Ein Kerl, der spekuliert,
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
Goethe
Anders als Schiller, hat sich Goethe mit seinem Zeitgenossen Kant nie weiter beschäftigt. Es hat ihn nicht abgehalten, sich über seine Philosophie zu äußern, aber anders als in der Farblehre, nur nebenher.* Hegel nannte spekulativ alles, wo er seine pp. Dialektik unter-bringen konnte, aber das war überall. Seither wird das Wort nur noch spöttisch gebraucht.
Es hat dennoch eine spezifische Bedeutung. Nach Kant gibt es kein wirkliches Wissen, das nicht auf Erfahrung beruht. Erfahrung ist aber die Synthese von sinnlicher Anschauung und Begriff.
Sinnliche Anschauung hatten die Menschen (und ihre Vorfahren, wie wir hinzufügen dür-fen) seit hunderttausenden von Jahren. Zu Wissen konnte sie werden, als die Begriffe hin-zutraten. Es gibt also ein Vorher und ein Nachher. Den Übergang, besser: Sprung zwischen beiden nennt Kant das Apriori.
Woher es kam, lässt Kant offen. Er wollte, wie er sagt, für den Glauben Platz lassen.
Das haben etliche seiner Zeitgenossen unbefriedigend gefunden. Einer davon war Fichte. Ein Deus ex machina stand einer kritischen Philosophie, wie Kant die seine nannte, nicht zu Gesicht. Wie aber können wir, die wir nicht anders als in Begriffen denken können, die Vorgeschichte der Begriffe beschreiben, ohne uns der Begriffe bereits zu bedienen? Aus Er-fahrung können wir über die Anschauungen, die ihnen zugrunde gelegen haben, ja nichts wissen!
Lat. speculari heißt 'Ausschau halten'. Anschauung ohne Begriff ist, nach Kant, blind. Blind ausschauen, das nannten die Griechen myein, sehen, wo es noch nichts zu sehen gibt. Das kann man nur in der bloßen Vorstellung besorgen: aus dem, was offenkundig geschehen ist, rückblickend rekonstruieren, unter welchen Voraussetzungen es geschehen sein kann. Kann? Nein, denn da es geschehen ist, geschehen sein muss.
Dieses Verfahren heißt seit Kant transzendental. Es erfordert Einbildungskraft, aber es ist streng kritisch und rational. Und so hat Spekulation einen philosophischen Sinn.
*) Faust. Der Tragödie erster Teil, 1808. Studierzimmer, Mephistopheles zu Faust
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