Samstag, 31. Dezember 2022

Helen Frankenthaler in Essen.


aus FAZ.NET, 29. 12. 2022                                                            Frankenthaler Provincetown Harbor (1950).

Offenbarung mit fließender Farbe
Ihre Zauberformel lautete: Färben durch Einsickern. Die Werke der New Yorker Malerin Helen Frankenthaler sind jetzt im Museum Folkwang in Essen zu sehen.

von GEORG IMDAHL  

Selten wurde in Europa das Werk von Helen Frankenthaler ausgebreitet. Auch in einschlägi-gen Gruppenausstellungen über die amerikanische Farbfeldmalerei kam es kaum vor, als einzige Malerin in dem kanonischen, 1958 durch Europa tourenden Panorama „The New American Painting“ war ihre New Yorker Freundin und Kollegin Grace Hartigan vertreten. Das verhaltene Interesse an Frankenthalers Bildern ist erstaunlich, denn dem Color Field Painting hat die Künstlerin in den frühen Fünfzigerjahren mit einer malerischen Entdek-kung neue Wege erschlossen, weshalb sie als Gamechanger im Nachgang des Abstrakten Expressionismus gilt. Die Zauberformel lautet „Soak Staining“: Färben durch Einsickern.


Verdünnte Farbe schüttete Frankenthaler auf die ungrundierte, ihr zu Füßen liegende Leinwand, auf dass sie sich, nur bedingt kontrollierbar, darauf ausbreite. Dann ging die Malerin mit unterschiedlichen Instrumenten zu Werke, zog besenbreite Pinsel, Abzieher, Schwämme oder ihre flache Hand durch die Farblachen, um auf diese Weise sehr unkonventionell zu malen. Ihre Farbfelder wirken häufig wie träumerische Nachbilder, muten wie Aquarell an; betörend und blässlich, scheinen die Farben zu halluzinieren, geraten in Trance.


Impulse erhielt die 1928 in New York geborene Senkrechtstarterin durch zwei Ausstellungen von Jackson Pollock 1950 und 1951 in der Galerie Betty Parsons – dessen Dripping hatte die junge Malerin auf die Idee gebracht, die Farbe nicht nur zu tröpfeln, sondern in größeren Dosen bei der Bildentstehung einzusetzen. Auch Pollocks späte, kalligraphische Bilder, die als dessen Abstieg angesehen werden, wusste Frankenthaler zu schätzen, ihr eigenes Werk hielt denn auch bis zuletzt die Tuchfühlung zur sichtbaren Welt. Lebhaft schildert Alexander Nemerov in seiner 2021 erschienenen Biografie, Frankenthaler habe das Bild ihres Durchbruchs – „Mountains and See“ – wochenlang in sich getragen, bevor sie es im Oktober 1952 auf die Leinwand brachte. Clement Greenberg, Frankenthalers damaliger Lebensgefährte und wortmächtiger Kritiker (er selbst dilettierte als Maler an ihrer Seite), lud damals Morris Louis und Kenneth Noland ins Atelier der Künstlerin ein, beide waren restlos überzeugt von der Technik der geschütteten Farbe und machten sie sich zu eigen. Frankenthalers Malerei, bemerkte Louis, sei eine „Offenbarung“, die „Brücke zwischen Pollock und dem, was möglich sei“. Was möglich war, demonstrierten Louis und sein Kollege Noland in der amerikanischen Farbfeldmalerei der Sechzigerjahre – dank „Soak Staining“.

