Dienstag, 30. Januar 2024

Ist Mathematik der Schlüssel zu Allem?

Der Mathematiker Gaston Julia veroeffentlichte 1918 seine Arbeit über rationale Iterationen. 1980 griff der Mathematiker Benoit Mandelbrot die fast vergessene Arbeit auf und veroeffentlichte die ersten Bilder die als Mandelbrotmenge und Apfelmaennchen bekannt wurden / The mathematician Gaston Julia published 1918 its work over rational iterations. 1980 took up the mathematician Benoit Mandelbrot the nearly forgotten work and published the first pictures as Mandelbrot-quantity and applemale became.
aus welt.de, 29. 1. 2024          
Geometrie reicht von simplen Dreiecken und Kreisen bis hin zu fraktalen Gebilden    
  zu Philosophierungen 

Mathematik-Goldmedaille für Künstliche Intelligenz
Die hohe Kunst der Mathematik ist das Beweisen allgemeingültiger Sätze und Theoreme. Bislang konnten die Wissenschaftler an dieser Stelle kaum Hilfe durch Künstliche Intelligenz erwarten. Eine KI namens „AlphaGeometry“ verblüfft jetzt mit ihren Fähigkeiten.

Einfache mathematische Berechnungen kann eine Künstliche Intelligenz wie ChatGPT problemlos bewältigen. Aber das war ja auch schon bislang mit Computern und Taschen-rechnern möglich. Mathematiker fühlen sich indes grob missverstanden, wenn man ihre Kunst lediglich als einen professionellen Umgang mit Zahlen ansieht.

Zahlen spielen in vielen Bereichen der Mathematik keine Rolle – oder nur eine untergeord-nete. In allen der sehr zahlreichen – und oft eben doch zahlarmen – Teilgebiete der Mathe-matik geht es allerdings immer darum, bestimmte Zusammenhänge und Strukturen zu er-kennen und allgemeingültige Sätze und Theoreme zu formulieren. Diese müssen dann nach strengen logischen Regeln bewiesen werden, um als geltig zu gülten.

Das Besondere an mathematischen „Wahrheiten“ ist, dass sie – einmal korrekt bewiesen, für alle Ewigkeit gültig sind – während in den Naturwissenschaften jedes Wissen grund-sätzlich vorläufig bleibt und unter dem Vorbehalt der Falsifizierung steht.

Die Winkelsumme im Dreieck

Dazu ein einfaches Beispiel aus dem Geometrie-Unterricht in der Schule. „In jedem Dreieck ist die Summe seiner drei Winkel 180 Grad.“ Dieses Theorem wurde bereits in der Antike bewiesen. An seiner Gültigkeit wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Das Beweisen von Theoremen gehört also zum Kerngeschäft von Mathematikern. Der Beweis bestimmter Aussagen ist dabei so kompliziert, dass Mathematiker bislang jahrelang daran arbeiten. Und es gibt eine Reihe „ungelöster Probleme“ für deren Bewältigung sogar Millionenbeträge ausgesetzt sind.

Dass Computer oder Künstliche Intelligenz den Mathematikern bei der Beweisführung dieser extrem harten Nüsse helfen könnte, gilt aus heutiger Sicht als ausgeschlossen. Doch seit Jahren wird versucht, Computer zum Beweis bestimmter Aussagen zu nutzen. Bei sehr „technischen Beweisen“, in denen sehr viele Detailschritte nach vorgegebenem Muster abgearbeitet werden müssen, hat es da auch schon einige Erfolge gegeben.

KI entdeckt ein neues Theorem

Jetzt berichten Forscher der New York University um Trieu Trinh in der Fachzeitschrift „Nature“ von einer Künstlichen Intelligenz, die erstaunlich gut Beweise für Theoreme in der Geometrie liefern kann. Dem AlphaGeometry genannten System wurden 30 Aussagen zur Bearbeitung vorgelegt, die in den Jahren 2000 bis 2020 Teilnehmer der Internationalen Mathematischen Olympiade (IMO) zu beweisen hatten.

AlphaGeometry schaffte es, 25 dieser Probleme zu lösen, also einen korrekten Beweis vorzulegen. Wäre AlphaGeometry ein Student, hätte er auf der IMO mit dieser Quote eine Goldmedaille errungen. Die Künstliche Intelligenz entdeckte zudem eine generalisierte Version eines Theorems, dass im IMO-Wettbewerb des Jahres 2004 bewiesen werden sollte.

Die Forscher betonen insbesondere die Fähigkeit von AlphaGeometry, die Beweisführung in einer von Menschen nachvollziehbaren Form ausgeben zu können. AlphaGeometry, das ein neuronales Sprachmodell nutzt, lässt sich bislang nur für Problemstellungen im Rahmen der ebenen Euklidischen Geometrie einsetzen. Die Forscher zeigen sich aber optimistisch, dass sich KI-Systeme künftig auch in anderen Bereichen der Mathematik einsetzen lassen. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass es auch dort genügend Trainingsmaterial gibt, mit dem die KI in seiner Lernphase gefüttert werden kann. Das ist aber fraglich.

AlphaGeometry wurde mit 100 Millionen geometrischer Theoreme und deren Beweisen trainiert, die von den Forschern als „synthetisch“ bezeichnet werden. In der Geometrie lassen sich Aussagen in großer Zahl konstruieren. Diese Vorarbeit wurde ebenfalls von Computersystemen geleistet. Die „synthetischen Theoreme“ waren dabei von sehr unterschiedlichem Komplexitätsgrad. Viele von ihnen, so schreiben die Forscher, würden mehr als 200 einzelne Schritte in der Beweisführung erfordern. Die bei der Mathematik-Olympiade gestellten Aufgaben erfordern im Durchschnitt nur eine Beweislänge von 50 Schritten. 

 

 

Nota. - Die Mathematik löst Probleme, die Menschen selbst erdacht  haben.

Ist das nicht trivial? Gibt es denn Probleme für andere als für Menschen? Und folglich sol-che, die nicht Menschen erdacht hätten?

Es gibt Probleme für Menschen, die sie nicht lediglich erdacht haben. Nämlich mit Gegen-ständen und Sachverhalten zwischen diesen Gegenständen, die sie nicht erdacht, sondern in ihrem Lebensvollzug wie immer man ihn definieren mag vorgefunden haben. Die Probleme mit den Gegenständen sind eins. Die Probleme mit den Abstraktionen sind nicht dasselbe.

Haben sie aber die Gegenstände der Mathematik nicht in in ihrem wirklichen Leben vorge-funden? 

Nein. Die Gegenstände der Mathematik sind Abstraktionen, die sie in der einen oder an-dern Absicht von den vorgefundenen Dingen angefertigt haben.* Die wirklichen Dinge und die Probleme, die man mit ihnen wirklich haben kann, kommen in der Mathemaik gar nicht mehr vor.

Nun haben wir Probleme mit den Gegentänden der Welt ja nicht, weil sie sind, wie sie sind. Das könnte uns ganz gleichgültig sein. Aber einige von ihnen sind uns als Lebensmittel nützlich und notwendig - andere sind uns als Naturgewalten feindlich und gefährlich. Will sagen, mit ihnen müssen wir was anfangen. Ein Problem ist nicht, ob sie so oder anders sind, sondern ob ich dieses oder jenes mit ihnen tun muss.

Tiefer eindringen kann ich nicht in die Dinge: Von denen erfahre ich immer nur durch die spezifischen Widerstände, die sie meinem spezifischen Handlungen entgegen setzen. Will ich meine Wissen spezifizieren, kann ich es nur auf meiner Seite tun, an der Besonderheit mei-ner Tätigkeit, denn nur die ist es, an der ich das Ding merke. Zwar kommt es mir vor, als merkte ich die Dinge selber - aber genau das gehört zu den Spezifizitäten meine Tätig-keit, die ich zu durchleuchten habe. Dass wir immer wieder an den Dingen der Welt, mit denen wir zu tun haben, Eigenarten wahrnehme, die ich in Formeln der Mathematik be-schreiben kann, schreiben wir arglos den Dingen zu, obwohl sie doch nur wie in Platos Höhlengleich-nis Abschattungen der Operationen sind, die wir an ihnen vornehmen.

