Samstag, 31. August 2024

Wessen Vasall*innen?

Hach, ist das ein Kerl!

 

 

Alles fir Dhieringen.

Das ist ganz von mir.

Global, westlich, postkolonial.

rotary                         zu Geschmackssachen, zu öffentliche Angelegenheiten    

"Der Westen und der Rest" - das klingt im ersten Moment problematisch, weil hi-storisch uninformiert und unkritisch. Doch nach kritischer Durchforstung erweist es sich vielleicht immerhin als Fragestellung nützlich - nicht erst aus Trotz wegen documenta 15.

In welcher Absicht kann man überhaupt Kunstgeschichte schreiben, und eine globale zumal? Lesen mag man sie aus den diversesten Motiven, doch dafür mussten sie zuerst geschrieben und - vor allen Dingen auch gedruckt werden.

Im 19. Jahrhundert kam die Kunstgeschichte also auf, um die europäischen Nati-onen gegeneinander zu profilieren. Ein ausgesprochener Renner unter deutschen Jugendlichen war am Jahrhundertende das Buch des Rembrandtdeutschen, das frei-lich mehr Weltanschauung enthielt als Kunstgeschichte. Doch die Neigung zur Ide-ologisierung liegt in diesem Fach selbst begründet. Wie soll man etwa über den ex-plosiven Aufschwung der holländischen Malerei und insbesondere der Landschafts-kunst reden, ohne das "Goldene Zeitalter" zu erwähnen und die Entstehung einer Nation aus dem Befreiungskrieg?


Den Hang zum Exotischen hat Europa aus derselben Zeit, dem 17. Jahrhundert, und dass nordamerikanische und afrikanische Volkskunst bis heute Neugier erregt, macht es in politisch korrekten Zeiten selbstverständlich, an eine Globalgeschichte der "Kunst" zu glauben. Der Pfusch, der auf der jüngsten documenta zu internatio-naler Berühmtheit gekommen ist, setzt allerdings ein großes Fragezeichen.

Eine globale Wirtschaftsgeschichte hat insofern Sinn, als wir es heute mit einer glo-balen Wirtschaft zu tun haben. Das war nicht immer so, sondern ist entstanden durch die jahrhundertelang fortschreitende Verflechtung regionaler zu nationalen, und der nationalen Märkte zu einem Weltmarkt. Das Ergebnis sind internationale Standards.

Etwas Vergleichbares hat es in der Kunst nicht gegeben. Ein übernationaler Kunst-markt hat sich im 20. Jahrhundert zwischen Europa und Nordamerika etabliert, und wenn man an ihm eine Dynamik erkennen kann, dann ist es die von einem gemein-samen europäischen Ursprung in Düsseldorf und Paris über eine gemeinsame ame-rikanische Nachkriegszeit zu einer weltweiten Beliebigkeit, zu der jetzt auch postko-lonialer Schmarrn Zugang finden - nicht weil ein weltweiter Geschmack dahin ge-führt hätte, sondern geschmacksfreie Geldflüsse. Doch der Geschmack mag ihnen folgen, achje.

Anders als die Wirtschaft hat die Kunst nicht zu weltweiten Standards geführt, weil sie keine weltweite Substanz hat. Die Erzeugnisse der Wirtschaft konnten schließ-lich weltweit vermarktet werden, weil sie letzten Endes alle irgendwo von irgend-wem gebraucht werden: Es sind Lebensmittel, auf die keiner dauerhaft verzichten kann. Darum haben sie einen Wert. Die Erzeugnisse der Kunst mögen diesem ge-fallen und jenem nicht - wirklich brauchen tut sie keiner. Weltweit gültige Maßstäbe können sich nur ausbilden, wo unablässig alles getauscht werden muss.

Wenn aber Kunst nicht als originärer Teil des Wirtschaftens aufgefasst werden kann, was ist sie dann? Das wurde jahrhundertelang versucht: Kunst zu definieren durch die Merkmale ihrer Werke. Das sollten, mag man meinen, ästhetische sein. Kunst bringt Dinge hervor, die gefallen - "ohne Interesse", sagt Kant; nämlich ohne spezifische Nützlichkeit (und wenn sie eine solche doch aufweisen, wird gleich ihre Qualifizierung als Kunst strittig)

Und das hat es wohl gegeben, seit es Menschen gab. Nämlich so, dass die Defini-tion des Menschen von der Paläanthropologie nicht zuletzt daran gemessen, ob sie - Kunst hervorbrachten. Zu allererst nämlich als Schmuck und Körperbemalung. Ob sie aber nicht wohl auch andere Zwecke hatte - kultische oder ethnische -, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Die frühesten Höhlenmalereien wären ohne solche wohl nicht entstanden. Das ästhetische Gefallen mag immer nur verzichtbare Zutat ge-wesen sein.

Man müsste annehmen dürfen, die ästhetisch ausgezeichneten 'Arte'fakte wären vornehmlich oder womöglich nur um des Gefallens willen zustande gekommen. Das könnte man aber dem individuellen Werk unmöglich ansehen. Man müsste schon Werkgruppen identifizieren können, die man aus außerästhetischen, d. h. irgendwie kollektiven, nämlich gesellschaftlichen Gesichtspunkten... als geschmack-lich bedingt ansehen könnte; genauer gesagt: durch ihr allmähliches Ausscheiden aus gesellschaftlichen Zusammenhängen als 'Kunst' unterscheiden kann.

Das lässt sich offenbar aber nur retrospektiv und sozialhistorisch bewerkstelligen. Nämlich aus dem Faktum heraus, dass irgendwo irgendwann eine Werksgattung entstanden ist, die sowohl seitens ihrer Verfertiger als auch seitens ihrer Liebhaber allein des Gefallens willen geschaffen wurde. Genauer gesagt, als und weil irgend-wann irgendwo eine Kunst um der Kunst willen zur Welt gekommen ist.

