Donnerstag, 19. Januar 2023

Kunst kommt von Kult - Zum Tod von Hans Belting

         
aus FAZ.NET, 12. 1. 2023                                           Nikolaus Gysis, 1895                                                     zu Geschmackssachen         
Kunst kommt von Kult
Der Körper als Hort der Bilder: Wie in der modernsten Kunst das Mittelalter fortlebt, zeigte Hans Belting. Jetzt ist der epochale Medien- und Kunsthistoriker gestorben.

von STEFAN TRINKS

... Dieses Gebiet der byzantinischen und westlichen Kunst eines weit gefassten, tief in die Neuzeit reichenden „Mittelalters“ hat Belting nie verlassen; sein Werk über den „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch zeugt ebenso davon wie sein Versuch einer Perspektiv-Schubumkehr in „Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks” und alle Beschäftigung mit Modernen wie Beckmann, Duchamp, Struth, Sugimoto und Wall, die in letzter Konsequenz in der fließenden Übergangszone von Spätantike und Frühmittelalter wurzeln.

Über den Dutzenden von Beltings Büchern sollte jedoch ein Artikel nicht vergessen wer-den, der früh eine ketzerische Frage stellt, die in seinen folgenden Publikationen ausgeführt werden 
würde: In den nur wenigen Seiten Text von „Kunst oder Objekt-Stil?” räsoniert er über Kategorien einer Distinktion zwischen kunstvoll dekorierten Gebrauchs- und Kultge-genständen und möglichen „autonomen“ Kunstwerken im Mittelalter.

Sein „Bild und Kult“ ist eine Bibel in der Alten und Neuen Welt

Magistral blieb aber stets sein „Bild und Kult“ von 1990, das die seit Ernst von Dobschütz’ Buch „Christusbilder“ von 1899 umfassendste Studie des Bildkultes im Christentum dar-stellt. Was Belting unverwechselbar machte, war sein auch andere anspornender Unwillen, einen Gegenstand ohne scharfe und überraschende Thesenbildung darzustellen; im Fall von „Bild und Kult” war es die Pointierung der Erkenntnis, dass die Erfindung der „Kunst“ ein Phänomen der Moderne sei, vor dem man die Betrachtung der mittelalterlichen Kunst ge-wissermaßen in Schutz zu nehmen habe.

Diese beschützende Unterscheidung hat er seither zu einzigartiger Perfektion getrieben. Sein in München, wohin er 1980 berufen wurde, vorgelegtes Buch über „Das Ende der Kunstgeschichte“ (die erste Auflage mit, die zweite ohne Fragezeichen) war ironischerweise seine in Buchform gegossene dortige Antrittsvorlesung und prangt bis heute wie ein Mene-tekel an der Wand des Faches. Das „Ende“ ist hier aber nicht als Abgesang, sondern im Hegelschen Sinn als eine Befreiung aus Zwängen, als „Ausrahmung“ der Felder und Me-thoden gemeint.

Es konnte vor diesem Hintergrund keinen besseren Fachvertreter geben als Belting, um am neugegründeten ZKM Karlsruhe die Kunstgeschichte zu verkörpern. Und wohl niemand anders als ein Byzantinist konnte sich derart feinnervig einlassen auf alle neuen Formen einer technoiden Idolatrie, wie sie im Euphorietaumel der digitalisierungsseligen Neunziger dringlich zu hinterfragen waren. Zahlreiche Bücher, von denen etwa „Das Unsichtbare Meisterwerk“ von 1998 diese Impulse aufnahm und zugleich relativierte, weshalb es als eine Art Einlösung der in „Das Ende der Kunstgeschichte“ gegebenen Versprechungen gelten kann, zeugen vom permanenten Innovationsgeprassel jener Zeit, dem sich Belting ausge-setzt, das er aber auch souverän durchdrungen hat.


Nota. - Es ist ja wirklich langweilig, kunstgeschichtliche Darstellung durchzukauen, die 'ohne scharfe und überraschende Thesenbildung' auskommen. Warum aber verzichten die Autoren darauf? Weil im ästhetischen und kunstgeschichtlich Bereich allzu kategorische Formulierungen dazu neigen, einander zu widersprechen. Ob das Hans Belting hat vermei-den können oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Stefan Trinks hat es hier aber nicht ver-mieden. Die Kunstvorstellung 'der Moderne' erscheint hier wie ein Altersgebrechen, gegen das man 'das Mittelalter' in Schutz nehmen muss. Dass man in dieser Perspektive differen-zieren und und die Trennungslinie quer durch die Renaissance ziehen müsste, trägt mehr zur Verwirrung bei als zur Erhellung.

Hilfreich ist Kants Unterscheidung von freier und gebundener Schönheit:

Mit der Kritik der Urteilskraft hat er in Deutschland die ästhetische Theorie eingeführt. Baumgarten hatte nur beschreibende Definitionen gegeben. Schön ist nach Kant was ohne Interesse gefällt. Worin liegt das Gefallen? Dass eines dem ihm zugedachten Zweck voll-kommen erfüllt. Das Schöne ist dagegen eines, das seinem Zweck vollkommen zu entspre-chen scheint, 'ohne dass ein Zweck an ihm erkennbar wäre'. An der gebundene Schönheit - pulchritudo adhaerens - bleibt vom Zweck immerhin ein Maß übrig: ein Gegenstand, den das Kunstwerk abbildet. Eine Schönheit, die keinen Gegenstand zum Vorbild hat, nennt er eine freie - p. vaga

Damit kann er nur Ornament gemeint haben - Arabesken und geometrische Muster. Ara-besken haben allerdings den Pflanzenwuchs zum Vorbild, und der Mäander, der bei den Griechen allgegenwärtig war, lehnt sich, wie der Name sagt, an einen realexistierenden Fluss an. Dem  heutigen Auge kommen allerdings kleinteilige Zierate, die eine große Fläche über-ziehen, weniger als Kunst denn als Handwerk vor, denn Individualität findet das suchen Auge nur im mikroskopisch Detail, und zu Betrachtung, die uns als das pragmatische Merk-mal von Kunst erscheint, findet es wenig Anhalt. Nach wenigen Minuten stellt sich Lange-weile ein. Seine Unterscheidung hat Kant denn auch nur vom Schreitisch aus gefunden, weil er auch im Ästhetischen nicht ganz ohne begriffliche Bestimmungen auskommen mochte.

Was wir dagegen ein Bild nennen, kommt uns als ein individuelles Ganzes vor und wie eine Befreiung vom strengen Muster - und als den eigentlichen Durchbruch zur Kunst.

In dieser Perspektive sich stellt nun die Renaissance eine Durchgangsstufe von kultischer Gefangenheit zu ästhetischer Freisetzung der Kunst dar. Nicht zu unterschätzen ist die vermittelnd-verfremdende Rolle der christlichen und ihrer weltlichen Machtansprüche. Nicht nur lockerten sie sie die Bindung an den ursprünglichen Gegenstand des Kults, sondern machten zugleich den Widerspruch des einen gegen den andern sichtbar.

Ja, die Kunst kam ursprünglich vom Kult, doch die eigentlich künstlerische, nämlich ästhe-tische Kunst wurde erst möglich durch ihre Abwendung vom Kult. So besehen ist es so-wohl kunst- als auch geschmacksgeschichtlich sinnvoll, die einen Werke in Hinblick auf die andern Werke zu deuten; vorwärts wie rückwärts.
JE




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