Dienstag, 14. November 2023

Der Schöpfer schaut uns an aus jedem seiner Geschöpfe.

Den „Mondaufgang am Meer“ malte Friedrich 1822aus welt.de, 8. 11. 2023                                         Mondaufgang am Meer,1822                                                    zu Geschmackssachen

Wie wunderbar, dass es diesen Maler gibt
Heute sind seine romantischen Gemälde Ikonen, doch zu Lebzeiten war Caspar David Friedrich ein unterschätzter Sonderling. Jetzt hat der Bestsellerautor Florian Illies ein Buch über den Maler geschrieben. Was es kann – und was es schuldig bleibt. 
 

Kann das gut gehen? Florian Illies über Caspar David Friedrich? Der wendige Zeitgeist-Inspekteur über den großen Unzeitgemäßen? Der leichthändige, im Umgang mit historischen Fakten auch hin und wieder leichtfertige Feuilletonist über das absolute Schwergewicht unter den deutschen Malern des 19. Jahrhunderts? Eine Goldmarie, der alles zum Bestseller gereicht („Generation Golf“, „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“, „Liebe in Zeiten des Hasses“), über eine Pechmarie, die kaum Bilder verkaufte, bereits zu Lebzeiten dem Vergessen anheimfiel und erst viele Jahrzehnte nach ihrem Tod zu Ruhm gelangte?

Nun, man sagt ja gerne: Gegensätze ziehen sich an. Und so geht es auch im großen Ganzen gut, bisweilen sogar sehr gut, wenn Florian Illies ein Jahr vor dem 250. Geburtstag Caspar David Friedrichs jetzt ein Buch vorlegt, das vor allem Rezeptionsgeschichte bietet. Dass es sich hier um keine herkömmliche Biografie handeln kann, liegt in der Natur der Sache. Denn das Leben des verhaltenen Mannes aus Greifswald, der so gerne wanderte und den Mond betrachtete, ist nicht sonderlich spektakulär verlaufen.

Nicht einmal die damals obligatorische Italienreise hat Friedrich unternommen. Er ging vielmehr zum Studium nach Kopenhagen, ließ sich mit Mitte 20 in Dresden nieder, heiratete dort, zeugte drei Kinder und starb 1840 65-jährig in der sächsischen Residenzstadt. Im übrigen zeichnete er und malte. Friedrich mischte sich nicht in kunstpolitische Debatten ein (war allerdings eine Weile deren Gegenstand). Er mied die angesagten Zirkel und Zenakel. Freundschaften mit Kollegen wie Johan Christian Clausen Dahl, Carl Gustav Carus oder Georg Kersting pflegte er zwar, schrieb auch intelligente und oft überraschend humorvolle Briefe, aber im Grunde verkörperte er doch das, was man einen Einzelgänger nennt; die Zeitgenossen sagten Sonderling.

TCaspar David Friedrich: „Einsamer Baum“, auch bekannt als „Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung“, 1822Einsamer Baum, auch bekannt als Dorflandschaft bei Morgenbeleuchtung, 1822

Wen wundert’s? Wer Friedrichs längst zu Ikonen gewordene Bilder wie den „Mönch am Meer“, die „Abtei im Eichwald“ oder die vielen Hafenansichten, Sonnenuntergänge, Mondbilder und Waldstücke auf sich wirken lässt, wer sich dem „Zauber der Stille“, um Illies’ trefflichen Titel zu zitieren, aussetzt, der von ihnen allen ausgeht, dem wird schnell klar: Er hat es hier mit einem Menschen zu tun, der den großen Fragen der menschlichen Existenz nachhing. Der sich mehr mit Gott als der Welt auseinandersetzte. Dadurch wusste er seinen Werken eine spirituelle Aura mitzugeben, die in der Geschichte der europäischen Malerei einzigartig dasteht.

Umso unbegreiflicher ist die Tatsache, dass Friedrichs Schaffen – so sehr es um 1810 eine gewisse Aufmerksamkeit erfuhr, sogar am preußischen Königshof – nicht für mehr Furore sorgte, dass sich bereits die Zeitgenossen von ihm abwandten. Seine Bilder dämmerten bald auf Herrensitzen und in Damenstiften vor sich hin. Im Grunde erhielten sie erst nach Hugo von Tschudis berühmter „Jahrhundertausstellung“ in der Berliner Nationalgalerie von 1906 ihre volle Wertschätzung.