"Die Frage “Ist die Welt logisch aufgebaut?” ist dieselbe Frage wie: “Ist Mathematik entdeckt oder erfunden?” Weil sich die Welt in einer ganz gewissen Hinsicht in prag-matisch erfundenen mathematischen Sätzen beschreiben lässt, kann der Eindruck entstehen, deren Folgerichtigkeit habe in der Welt schon selber drin gesteckt. Das ist das, was Kant den “dialektischen Schein” genannt hat. Es ist die Aufgabe philosophi-scher Kritik, diesen Schein zu zerstreuen.

Mathematik ist Konstruktionslehre. Sie beschreibt in ihrem Zeichensystem, zu wel-chen Konstrukten ich gelange, wenn ich im Reich der Zahlen (
=idealiter: in der Zeit; “wie oft?”) diese und im (idealen) Raum (”wo lang?”) jene Operation anstelle. Warum lässt sich die Mathematik “auf die Welt der Dinge anwenden”? Weil ich mir die Welt der Dinge so vorstellen kann, als ob ich sie selber konstruiert hätte; dann beschreibt die Mathematik in ihrem Zeichensystem, wie ich hätte verfahren müssen, um sie so zu konstruieren.
 
Mathematik ist das allgemeine operative Schema der möglichen Handlungen in Raum und Zeit. Logik ist das allgemeine Schema der möglichen Handlungen in der bloßen Vorstellung." aus Ist die Welt logisch aufgebaut?

Können wir mit der Mathematik nach überall gelangen, wohin uns unsere Einbildungskraft verschlägt? 

Als das wahre Wunder der Welt könnte sich erweisen, dass uns dieses oder jenes an ihr restlos gleichgülig ist, weil wir schlechterdings nichts damit zu tun haben und nichts an-fangen können. Was hieße dann: davon wissen? Bloß interesseloses Betrachten?

*) Wenn ich mit ihnen dieses anfange, ergibt sich jenes, und wenn ich anders verfahre, verändern sie sich anders: Das ist die Situation des Labors.
JE

 

We Are The World.

Alle waren da, fast alle: „USA für Afrika“ im Gruppenbild 
aus welt.de, 30. 1. 2024                                                                                                                     zu Geschmackssachen

Die Wahrheit hinter der größten Benefizhymne aller Zeiten
Am 28. Januar 1985 gelang es Michael Jackson und Lionel Richie, die 40 wichtigsten Popstars der Welt heimlich in ein Studio zu lotsen, um einen Song für Afrika aufzunehmen. Der Netflix-Film „The Geatest Night on Earth“ verrät, was dafür nötig war – ein handgeschriebener Zettel an der Tür.
 

Die Welt werde nach diesem Abend eine andere sein, verkündet Lionel Richie am 28. Januar 1985 in Los Angeles als Moderator der American Music Awards. Die Anwesenden halten es für eine Galafloskel. Etwa 40 unter ihnen wissen mehr: Wenige Tage vor der Preisverlei-hung haben sie eine geheime Einladung erhalten – und eine Musikkassette.

Sie werden ein Lied für Afrika aufnehmen. Lionel Richie, Quincy Jones und Michael Jackson haben sie mit einer Demoversion darauf eingestimmt. Ein Studio ist für die Nacht gebucht, der Ort wurde im Brief geschwärzt.

„The Greatest Night in Pop“ erzählt auf Netflix in 90 Minuten genau, wie „We Are the World“, die größte aller Benefizhymnen, entstanden ist. Wie Harry Belafonte 1984 kurz vor Weihnachten in Hollywood bei Lionel Richies Manager Ken Kragen im Büro auftauchte, ihm vom Hunger in Äthiopien berichtete und ein Projekt für Hilfsgelder anregte. „Harry braucht dich“, teilte Kragen Richie mit. In England lief bereits die Hymne „Do They Know It’s Christmas“ von Bob Geldof und Midge Ure. Auch Richie brauchte einen Partner. Als er Stevie Wonder nicht erreichte, rief er Michael Jackson an. Gemeinsam schrieben sie „We Are the World“.

„Lasst euer Ego draußen“

Ausführlich wird geschildert, wie verrückt es war, in Zeiten ohne E-Mail und Mobilfunk die wichtigsten Musiker Amerikas in vier Wochen gemeinsam in ein Studio zu bekommen. Doch Sensation des Films sind die Aufnahmen selbst. Die Aura und die Stimme Michael Jacksons auf dem Gipfel seines Schaffens. Lionel Richies hohe Kunst, Künstler über sämtliche Genres und Generationen hinweg zu vereinen, schon indem er einen Zettel an die Tür klebte: „Lasst euer Ego draußen!“

Quincy Jones schwebte als guter Geist über dem Chaos und sorgte für die Musik. Bob Dylan war so schüchtern, dass ihn Stevie Wonder mit einer Bob-Dylan-Parodie aufheitern musste. Cyndi Lauper nahm sogar ihr störend klirrendes Geschmeide ab. Bruce Springsteen konnte nach seiner „Born in the U.S.A.“-Tournee eigentlich nicht mehr singen.

Alle Narrative des Pop-Benefizbetriebs erledigen sich in der Dokumentation von selbst: Es heißt immer, die Stars täten es mehr für sich und für ihr Ansehen als für andere und für die Armen. Und es brächte nichts. 80 Millionen Dollar kamen durch „We Are the World“ nach Afrika, danach kam Band Aid, Live 8, eine Inflation der Wohltätigkeit für die Welt.

Auch Empathie ist eine Währung. Oder wie Bob Geldof im Film zu den Amerikanern sagt: Manchmal koste ein Leben nur so viel wie eine schwarze Plastikscheibe mit einem Loch in der Mitte. 

 

Montag, 29. Januar 2024

Es hat alles seine Ursache.

                                                          zu Philosophierungen 

Man kann das eigentliche Problem immer weiter vor sich herschieben, aber dabei wird nur immer durchsichtiger: Was wir - seit Newton und auch nach Kant - als unsere Vernunft auffassen, sträubt sich gegen den Gedanken, dass etwas ist und ist und lediglich ist: Es ist ein Ungedanke. Sofern wir denken, müssen wir uns einen vorangegangenen andern Zu-stand denken -  und einen Täter; einen, der eingegriffen und aus dem vorangegangen den gegenwärtigen Zustand gemacht hat. Der abstrakt denkende Naturwissenschaftler wird ge-wohnheitsmäßig nicht mehr an einen Verursacher, sondern an eine Ursache denken; aber sie nicht denken kann auch er nicht. 

Es ist ein Zirkel. Die Vernunft erlaubt uns nicht, ohne Kausalität zu denken. Aber Vernunft ist ursprünglich nicht anderes als das Prinzip, sich alles Seiende als verursacht vorzustellen. Denn selbstverständlich kann man sich die Welt auch anders vorstellen - nur reden wir dann nicht von denken, sondern von phantasieren; nicht von Vernunft, sondern von Irrsinn.

Die Kritik des Naturgesetzbegriffs ist nichts anderes als Vernunftkritik - so die Tendenz seit Kant. Das Vexierstück ist, dass die Vernunft sich selbst voraussetzt. Will sagen, was Ver-nunft ist und ob und wie sie sich begründen lässt, kann wieder nur mit den Instrumentarien der Vernunft entschieden werden. Die Vernunft kann sich nicht von außen prüfen, sondern muss gewissermaßen in sich zurückkriechen und sich dabei zusehen, wie sie es anstellt, am Ende 'zu sich selbst' zu kommen.

Sie kann sich dabei ihrer stolzesten Leistungen - Begriff und Schlussregeln - nicht bedienen, sie muss im Gegenteil darauf achten, bei der Rekonstruktion ihres Werdegangs dieses Ziel nie aus dem Auge zu lassen: Begriff und Schlussregeln festzustellen! Sie kann nicht argu-mentieren, sondern muss zeigen, muss an- schaulich vorführen, "wie man es sich vorstellen muss". 