Frankenthalers Malerei auf Papier, angereichert mit einer kleinen Auswahl an Gemälden, entfaltet jetzt das Museum Folkwang Essen mit vierundachtzig Werken in einer Retrospektive von 1949 bis 2002. Was auf Papier an vollgültiger Malerei möglich ist, haben zuletzt die frühen landschaftlichen Aquarelle von Georgia O’Keeffe in ihrer Ausstellung in der Fondation Beyeler vor Augen geführt. Papier mag nicht so saugfähig wie Textil sein, aber auch hier tut Frankenthalers Technik der Farbexpansion ihren Dienst. Was sie malt, ist keine Angelegenheit von tragischer Romantik und transzendentaler Erhabenheit, die mit der New York School assoziiert wird. Statt wabernd romantischer Unschärfe zieht sich ein Flow von Klarheit und Leichtigkeit durch ihre besten Bilder.modernistischer Malerei zu Wort meldete, ist der Einstieg über spätkubistische und surreale Kompositionen, von denen sich Frankenthaler 1951 mit dem wässrigen Blatt „Great Meadows“ emanzipiert, bevor sie kurz darauf in stattlichen Formaten eine entspannte Gestik an den Tag legt. So bei einer auf Rollostoff gemalten „Jalousie“ von 1952: Darauf kritzelt sie, als sei zeichnerisches Können völlig zweitrangig, was gerade heute ausgesprochen zeitgenössisch anmutet. Aber was als beiläufiges Notat anmutet, ist durch Farbe und Formenbalance eben doch zum Bild arrangiert – gekonnt und lässig.


Helen Frankenthaler Billboard Study“(1966)


Es folgen bisweilen wüste Mischungen aus Fleckenmalerei, gesprenkelter, gesprühter und eben gegossener Farbe; in den Sechzigern dominiert der klassische, lichte Frankenthaler-Stil mit einfachen, aber wirkmächtigen Farbterritorien in hellem Raum, dem starken Kon­trast von Figur und Grund, dem wässrigen Farbverlauf und der Erinnerung an die Landschaft wie in der großartigen „Grotto Azura“ von 1963. Selbst die banale Assoziation eines Blumentopfs nimmt dem Bild „Evil Spirit“ (Böser Geist) nichts von seiner Präsenz und Wirkmacht.

An einem „Signature Style“ war Frankenthaler sichtlich nicht gelegen, wie die weiteren Jahrzehnte dieser Rückschau bezeugen, Regeln kenne sie nicht, ihr gehe es um Improvisation und Risiko, stellt sie selbstbewusst fest – alles müsse möglich sein, sogar „etwas Hässliches“. Man möchte es der Malerin hoch anrechnen, dass sie nicht bei „lyrischer Leichtigkeit und atmosphärischer Duftigkeit“ stehen bleibt, die ihr im Katalog bescheinigt werden. Tatsächlich aber schleicht sich in den Siebzigerjahren ein regressives Moment in ihr Œuvre ein, der Duktus der Malerei erscheint in diversen Blättern konventionell. Die waagerechte Linie als Chiffre der Landschaft, so häufig sie eingesetzt wird, wirkt stereotyp; manches Informel, auch auf farbiges Papier gebracht, ist regelrecht zugemalt und bei allen Sprüngen, die die Malerin sich in ihrem Zickzackkurs gönnt, verwechselbar. In ihren späten, weitgehend monochromen Großformaten um das Jahr 2000 tritt Frankenthaler in Dialog mit Klassikern des Fachs, malt nach William Turner, James McNeill Whistler, Rembrandt. Da ist viel alte Schule und einiges an Pathos in den Farbräumen und ihrer spätmodernistischen Erinnerung.


Helen Frankenthaler. Malerische Konstellationen. Museum Folkwang, Essen; bis 5. März 2023. Der Katalog kostet 29,80 Euro.


Nota. - Ein Künstler, der nicht nachzumachen versuchte, was ihm die Kollegen soeben vorgemacht haben, wäre ziemlich beschränkt, und das ist in ästhetischer Hinsicht noch fataler, als in kognitiver. Ebenso beschränkt wäre er, wenn er dabei bliebe, statt selber etwas rauszuholen, was vorher nicht zu sehen war.

Dass ein Rezensent an einem Künstler dasjenige heraushebt, was ihm am besten gefällt, ist nicht bloß in Ordnung, sondern ist, was man von ihm erwarten darf. - Helen Frankenthaler hat sich auch auf Avantgarde nicht festgelegt, was man ihr anrechnen muss. "Ihre Zauber-formel lautete: Färben durch Einsickern" ist ein nachträgliches Geschmacksurteil des Rezen-senten. Diesem Künsterinnenleben wird es nicht gerecht.
JE


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