Und das war gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Europa und Nordame-rika. Anders gesagt, eine Kunst geschichte ist überhaupt nur aus westlicher Perspek-tive möglich. Voraussetzung ist ein Idealtyp von "Kunst", der als Maßstab für den Rest der Welt gelten kann.
 
Ja, das habt Ihr davon, dass Ihr postkolonial alles in einen Topf rühren wolltet!
 
Kommentar zu Globale Kunstgeschichte? JE, 21. 8. 22

Freitag, 30. August 2024

Hätte er nur halbsoviel gebaut...

Vitra-Design        zu Geschmackssachen

...würde Frank O. Gehry vielleicht in die Architekturgeschichte eingehen.
Ist das zweideutig? Raten Sie.

 

 

Auditur et altera pars: Noch eine Stimme aus dem Osten.

Ilko-Sascha Kowalczuk: Freiheitsschock © C.H. Beck                               
aus radio 3                                                                                                                         zu öffentliche Angelegenheiten
Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute 
Ilko-Sascha Kowalczuk: "Freiheitsschock"
Ilko-Sascha Kowalczuk gehört zu den wichtigsten deutschen Zeithistorikern. Seit vielen Jahren engagiert er sich für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Nun hat er ein neues Buch geschrieben, aus großer Sorge um unsere Demokratie. "Freiheitsschock. Eine andere Geschichte der Ostdeutschlands von 1989 bis heute".

von Natascha Freundel 

"Das macht man so" – "Das macht man nicht". Das waren, soweit ich mich erinnere, häufige Sätze in der DDR. Bezogen auf das alltägliche Kleinklein: Nachbarn grüßen, Frisur, Klamotten – oder das große Ganze: politisches Denken, Sprechen und Handeln. Wer sich nicht anpasste, wurde sanktioniert. Ich fürchte diesen Ordnungs- und Kontrollwahn noch immer, und muss mich manchmal daran erinnern, dass heute und hier jede nach ihrer Fasson glücklich werden darf: Welch ein Glück!

Freiheit verstehen

Mit "Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute" hat der Zeithistoriker Ilko-Sascha Kowalczuk ein brennend wichtiges, schmerzhaftes Buch geschrieben, das den Homogenitätsfetisch der DDR in einen großen historischen Zusammenhang stellt und seine Nachwirkungen bis heute erklärt. Die zentrale These: Viele Ostdeutsche haben die Freiheit weder erkämpft noch verstanden, bis heute. Anti-liberale, anti-demokratische Kräfte ernten mit wachsenden Erträgen, was vor langer Zeit tief gesät wurde: das Verlangen nach einem starken, autoritären, ethnisch-kulturell-politisch-homogenen Staat mit harter Kontrolle und harten Grenzen; der Wunsch, alles Nicht-deutsche, Unangepasste, vermeintlich Fremde auszumerzen. Die Sehnsucht nach reinweißen blühenden Landschaften.

Eine andere Perspektive auf den Osten

Wer Kowalczuks bisherige Bücher, Artikel, Social Media Posts kennt, könnte sagen, das habe er doch X-mal erklärt. Doch nach dem erstaunlichen Erfolg von Dirk Oschmanns Streitschrift "Der Osten – Eine Erfindung des Westens" und dem zunehmenden Trend, die DDR weichzuzeichnen, ist Kowalczuks langer Essay eine grundsätzliche Intervention, an der niemand vorbeikommt, der die deutsch-deutschen Verhältnisse verstehen möchte.

Anders als Steffen Maus aktuelles Buch "Ungleich vereint", das ebenfalls als Antwort auf Oschmann gelesen werden kann, bleibt Kowalczuk nicht bei den sozialen Verwerfungen seit 89/90 stehen (die hat er ausführlich in seinem Buch "Die Übernahme" 2019 thematisiert). Das Kontrastmittel, mit dem Kowalczuk die jüngere deutsche Geschichte untersucht, heißt Freiheit. Da ist er radikal: Entweder man steht zur Freiheit oder nicht, wie man zur Wahrheit von 1+1 steht. Wie Universalismus ist Freiheit ein absoluter, radikaler Begriff, dessen Lebensrealität aber kein Utopia, sondern menschliche Möglichkeiten, rechtliche Regelungen und Kompromissfähigkeit bedeutet. Eben diese Freiheit ist heute in Gefahr, wenn anti-freiheitliche Kräfte die nächsten Wahlen oder die gegenwärtigen Kriege gewinnen. Warum nur wird Freiheit im allgegenwärtigen Talkshowbusiness so selten thematisiert?

Unbequeme Analysen

Kowalczuk hat einige unbequeme Analysen parat, die niemanden, ob "Ossi", "Wessi" oder den Autor selbst, verschonen. Die Revolution wurde nicht von "den Ossis" gemacht, nur von einer Minderheit freiheitsliebender Dissidenten, die bald schon von ihrer Revolution nicht gefressen, aber doch an den Rand der Zeitläufte gedrängt wurden. Die Mehrheit der Ostdeutschen wünschte sich Wohlstand wie im Westfernsehen. "Sie hatten vom Paradies geträumt und wachten in Nordrhein-Westfalen auf", formulierte es Joachim Gauck im Jahr 2000. Die Leute in Nordrhein-Westfalen oder anderswo im Westen wiederum interessierten sich herzlich wenig für die Leute in Thüringen oder anderswo im Osten. Ausnahmen bestätigen die Regel: Eine intensive, gesamtgesellschaftliche, politisch-kulturelle Aufklärung der DDR-Diktatur steht auch bald 35 Jahre nach dem Mauerfall noch immer aus.

