Samstag, 4. November 2023

Die selbsttätige Schnittstelle von Körper und Geist.

Human brain, computer illustration.
aus welt.de, 4. 11. 2023       Der Hypothalamus befindet sich im Gehirn direkt über der Hirnanhangdrüse       zu Jochen Ebmeiers Realien

Die winzige Region im Kopf, die unser Handeln und Begehren steuert
Der Hypothalamus im Gehirn ist klein, seine Bedeutung aber gewaltig. Forscher zeigen jetzt, wie der Einfluss auf den Körper funktioniert – und welche Verhaltensweisen des Menschen damit gesteuert werden. Sogar beim Schlafen.

Von Alice Lanzke

Essen, Schlafen und soziale Kontakte sind wichtige Bestandteile des menschlichen Alltags. Bei all diesen Aktivitäten spielt eine gerade einmal mandelgroße Hirnregion eine wichtige Rolle: Der Hypothalamus, der tief im Gehirn sitzt, koordiniert die neuronalen Signale, die mit diesen Aktivitäten verbunden sind.

Das Fachblatt „Science“ widmet diesem Abschnitt des Zwischenhirns nun unter der Überschrift „Klein, aber mächtig“ eine ganze Artikelreihe.

Tatsächlich wird der Hypothalamus, der zu einem sehr alten Teil des Gehirns gehört, auch als wichtige Schaltzentrale des Körpers bezeichnet. Er reguliert alle Vorgänge, über die wir nicht nachdenken müssen, also etwa unsere Atmung, Verdauung und den Stoffwechsel und damit die Aktivitäten des sogenannten vegetativen Nervensystems.

Der Hypothalamus sagt dem Körper, wann er hungrig oder durstig ist, wann er sich abkühlen oder aufwärmen muss und wann es Zeit zum Schlafen ist. Als Steuerorgan des Hormonsystems reguliert er zudem, wann welche Menge eines Hormons gebildet wird.

Eine Übersicht über diese durch den Hypothalamus beeinflussten körperlichen Prozesse gibt eine kanadische Forschungsgruppe der University of Calgary im ersten Überblicks-artikel der „Science“-Reihe. Komplexe Strukturen und neuronale Schaltkreise verleihen dem Hypothalamus demnach zahlreiche Einflussmöglichkeiten: So bestehe diese Hirnregion möglicherweise aus Tausenden unterschiedlicher Zelltypen, die sogenannte neuronale Schaltkreise bildeten.

Solche Schaltkreise senden Informationen, indem sie elektrische Signale und chemische Botschaften auf den Weg schicken – entsprechend kann man sie sich als eine Art Verdrahtung im Gehirn vorstellen, die Informationen sendet und empfängt.

Wach bleiben trotz Schlafbedürfnis

Wie das kanadische Forschungsteam in seinem Artikel beschreibt, erlaubten neueste wissenschaftliche Instrumente eine hochauflösende Kartierung der komplexen Schaltkreise des Hypothalamus. Zu diesen Instrumenten gehört die Einzelzell-RNA-Sequenzier-technologie, welche Einblicke in die Arbeitsweise einzelner Zellen möglich macht.

Je genauer die Zellen und Schaltkreise entschlüsselt würden, umso besser werde das Verständnis der Homöostase – also des Gleichgewichts aller körperlichen Funktionen – und der durch den Hypothalamus beeinflussten Verhaltensweisen sowie der Entstehung vieler Krankheiten.

Um die Rolle des Hypothalamus für den Schlaf geht es in der Arbeit von Antoine Adamantidis vom Schweizer Universitätsspital Bern und Luis de Lecea von der US-amerikanischen Stanford University. Die beiden beschreiben darin, dass der Hypothalamus Neuronen steuert, die beim Schlaf als eine Art Schalter zwischen Wachsein und Ruhe fungieren. Dabei könne der Hypothalamus auch mit widersprüchlichen Informationen umgehen, wenn man etwa wach bleiben wolle, obwohl der Schlafzyklus anzeige, dass es Zeit zum Schlafen sei. Zudem beeinflusse er die verschiedenen Schlafphasen.

Die Schlaf- und Wach-Neuronen hätten allerdings nicht nur eine solche Schalter-Funktion, so die beiden Wissenschaftler. Sie seien auch an anderen Aktivitäten des Hypothalamus beteiligt, so etwa bei der Steuerung des Energiestoffwechsels oder der Körperkerntemperatur.