Vernunftkritik ist diejenige Philosophie, in die - da hat Frau Anderl ganz Recht - die Frage nach den Natur- gesetzen letzten Endes hineinführt. Kant hatte die Transzendentalphiloso-phie bis an die Pforten seines Apriori, der zwölf Kategorien und der beiden Anschauungs-formen getrieben. Da blieb er stehen. Fichte führte die Untersuchung fort. Als allererste Voraussetzung auch des Kant'schen Apriori legt er das schlecht- hin agile Ich bloß, das 'sich setzt, indem es sich ein/em Nicht-Ich entgegensetzt'. Schon Raum und Zeit, schon die Ka-tegorien sind Weisen des Vorstellens, ja 'das Ding' selbst wird real erst, wenn es ihm entge-gensteht und als ein Dieses bestimmt und vorgestellt wird. (Wir wissen nichts als was in unserm Bewusstsein vorkommt. In unserm Bewusstsein kommen nur Vorstellungen vor.)

Kurz gesagt, in allem, was wir uns vorstellen, ist ein Macher immer schon mitgedacht, näm-lich Ich. Aber die Kritische alias Transzendentalphilosophie erlaubt uns, davon zu abstrahie-ren. Doch wenn wir vom Ver- ursacher abstrahieren, sollten wir auch von der Ursache ab-strahieren. In ontologischer Hinsicht kommt die Vernunft nie weiter als bis zu: Was ist, ist.* So verfahren die statistischen Fächer wie die Thermodynamik; die haben auch mit der Emergenz kein theoretisches Problem.

*) Will sagen: Die Erscheinung erscheint, und sonst nichts. Alle Attribute sind Zutaten der Intelligenz.  

Kommentar zu "Was ist ein Naturgesetz?", JE, 2. 3. 18


Nachtrag: Im Kausalitätsprinzip ist enthalten die Vorstellung, dass es ein Vorher und ein Nachher gibt, dass alles in der Zeit ist und alles eine Geschichte hat. Doch wird mit der Substantifizierung der "Ur"-Sachen zu dauernd Seienden das Werden, das ja unsere Lebens-welt ist, zu einer zufälligen Nebensache entwirklicht. Im nominalen Schreib- und Spechstil der all unserer Verwaltungen findet die Verdinglichung jeden Tuns ihre höhere Weihe.
JE


Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog JE

Sonntag, 28. Januar 2024

Information ohne Folgen?

                                            zuJochen Ebmeiers Realien  aus Philosophierungen 

Unlängst habe ich die Verwirrung beanstandet, die der Informations-Begriff in der öffentli-chen Diskussion anrichtet. In jedem Fach wird er in anderm Sinn verwendet. Wenn ich zum Beispiel einen Fußball in Richtung Tor schieße, gebe ich ihm eine "Information": Das hat einen Sinn, aber nur einen ganz dürftigen, oder richtiger, nur in ganz spezischem fachlichen Zusammenhang.

[Oben] ist aber von Psychologie die Rede. Aus einem Grund, den sie nicht nennt, will die Autorin von Information nur reden, wenn eine solche weitergeleitet wird; nicht aber, wenn spontan erzeugt. Wenn ein Neuron von sich aus 'feuert', erteilt es den Neuronen, zu denen es Verbindung hat, eine Information, was sonst; und in vermittelter Weise dem gesamten Organismus. Sie bringt zugleich Aufmerksamkeit und Absicht ins Spiel, die eine Informa-tion 'verstärken' und dauerhafter machen, sozusagen Information von höherem spezifi-schen Gewicht. Gemeint ist anscheinend die Dynamik, die 'in der Information steckt': ihre Fähigkeit, einen Empfänger weiter hinten in der Kette zu einer Reaktion zu veranlassen.

 


Letzteres scheint das zu sein, worauf es auf jeden Fall ankommt: nicht, was die Information 'selber ist', sondern in welchem Maß sie wirkt. Doch dann geht das Rätseln weiter: Wirkt wie eine Queue auf die Billardkugel, oder wirkt wie ein vernünftiges Argument auf einen freien Willen?

Es wird ihr nichts anderes übrigbleiben - die Autorin wird früher oder später den freien Willen als differentia specifica einführen müssen, wenn sie von Information mal in diesem, mal in jenem Sinn reden will. Da haben Aufmerksamkeit und Absicht einen Sinn. Aber für Stärke und Dauerhaftigkeit können sie in der Physik nicht verantwwortlich gemacht werden. - Kurz und gut, ich vermute, wir sind gut beraten, wenn wir auf das Wort immer dann ver-zichten, wenn es nicht eindeutig und wenn es nicht unersetzlich ist; also meistens.

 

Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog JE       

Kitsch für den erlesenen Geschmack.

 

Koichiro Kurita
Preziös und aseptisch.



 
 
 

Neugewonnene Gewissheit.

Lothar Sauer                                                               aus Philosophierungen

Die Annahme eines absoluten Rechtsgrunds allen Geltens ist das Erbe unserer 'natürlichen' Vorgeschichte. Mit dem Fortfall der 'Umwelt' verlor diese Annahme ihre praktische Verbin-dung mit den wirklichen Lebensbedingungen. Es entstand der Hiatus: das fragen-Müssen.

Das Absolute als Idee ist ein Reflexionsprodukt. Es kommt zustande, 'weil anders gar nichts gelten könnte'. Es ist eine Konstruktion a tergo. Oder, mit Fichte zu reden, eine proiectio per hiatum irrationalem. (Er hat den Jacobi besser verstanden als der sich selbst. Dafür hat der ihn besser verstanden als er sich selbst.)
aus e. Notizbuch, Mai 2007


Das Absolute ist die Wiederherstellung der Selbstverständlichkeit, die uns mit dem Verlas-sen unserer Urwaldnische verloren gegangen ist, mit andern Mitteln. Während die Gründe der Selbstverständlichkeit dem Tier als seine Umwelt gewissermaßen im Rücken liegen, haben wir die Bürgschaft allen Geltens erst noch vor Augen, und in ganz weiter Ferne.
22. 11. 14



Samstag, 27. Januar 2024

Rück-Versicherung.

rapgenius                                                         aus Philosophierungen

Das Absolute, das Unbedingte, das Vollkommene - ist das, was so ist, wie es sein soll.

Für das naive Bewusstsein ist alles "so, wie es sein soll".

Das ursprüngliche Bewusstsein der Menschen - nämlich als sie überhaupt zu Bewusstsein kamen - ist nicht naiv. Denn es ist geprägt von der Fraglichkeit von allem, was begegnet. Die Frage 'ist es so, wie es sein soll', geht auf in der Frage, was es ist. Weil die Selbstver-ständlichkeit der Urwaldnische verloren ging. 

Die Idee vom Vollkommenen, Unbedingten, Absoluten, das "so ist, wie es sein soll", ist der Wunsch, die Selbstverständlichkeit der Urwaldnische wiederzufinden.

aus e. Notizbuch, 30. 8. 10


Ja, das ist nichts anderes als im [gestrigen Eintrag]. Manch neuer Einfall ist so elementar, dass man ihn ein paarmal haben muss, bis er sitzt.
17. 2. 18

Freitag, 26. Januar 2024

Eine Krähe hackt der anderen sehr wohl...


aus Tagessspiegel.de, 26. 1. 2024                                                                                   zu Levana, oder Erziehlehre;

„Kein Vertrauen mehr“ in Pisa-Erfinder
Philologenverband fordert Aussetzen von Pisa-Studie in Deutschland
Pisa-Koordinator Schleicher hatte für das schlechte Abschneiden Deutschlands die Lehrer verantwortlich gemacht und „Befehlsempfänger“ genannt. Nun schießt der Philologenverband zurück.
 