Die Linke, BSW, AfD, Putin etc.

Unbequem, wenn auch nicht neu, aber überzeugend in Kowalczuks unverblümt-nüchterner Darstellung sind auch die Abschnitte zur Entwicklung der SED-PDS-Die Linke-Partei, zum Bündnis Sahra Wagenknecht und zur AfD. Bei der politischen Gretchenfrage: "Wie hältst Du’s mit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine?" werden sie alle als Kremlkumpel kenntlich, denen die geopolitischen Interessen Putins und der traditionsreiche Antiamerikanismus weitaus wichtiger sind als die staatliche Souveränität und der Freiheitsdrang der Ukraine.

Zur Freiheit erziehen?

"Wie aber kann man Freiheit in der Freiheit erlernen?" ist die Frage, die Kowalczuk der offenen Gesellschaft überlässt, weil er selbst keine Antwort parat hat und weil auch das immer neu demokratisch ausgehandelt werden muss. Vielleicht stimmt Kowalczuks Einschätzung als Historiker, "dass die Welt noch nie in einem besseren Zustand war". Doch anders als er meint, wird vermutlich der Hunger zunehmen, die Zahl der Kriege, die der Naturkatastrophen. Auch deshalb brauchen wir dringend einen "öffentlichen Freiheitsdiskurs".

 

Nota. - Ich habe das Buch noch nicht gelesen. Ich will mich dem unausweichlichen Krakeel aber auch nicht ungeschützt aussetzen: Vorsichtshalber riskier ich, Ihnen obige Besprechung mitzuteilen.
JE

Etsi deus daretur.

Henrik Wienecke                                               zu Philosophierungen

Wenn es Gott nicht gäbe, müsste er erfunden werden, hat Voltaire gesagt. Das ist ein spätes Echo auf Blaise Pascals pari, die Wette, die er allen Atheisten vorschlug: Sie sollten ihr Leben führen, "als ob es Gott gäbe" - da könnten sie nur gewinnen; wenn es ihn gibt, sowieso; und wenn nicht, hätten sie immerhin ein anständiges Leben geführt.

Und schon Meister Eckhart sagte, Gott wird es geben, wenn alle Kreatur seinen Namen ausspricht.

"Ich glaube nicht, daß Gott da war, sondern daß er erst kommt. Aber nur, wenn man ihm den Weg kürzer macht als bisher“, sagte der Der Mann ohne Eigen-schaften.
 
Se. Erlaucht wies das mit den würdigen Worten zurück: „Das ist mir zu hoch.“



Donnerstag, 29. August 2024

Geistesgeschichtliches Kuddelmuddel.

                                                      zu Philosophierungen

En gros hat er Recht, aber en détail vergreift er sich, und das bleibt für das große Ganze nicht ohne Folgen. 

Ich fange an - Sie ahnen es schon - bei Fichte und dem "Idealismus". Fichte war Idealist im philosophisch spezifischen Sinn, er führte das Erkennen auf die Agilität des Subjekts zurück und nicht auf die Eindrücke, die uns die Objekte machen, und insofern war er wie Kant ein kritischer Philosoph. Er selbst verstand sich als sein Radikalisierer und Vollender. Vernunftkritik, Philosophie und Tranzendentalphilo-sophie bedeuteten für ihn dasselbe.

Dass man ihn später unter dem Etikett Deutscher Idealismus den im Grunde ide-enrealistischen Spekulationen der Schelling und Hegel zugeschlagen hat, ist zu er-klären durch seinen Bruch mit der Transzendentalphilosophie im Gefolge des Atheismusstreits, ist aber falsch in Hinblick auf seine originäre denkerische Lei-stung, die ursprüngliche Wissenschaftslehre.

Das ist keine philologische Randnotiz, denn Gumbrechts Missgriff setzt sich fort in den beiläufigen Sätzen über Marx. Dass Marx bei dem Metaphysiker Hegel begon-nen hat, für den Kritik nur noch eine rhetorische Floskel war, ist wohl wahr, und noch in den zeitweilig populären Frühschriften zeigt er sich als dogmatisch verkün-dender Rhetor. Aber als es ihm ernst wurde mit der Wissenschaft von Geschichte und Ökonomie, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich aus der dogmatischen Hegel'schen Begriffsdialektik zu befreien und das im eminenten Sinne kritische Verfahren 'neu zu erfinden'. Charakteristischer Weise steht sein Gebrauch des Wor-tes Kritik auch nicht am Anfang seiner Beschäftigung mit der Politischen Ökono-mie; vielmehr ist ihm der wesentlich kritische Charakter seines Vorhabens erst auf-gegangen, als er schon mittendrin war, als er in den Grundrissen nämlich auf die "sogenannte ursprüngliche Akkumulation des Kapitals" gestoßen ist; erst ab da redet er von Kritik der Politischen Ökonomie. Gumbrecht ist Literturwissenschaft-ler, da muss er sich damit nicht auseinandersetzen. Aber empfehlen würde ich es ihm doch.

Zumal, als er mit Adorno und Habermas fortfährt. Das Unglück des Marxismus als wissenschaftliches Corpus - in der Wirklichkeit waren seine Unglücke freilich erheb-licher - beruhen darauf, dass auch die 'westliche' Marx-Rezeption sich nie aus ihren hegelianisierenden Mystifikationen befreien wollte* - weil sie erstens mit dem Stali-nismus nie ins Reine gekommen ist und weil ihr ein tiefes Eindringen in die Kritik der Politischen Ökonomie stets zu mühselig war. In tiefstem Herzen blieben sie da-her alle Ideologen und Dogmatiker - schon um ihrer Identität willen.

