Mittwoch, 18. Januar 2023

Atomismus ist das Grundschema des bürgerlichen Weltbilds.

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Wie das? Hieß es nicht eben noch, die Voraussetzung des Gesunden Menschenverstands als des Standardformats der Vernunft sei die Kausalität, das Gesetz von Ursache und Wirkung?

Ja eben! In der Erfahrung kommen ja keine Ursachen vor, sondern nur deren Wirkungen. Die Wirkung ist immer nur eine und keine andere. Sie ist es, auf die es die Vernunft abge-sehen hat. Wäre sie auch eine von mannigfaltigen Ursachen - aber indem sie diese Wirkung ist, verschwimmen die mannigfaltigen Ursachen zu einer einzigen: Eine Wirkung folgt aus einer Ursache. Nicht wegen ihres logischen Grundes, sondern wegen ihrer pragmatischen Folge ist das kausale Denken linear.

Und umgekehrt: Ein nichtlineares Denken, in dem Emergenz et. al. möglich wäre, ist nicht kausal, sondern systemisch.

*

Die Vorstellung von einem in aller Richtungen hin offenen, isomorphen All  ist dem Bürger der westlichen Welt so selbstverständlich, dass sie ihm als die natürliche vorkommt - logisch sowohl als in Raum und Zeit.

Das ist sie aber nicht. Sozusagen 'von Natur gegeben' ist gar keine Welt. Ursprünglich fin-den sich die Menschen immer nur in wechselnden Orten und Situationen, wo alles belebt ist. Regelmäßiges gibt es nur am Himmel; Sonne, Mond, Sterne und deren Zyklen. Wann irgendwo eine Gesamtheit vorgestellt wird - zuerst wohl in Mesopotamien, Indien und vielleicht in China -, dann als eine organisch gegliederte Gestalt; Kosmos sagten die Grie-chen. So nämlich, sobald sie auf ihre eigene Lebensweise Acht gaben. Animiert erschienen nun die organischen Glieder, die ihrerseits aus organischen Samen erwuchsen. Wie die Rei-che der Menschen, so das Reich einer - nun erstmals als eine als solche besonderte - Natur. Sie sind nicht All, sondern geschlossenes System.

Organisch sind die Weltbilder der agrarischen, nämlich vorindustriellen Zivilisationen. Denn andere taugten nicht, sich in ihnen zurechtzufinden - sofern man sich zum Suchen über-haupt aufgefordert fühlte. Mit dem Aufkommen der spezifisch bürgerlichen Gesellschaft wurde das Suchen jedoch endemisch, denn nun galt nicht mehr der Kult der bewährten Form, sondern das Ergreifen der je sich bietenden Gelegenheit: Der Markt ist wetterwen-disch. Man muss ihm unvoreingenommen begegnen, um seine Chancen ergreifen zu kön-nen, organische Vorurteile können nur schaden. Man darf nur sich selbst berücksichtigen - und muss eine Idee von sich selbst voraussetzen.

Das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft muss sich als autonomes Individuum vorstellen, um die Welt als wechselnde Gelegenheit wahrnehmen zu können. Beide bedingen einander.

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Das ist, was dem Bürger der westlichen Welt als normal und selbstverständlich erscheint. Vernünftig ist es aber nicht. Ist nämlich nicht, dass die Menschen sich zum Maß aller Dinge nehmen. Sondern wäre, dass sie sich dessen bewusst würden und - davon Abstand nähmen. Doch das eine setzt das andere voraus, anders ist kein Vorwärtskommen. Mit andern Wor-ten, das kritische Denken führt womöglich über die Vernunft hinaus, aber sicher nicht, in-dem es sie umgeht. Die Menschen sind keine Monaden ohne Türen und Fenster, sondern frei nur, sofern sie sich apriori als freie anerkennen. Frei ist das Individuum nur in Wechsel-wirkung mit andern Freien. Anders gäbe es nur Mord und Totschlag.

Die Welt ist nur das Reich ihrer Wechselwirkungen. Was aus ihr wird, ist offen.


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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