Der Deutsche Philologenverband hat eine Aussetzung der Pisa-Erhebungen in Deutschland gefordert. Die Verbandsvorsitzende Susanne Lin-Klitzing begründete dies am Freitag mit Äußerungen des Koordinators der internationalen Schulvergleichsstudie, Andreas Schlei-cher. Mit seinen Äußerungen, dass der Lehrerberuf intellektuell nicht anspruchsvoll sei und Lehrkräfte „Befehlsempfänger“ seien, werde Schleicher „seiner Verantwortung nicht ge-recht“.

Schleicher, der als Erfinder der Pisa-Studie gilt, hatte nach den schlechten Ergebnissen für deutsche Schüler im jüngsten Pisa-Vergleich die Lehrkräfte in Deutschland scharf kritisiert. „Ich habe, ganz ehrlich, wenig Verständnis für Lehrer, die nur darauf pochen, dass sie über-lastet seien“, sagte Schleicher in einem Interview. 

 

                              Wir haben kein Vertrauen mehr in Andreas Schleicher                            Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands

 

Schleicher kritisierte zudem, in deutschen Klassenzimmern habe die Umstellung, „den Kindern und Jugendlichen vor allem selbstständiges Denken beizubringen“, noch nicht ausreichend stattgefunden.

Schlechte Pisa-Ergebnisse: Liegt es an den Lehrern?

„Wir haben kein Vertrauen mehr in die seriöse Interpretation der Pisa-Daten durch deren internationalen Koordinator Andreas Schleicher“, erklärte Lin-Klitzing. Die Koordination und Kommunikation der Pisa-Studie gehe mit einem hohen Maß an Verantwortung einher. Die den Lehrkräften von Schleicher zugeschriebene Aufgabe, dass die Schule die Probleme der Gesellschaft lösen solle, könne keine Lehrkraft und keine Schule erfüllen.

 

 

Die Verbandschefin forderte die Kultusministerkonferenz zum Handeln auf. Es liege nun in deren Verantwortung, „ob sie sich vor ihre Lehrkräfte stellt oder weiter zusehen will“, er-klärte Lin-Klitzing. Der Philologenverband vertritt Lehrkräfte an Gymnasien und anderen Bildungseinrichtungen, die zum Abitur führen, sowie Lehrbeauftragte an den Hochschulen. Der Verband hat nach eigenen Angaben aktuell etwa 90.000 Einzelmitglieder in 15 Landes-verbänden. (AFP)

 

Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog JE

Ausbleibende Antworten.

                                                                      aus Philosophierungen

Natürlich ist die Welt eine Rätselveranstaltung. Nur weil die Welt ein Rätsel ist, gibt es Phi-losophie. Und natürlich machen wir unsere Rätsel selbst. Denn nur "für uns" gibt es eine Welt. (Das Tier lebt in seiner Umwelt und wundert sich nicht.) Nur weil wir an die Welt Fragen stellen, gibt sie Antworten und ausbleibende Antworten,* alias Rätsel.
aus e. Notizbuch, Sommer 2008

*) Keine Antwort ist auch eine Antwort.
21. 8. 20

 

Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog JE

Donnerstag, 25. Januar 2024

Gratuliere der Academy zu ihrem Mannesmut.

                                                  zu Männlich

Ken.

 

 

SATB2: Das Intelligenz-Protein.

Gehirnzelle
aus scinexx.de, 24. 1. 2024                                                                                                                   zuJochen Ebmeiers Realien

Dieses Protein macht uns intelligent
Warum ein einziges Protein über unsere geistigen Leistungen entscheidet
 
IQ-Booster: Ein einziges Protein in unserem Gehirn entscheidet darüber, wie intelligent wir sind. Denn dieses SATB2-Protein kontrolliert die Form des DNA-Knäuels in unseren Neuronen – und damit auch die Zugänglichkeit und Aktivität der für unsere Intelligenz wichtigen Gene, wie Forschende herausgefunden haben. Fehlt das SATB2 ganz, sinkt der Intelligenzquotient auf einen Schlag auf weniger als 40. Auch das Risiko für neuropsychiatrische Erkrankungen wird vom SATB2-Protein beeinflusst.

Was bestimmt unsere Intelligenz und unseren IQ? Inzwischen ist klar, dass wir unsere kognitiven Fähigkeiten zum einen dem komplexen Zusammenwirken zahlreicher Gene verdanken. Sie verleihen unseren Neuronen und Synapsen die für das Lernen nötige Plastizität und sorgen für eine effiziente Vernetzung verschiedener Hirnareale. Doch auch die Umwelt prägt unsere Intelligenz: Gute Ernährung und Bildung im Kindesalter fördern sie, eine frühkindliche Schadstoffbelastung senkt dagegen den IQ.

DNA in Zellkern
Die dreidimensionale Faltung und Schlaufenbildung der DNA in unseren Zellen bestimmt, welche Gene zugänglich sind.

Welche Rolle spielt SATB2?

Doch es gibt einen Faktor, der über all diesen Einflüssen steht – und der für unsere Intelligenz unverzichtbar ist. Dabei handeltes sich um das Protein SATB2, wie Nico Wahl von der Medizinischen Universität Innsbruck und seine Kollegen herausgefunden haben. Von diesem Protein ist bekannt, dass es in den Zellkernen der Großhirnrinde und des Hippocampus präsent ist, zwei Hirnarealen, die für unser höheres Denken und Gedächtnis wichtig sind.

Schon länger besteht der Verdacht, dass es sich beim SATB2-Protein um einen Genom-Organisator handelt – eines der Kernproteine, die die dreidimensionale Struktur der DNA regulieren. Denn wie der insgesamt zwei Meter lange Erbgutfaden im Zellkern verknäuelt, in Schleifen gelegt und aufgerollt ist, bestimmt, welche Gene zugänglich sind und abgelesen werden können und welche nicht. Unklar war jedoch, wie SATB2 die DNA-Anordnung in den Gehirnzellen beeinflusst und welche Gene davon betroffen sind.

Ein Protein als DNA-Organisator

Dies haben nun Wahl und sein Team mithilfe von Mäusen und Zellkulturen menschlicher Zellen genauer untersucht. Sie schalteten dafür das SATB2-Gen in verschiedenen Hirnregionen und Zellen aus und konnten dann beobachten, wie sich die DNA-Struktur in den Neuronen dadurch verändert und wie dies Aktivität der für die Intelligenz wichtigen Gene beeinflusst.

Es zeigte sich: Das SATB2-Protein spielt tatsächlich eine zentrale Rolle für die 3D-Anordnung der DNA in den Gehirnzellen. „SATB2 bindet an die DNA und hat somit direkten Einfluss auf die Genaktivität“, berichtet Wahl. Nur wenn dieses Protein präsent ist, bildet die DNA die Schlaufen, durch die bestimmte Gene zugänglich werden. Das Protein steuert zudem, ob wichtige Promoter und Enhancer der Genaktivität in Aktion treten können. Gleichzeitig beeinflusst SATB2 auch die Arbeit weiterer für die DNA-Faltung nötiger Proteine, wie das Team feststellte.

DNA mit und ohne SATB2
Auffaltung der DNA in Neuronen mit SATB2 (links) und ohne SATB2. Die Chromosomen 4 und 14 sind blau und grün hervorgehoben. 

Aktivität hunderter Intelligenz-Gene beeinflusst

Dadurch hat das SATB2-Protein direkten Einfluss auf die Aktivität von hunderten Genen, die unsere Intelligenz prägen: „Diese für die Kognition relevanten Gene sind über das gesamte Genom verteilt, müssen beim Denken aber häufig gemeinsam abgelesen und gemeinsam reguliert werden“, erklärt Seniorautor Georg Dechant von der Medizinischen Universität Innsbruck. Erst die Präsenz des SATB2-Proteins in bestimmten Zellen der Großhirnrinde sorgt dafür, dass dieses komplexe Zusammenspiel unserer neuronalen Gene funktioniert.