Tatsächlich mehrten sich die Hinweise darauf, „dass sich einzelne hypothalamische Zellen oder Schaltkreise bei der Kontrolle von Schlaf, Stoffwechsel, Thermoregulation und Energie-Flüssigkeits-Homöostase überschneiden“, heißt es in der Arbeit.

Mit anderen Worten: Die Zellen und Schaltkreise des Hypothalamus erfüllen vermutlich mehrere Funktionen gleichzeitig und sind miteinander verbunden – eine These, die auch durch einen weiteren Überblicksartikel des Schwerpunkts unterstrichen wird. Dieser befasst sich damit, wie der Hypothalamus die Motivation für so überlebenswichtige Dinge wie Essen und Trinken fördern sowie Kampf-oder-Flucht-Reaktionen steuern kann.

Fortpflanzung als Ziel

Obwohl die Verhaltensweisen, die diesen Handlungen zugrunde liegen sehr unterschiedlich sind, deuten einige gemeinsame Merkmale darauf hin, dass für eine Reihe von motivierenden Verhaltensweisen dieselben Gehirnsubstrate erforderlich sind, so Autor Garret Stuber von der University of Washington. Konkret würde der Hypothalamus hierfür mit einem Teil des Gehirns zusammenarbeiten, der an Belohnungsprozessen beteiligt ist. Je nach Situation würde er Botschaften senden, welche die Motivation – etwa dafür, auf Nahrungssuche zu gehen – verstärken oder hemmen.

Wie die entsprechenden Schaltkreise aber exakt aufgebaut und welche Zelltypen hier beteiligt sind, müsse noch genauer erforscht werden. Stuber schreibt: „Die fortgesetzte Untersuchung und Zusammenführung von Informationen, die Zelltypen und Schaltkreise mit präzisen Aspekten des motivierten Verhaltens in Verbindung bringen, wird nicht nur unser Verständnis der Neurobiologie des Verhaltens vertiefen, sondern auch den Weg für neue Interventionen bei einer Vielzahl von motivationsbezogenen Störungen ebnen.“

Eine Forschungsgruppe des Langone Medical Center der New York University beschreibt schließlich, wie der Hypothalamus angeborene soziale Verhaltensweisen steuert. Im Fokus steht dabei eine Gruppe miteinander verbundener neuronaler Schaltkreise, die für soziales Benehmen – einschließlich sexueller, elterlicher und aggressiver Verhaltensweisen – wesentlich ist, und letztlich der Kontrolle des Fortpflanzungsverhaltens dient.

Jene Verhaltensweisen sind für Menschen und Tiere entscheidend, wenn es um den sozialen Umgang miteinander und letztlich auch den Fortpflanzungserfolg geht. Und auch hier erweist sich der Hypothalamus als komplexe Schaltzentrale, die verschiedene Hormon-, Stoffwechsel- und Neurotransmittersignale integriert, um soziale Interaktionen aufrechtzuerhalten.

Wie schon bei der Steuerung der Motivation spielt wieder das Belohnungszentrum eine Rolle: Bei der Begegnung mit einem sozialen Ziel werde das Dopaminsystem eingeschaltet – der Neurotransmitter Dopamin gilt als „Glücksbotenstoff“ des Gehirns und wird mit Belohnungsprozessen in Verbindung gebracht.

Der Hypothalamus als David

Die Regulierung von Hunger- und Durstgefühlen, von Wach- und Schlafverhalten, sozialen Verhaltensweisen und die Kontrolle von Körpertemperatur, Herzfrequenz und anderen körperlichen Prozessen: Für die „Science“-Redakteure Mattia Marose und Peter Stern hat der Hypothalamus eine gewaltige Bedeutung dafür, den Körper in einem stabilen Zustand zu halten.

Entsprechend schreiben die beiden in einer Zusammenfassung: „Der Hypothalamus mag klein sein, aber er hat einen kolossalen Einfluss auf ein breites Spektrum von Verhaltensweisen. Wieder einmal zeigt sich: Die Macht von David über Goliath liegt in der Organisation und im Handeln, nicht in der Größe.“

 

Nota. - Nicht bloß eine Drehscheibe, die signale aus dem Leib in den Neocortex und umgekehrt vermittelt, sondern ein Organ, das selber Impulse aussendet und dadurch Körper und Geist 'in Einklang halten'. Die Vermittlung, die hier geschieht, ist keine rechnerische, sondern eine dynamische. - Das ist mehr ein Bild als ein Begriff; aber daraus lässt sich was machen.
JE 

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Blog-Archiv

Pausen sind gut und nötig; der Pausenhof ist ein Übel.

                                                          aus Levana, oder Erziehlehre Die Schule ist ein Ort, der Kinder in einer so ...