Am Ende der Steinzeit wurden neue Paarungs-Regeln eingeführt
Neue Untersuchungen an Skeletten zeigen, dass vor 4500 Jahren Männer in
Mitteleuropa einen Status erlangten, mit dem sie Abstammungslinien
ganzer Gruppen beherrschten. Neue Macht-hierarchien könnten dieses
Paarungsverhalten erklären.
Von Florian Stark
Mit
dem Beginn des technischen Fortschritts endete offenbar das klassenlose
Paradies. Auf dieses pointierte Fazit ließe sich das Ergebnis neuer
genetischer Analysen bringen, die Wissenschaftler an uralten Skeletten
gemacht haben, die im heutigen Böhmen geborgen wurden. Die menschlichen
Überreste werden auf die Zeit zwischen 3000 und 2200 v. Chr. datiert, in
jene Epoche also, in der in Mitteleuropa Gruppen begannen, Werkzeuge
nicht mehr aus Stein, sondern aus Kupfer zu formen, das durch
Beimischung von Arsen oder Zinn bald zu Bronze wurde.
Vor etwa 5000 Jahren haben Menschen in Böhmen vermutlich neue Paarungsregeln entwickelt, sagt Lukas Papac vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
in Jena. Gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre
Anthropologie in Leipzig und weiteren Kooperationspartnern untersuchte
er das Erbgut von 271 Menschen, die hauptsächlich in der späten
Jungsteinzeit und der frühen Bronzezeit lebten. Die Ergebnisse wurden in
der Zeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.
Die älteren Toten werden der sogenannten Schnurkeramik-Kultur zugerechnet, benannt nach dem typischen Muster ihrer Keramik. Deren Erzeuger werden auf die Jamnaja-Kultur
zurückgeführt, die sich in der südrussischen Steppe auf die
Domestikation des Pferdes gründete und im 3. Jahrtausend v. Chr. nach
Westen wanderte. Bei Schnurkeramik-Männern aus dieser Zeit konnten die
Wissenschaftler fünf unterschiedliche Abstammungslinien nachweisen.
Daraus lässt sich schließen, dass das Recht zur Fortpflanzung nicht oder
kaum eingeschränkt war.
Jüngere
Tote jedoch waren fast alle Träger einer einzigen Y-Chromosomen-Linie.
Sie stammten also praktisch alle vom selben Mann ab. Man könne sich
vorstellen, dass in der Zeit neue Paarungsregeln eingeführt wurden, bei
denen nur eine kleine Anzahl von Männern den Großteil der Nachkommen
gezeugt hat, sagt Papac. „Es könnte zum Beispiel sein, dass eine Familie
besonders mächtig geworden ist.“
Dass
im dritten Jahrtausend die soziale Differenzierung in Mitteleuropa
Fahrt aufnahm, zeigt auch ein weiterer Befund. 36 der untersuchten
Skelette werden nämlich der Glockenbecher-Kultur zugerechnet. Im
Gegensatz zu den Schnurkeramikern wird deren Herkunft im Westen, auf der
Iberischen Halbinsel, verortet, wo sie früh Techniken der
Metallverarbeitung entwickelten. Von dort wanderten die
Glockenbecher-Leute in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends nach
Osten.
Es zeigte sich, dass auch ihre Männer einer einzigen
Abstammungslinie angehörten, die im Übrigen noch nie in Böhmen
nachgewiesen wurde. „Sie stammten also quasi alle vom selben Großvater
ab“, folgert Papac. Dieser sei vermutlich aus einer anderen Region nach
Böhmen gekommen. Da sein Erbgut alle vorher existierenden Y-Linien
ersetzen konnte, muss es sich um eine machtvolle Persönlichkeit
gehandelt haben, der Sex mit sehr vielen Frauen hatte, die zahlreiche
Nachkommen in die Welt setzten. Den unbekannten Urahn habe man aber
bislang nicht gefunden, sagte Papac. Wie genau es zu diesem Bruch kam,
sei noch Gegenstand der Forschung.
Ein
prominentes Vorbild aus jüngerer Zeit liefert der mongolische Eroberer
Dschinghis Khan. Genetische Langzeitstudien haben gezeigt, dass der
Fürst offenbar Tausende Kinder gezeugt hat, in seinem Harem und durch Vergewaltigungen auf seinen
Feldzügen. Sein Y-Chromosom lässt sich bis ins 13. Jahrhundert
zurückverfolgen. Hochrechnungen haben ergeben, dass 16 Millionen Männer,
die im Bereich des Mongolischen Weltreichs leben, auf dessen Begründer
zurückzuführen sind.
Wie weit Gesellschaften Mitteleuropas vor
4000 Jahren bereits gesellschaftliche Hierarchien entwickelt hatten,
zeigt auch die Aunjetitzer Kultur, die Böhmen und die Region zwischen
Erzgebirge und Harz prägte. Dort haben Archäologen monumentale Grabhügel
und reiche Grabbeigaben gefunden, die auf die Existenz einer
regelrechten Herrscherdynastie schließen lassen, die ein regelrechtes „Reich“ kontrollierte.
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