Identität ist das Wort, das bei Gumbrecht fehlt. 'Kritisch' passt dazu wie die Faust aufs Auge. In diesen Zusammenhängen muss es nicht einmal die Nähe zu 'authen-tisch' scheuen. Und das macht im Grunde ihre Verwandtschaft mit den pp. "Rechts-populisten" aus. Denen haben sie den Boden bereitet, indem sie nach und nach im Laufe eines halben Jahrhunderts an die Stelle der Schärfe des vernünftigen Argu-ments das inbrünstige Bekenntnis setzten.

Ich habe anderswo gezeigt, dass es nicht durch Zufall so gekommen ist, sondern weil mit dem schließlichen Scheitern der Weltrevolution das Ende der Geschichte gekommen schien, wo alles möglich, aber auch alles gleich gültig war. Gab es noch ein Hauptproblem der Epoche, an dem alle Länder und alle Völker sich begegneten und wo über die Schicksale der Menschheit zu entscheiden war?

Nach dreißig Jahren sehen wir jetzt klarer. Globalisierung und Digitale Revolution sind Vor- und Rückansicht der gegenwärtigen Epoche. Das ist ein Maßstab, an dem nun alle wieder zu messen sind. An die Stelle der affirmierten Identitäten dürfen - ach was sag ich: müssen! - wieder Sachurteile treten; mit kritischer Schärfe und ohne selbstische Dumpfheit. 

*) Den einen, einzigen Paul Mattick zähle ich nicht zur 'westlichen Marxrezeption'.
Kommentar zun
Wo sind die kritischen Intellektuellen geblieben? JE, 26. 2. 20
 

Nachtrag. Sans mer net behs - aber Literaturwissenshcft ist Kuddelmuddel und keine Wissenschaft, denn sie hat weder einen bestimmbaren Grund noch einen be-stimmten Gegenstand. Dass sie ein akademisches Fach geworden ist, beweist nur, dass es sich lohnt.


Nota Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE 

Mittwoch, 28. August 2024

Welle oder Teilchen?

Zwei leuchtende abstrakte, im Kosmos schwebende Objekte
aus spektrum.de, 28, 8, 2024    Woran erkennt man, ob Teilchen Quanteneigenschaften haben?   zu Jochen Ebmeiers Realien

Quanten-Thermodynamik 
Ein Thermometer für die »Quantenhaftigkeit« eines Teilchens
Ob ein Teilchen quantenphysikalische Eigenschaften hat oder nicht, zeigt sich an seinem thermodynamischen Verhalten: Quantensysteme können Wärme viel schneller übertra-gen.
 

Dafür untersuchten die Physiker zunächst ein Teilchenpaar, das miteinander ver-schränkt ist, sowie ein gewöhnliches Teilchenpaar. Der Unterschied zwischen bei-den besteht darin, dass sich das verschränkte Paar bloß durch eine gemeinsame Wellenfunktion beschreiben lässt – und nicht durch zwei einzelne. Wenn man diese beiden Systeme jeweils mit einer wärmeren oder kälteren Umgebung in Kontakt bringt, kommt es zum Wärmeaustausch. Wie sich herausstellt, kann das verschränk-te Quantensystem »überraschenderweise Wärmeströme erzeugen, welche die Gren-zen des klassischen Wärmeaustauschs überschreiten«, schreiben die Fachleute. Falls ein System also Wärme besonders schnell überträgt, besitzt es Quanteneigenschaf-ten.

Als Nächstes haben die Forscher untersucht, wie sich eine zweite fundamentale Quanteneigenschaft von Teilchen bei thermodynamischen Prozessen bemerkbar macht: die so genannte Kohärenz. Diese gibt gewissermaßen an, wie stark der wel-lenartige Charakter eines Teilchens ausgeprägt ist. Lipka-Bartosik und sein Team verglichen dafür ein kohärentes Quantenteilchen mit einem kaum kohärenten Teil-chen, das sich also wie ein punktförmiges Objekt verhält. Auch hierbei zeigten sich deutliche Unterschiede beim Wärmeaustausch: Wieder war das Quantenteilchen in der Lage, Wärme viel schneller zu übertragen.

Auch wenn die Forscher sehr spezifische Situationen untersucht haben, betonen sie, dass ihre Methoden allgemein sind und sich daher auf andere, komplexere Systeme übertragen lassen. »Das könnte zu konkreten Anwendungen führen, etwa eine Art intelligentes Thermometer, das nicht nur die Temperatur oder die abgegebene Wär-me misst, sondern zudem strukturelle Informationen über das Quantensystem preisgibt«, sagte der Physiker Gerardo Adesso von der University of Nottingham, der nicht an der Arbeit beteiligt war, gegenüber »New Scientist«

 

Nota. - Ein 'echtes' Quant ist ein solches, das als Welle und als Teilchen zugleich auftritt. Dabei hängt die Kohärenz des Quants von der Ausprägung seines Wellen-charakters ab, nicht von seiner punktuellen Erscheinungsweise. Sowie der Wellencha-rakter schwindet, wird es nicht 'weniger' als ein Quant (nämlich ein punktuelles in-kohärentes Infra-Qäntchen), sondern mehr - nämlich in unserm Meso kosmos, wo und weil es mit Materie (als Materie?) wechselwirkt; das hier oder da und mit nichts verschränkt ist und von nichts überlagert wird. Die Thermo-Spuren sind gewisser-maßen eine Vorstufe von Wechselwirkung. 

In der wirklichen Welt kommen Quanten und Infra-Qäntchen nur in Laboren vor. Vielleicht auch in der Plasma-Suppe, in der das Universum schwebt...