Fehlt das Protein, gerät dagegen die für kognitive Leistungen notwendige DNA-Ordnung in den Gehirnzellen durcheinander: „Mausmutanten mit fehlendem SATB2 zeigten deutliche kognitive Defekte“, berichten die Forschenden. Ähnliches gelte beim Menschen: „SATB2 von Mensch und Maus ist nahezu identisch und unterscheidet sich lediglich in drei Aminosäuren“, erklärt Wahl. Um die Übertragbarkeit auf den Menschen zu testen, haben er und sein Team ihre Genomdaten aus dem Tiermodell auch an menschlichen Zellkulturen überprüft.

Erst SATB2 macht uns schlau

Insgesamt bestätigen die Analysen, dass das SATB2-Protein eine entscheidende Rolle für unsere Intelligenz spielt. „Das SATB2-Gen ist im Menschen für die kognitive Leistungsfähigkeit von enormer Bedeutung. Bei einer Mutation des SATB2 Gens sinkt der Intelligenzquotient auf weniger als 40“, sagt Co-Seniorautorin Galina Apostolova von der Medizinischen Universität Innsbruck. Die zusätzlichen Tests mit menschlichen Hirnzellen zeigten zudem klar, dass viele IQ-relevante Gene für ihr korrektes Funktionen von SATB2 abhängig sind.

Darüber hinaus lieferten die Analysen erste Hinweise darauf, dass auch einige neuropsychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie eng mit dem SATB2-Protein verknüpft sind. Ist das Protein durch Mutationen verändert, beeinflusst dies die 3D-Struktur von entsprechenden Risiko-Genorten. „Es war eine Überraschung, dass SATB2 spezifisch diese Risiko-Loci beeinflusst“, sagt Dechant. „Wir vermuten daher, dass neuropsychiatrische Erkrankungen durch die ungeeignete 3D-Struktur der DNA verstärkt oder verursacht werden.“ (Molecular Cell, 2024; doi: 10.1016/j.molcel.2023.12.024)

Quelle: Medizinische Universität Innsbruck

Mittwoch, 24. Januar 2024

Schusters Leisten.

Leisten von Fagus                                                                    zuJochen Ebmeiers Realien

Sie haben bemerkt, dass ich mich gelegentlich zu Themen der realen Wissenschaften äuße-re; ohne sachlich viel davon zu verstehen, wie ich immer wieder hinzufüge: also dilettan-tisch?

Möchte ich nicht sagen. Denn ich gebe Acht, mich nie in das jeweilige Fach zu begeben, sondern fein außerhalb zu bleiben, wo ich mich auf wissenslogische Fragen beschränke, über die ich etwas weiß. 

Das jedenfalls ist meine gute Absicht. Wer sich in einem Fach aber nicht auskennt, kann auch nicht recht seine Grenzen erkennen - nicht, wo es endet, und auch nicht, wo es an-fängt. Dass ich mich gelegentlich vergreife, ist also kaum zu vermeiden - höchstens be-komme ich nachträglich meine Bedenken.

Ich hoffe, Sie sehen's mir nach und bitte Sie gegebenenfalls um die erforderlichen Berich-tigungen. Aber bitte ich feundlichem Ton, ich bin etwas empfindsam.

 

Dienstag, 23. Januar 2024

Bestehen Schwarze Löcher aus Dunkler Energie?

Webb, JWST, Galaxienaus spektrum.de, 22. 1. 2024                                                                          Ein Blick in den Sternenhimmel offenbart zahllose Sterne. Doch über das Dunkel zwischen ihnen wissen wir kaum etwas.                                                              zuJochen Ebmeiers Realien

Schwarze Löcher könnten aus Dunkler Energie bestehen
Als eine Forschungsgruppe die Entwicklung von Galaxien und Schwarzen Löchern untersuchte, stieß sie auf eine Überraschung – und lieferte eine erstaunliche Erklärung der Dunklen Energie.

Das Universum ist ein dunkler Ort. Zwar ist der nächtliche Himmel übersät mit funkelnden Sternen, rund 3000 kann man mit bloßem Auge erkennen. Allein in unserer Galaxie sind es mindestens rund 100 Milliarden. Das ergibt einen ziemlich großen Teppich an kleinen Kerzen. Lange Zeit beschränkte sich die Kosmologie auf die Erforschung ebensolcher sichtbarer Objekte. Doch vor 30 Jahren knipste eine Erkenntnis den Kosmologinnen und Kosmologen schlagartig das Licht aus: All die Elektronen, Protonen und Neutronen, aus denen Sterne, Planeten und alles Übrige im Weltall bestehen, machen gerade einmal etwas mehr als vier Prozent des Universums aus. Die restlichen knapp 96 Prozent liegen buchstäblich im Dunkeln – weil man sie bisher nicht direkt beobachten konnte, aber auch, weil niemand genau weiß, was sie überhaupt sind.

Der Löwenanteil dieser 96 Prozent wird als Dunkle Energie bezeichnet. Diese ist nach unserem heutigen Verständnis dafür verantwortlich, dass sich unser Universum ausdehnt. Allerdings tappen die Fachleute völlig im Dunkeln, wenn es darum geht, diese treibende Kraft genauer zu beschreiben. Die experimentell gesammelten Daten lassen vielfältige Schlüsse zu: von einer fünften Grundkraft bis hin zu mysteriösen Teilchen. Im Februar 2023 hat ein Forschungsteam um den Astrophysiker Duncan Farrah von der University of Hawaii eine hitzige Diskussion in der Fachwelt ausgelöst. Eine Auswertung von gesammelten Beobachtungsdaten führte die Forschenden zu einer überraschenden These: Die rätselhafte Dunkle Energie könnte sich im Inneren Schwarzer Löcher verbergen.

 

 

Auch wenn diese Annahme manche Beobachtungen erklären würde, wirft sie allerlei neue Fragen auf – insbesondere in Bezug auf Schwarze Löcher. Viele Fachleute stellen deshalb die These von Farrah und seinem Team in Frage. Doch brauchbare Alternativen für die Deutung Dunkler Energie sind bisher Mangelware. An Ideen fehlt es nicht, aber ohne empirische Hinweise, die sie stützen oder verwerfen, wird das physikalische Problem schnell philosophisch: Was sollte eine physikalische Theorie erfüllen? Genügt es, wenn sie einfach ist und zu den Beobachtungen passt? Oder muss sie bis ins kleinste Detail erklären können, was vor sich geht?

Ein Blick ins Dunkel offenbart noch mehr Dunkelheit

Dass die Dunkle Energie existieren muss, hat wie so vieles in der Physik mit Albert Einstein zu tun. Die allgemeine Relativitätstheorie ist die nach heutigem Stand beste Theorie, um zu beschreiben, was auf großen Skalen im Universum passiert. Genauer: Das Standardmodell der Kosmologie ist eine exakte Lösung der Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie mit der so genannten Friedmann-Lemaître-Robertson-Walker-Metrik (FLRW-Metrik). Sie fußt auf den grundlegenden geometrischen Annahmen, dass das Universum homogen (einheitlich) und isotrop (in alle Raumrichtungen gleich) ist, es also überall und in jede Richtung die gleichen Gesetze befolgt. Zudem hält das Standardmodell eine Beobachtung fest, die noch zu Einsteins Lebzeiten gemacht wurde: Das Universum ist nicht starr und unveränderlich, sondern es expandiert. Die FLRW-Metrik beschreibt also eine Raumzeit, die homogen, isotrop und beweglich ist. Von dieser Grundlage lässt sich mit den einsteinschen Feldgleichungen der Zustand des Universums – zumindest theoretisch – zu jedem Zeitpunkt berechnen.


»Eine beschleunigte Expansion ist sehr schwer zu erklären, weil das Universum dafür etwas tun muss, von dem niemand dachte, dass es das tun könnte« Duncan Farrah, Astrophysiker


Ende der 1990er Jahre, gut 80 Jahre nachdem Einstein seine Theorie der Preußischen Akademie der Wissenschaften vorgetragen hatte, machten zwei Forschungsteams unabhängig voneinander eine Beobachtung, die der Kosmologie das Licht ausknipsen sollte. Man wusste bereits, dass sich das Universum ausdehnt, nur nicht, in welchem Ausmaß. Denn die FLRW-Metrik ließ mehrere Szenarien zu. Sie alle hatten aber gemeinsam, dass sich die Expansion verlangsamt, dem Universum also mit der Zeit die Puste ausgeht. Die zwei Forschungsgruppen fanden jedoch nicht nur heraus, dass von Verlangsamung keine Spur ist – sie maßen sogar eine Beschleunigung.

