Man
kann das eigentliche Problem immer weiter vor sich herschieben, aber
dabei wird nur immer durchsichtiger: Was wir - seit Newton und auch nach
Kant - als unsere Vernunft auffassen, sträubt sich gegen den Gedanken, dass etwas ist und ist und lediglich ist: Es ist ein Ungedanke. Sofern wir denken, müssen wir uns einen vorangegangenen andern Zu-stand denken - und einen Täter; einen, der eingegriffen und aus dem vorangegangen den gegenwärtigen Zustand gemacht hat.
Der abstrakt denkende Naturwissenschaftler wird ge-wohnheitsmäßig
nicht mehr an einen Verursacher, sondern an eine Ursache denken; aber
sie nicht denken kann auch er nicht.
Es
ist ein Zirkel. Die Vernunft erlaubt uns nicht, ohne Kausalität zu
denken. Aber Vernunft ist ursprünglich nicht anderes als das Prinzip,
sich alles Seiende als verursacht vorzustellen. Denn selbstverständlich
kann man sich die Welt auch anders vorstellen - nur reden wir dann nicht
von denken, sondern von phantasieren; nicht von Vernunft, sondern von
Irrsinn.
Die
Kritik des Naturgesetzbegriffs ist nichts anderes als Vernunftkritik -
so die Tendenz seit Kant. Das Vexierstück ist, dass die Vernunft sich
selbst voraussetzt. Will sagen, was Ver-nunft ist und ob und wie sie sich
begründen lässt, kann wieder nur mit den Instrumentarien der Vernunft
entschieden werden. Die Vernunft kann sich nicht von außen prüfen,
sondern muss gewissermaßen in sich zurückkriechen und sich dabei
zusehen, wie sie es anstellt, am Ende 'zu sich selbst' zu kommen.
Sie
kann sich dabei ihrer stolzesten Leistungen - Begriff und Schlussregeln
- nicht bedienen, sie muss im Gegenteil darauf achten, bei der
Rekonstruktion ihres Werdegangs dieses Ziel nie aus dem Auge zu lassen:
Begriff und Schlussregeln festzustellen! Sie kann nicht argu-mentieren,
sondern muss zeigen, muss an- schaulich vorführen, "wie man es sich vorstellen muss".
Vernunftkritik
ist diejenige Philosophie, in die - da hat Frau Anderl ganz Recht - die
Frage nach den Natur- gesetzen letzten Endes hineinführt. Kant hatte
die Transzendentalphiloso-phie bis an die Pforten seines Apriori, der zwölf Kategorien und der beiden Anschauungs-formen getrieben. Da blieb er stehen. Fichte führte die Untersuchung fort. Als allererste Voraussetzung auch des Kant'schen Apriori legt er das schlecht- hin agile Ich
bloß, das 'sich setzt, indem es sich ein/em Nicht-Ich entgegensetzt'.
Schon Raum und Zeit, schon die Ka-tegorien sind Weisen des Vorstellens,
ja 'das Ding' selbst wird real erst, wenn es ihm entge-gensteht und als ein Dieses bestimmt und vorgestellt wird. (Wir wissen nichts als was in unserm Bewusstsein vorkommt. In unserm Bewusstsein kommen nur Vorstellungen vor.)
Kurz gesagt, in allem, was wir uns vorstellen, ist ein Macher
immer schon mitgedacht, näm-lich Ich. Aber die Kritische alias
Transzendentalphilosophie erlaubt uns, davon zu abstrahie-ren. Doch wenn
wir vom Ver- ursacher abstrahieren, sollten wir auch von der Ursache
ab-strahieren. In ontologischer Hinsicht kommt die Vernunft nie weiter
als bis zu: Was ist, ist.* So verfahren die statistischen Fächer wie die Thermodynamik; die haben auch mit der Emergenz kein theoretisches Problem.
*) Will sagen: Die Erscheinung erscheint, und sonst nichts. Alle Attribute sind Zutaten der Intelligenz.
Kommentar zu "Was ist ein Naturgesetz?", JE, 2. 3. 18
Nachtrag: Im Kausalitätsprinzip ist enthalten die Vorstellung, dass es ein Vorher und ein Nachher gibt, dass alles in der Zeit ist und alles eine Geschichte hat. Doch wird mit der Substantifizierung der "Ur"-Sachen zu dauernd Seienden das Werden, das ja unsere Lebens-welt ist, zu einer zufälligen Nebensache entwirklicht. Im nominalen Schreib- und Spechstil der all unserer Verwaltungen findet die Verdinglichung jeden Tuns ihre höhere Weihe.
JE
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