Sonntag, 1. Januar 2023

Sesshaftigkeit kam vor dem Ackerbau.

aus FAZ.NET, 19. 12. 2022                                                                             zu öffentliche Angelegenheiten

Das wissen wir über die ersten Monumentalbauten der Welt
In Südanatolien wurden in den letzten Jahren die ältesten Großbauwerke der Menschheit gefunden. Wie wurden sie errichtet, was fand in ihnen statt? Interview mit dem Grabungsleiter Necmi Karul über neueste Erkenntnisse.

von UWE EBBINGHAUS

Herr Prof. Karul, warum befinden sich die ältesten bisher gefundenen Monumental-Bauwerke der Menschheit – allen voran das Unesco-Welterbe Göbekli Tepe, das 15 Kilometer nordöstlich der türkischen Stadt Şanlıurfa liegt – ausgerechnet in diesem heute öden, abgelegenen Gebiet zwischen der Türkei und Syrien?

Neue klimatische Bedingungen nach der Eiszeit in Südwestasien ermöglichten es den Arten der gemäßigten Klimazonen, sich in größeren Gebieten als zuvor auszubreiten. Das gilt auch für diese Gegend, in der, wie man weiß, in der jüngeren Steinzeit Pflanzen kultiviert und Tiere domestiziert wurden. Man weiß heute aber auch, dass der Übergang zur Sesshaftigkeit und die damit einhergehenden sozialen Veränderungen nicht durch die Nahrungsmittelproduktion verursacht wurden, sondern dass die Nahrungsmittelproduktion eine Folge dieses Übergangs war.

Woher weiß man so genau, dass in der Gegend um Göbekli Tepe, was „bauchiger Hügel“ bedeutet, der Ackerbau auf die Sesshaftigkeit folgte?

Bislang wurden in diesen ersten dauerhaften Dörfern keine Anzeichen für den Anbau von Pflanzen gefunden. Wir haben es also nicht mit einer Gesellschaft zu tun, die sich vollkommen der Nahrungsmittelproduktion widmete. Durch die Sesshaftigkeit bekommen die Menschen ein neues Verhältnis zu ihrer Umwelt. Es gibt neue Verbindungen zu Pflanzen und Tieren, die sich domestizieren lassen oder nicht. Die Domestizierung hat lange gedauert, Jahrhunderte.

Wie sah die Gegend im 10. Jahrtausend vor Christus aus – so wie heute oder vollkommen anders?

Sie sah vollkommen anders aus. Die Region war im frühen Holozän mit großen Grasflächen bedeckt, die mit kleinen Pistazien- und Mandelbaumbeständen durchsetzt waren. Heute wird die Region von einer steppenähnlichen Umgebung beherrscht, die jetzt intensiv bewirtschaftet wird. Außerdem gab es mehr Wasser als heute. Viele Tiere streiften durch die Gegend: Schafe, Ziegen, Auerochsen, Schweine und Gazellen. Die Rinder waren doppelt so groß wie heute, es war nicht so einfach, sie zu jagen. Und auch die anderen Tiere sahen anders aus als die heutigen domestizierten. Die Schafe etwa hatten längere Beine und längere Hörner. In der Gegend um Göbekli Tepe begann vieles, was die spätere Menschheitsgeschichte prägte. Hier fand ein großer Wandel statt.

Von wo kamen die Menschen, die sich hier im 10. Jahrtausend vor Christus niederließen?

Woher diese Gemeinschaften stammten oder wie lange sie schon in demselben Gebiet lebten, ist eine der wichtigen Fragen, der wir im Şanlıurfa Neolithic Research Project (Taş Tepeler) weiter nachgehen wollen. Die Anfänge von Göbekli Tepe datieren wir auf die Zeit von 9600 vor Christus, neue Ausgrabungen beweisen, dass es in der Region noch ältere Siedlungen als Göbekli Tepe gab. Wenn es sich bei dieser Kultur nicht um eine lokale Entwicklung handelt, gehen wir neuerdings davon aus – insbesondere, wenn wir die symbolischen Elemente berücksichtigen –, dass ihre Ursprünge eher im Norden als im Süden liegen.