»Eine beschleunigte Expansion ist sehr schwer zu erklären, weil das Universum dafür etwas tun muss, von dem niemand dachte, dass es das jemals tun könnte – nicht mal Albert Einstein«, sagt der Astrophysiker Duncan Farrah. Denn das Universum ist gefüllt mit Sternen, Planeten und Galaxien, also mit einer ganzen Menge Materie, die sich gegenseitig anzieht. Und wenn man einen beweglichen, sich ausdehnenden Behälter mit lauter anziehenden Objekten füllt, sollte das die Ausdehnung eigentlich verlangsamen.

Plötzlich waren die Kosmologen und Kosmologinnen mit einem Phänomen konfrontiert, das unmöglich ist und trotzdem gleich zweimal unabhängig voneinander beobachtet wurde. Folglich musste noch etwas anderes in diesem Behälter sein, das die Raumzeit immer schneller auseinandertreibt. Und es musste laut Messungen mindestens 70 Prozent der gesamten Materie und Energie ausmachen, während der sichtbare Anteil lediglich vier Prozent betragen konnte (die übrigen 26 Prozent sind nach heutiger Kenntnis Dunkle Materie). Dieses Etwas musste seine abstoßende Wirkung im Universum außerdem trotz Expansion konstant und überall gleichmäßig ausüben. Der Astrophysiker Michael S. Turner taufte es schließlich »Dunkle Energie«.

Kaum Fortschritt in der Forschung

Viel mehr hat man seither über die Dunkle Energie nicht herausfinden können. Immer feinere Messungen der Expansionsrate haben ihren prognostizierten Anteil über die Jahre auf 72 Prozent steigen lassen. Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung weisen mittlerweile außerdem darauf hin, dass das Universum keine geometrische Krümmung hat. Da laut Einstein die Krümmung der Raumzeit von der in ihr enthaltenen Masse abhängt und die sichtbare Materie bei Weitem nicht ausreicht, um für ein flaches Universum zu sorgen, braucht man auch hier zusätzlich etwas von der Größenordnung der Dunklen Energie. Doch all das sind nur indirekte Hinweise, Korrekturen, die Kosmologinnen und Kosmologen in ihren Annahmen vornehmen, damit das Standardmodell weiterhin funktioniert. Bis heute konnte die Dunkle Energie nicht direkt nachgewiesen werden. Sie ist so undurchschaubar wie vor einem Vierteljahrhundert.

Physiker und Physikerinnen lassen sich aber von rätselhaften bis hin zu jeglicher Intuition widersprechenden Beobachtungen nicht entmutigen. In der Quantenfeldtheorie fanden sie einen ersten Erklärungsansatz für die Dunkle Energie. Diese besagt nämlich, dass das Vakuum nicht leer ist, wie man zunächst annehmen könnte. Stattdessen sei es durchzogen vom Flackern spontan entstehender Teilchen-Antiteilchen-Paare, die sich sofort wieder gegenseitig vernichten. Diese so genannte Vakuumfluktuation verleiht dem Vakuum eine Energie, die einen negativen Druck erzeugen und so die Raumzeit auseinandertreiben würde.

Eine Abbildung des Weltraums vom Urknall bis heute
Kosmische Ausdehnung | Nach heutigem Wissensstand gab es kurz nach dem Urknall eine Phase der Inflation, in der sich das Universum unheimlich schnell ausdehnte. Doch auch jetzt dehnt sich der Kosmos noch immer beschleunigt aus. Woran das liegt, ist unklar.

Diese Vakuumenergie eignet sich auf den ersten Blick also perfekt als Kandidat für die Dunkle Energie. Auf den zweiten Blick fällt allerdings auf, dass die Größenordnungen nicht im Geringsten zusammenpassen: Der von der Quantenfeldtheorie vorhergesagte Wert ist um stolze 120 Größenordnungen größer als nötig. Dieser enorme Unterschied wird manchmal als die größte Diskrepanz zwischen Theorie und Experiment in der gesamten Wissenschaft bezeichnet. Trotzdem bleiben die Fluktuationen, die das Vakuum gleichmäßig durchziehen, für viele der bisher vielversprechendste Ansatz.

Da sich die zwei postulierten Energiewerte seither aber kaum näher zusammenbringen ließen, suchen Kosmologinnen und Kosmologen auch nach alternativen Ansätzen, unter ihnen Farrah und sein internationales Team. Im Februar 2023 veröffentlichten sie im »Astrophysical Journal« zwei Arbeiten, die zu hitzigen Debatten führten. Ihre These: Dunkle Energie ist nicht wie bei der Quantentheorie überall gleichmäßig in der Raumzeit verteilt, sondern sitzt an ganz bestimmten Orten im Universum, nämlich im Inneren Schwarzer Löcher.

Schwarze Löcher als Erklärung für Dunkle Energie?

Schwarze Löcher sind deutlich besser erforscht als die Dunkle Energie – zumindest von außen. Immerhin hat man sie schon beobachten, in zwei Fällen sogar fotografieren können. Doch wenn es um ihr Inneres geht, steht auch hier ein großes, dunkles Fragezeichen. 

Schwarze Löcher sind astronomische Objekte mit sehr viel Masse bei sehr kleinem Volumen. Sie werden üblicherweise als Raumzeit mit derart extremer Krümmung beschrieben, dass sich an ihrem Rand ein so genannter Ereignishorizont bildet. Demnach ist die Gravitation hier so groß, dass weder Materie noch Strahlung wie Licht oder andere Formen von Information entkommen können, nachdem sie die Grenze einmal überschritten haben. So besagt es zumindest die Kerr-Metrik, eine Lösung der einsteinschen Feldgleichungen für rotierende Schwarze Löcher, die jegliche Interaktion mit deren Innerem kategorisch ausschließt. Sie schließt damit allerdings ebenso aus, dass man die Kerr-Lösung über den Ereignishorizont hinaus überprüfen kann. Sicher ist nur: Von außen sehen Schwarze Löcher so aus, wie die Kerr-Lösung es vorhersagt.

Diesen rätselhaften Objekten widmeten sich Farrah und sein Team in ihrer ersten Studie. Sie werteten darin Daten zu den Massen supermassereicher Schwarzer Löcher im Zentrum von Galaxien im Vergleich zur Masse aller Sterne in den Galaxien aus. Seit Längerem ist bekannt, dass die beiden Werte miteinander verbunden sind – je schwerer das Schwarze Loch im Zentrum, desto mehr Sterne befinden sich in dieser Galaxie. Die Eigenschaften des Schwarzen Lochs hängen also in irgendeiner Form mit denen seiner Galaxie zusammen.

Tortendiagramm
Anteil der Materie im Weltall | Gewöhnliche Materie macht nur etwas mehr als vier Prozent des Inhalts unseres Universums aus. Der größte Teil (etwa 72 Prozent) scheint aus Dunkler Energie zu bestehen.
 
Um mehr über diesen Zusammenhang zu erfahren, werteten Farrah und sein Team zwei bereits bestehende Datensammlungen aus: einerseits von elliptischen Galaxien in unserer näheren Umgebung und andererseits von weit entfernten Exemplaren, deren Informationen uns erst nach sechs Milliarden Jahren erreichen. Die Daten decken folglich einen großen Zeitraum ab. Die Forscherinnen und Forscher beschränkten sich auf elliptische Galaxien, da man bei diesen sehr alten Gebilden auch über lange Zeitskalen hinweg keine großen Veränderungen erwartet, auch nicht bezüglich des Verhältnisses der beiden genannten Massen.