Ich hoffe, so ists richtig.
JE

Jedem das seine.


Keine Ahnung, von wem ich das habe. 

 

 


Die Schärfe des Begriffs.

cuttershop                                      zu Philosophierungen
                                             
Aus Begriffen lässt sich Positives nicht konstruieren. Begriffe sind das Medium der Kritik, und ebendarum müssen sie scharf sein.

Wer meint, mit den Begriffen dürfe man es so genau
nicht nehmen, will bloß der Kritik ausweichen.
12. 6. 20

Dienstag, 27. August 2024

Bedeutendes von Unbedeutendem unterscheiden.

diepresse                                      zu Philosophierungen

Geist ist zu allererst das Vermögen, zwischen Bedeutendem und Unbedeutendem zu unterscheiden. Das Tier "kennt" diesen Unterschied nicht. Zwar bedeutet auch dem Tier dieses Etwas und Jenes nichts. Aber was ihm nichts bedeutet, nimmt es gar nicht erst 'wahr'. Das heißt, für es 'gibt es' diesen Unterschied nicht. Seine gene-tische Ausstattung hat "apriori" den Unterschied immer schon gemacht.

Nicht so für den Menschen. Er muss den Unterschied selber machen.

Es liegt nahe, dass ihm alles, was bleibt, zuerst einmal als bedeutender erscheint als alles, was sich ändert. Aber das kann sich... ändern. Es hängt davon ab, ob in seiner Erlebenswelt die sicheren Situationen vorherrschen, oder die unsicheren; zum Bei-spiel.
aus e. Notizbuch, 28. 8. 08

 

Nota. -  Geist ist nicht Dieses oder Jenes.  

Ein Mensch vermag allerlei: Das nennen wir seine Vermögen. Sie unterscheiden sich voneinader nicht von allein: Der Mensch unterscheidet sie - je nachdem, wel-chen Dienst sie ihm leisten. So unterscheidet er so- und soviele Sinne; Hören, Se-hen, Schmecken, und so weiter. Das ist, was er fühlt. Was er aber tun soll, fühlt er nicht. Das muss er - und er tut es - alle Zeit selber entscheiden. Das nennt er seinen Geist.

Intelligenz ist das noch nicht: Die unterscheidet, was er fühlt. Geist nennen wir das, was darüber hinaus geht - nämlich das Unterscheiden, was mehr und was weniger gelten soll.


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Montag, 26. August 2024

Bewusstsein ist nicht wirklich ein Begriff.

                                                                    zu Philosophierungen

"Bewusstsein" ist nicht wirklich ein Begriff. Es ist ein Wort, das in vielen Situatio-nen und Sinnzusammenhängen eine bestimmte Bedeutung haben kann: doch nie dieselbe. Wird es außerhalb dieses bestimmten Fachgebiets verwendet, verschwimmt es im Ungefähr. Einen gewissen Grad von Ungefähr braucht unsere Umgangsspra-che, weil sie unsern Umgang miteinander vermitteln soll und nicht unsere Besonde-rungen schärfen. 

Allerdings bleibt seine umgangssprachliche Allgegenwart nicht ohne Wirkung auf unser Denk- und Vorstellungsweise, und mischt sich unbemerkt immer wieder auch in die feinsten Distinktionen der Wissenschaft ein - wo es nicht hingehört.
 
Das Ich wurde von Descartes in die Philosophie eingeführt als das denkende Ego. Beim Denken fängt Descartes seine Überlegungen an, da ist das umgangssprachli-che Bewusstsein schon selbstverständlich drin enthalten. Von Reflexion redet Des-cartes nicht ausdrücklich.

Dass Philosophie wesentlich reflektiert, war eine Entdeckung Kants. Transzenden-talphilosophie ist toto coelo Reflexion des Denkens auf sich selbst, und wenn sie konsequent ist, stößt sie irgendwann auf - na ja, auf Bewusstsein als dessen Bedin-gung. So bei Kants Fortsetzer Fichte. Seine Wissenschaftslehre  eruiert nicht nur die Herkunft der Erfahrungsbegriffe, sondern auch, Kant radikalisierend, den Ursprung des Apriori, das nach Kant Erfahrung erst möglich macht. Sie geht daher hinter die Begriffe zurück und findet auch das Apriori in der vorstellenden Tätigkeit des Sub-jekts selbst gegründet. Es gilt daher, den Ursprung des Vorstellens freizulegen - Be-griffe, Denken und Bewusstsein werden sich aus ihm schrittweise ergeben.

Ich kürze ab: Am Grunde des Vorstellens findet die transzendentale Reduktion das sich selbst setzende Ich vor. Das 'Setzen seiner selbst' ist seine ursprüngliche Tat. 'Es selbst' ist zunächst ganz unbestimmt. 'Es' bestimmen kann nur 'es selber' - denn vor ihm war in der Vorstellung nichts. 'Seine' Vorstellung von 'sich-selbst' Fortbe-stimmen ist eo ipso Selbstbewusstsein. Alles weitere - Denken (Reflektieren), Be-griffe, 'Bewusstein'- folgt daraus.

Das ist, was die Philosophie über Bewusstsein sagen kann. "Bloße Logik", hat Kant es genannt, Reflexionsphilosophie hat Hegel gespottet. Der eine hatte die Transzen-dentalphilosophie nicht zuende geführt, der andere hatte sie nie verstanden: Kritik der Vernunft, so radikal sie sei, hat ihm nicht genügt, er wollte darüber hinaus gehen und hat sie folgerichtig links liegen lassen.
Kommentar zu Kann ein Fisch sich selbst erkennen?  JE, 14. 6. 20

 

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Sonntag, 25. August 2024

Anführer.