Wie sicher ist diese Datierung?

Wir sind sehr sicher, dass sie richtig ist; entscheidend ist für die Karbondatierung immer organisches Material in einem bestimmten Kontext. Wir gehen dabei nicht von nur einer Fundstelle aus, sondern von mehreren Fundstellen und Ausgrabungen mit ähnlichen kulturellen Elementen.




Das Zentralgebäude von Göbekli Tepe mit seinen markanten T-Pfeilern, auf denen neben Tierdarstellungen auch die Konturen von Menschen zu erkennen sind: Hände, Arme, Beine, Lendenschurz, Gürtel.

Was war die Funktion von Göbekli Tepe?

Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass es falsch wäre, Göbekli Tepe nur als Glaubenszentrum mit monumentalen Bauten zu definieren. Es handelt sich um eine Siedlung mit kommunalen Strukturen und einfachen Wohnhütten, um die herum normales Alltagsleben stattfand. Zweifellos erforderte der Bau der Kommunalgebäude mehr Geschick als die Wohnhütten, sie wurden wahrscheinlich von Handwerkern errichtet. Es ist schwierig, die Funktion dieser Strukturen mit Sicherheit zu bestimmen. Es wäre jedoch nicht falsch zu sagen, dass sie der Ort waren, der die Gemeinschaft zusammenbrachte. An anderen Fundplätzen wie dem nahegelegenen Karahan Tepe ist die Lage eine ähnliche, auch dort gibt es große runde einräumige Zentralgebäude mit mehr als fünf Meter hohen T-förmigen Pfeilern in der Mitte.

Die frühere Ansicht, dass Göbekli Tepe ein Versammlungsort war, an dem Feste veranstaltet wurden und Bier getrunken wurde, ist jetzt umstrittener geworden. Das bedeutet natürlich nicht, dass es kein Bier gab oder dass keine Feste veranstaltet wurden, aber wir sollten vorsichtig mit phantasievollen Beschreibungen dieser Siedlung sein. Ich halte es auch für falsch, die Monumentalbauten als Tempel zu bezeichnen. Sie sollten als Gebäude mit mehr als einer Funktion betrachtet werden, von denen keine mit der Anbetung zu tun haben muss. Ein Zentralgebäude mit Sitzplätzen an den Wänden eignet sich für vieles: Man kann dort musizieren, diskutieren, Entscheidungen treffen, alles ist möglich. 

Wie wirkt dieser Zentralbau, wenn man sich in ihm aufhält?

Die Bilder auf den Pfeilern in den kommunalen Gebäuden dürften denjenigen, die sie sahen, bekannt vorgekommen sein. Andernfalls hätten sie keine Bedeutung für sie gehabt. Es handelte sich also wohl um Bilder mit mythologischen Aspekten, die sie wiedererkannten. Wir können davon ausgehen, dass nach der Eiszeit eine neue Gesellschaftsordnung im Entstehen begriffen war. Bei der Schaffung dieser neuen Ordnung brauchten die Gemeinschaften wohl Bezugspunkte aus der Vergangenheit. Es ist wahrscheinlich, dass die kommunalen Gebäuden und die in ihnen erzählten mythologischen Geschichten den Aufbau dieser neuen Ordnung unterstützten, indem sie das soziale Gedächtnis lebendig hielten. Dieser neue Prozess war sehr dynamisch und führte zur Entstehung zahlreicher technologischer und sozialer Konzepte. Parallel zu diesen Entwicklungen veränderte sich mit der Zeit auch die Stellung des Menschen im Universum. Während wir beispielsweise in Göbekli Tepe eine Symbolik vorfinden, in der vor allem Tiere vorkommen, sehen wir 200 Jahre später in Karahan Tepe, dass der Mensch im Vordergrund steht. Es scheint, dass er, der zuvor selbst noch ein Teil der Tierwelt war, sich langsam in das Zentrum des Universums stellt.