Das Team fand aber etwas ganz anderes vor: Während die Masse der Galaxien sich wie erwartet kaum verändert hatte, war die Masse der Schwarzen Löcher erheblich gestiegen, und zwar ungefähr um den Faktor sieben. »Wir stellten fest, dass die Massen dieser supermassereichen Schwarzen Löcher nach einem ziemlich einfachen Muster mit der Zeit wuchsen: Wenn das Volumen des Universums sich verdoppelt hatte, hatte sich auch die Masse der Schwarzen Löcher verdoppelt«, so Farrah. Dieses Muster könnte reiner Zufall sein: »Ich würde nicht sagen, dass es unmöglich ist, das auf konventionelle Weise zu erklären«, so Farrah, »aber es ist schwierig.«

Das Ergebnis inspirierte das Team zu einer zweiten Veröffentlichung, in der es eine unkonventionelle Erklärung für ihre Beobachtung anbietet. Seine These basiert auf zwei Annahmen: Erstens wächst die Masse der Schwarzen Löcher im gleichen Verhältnis an wie das Universum. Bleibt zweitens die Anzahl Schwarzer Löcher gleich, so gilt bei einem expandierenden Universum: Je größer das Universum wird, desto kleiner wird die Anzahl Schwarzer Löcher pro Volumen.

 

»Die kurze Antwort ist: Ich weiß es nicht. Die längere Antwort ist: Ich glaube nicht, dass irgendjemand es weiß« Duncan Farrah, Astrophysiker

 

Zusammen ergeben die Annahmen, dass die Massedichte Schwarzer Löcher im Universum konstant bleibt. Das mag zunächst nicht sonderlich aufregend klingen, doch Farrah und sein Team machte es stutzig. »Das Seltsame an Dunkler Energie ist, dass man erwartet, dass ihre Energiedichte gleich bleibt, während das Universum expandiert«, so Farrah, »und das ist das komplette Gegenteil zum Verhalten gewöhnlicher Materie.« Doch die Massedichte Schwarzer Löcher scheint sich in diesem Zusammenhang wie die Dunkle Energie zu verhalten. Es sei das erste Mal, dass man auf dieses seltsame Verhalten im Universum gestoßen ist. Könnte es sein, dass diese Schwarzen Löcher nicht nur wie Dunkle Energie agieren, sondern tatsächlich aus Dunkler Energie bestehen? Laut Farrah ist das zumindest möglich und sollte diskutiert werden: »Ich glaube nicht, dass diese Hypothese in irgendeiner Form bewiesen ist oder auch nur starke Hinweise dafür sprechen, aber ich bin überzeugt, dass sie eine interessante Möglichkeit darstellt, der man weiter nachgehen sollte.«

Die von Farrah und seinem Team postulierten neuartigen Objekte würden weiterhin von außen wie die durch die Kerr-Lösung beschriebenen Schwarzen Löcher aussehen, und Farrah würde sie auch weiterhin als solche bezeichnen. Sie hätten aber vermutlich keinen Ereignishorizont mehr, da die Dunkle Energie, die in ihrem Inneren säße, durchaus mit der Außenwelt wechselwirken würde – schließlich ist sie für die beschleunigte Expansion des Universums verantwortlich. Wie genau die Dunkle Energie in den Schwarzen Löchern die Ausdehnung verursachen würde, ist Farrah noch nicht klar: »Die kurze Antwort ist: Ich weiß es nicht. Die längere Antwort ist: Ich glaube nicht, dass irgendjemand es weiß.«

Dass Schwarze Löcher im Inneren aus Vakuumenergie bestehen, ist keine neue Idee, sondern wird in der Kosmologie schon seit den 1960er Jahren diskutiert. Ganz so ideal ist die Kerr-Lösung nämlich nicht. Tatsächlich braucht man zusätzliche Annahmen, um Schwarze Löcher auf großen Skalen zu beschreiben. Denn in der Kerr-Lösung ist die Raumzeit starr, was nicht zum expandierenden Universum passt.

Die beschleunigte kosmische Ausdehnung könnte dadurch zu Stande kommen, dass der negative Druck der Vakuumenergie das Innere des Schwarzen Lochs wie ein Gummiband auseinanderzieht, wodurch sich der negative Druck weiter erhöht und noch stärker am Gummiband zieht. Sollte sich herausstellen, dass Schwarze Löcher tatsächlich die Quelle für Dunkle Energie sind, hätte man somit gleich zwei große Rätsel auf einmal gelöst: den Ursprung der Dunklen Energie und eine bessere Beschreibung Schwarzer Löcher.

Es fehlt allerdings noch an alternativen Modellen für einen solchen Geniestreich. Die Kerr-Lösung ist bisher die einzige, die Schwarze Löcher auf kleinen Skalen beschreiben kann. Die These von Farrah und seinem Team bietet demnach eine Erklärung für das Phänomen Dunkle Energie, wirft aber im Gegenzug weitere drängende Fragen auf, für die noch keine Antwort in Sicht ist. Matthias Bartelmann, Professor für theoretische Astrophysik an der Universität Heidelberg, begegnet ihr daher mit großer Skepsis.

Eine einfache Lösung, die viele Fragen offen lässt

Schwarze Löcher seien auf kosmologischen Längenskalen viel zu klein, als dass ein bedeutender Einfluss auf die Ausdehnungsrate des Universums plausibel wäre. »Wenn ich ein einzelnes Schwarzes Loch selbst von einer Millionen Sonnenmassen betrachte, dann bekomme ich einen Radius (des Ereignishorizonts) von ungefähr einer Millionen Kilometern – und das ist winzig im Vergleich zu kosmologischen Längenskalen«, so Bartelmann. Dass die Kerr-Lösung die Raumzeit als starr beschreibt, sei daher auch eine zulässige, in der Physik übliche Vereinfachung. »Wenn Sie Fluiddynamik betreiben, interessiert es Sie ja auch nicht, dass das Wasser, in dem Sie schwimmen, aus Molekülen zusammengesetzt ist.« Zudem erklärten Farrah und seine Kolleginnen und Kollegen das Phänomen der beschleunigten Ausdehnung, das sehr homogen ist, mit den sehr inhomogen verteilten Schwarzen Löchern.

Argumente wie diese widerlegen Farrahs These nicht, sorgen jedoch dafür, dass viele Physiker und Physikerinnen bei ihrem Anblick erst einmal die Augenbrauen hochziehen. Für Bartelmann liegt aber das größte Problem in der Dunklen Energie selbst.

Die Aufnahme von Sagittarius A* des Event-Horizon-Teleskopverbunds
Sagittarius A* | Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße, aufgenommen vom Event-Horizon-Teleskop.

Denn es gibt auch eine Möglichkeit, die einsteinschen Feldgleichungen an die beschleunigte Ausdehnung anzupassen, ohne dieses mysteriöse Etwas zu postulieren. Die Idee stammt wieder einmal von Einstein selbst, der den Trick anwendete, um sein starres, mit anziehender Materie gefülltes Universum vor dem Kollaps zu retten. Dazu führte er eine Konstante als Gegengewicht zur Gravitation in seine Gleichungen ein. Als Beobachtungen dann eine Expansion des Universums zeigten, musste Einstein einfach nur den Wert der Konstante daran anpassen.

Diese »kosmologische Konstante« oder kurz Lambda (Λ) ist seitdem fester Bestandteil des Standardmodells und kann auch die beschleunigte Ausdehnung in die Gleichungen einführen. »Die einfachste Möglichkeit, die Dunkle Energie zu erklären, ist die kosmologische Konstante, und die halte ich auch nach wie vor für die beste Erklärung«, stellt Bartelmann fest. Der Mathematiker David Lovelock habe sogar gezeigt, dass Lambda nicht nur eine Verlegenheitslösung, sondern eine mathematische Notwendigkeit ist. Dieser hatte Anfang der 1970er Jahre im »Journal of Mathematical Physics« bewiesen: Für jede lokal wirkende Gravitationstheorie in einer vierdimensionalen Raumzeit, die nur mit Ableitungen zweiter Ordnung arbeitet, sind die einsteinschen Feldgleichungen die einzig mögliche Lösung. Und diese enthalten sowohl die newtonsche Gravitationskonstante G als auch die kosmologische Konstante. »Man kann auch sagen: Lovelock hat gezeigt, dass Gravitation sowohl anziehend als auch abstoßend sein kann«, resümiert Bartelmann.

