Samstag, 7. Januar 2023

Schrumpft die Schule! (II)

 
aus welt.de, 7. 1. 2023                                       Junge baut eine Rakete                                                       zu Levana, oder Erziehlehre;

Die Lehrpläne unserer Schulen sind nicht mehr zeitgemäß

Das Berufsleben wird in Zukunft von ständigem Umbruch geprägt sein. Wissen veraltet immer schneller. Viele Aufgaben können Computer längst besser erledigen. Die Lehrpläne der Schulen, aber auch zu fürsorgliche Eltern werden unsere Kinder darauf nicht vorbereiten. Doch wer stattdessen?

Von Swantje Dettmers, Sebastian Dettmers  

Rechtsanwalt, Mechatroniker, Architekt – auf die Frage nach ihrem Traumjob nennen Jugendliche immer wieder tradierte Berufe. Vieles davon wird Wunschdenken bleiben, denn etliche Jobs werden in den kommenden Jahren der Digitalisierung und Automatisierung zum Opfer fallen. Eigentlich klar. Und trotzdem haben sich die Karrierewünsche der Jugend in den vergangenen 20 Jahren praktisch nicht verändert. Der Arbeitsmarkt schon.

Das Berufsleben wird in Zukunft von ständigem Umbruch und technologischem Fort-schritt geprägt sein. Wissen veraltet in immer höherem Tempo, Informationen werden in Sekundenschnelle weltweit über das Internet geteilt. Sich wiederholende Aufgabenstellun-gen können Computer längst besser erledigen. Darauf müssen wir unsere Kinder vorbe-reiten und sie fit machen für eine Zeit des Wandels.

Unsere Töchter und Söhne werden komplexe Probleme lösen müssen, für die es keine Blaupause gibt. Sie müssen in der Lage sein, spontan auf unvorhergesehene Umstände zu reagieren. Die Fähigkeit, neue Wege zu finden, wird zur wichtigsten Kompetenz. Sie brauchen Einfallsreichtum statt Denken nach Schema F.


Denn Algorithmen rechnen zwar um ein Vielfaches schneller als Menschen, sie sind uns in Sachen Kreativität jedoch hoffnungslos unterlegen. Algorithmen entwickeln keine neuen Produkte und träumen auch nicht davon, zum Mars zu fliegen.

Lehrpläne hinken hinterher

Bei der Lektüre von Lehrplänen beschleicht einen allerdings unweigerlich das Gefühl, dass unser Schulsystem darauf nicht vorbereitet ist. Kürzlich beklagten in einer großen Befra-gung des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie im Auftrag des Cornelsen-Verlags vier von fünf Schulleitern, dass die Lehrpläne unserer Schulen nicht mehr zeitgemäß seien.

Viele Schulen bemühen sich, solche Kompetenzen zu vermitteln. Doch am Ende stehen im Zeugnis nun einmal Noten für einzelne Fächer, nicht für übergreifende Kompetenzen. Und auf die kommt es in Zukunft mehr denn je an.

Was braucht es aber, um sich in dieser hoch technisierten Arbeitswelt der Zukunft zurechtzufinden? Die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, dazu Resilienz und Kreativität. Hand aufs Herz: So richtig vermitteln Schulen derzeit keine dieser Fähigkeiten.

Denn sie sind schon voll und ganz damit beschäftigt, den geballten Stoff aus ihren Lehrplänen zu vermitteln. Und dann stopfen wir Eltern zunehmend auch noch die Nachmittage unserer Kinder mit Pauken oder Nachhilfe voll, organisieren die wenige verbleibende Freizeit.

Allein finden Kinder neue Wege

Lasst es uns anders angehen. Unseren Kindern wäre schon viel geholfen, wenn wir ihnen nicht unentwegt unter die Arme greifen würden. Wenn wir ihnen die Chance geben, auch einmal Fehler zu machen. Und so zu lernen.

Das ferngesteuerte Auto funktioniert nicht? Lassen Sie Ihr Kind mal machen. Der Nachwuchs versteht die Regeln eines Spiels nicht? Er wird sie schon herausfinden – oder vielleicht gleich ganz neue erfinden. Und auf diese Weise lernen, komplexe Probleme zu lösen.

Es bringt unseren Kindern nichts, wenn wir die Hausaufgaben Schritt für Schritt mit ihnen erledigen, nur damit sie bloß nichts falsch machen. Allein finden sie vielleicht neue Wege, wenn auch auf Umwegen. Und entwickeln so das Selbstvertrauen in die eigenen Problemlösungsfähigkeiten.

Dazu kommt die vielleicht wichtigste Fähigkeit für die Arbeitswelt der Zukunft: Kreativität. Wer Kinder spielen sieht, weiß, dass sie in jedem steckt. Das macht uns so einzigartig.

Doch unter dem Druck von Klassenarbeiten und Hausaufgaben ist kaum noch Raum für Einfallsreichtum. Wer Fehler vermeidet, wird nicht erfinderisch. Wollen wir innovatives Denken fördern, müssen wir unseren Kindern Freiräume schaffen, ihnen die Zeit geben, Neues auszuprobieren

Die Arbeitswelt und ihr Veränderungstempo sind anstrengend. Unsere Kinder werden ein hohes Maß an Resilienz brauchen, um später auch schwierige Lebenssituationen ohne Blessuren zu überstehen. Hierfür müssen wir ihnen Selbstvertrauen und Zuversicht vermitteln. Und sie ermutigen, einen freien, unverstellten Blick nach vorn zu wagen.

Hermann Hesse ließ seinen Siddhartha sagen: „Wenn jemand sucht, dann geschieht es leicht, dass sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht. (...) Finden aber heißt: frei sein, offenstehen, kein Ziel haben.“ Genau das sollten wir unseren Kindern mit Blick auf die zukünftige Berufswelt mitgeben.

Die Frage nach dem Traumjob ist falsch gestellt, denn sie verengt den Blick. Wir suggerieren unseren Kindern eine lineare Karriere, die sie gar nicht erleben werden. Wir begrenzen mit der Ausrichtung auf einen bestimmten Beruf ihre Möglichkeiten.

Stattdessen sollten sich unsere Kinder bewusst machen, dass sie den richtigen Job wahrscheinlich noch gar nicht kennen. Die realistische Antwort auf die Frage nach dem Traumberuf lautet daher heute: „Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden!“


Nota. - Sie wundern sich, einen Artikel, den man früher für antiautoritär gehalten und eher in einem linken Blatt erwartet hätte, in Axel Springers WELT zu finden? Soviel Mut hätten sie denen gar nicht zugetraut, stimmts? Gemach! Sie haben ihn vorsorglich nicht auf ihrer Bildungs-, sondern auf ihrer Wirtschafts-Seite gedruckt. Dort hat er nämlich die Chance, von wohlwollenden Lesern beachtet zu werden, die auch ein reelles Interesse daran haben, für Remedur zu sorgen. Auf der Bildungs-Seite würden ihn die Nutznießer des Status quo bemerken - die wären nicht wohlwollend und hätten weder Willen noch Mittel, Änderungen zu erwirken, für die man nicht mehr Personal braucht.
JE


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