Laune folgen - und kann auch auf seinen Werken sitzenbleiben. So entstehen Nischen für eine Avantgarde und ein lauschiger Winkel für eine Bohème.
 



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