 

»Solange ich keine empirischen Argumente für die komplizierte Lösung habe, muss ich zu der einfacheren greifen« Matthias Bartelmann, Astrophysiker

 

Statt also den Wert von Λ durch eine neuartige Form von abstoßender Energie zu erklären, die sich bisher nicht beobachten ließ, plädiert Bartelmann dafür, sie einfach als notwendig hinzunehmen: »Solange ich keine empirischen Argumente für die komplizierte Lösung habe, muss ich zu der einfacheren greifen.« Sonst begebe man sich auf einen schlüpfrigen Pfad, denn: »Physik ist die Denkbewegung, möglichst viele empirisch festgestellte Phänomene auf möglichst wenige, vereinheitlichende mathematische Strukturen abzubilden.«

Für Farrah ist das keine Option. Zwar könne man Λ genau so anpassen, dass die Theorie den Beobachtungen entspricht, doch das liefere keinerlei Erklärung für das Phänomen, dass Gravitation nicht nur anziehend, sondern auch abstoßend sein kann. »Für mich ist Physik die Suche sowohl nach der Frage, warum etwas ist, als auch, was etwas ist«, so Farrah.

Die Dunkle Energie wird zu einer philosophischen Frage

Am Umgang mit der Dunklen Energie zeigt sich, was man grundlegend von physikalischen Theorien erwartet. Langsam beginnt daher auch die Philosophie das Thema für sich zu entdecken. Der Wissenschaftsphilosoph Niels Martens von der Universität Utrecht und ehemaliger Fellow des Projekts Philosophy of Dark Energy ordnet die Positionen der zwei Physiker auf der Skala zwischen Empirismus und Anti-Empirismus ein.

Empirismus ist eine Position in der Erkenntnistheorie, nach der Wissen nur auf direkter Sinneswahrnehmung fußen kann. In ihrer extremen Form ist die Position heutzutage in der Wissenschaftsphilosophie eher unüblich. Doch während Bartelmann den Bezug zu empirischen Beobachtungen für besonders wichtig hält und somit eher ein empiristisches Bild von Wissenschaft hat, ist Farrah auch zu spekulativeren Hypothesen ohne direkte empirische Grundlage bereit, solange sie auf der Suche nach Erklärungen helfen.

 

»Die kosmologische Konstante ist nach Ockhams Rasiermesser die einfachste Annahme« Matthias Bartelmann, Astrophysiker

 

Das von Bartelmann angeführte Prinzip, möglichst viel mit möglichst wenig zu erklären, wird in der Philosophie als Ockhams Rasiermesser bezeichnet. Es ist nach dem Philosophen Wilhelm von Ockham benannt, der im 14. Jahrhundert zur Sparsamkeit beim Postulieren von Entitäten aufgerufen hatte. In dieser Hinsicht hat die Dunkle Energie tatsächlich keine besonders gute Bilanz, da sie nur ein einziges Phänomen abdeckt. »Eine neue Entität hinzuzufügen, um genau ein Problem zu lösen, ist laut vielen Wissenschaftsphilosophen keine sonderlich gute Wissenschaft«, so Martens. Er stimmt daher Bartelmann zu: »Die kosmologische Konstante ist nach Ockhams Rasiermesser die einfachste Annahme.« Aber sie liefere eben auch keine richtige Erklärung – »damit passt man tatsächlich nur seine Kurvenfunktion an die Datenpunkte an«.

Wer die Dunkle Energie einfach aus der Theorie wegrasiert und sich mit Λ zufriedengibt, zahlt also an anderer Stelle einen hohen Preis. Ob er zu hoch ist oder nicht – darüber lässt sich wie immer in der Philosophie hervorragend streiten. Sollten sich irgendwann sowohl die Konstante als auch die Dunkle Energie als zu teuer erweisen, könnte es am Ende sogar der allgemeinen Relativitätstheorie selbst an den Kragen gehen. Schließlich betreiben die Fachleute den Aufwand bloß, um ihre Gleichungen immer wieder an die Beobachtungen anzupassen.

Eine solche ausgewachsene Krise sieht Martens in der Kosmologie zurzeit noch nicht: »Das Standardmodell, das die meisten Kosmologen weithin akzeptieren, sagt schlicht: Dunkle Energie ist eine Konstante. In gewissem Sinn gibt es also gar keine Kontroverse. Aber es gibt trotzdem Leute, die versuchen, Abweichungen von dieser Konstante zu messen. Und ich würde sagen, das ist auch gut so.« Anders als in der Teilchenphysik, in der lange Zeit jeder einfach nur nach Hinweisen für seine Lieblingstheorie gesucht habe, werde hier das kosmologische Standardmodell sehr systematisch überprüft. Ob das allerdings zu den gewünschten Ergebnissen führt, ist noch nicht ganz klar.

»Ich hoffe, dass dieses Jahrzehnt das Jahrzehnt sein wird, in dem wir endgültige Antworten finden« Duncan Farrah, Astrophysiker

Im November 2023 haben beispielsweise der Philosoph William J. Wolf und der Astrophysiker Pedro G. Ferreira im Fachjournal »Physical Review D« eine Arbeit veröffentlicht, in der sie argumentieren, dass Quantenfeldmodelle der Dunklen Energie notwendigerweise unterbestimmt sind. Selbst immer genauere Beobachtungsdaten könnten demnach nicht entscheiden, welches Modell das richtige ist, da in jedem Fall mehrere zu den Daten passen würden.

Das Muster in den empirischen Daten, das Farrah und sein Team entdeckt haben, macht Martens dennoch neugierig: »Ich glaube, sie haben Recht, dass es da etwas gibt, was wir noch nicht verstehen. Ob das Dunkle Energie ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Aber sobald sie es herausfinden, würde ich es gerne erfahren.« Wenn es nach Farrah geht, sollte das nicht mehr allzu lange dauern. »Ich hoffe, dass dieses Jahrzehnt das Jahrzehnt sein wird, in dem wir endgültige Antworten finden.« Vielleicht werden es ja am Ende die Schwarzen Löcher sein, die das Licht für die Kosmologie wieder anknipsen.

 

Nota. - Physikalische Fragen sind physikalische Fragen und keine philosophischen. Die gedanklichen Voraussetzungen physikalischer Theorien sind - wie Ockhams Rasiermesser - allerdings nicht Gegenstand physikalischer Theorie. Sie sind Sache der Vorstellungskraft - und wenn man will: der philosophischen Spekulation. Die Physik schafft sich ihre wissens-logischen Prämissen nicht selber, sowenig, wie die Philosophie physikalische Modelle er-probt.

In diesem Fall: Die Kosmologie kann die Modelle, die sie exprimentell überprüfen will, nicht Stück für Stück und Schritt um Schritt aus Quanten zusammenpuzzeln - das könnte ewig (!) dauern und keiner wüsste, wo er anfangen soll.* Die Modelle müssen im Großen - en gros - ersonnen und mit den einstweilen definitiven Details vorheriger bewährter For-schung erfüllt werden. Das mag dazu führen, dass vorherige Forschungsergebnisse revidiert werden müssen, um taugliche Modelle zu entwerfen. Durchs Experiment muss man immer wieder hindurch, aber um die Spekulation kommt man auch nicht herum. Und die verfährt pragmatischer Weise top down und nicht bottom up.

Auch die Quantenphysik entdeckt neue Teilchen nur, weil sie 'von oben' danach sucht, und nicht, weil sie sich 'von unten' dazwischendrängeln, oder sehe ich das falsch? 

*) Top down ist der Ausgangspunkt offenbar der gegebene Zustand des Gesamtsystems.
JE

Blog-Archiv

Aus unserer Intelligenz kann noch was werden.

aus derStandard.at, 4. 7. 2024   Sich durch teils komplexe Internetseiten zu navigieren ist eine große kognitive Leistung, sagt Pietschni...