Das Nebengebäude von Karahan Teppe (Mitte) ist mit Treppenstufen und einem Überlauf mit dem Zentralgebäude (links) verbunden. Ein gewundener Kanal (rechts) leitet Flüssigkeit in die aus dem Fels gehauene natürliche Wanne.

Was haben Ihre Grabungen in Karahan Tepe weiter ergeben? 

Auch dort gibt es ein Zentralgebäude, 23 Meter im Durchmesser, das dem in Göbekli Tepe ähnelt. Daneben gibt es aber ein rätselhaftes kleineres Gebäude mit phallusförmigen Säulen in der Mitte, das etwa sechs mal acht Meter groß ist.

Ja, das ist etwas total Neues für uns, obwohl wir phallusförmige Säulen schon von einem anderen Fundort her kennen. Das kleine Gebäude ist in den Stein gehauen und durch eine Treppe über ein Fenster mit dem Zentralgebäude verbunden, von wo aus man es betreten kann. Schräg gegenüber befindet sich eine zweite Treppe, auf der man nach draußen gelangt. Es handelt sich also um einen symbolischen Prozess, den man hier durchläuft. Der Mensch, der das Gebäude betritt, ist nicht der gleiche, der es verlässt. Wir kennen das aus der Ethnographie und gehen davon aus, dass hier ein Ritual stattgefunden hat. Außerdem gibt es oberhalb des Gebäudes einen leicht gewundenen Kanal, durch den vielleicht Wasser in das Becken geleitet werden konnte. Das werden wir noch chemisch untersuchen. Diese Flüssigkeit spielte in dem Ritual jedenfalls eine Rolle. Bemerkenswert ist auch der streng dreinblickende männliche Steinkopf, der die Szene beobachtet. Der Körper, in den der Kopf übergeht, erinnert an den einer Schlange, er setzt sich wahrscheinlich auch in einer Schlangenlinie in der Wand fort.

In einem Vortrag in Berlin sprachen Sie kürzlich davon, dass hier möglicherweise eine Pubertäts-, eine Initiationszeremonie stattgefunden hat.

Ja, diese Deutung habe ich auf ethnographischer Grundlage vorgenommen, dieses Gebäude könnte eine solche Funktion gehabt haben. Bis jetzt ergibt diese Deutung Sinn für mich, aber ich bin für jede Diskussion offen.

Es folgt eine Darlegung der wissenschaftlichen Kontroverse zwischen Prof. Necmi Karul und anderen Gräbern, die noch ganz offen ist. 


Nota. - Die Erfahrung lehrt dich und mich: Als ich dieses tat, passierte jenes. Für meine absehbar kurze Lebensspanne mag ich folgern: Wann immer ich dieses tue, wird... usw. Für die Geschichtsbetrachtung wäre das zu voreilig. Da kommt eine viele längere Zeitspanne und eine viel größere Menge von Probanden in Betracht. Da sollte man vorsichtig mit Darwin räsonnieren: Was immer passieren kann, wird, wenn die Bedingungen lange genug gleich bleiben, passieren. Der Unterschied ist nur: Dieses wird dauernde Folgen zeitigen, jenes nicht. Wovon hängt das ab? Davon, dass die Bedingungen für dieses günstig waren, für jenes nicht. Dieses bewährt sich, jenes vergeht, ohne Spuren zu hinterlassen.

Und dazwischen finden sich tausendundein Mittelweg - mehr oder weniger dauerhaft.

Kein vernünftiger Mensch hat je behauptet, die Menschen handelten immer nur nach Maßgabe ihres wirtschaftlichen Vorteils. Adam Smith entwarf ein Modell, in dem es so wäre. Alles, was dazwischen treten könnte, ließ er weg: Das sind alles persönliche Zufällig-keiten, die einander im Schnitt ausgleichen. Nicht ausgleichen tut sich das Eine: der ökonomische Vorteil. Der ist ihnen allen gemeinsam, so sehr er sich im Einzelnen widersprechen mag. Auf ihre individuellen Motive kommt es da gar nicht an; der Durchschnitt ists, der zählt.

Nach überhistorischen Kraftlinien oder Gesetzen sucht ein Ökonom nicht.
JE






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