Leute anführen kann er nur in einem ganz eignen Sinn.
Darum tritt er immer nur stark geschminkt in Erscheinung.

Galileo, Plato und die Geometrie.

Galileos Teleskop                                              zu Philosophierungen                                
  • Auf die Titelseite meiner gesammelten Werke zu setzen: Hier wird es aus unzähligen Beispielen zu begreifen sein, was der Nutzen der Mathema-tik für das Urteil der Naturwissenschaften ist, und wie unmöglich es ist, korrekt zu philosophieren ohne die Führung der Geometrie, wie es der weise Grundsatz Platons besagt.                                                                                                                zitiert nach Hans Joachim Störig, Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft, Band 1, Seite 267, Fischer Handbuch Nr. 6032, 1970 
Da porsi nel titolo del libro di tutte le opere: Di qui si comprenderà in infiniti esempli qual sia l'utilità delle matematiche in concludere circa alle proposizioni naturali, e quanto sia impossibile il poter ben filoso-fare senza la scorta della geometria, conforme al vero pronunciato di Platone. 
 Le Opere di Galileo Galilei. Prima editione completa, tomo XIV. Firenze 1855. p. 318 books.google.de

  • Die Philosophie steht in diesem großen Buch geschrieben, das unserem Blick ständig offen liegt [, ich meine das Universum]. Aber das Buch ist nicht zu verstehen, wenn man nicht zuvor die Sprache erlernt und sich mit den Buchstaben vertraut gemacht hat, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und deren Buchstaben sind Kreise, Dreiecke und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Bild davon zu verstehen; ohne die-se irrt man in einem dunklen Labyrinth herum.                                                     Aus dem "Saggiatore" von 1623, zitiert in Ehrhard Behrends: Ist Mathematik die Sprache der Natur? Mitt. Math. Ges. Hamburg 29 (2010), 53–70
     La filosofia è scritta in questo grandissimo libro che continuamente ci sta aperto innanzi a gli occhi (io dico l'universo), ma non si può intendere se prima non s'impara a intender la lingua, e conoscer i caratteri, ne' quali è scritto. Egli è scritto in lingua matematica, e i caratteri son triangoli, cerchi, ed altre figure geometriche, senza i quali mezi è impossibile a intenderne umanamente parola; senza questi è un aggirarsi vanamente per un oscuro laberinto. - 
Il Saggiatore Capitolo VI

Samstag, 24. August 2024

Das Rätsel der Mathematik

Wurde die Mathematik aus der Natur heraus-gefunden...
...oder vom Menschenhirn in sie hinein-gedacht?
 
Galileos Tabellen            zu Philosophierungen

Erst mit Galileo ging, streng genommen, das mythische Zeitalter zu Ende. “Der Mythos braucht keine Fragen zu beantworten. Er erfindet, bevor die Frage akut wird und damit sie nicht akut wird.”(Hans Blumenberg). Seit Galileo stellen die Wissenschaften nicht nur Fragen, sondern beantworten sie auch, und jede Antwort wirft (mindestens) eine neue Frage auf.

Das Buch der Natur sei in der Sprache der Mathematik geschrieben, hatte Galileo verkündet. Das ist seither zum Gemeinplatz westlicher Bildung geworden. Descar-tes hatte die Welt in zwei Substanzen zerteilt, eine res extensa, die Materie, die sich durch ihre räumliche Ausdehnung zu erkennen gibt, und die res cogitans, den Geist, der außerhalb von Raum und Zeit ist. Doch eines ist ihnen gemeinsam: die mathe-matische Struktur, und an der erkennt man ihre gemeinsame Abkunft vom selben Schöpfergott. Spinoza tat die beiden Teile wieder zusammen, bei ihm ist es die eine, geistige Substanz, die sich selber ausdehnt, “deus sive natura”, und wie tut sie das? “More geometrico”, auf geometrische Weise! War bei Descartes Gott ein Mathema-tiker, so ist die Gottnatur bei Spinoza Mathematik. Isaac Newton, der erste Syste-matiker der modernen Physik, betitelte sein Hauptwerk ”Philosophiae naturalis principia mathematica”, die mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie. Und Leibniz endlich, der die strenge Naturwissenschaft in Deutschland eingeführt hat, überlegte ernstlich, ob nicht Gott selber in mathematischen Formel dächte.

Die Herrschaft des Rationalismus war Herrschaft der Metaphysik. Die Metaphysik sei aus der abendländischen Wissenschaft inzwischen vertrieben? Nur die metaphy-sische Verpackung ist gefallen. Der Kern bleibt. Der Einfall, die Gesetze der Mathe-matik seien gleichzeitig die Gesetze der Vernunft und der Natur, bedarf keiner zu-sätzlichen Metaphysik. Er ist selber metaphysisch.

Die Mathematik ist nicht, wie unsere eigne Schullaufbahn vermuten macht, aus dem kleinen Einmaleins hervorgegangen. Zwar hatten die Babylonier ihr Interesse auf die Arithmetik konzentriert; aber sie dienten ihnen nur zur Astrologie. Mathematik entstand erst, als die Griechen Thales und Pythagoras die Zahlen in den Dienst der Geometrie, der Anschauung räumlicher Verhältnisse nahmen. Das Leitbild der Ma-thematik – die vollkommene Gestalt – ist ästhetisch. Ihre Verfahren sind Anschau-ung und Konstruktion. Auf etwelche sinnliche Erfahrung – über die man streiten könnte – ist sie nicht angewiesen. Sie begründet sich aus sich selbst, und nur so konnte sie zur Grundlage der allgemeinen wissenschaftlichen Methode werden.

