Freitag, 20. Oktober 2023

"Bewusstsein" - top down oder bottom up.

                                        aus Philosophierungen, zuJochen Ebmeiers Realien
aus FuturezoneFuturezone, 20. 10. 2023

Warum haben wir ein Bewusstsein?
Es ist nur ein Nebeneffekt, so Forscher

Die Erforschung des menschlichen Denkens fasziniert Wissenschaft und Philosophie seit Jahr-hunderten. Trotz zahlloser Untersuchungen bleibt viel darüber unbekannt. Eine innovative Studie, durchgeführt von französischen und kanadischen Teams, bietet eine neue Theorie: Könnte un-ser Bewusstsein aus der Tendenz des Gehirns entstehen, Entropie zu maximieren, einem Prinzip des Übergangs von Ordnung zu Unordnung?

Artikel von Philipp Rall

Entropie, die Beschreibung des Chaos-Anstiegs in einem System, ist ein Schlüsselkonzept im Verständnis des Universums nach dem Urknall. Es impliziert eine stetige Bewegung von geordneten zu ungeordneten Zuständen, eine Reise von niedriger zu hoher Entropie. Dieser Prozess spiegelt sich auch in der Zeitrichtung wider, die unaufhaltsam vorwärts strebt.

In dieser Studie versuchten Forschende, eine Verbindung zwischen diesem kosmischen Prinzip und der Funktionsweise unseres Gehirns herzustellen. Mit Methoden der statistischen Mechanik analysierten sie neuronale Netzwerke in den Gehirnen von neun Personen, darunter einige mit Epilepsie. Sie konzentrierten sich darauf, wie synchron Neuronen aktiv waren, um deren Verbindungen zu ermitteln.

Die Forschenden verglichen die Gehirnaktivitäten der Teilnehmenden während unterschiedlicher Phasen: Wachsein im Gegensatz zum Schlafen und normale Zustände im Vergleich zu epileptischen Anfällen. In beiden Fällen war das Ergebnis eindeutig: Die Entropie war in Zuständen des vollen Bewusstseins höher. Das legt nahe, dass das Bewusstsein möglicherweise mit einer Vielzahl möglicher Gehirnkonfigurationen und einem hohen Grad an Unordnung zusammenhängt.

Entropie ist ein grundlegendes Konzept in der Thermodynamik, das oft mit dem Grad der Unordnung oder dem Maß an Chaos in einem System assoziiert wird. Technisch beschreibt es die Anzahl der verschiedenen Zustände, in denen ein System existieren kann, und in einem isolierten System wird diese Anzahl im Laufe der Zeit tendenziell zunehmen. Das ist ein Prinzip, das als der zweite Hauptsatz der Thermodynamik bekannt ist.

Hohe Entropie deutet auf viele verschiedene mögliche Zustände hin, während niedrige Entropie eine strukturiertere, weniger chaotische Anordnung anzeigt. In einem breiteren Sinne repräsentiert Entropie den Verlust an nutzbarer Energie, die übertragen oder umgewandelt werden kann, aber nicht zu 100 Prozent in nutzbare Arbeit umgesetzt wird, was oft mit dem allmählichen und unvermeidlichen Übergang von Systemen zu einem immer desorganisierteren Zustand verbunden ist.

Weitere Untersuchungen nötig

Diese Ergebnisse sind faszinierend, aber sie stehen auf wackeligem Grund. Die Theorie, dass Bewusstsein eine Nebenwirkung des Versuchs unseres Gehirns ist, den Informationsaustausch zu maximieren, ist noch spekulativ und wird durch die begrenzte Studiengröße eingeschränkt. Weitere umfassende Studien müssen durchgeführt werden, um diese vorläufigen Ergebnisse zu stützen.

Dieser Forschungszweig bietet nicht nur mögliche Einblicke in das menschliche Bewusstsein, sondern unterstreicht auch eine potenzielle Verbindung zwischen unserem Geist und den universellen Gesetzen des Chaos und der Ordnung. Wir stehen vielleicht erst am Anfang eines Weges, der unser Verständnis von uns selbst und unserer Verbindung zum Universum tiefgreifend verändern könnte.

Quelle: „Statistical mechanics of consciousness: Maximization of information content of network is associated with conscious awareness“ (Physical Review D, 2023)


Nota. - Am besten fängt man hier vielleicht am Schluss an: "Unser Verständnis von uns selbst und unserer Verbindung zum Universum tiefgreifend verändern". Wenn das die Absicht der Forscher(innen) gewesen ist, kann ihre Schlussfolgerung nicht überraschen. Gehe ich davon aus, dass das Universum ein Ganzes ist (ein 'isoliertes System', was sich nicht von selbst versteht), dann setze ich, und sei es nur unausgesprochen, voraus, dass es demselben Gesetz oder denselben Gesetzen unterliegt. Verstehe ich Kosmologie top down, von oben nach unten, dann kann ich aus dem Gesetz des Großen Ganzen die Gesetze des Allerkleinsten herabbrechen. 
Das allgemeinste Gesetz ist die zunehmende Entropie - wird gesagt. Es ist der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik und hat sich bislang noch überall bewährt.

Nehmen wir an, es ist so und wird auch so bleiben. Dann haben wir eine Erfahrungstatsache. Ist es nicht mehr, dann könnte sie durch ein x-beliebiges Mikrodetail widerlegt werden, und gälte bis dahin nur problematisch. Na, das ist auch schon was: Es zeigte an, in welche Richtung künftige Forschung wird gehen müssen. Aber nicht, dass es selber anstelle faktischer Forschung Einsichten begründete! Es ist nämlich so: Warum die Entropie allerorten zunimmt, kann die Thermodynamik nicht einsichtig machen; sondern nur, dass sie selber tatsächlich auf dieser Prämisse beruht. Das ist eine starke Tatsache, die die andern empirischen Wissenschaften wohl berücksichtigen sollten. Mehr aber nicht.

Ob man aber beim Weltverständnis ganz oben anfangen darf, wo man 'naturgemäß' nur erst spekulieren kann, oder bottom up, von unten nach oben verfahren muss - wo man es mit allerlei Unschärfen zu tun bekommt, über die man auch nur spekulieren kann -, ist eine ganz offene Frage. Man wird sie beide Zug um Zug "engführen" müssen, und das kann dauern. 

Mit andern Worten: Top down wird man immer nur interessante und vielleicht aufregende Hypothesen erwirtschaften können - aber nichts schlüssig deduzieren. Nämlich durch Begriffe allein. Bottom up, nämlich durch faktische Forschung, wird man Stoff ansammeln. Um ihn zu verstehen, muss man ihn sinnvoll ordnen. Sinn geben wiederum erst Begriffe. Kurz und gut: Abgeschlossen ist Wissenschaft erst, wenn sie - abgeschlossen ist, und das kann, wie gesagt, dauern.
JE


NotaDas obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog JE

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