Caspar David Friedrich: „Verschneite Hütte“, 1827Verschneite Hütte, 1827

Nun begann jenes wirkmächtige Nachleben des großen Romantikers, das Florian Illies mit besonderer Anteilnahme nachzeichnet – allein seine Darstellung der Auffindung des „Wanderer über dem Nebelmeer“ im Jahr 1939 ist ein wahres Kabinettstück. In den 1930er-Jahren begannen sich also auf einmal so unterschiedliche Leute wie Walt Disney, Samuel Beckett und Adolf Hitler für Friedrich zu interessieren. Aber man fragt sich doch: Wieso die Ignoranz in den Jahrzehnten davor?

Friedrich, den Illies nicht ohne Grund Joseph von Eichendorff, dem großen Lyriker der Romantik an die Seite stellt; Friedrich, den man genauso gut als Pendant zum Komponisten Franz Schubert sehen könnte; dieser Mann also, der noch dazu in seinen Bildern alle Ingredienzien der heute zu Unrecht verpönten „deutschen Innerlichkeit“ aufweist: ihre Sehnsucht nach dem Absoluten, ihre kontemplative Ruhe, ihr unerschütterliches Vertrauen in die Sinnhaftigkeit der Schöpfung – wie kann es sein, dass man ihn so lang verkannte?

Waren Friedrichs Bildaufbauten in seiner Zeit zu radikal, zu neu? Kleists viel zitierter Ausspruch von 1810 über den „Mönch am Meer“, dessen Betrachtung ihm vorkommt, „als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären“, spräche dafür. Oder hat es mit der Geschmacksentwicklung der Deutschen zu tun, die immer mehr dem Biedermeier verfielen? Die in der Malerei bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hauptsächlich Genrebildchen und Historienschinken huldigten, wie sie an der Düsseldorfer Kunstakademie mit so viel handwerklichem Geschick in Serie gingen? Hier hätte man sich von Illies mehr Aufschluss erhofft.

Caspar David Friedrich: „Riesengebirgslandschaft mit aufsteigendem Nebel“, um 1820Riesengebirgslandschaft mit aufsteigendem Nebel, um 1820

Doch der Autor hält sich mit Erklärungen bewusst zurück. Er stellt vor allem Fragen. Antworten interessieren ihn nicht so sehr. Interpretationsfuror, Bedeutungshuberei – gerade in der deutschen Kunstpublizistik stets lauernde Gefahren, wie eine anschauliche Blütenlese des Autors dokumentiert – sind Florian Illies’ Sache erfreulicherweise nicht. Er ist nicht umsonst in die Schule Karl Schefflers oder Julius Meier-Graefes gegangen. Wie diese schreibt er auch im besten Sinne unwissenschaftlich, lässig kolloquial, dazu mit Verve, Sinn für Effekt. Bisweilen gleitet das in Kalauer ab. Dann möchte man dem Autor den Ehrgeiz ausreden, der Thomas Gottschalk der Kunstgeschichtsschreibung zu werden.

Man hat auch hin und wieder das Gefühl, dass Illies’ sieben Jahre im Berliner Auktionshaus Villa Grisebach, wo naturgemäß auf die Herkunft von Kunstwerken besonderes Gewicht gelegt wird, ihre Spuren hinterlassen haben, als déformation professionelle: Wer wann welchen Friedrich wo aufhängte und von wem er da später abgenommen und dann auf den Markt geworfen wurde, ist nicht immer so interessant, wie der Verfasser offensichtlich glaubt.

Meister der Bildbetrachtung

Seine Stärke ist die Analyse von Bildern. Wenn Illies sich erratisch zaubervollen Gemälden wie „Die gescheiterte Hoffnung“ oder „Kreidefelsen auf Rügen“ zuwendet, dann spürt man das Herz des passionierten Kunsthistorikers klopfen. Dann fällt das Bemühen, auf Teufel komm raus Pointen und Paradoxa anzubringen, von ihm ab. Es setzen sich Demut, Staunen, Bewunderung durch.

Nicht ohne Liebe kreist Florian Illies mit der kaleidoskopartigen Anordnung von Szenen und Anekdoten um Caspar David Friedrich das im Letzten unergründliche Geheimnis dieses Menschen ein. Sein Fazit lautet: „Unendliche Sehnsucht strahlt wie ein eigenartiges Licht aus allen Bildern Friedrichs.“ So ist es! Dem ist nichts hinzuzufügen. Nur noch dies vielleicht: Des Autors Glück, diese Bilder zu betrachten und uns dazu zu bringen, vielleicht ein wenig besser zu begreifen, was uns hier ergreift, das springt auf den Leser über. Am Ende sagt man sich: Wie wunderbar, dass es diesen Maler gibt.

Florian Illies: Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten. S. Fischer, 251 Seiten, 25 Euro

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Blog-Archiv

Pausen sind gut und nötig; der Pausenhof ist ein Übel.

                                                          aus Levana, oder Erziehlehre Die Schule ist ein Ort, der Kinder in einer so ...