Aber ist nicht gerade die Geometrie aus den Dingen der Welt abgeschaut?! 
 
Plato kannte fünf vollkommene Körper: Kugel, Würfel, Pyramide; Zylinder, Konus.

Es sind die jeweiligen dreidimensionalen Kombinationen von Kreis, Quadrat und Dreieck. Drei Dimensionen sind ‘vollkommener’ als zwei, bzw. Körper sind voll-kommener als Flächen.*

Hat man eines von denen ‘von der Natur abgeschaut’? Mehr oder minder runde Formen kommen in ‘der Natur’ vor; Kugeln nicht. Kugel ‘entsteht’ als Idee des vervollkommneten ‘runden’ Körpers. Wobei Vollkommenheit eben keine logische, sondern eine anschauliche, eine ästhetische Qualität ist! Finden sich Würfel, Pyra-miden, Zylinder usw. in der Natur vor? Es finden sich Formen, die wie fehlerhafte Annäherungen aussehen. Damit sie so aussehen können, müssen die reinen For-men dem inneren Auge aber schon gewärtig sein. Und das geht nur, wenn das in-nere Auge die Konstruktion aus Kreis, Quadrat und Dreieck schon vorgenommen hat! Das ist eine erhebliche Abstraktions- und Reflexionsleistung.

(Abstraktion und Reflexion sind nur zwei Sichtweisen auf denselben Denkakt: Absehen auf das jeweils Wichtige ist zugleich Absehen von dem jeweils Uner-heblichen.)

Denn zuvor mussten vor dem inneren Auge die Flächen selber konstruiert werden! Allein den vollkommenen Kreis kann man in der Außenwelt sehen – am wolkenlo-sen Himmel.

Es ist ja denkbar, dass der Anblick des einzig perfekten Kreises – der Sonnenschei-be – und ihrer imperfekten Parodie, des Mondes – den Anlass zur Idee anschauli-cher Vollkommenheit gegeben hat; aber eine erfahrungsmäßige Abstraktion aus dem Anblick vieler perfekten Kreise war es nicht: weil es nur diesen einen gibt; und eine Reihe imperfekter Karikaturen – die werdenden und vergehenden Ringe auf dem Wasser usw… Nachgemacht werden kann dieser eine perfekte Kreis aber nicht auf ‘anschaulichem’ Weg; er muss konstruiert werden aus Punkt und Radius: wieder eine Abstraktionsleistung.

Die andern beiden Grundformen finden sich nicht in perfekter Gestalt in der Na-tur vor. Sie müssen – vielleicht in anschaulicher Analogie zur Sonnenscheibe – er-dacht werden, um bemerken zu können, dass sich in der Natur... unvollkommene Annäherungen vorfinden.

Und erst nach all dem können die fünf perfekten Körper erdacht werden; und kann man sich einbilden, diese Idealentwürfe lägen ihren unvollständigen natürlichen Nachbildungen “in Wahrheit” zu Grunde; in einer verborgenen Wahrheit selbstver-ständlich.

Die Arithmetik hat ältere Wurzeln, die bis zu den Babyloniern zurückreichen. Ist nun die Zahl ein “Naturverhältnis”? Beruht sie nicht darauf, dass die Dinge ‘im Raum’ eine Grenze haben und man sie neben einander stellen und also zählen kann? Das sieht nur so aus. Tatsächlich zählen wir die Dinge nicht neben-, sondern nach einander! Und das geschieht in der Zeit. 
 

Paläoanthropologen haben aus frühester Vorzeit Stäbchen geborgen, die in regel-mäßigen Abständen mit Kerben versehen sind. Sie interpretieren sie als Zählstäbe, die Vorläufer der Zahlensysteme; nämlich so, dass ihre Hersteller den Daumennagel auf die erste Kerbe gehalten haben: “zuerst…”; auf die zweiter Kerbe: “dann…”; dritte Kerbe: “und danach…”. Da wird das zeitliche Nacheinander der Zahlen ar-chäologisch sinnfällig!**

Und wem die erwähnten Zählstäbe der Paläontologen als Indiz zu dürftig scheinen, der kann es ja mit einem Gedankenexperiment versuchen.

Was immer Zahlen sonst auch noch sein mögen, eins sind sie ganz bestimmt: Zei-chen. Was muss man bezeichnen? Etwas, das man nicht stets vor Augen hat und doch ‘behalten’ will. Denn auf alles andere kann man mit dem Finger zeigen. Kleine Mengen hat man stets vor Augen: 3 Äpfel, 4 Beine usw. Bezeichnen müsste man größere Mengen. Mit welchen größeren Mengen könnten aber unsere Vorfahren – ihres Zeichens Jäger und Sammler – regelmäßig zu tun gehabt haben? So regelmä-ßig, dass sie sie dauerhaft bezeichnen mussten?!

Sie waren Nomaden; große Vorräte kannten sie nicht. Bleibt also übrig – die Zeit. Die Zeiträume müssen bezeichnet werden: wie viele Tage bis Vollmond, Sonnen-wende und Tag- und Nachtgleiche, Jahreszeiten, Jahre… Gerade Nomaden, die ihr Leben buchstäblich durch Zeit und Raum führen, müssen mental Zeiträume ‘vor-weg nehmen’ können, müssen wissen, ‘wie lange wir brauchen bis...’ – z. B. bis zur nächsten Wasserstelle. Denn solange sie keine Wanderkarten und keine Tachome-ter haben, können sie Wege nur als Zeit darstellen. (Noch im Mittelalter wurden Ackergrößen als ‘Tagewerke’ gemessen.)

Sagt nicht aber schon der gesunde Menschenverstand, dass eins und ein zwei sind? ‘Ursprünglich’, d. h. in unmittelbarer sinnlicher Anschauung, kommen Zahlen nur als Ordnungszahlen vor: als Nacheinander in einem ‘an sich’ ununterschiedenen Zeitverlauf: erstens, zweitens, drittens… zählen kann ich so noch nicht. Denn es könnte bedeuten: erstens ein Lufthauch, zweitens ein Elefant, drittens eine Unter-tasse. Um aus den Momenten im Zeitverlauf ein Werkzeug (”Denkzeug”) zum Zählen zu machen, muss ich von der Zeit selber absehen und auf die zu zählenden Sachen reflektieren.


Vorab: Warum, wozu sind sie ‘zu’ zählen? Es braucht zunächst einmal eine Absicht; zum Beispiel die Absicht, Sachen zu verteilen. Ich verteile Sachen, die ‘in einer ge-wissen Hinsicht’ gleich sind, auf so und so viele Posten, die ihrerseits in gewisser Hinsicht gleich sind; zum Beispiel Essbares an Hungrige. Ich muss aus der Mannig-faltigkeit der Sachen dasjenige heraus suchen, das sich unter der Bedeutung des Ess-baren zusammenfassen lässt. Danach muss ich auf diejenigen achten, die mir als hungrig bekannt sind. Erst dann kann ich aus den Ordnungszahlen erstens, zwei-tens, drittens… die Zahlen 1, 2, 3… abstrahieren.

Und erst, nachdem all diese Denkleistungen vollbracht wurden, kann von “Erfah-rung” geredet werden. Erfahrung ist nicht das bloße Registrieren von Erlebens-daten, sondern ihre sinnvolle Unterscheidung und Anordnung. Die Absicht geht voraus. Ohne vorgängige Absicht keine vorfindliche Bedeutung.
aus 2007
 
*) Nachtrag. Das Internet hat viele Vorzüge. Ein Nachteil ist, dass es zu voreiligem Veröf-fentlichen verführt - in diesem Fall: zum Vortrag nach dem bloßen Gedächtnis, ohne Vergleich mit der Quelle. Plato hat (Timaios 54-55) die fünf vollkommenen Körper anders und einiger-maßen komplizierter verstanden:
 

Doch von ihrer Begründung durch Schönheit muss ich nichts abstreichen!

(Einer der vielen Vorteile des Internet ist, dass man nachträglich korrigieren kann. Die Versu-chung, es heimlich zu tun, ist groß, aber nicht unwiderstehlich.)

**) Die jüngsten, d. h. ältesten Funde in dieser Sache stammen aus Südafrika - noch aus Zeiten des Homo erectus. Und zwar handelt es sich um Stäbe, auf denen je sieben Kerben in Vierer-gruppen angeordnet waren: offenbar ein Mondkalender. Und als solcher nicht ein Gegenstand des täglichen Gebrauchs, sondern das Kultgerät eines Schamanen. 

24. 10. 2013

Nota. - An der Frage entscheidet sich die Gültigkeit der Transzendentalphilosophie. Denn wäre die Mathetmatik aus der Natur herausgelesen, dann wäre Menschenver-stand in das Ansich der Welt eingedrungen. Die Transzendentalphilosophie bestrei-tet nicht, dass es ein solches geben könnte: Davon weiß sie gar nichts. Aber wenn, dann könnte sie nicht verstehen, wie unsere Intelligenz zu ihm Zugang gefunden hätte. Und wenn sie das nicht erklären könnte, dann hätte sie... gar nichts erklärt.
JE

Freitag, 23. August 2024

Trumpex.

 https://www.sueddeutsche.de/2024/08/22/eb5901fd-6aca-4b89-bcf4-2ae5a7850f57.jpeg?q=60&fm=avif&width=840&rect=0%2C136%2C3000%2C1688

Vollkommene Körper.

die 5 platonischen Körper  zu Philosophierungen, zu Geschmackssachen

1. Der Unterschied zwischen Kunst und Wisenschaft ist kein gewissermaßen ergo-nomischer, der in ihren Verfahrensweisen begründet läge, da hat der Autor wohl Recht. Er liegt in ihrer Bedeutung für die Lebenswelt: Wissenschaft kann als eine solche nur betrieben werden, wenn sie bereit ist, die Ergebnisse hinzunehmen, zu denen sie eben kommt - ob sie einen erkennbaren Nutzen haben oder nicht. Aber jede ihrer Errungenschaft kann unter gegebenen Umständen die Mächtigkeit der Menschen über ihre Lebensumstande stärken, auch darin hat der Autor Recht. Doch die Gewissheit dieser Möglichkeit gehört zu ihren Bedingungen. 

Kunst dagegen bewährt sich als eine solche darin, dass sie außer dem Ästhetischen selbst schlechterdings keinem Zweck dient noch dienen kann. Das unterscheidet die von Kitsch und Agitprop und ist die  Bedingung ihrer kulturellen Geltung. Wahr ist allerdings, dass diese Unterscheidung erst seit rund zwei Jahrhunderten gemacht wird.

2. kann ich mich nur wiederholen: Kein gewisseres Indiz für die Abstammung der Mathematik aus menschlichem Geist könnte es geben, als ihre originäre Verwur-zelung in seinem ästhetischen Vermögen, denn jenes - und nicht unsere Intelligenz - ist es, die die Menschenwelt unumkehrbar vom Tierreich geschieden hat. Wenn es aber nicht aus dem phylogentischen Marschgepäck stammt - woher denn dann? Vom Himmel gefallen ist es nicht, also muss er es wohl selbst aus sich hervorge-bracht haben.

Kommentar zu Ist Mathematik Kunst oder Wissenschaft? JE, 19. 6. 20

 

Nota Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

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