Das Internet ist tot. Die meisten Online-Interaktionen sind
KI-generiert – von Menschen produzierter Inhalt und Kommunikation wurden
zurückgedrängt. Das Netz, wie wir es kennen und täglich nutzen: eine
Illusion voller Bots und computer-generierter Bytes.
Das besagt zumindest die "Dead Internet Theory". Eine Theorie mit
verschwö-rungstheoretischem Ansatz, die sich erstmals 2021 in diversen
Internetforen ver-breitet hat und dem Internet ein Todesdatum irgendwo
zwischen 2016 und 2017 bescheinigt – seit fast zehn Jahren soll das
World Wide Web also ein Spielplatz KI-generierter Interaktionen sein.
Doch durch die rapide Entwicklung der Künstlichen Intelligenz scheint
der Begriff einer "Verschwörung" in den Hintergrund zu rücken und die
Theorie einen realen Anstrich zu erhalten.
KI ist keine Spielerei
94 Prozent der Menschen in Österreich nutzen täglich das Internet – das geht aus dem im STANDARD
berichteten und für Österreich durch A1 angewendeten D21-Digitalindex
hervor. Kurzum: Eine Person in Österreich zu finden, die sich nicht
durch Internetdienste informieren oder helfen lässt, ist ziemlich
unwahrscheinlich. Gleichzeitig zeigt der Bericht, dass rund 57 Prozent
der digitalen Welt skeptisch ge-genüberstehen – 30 Prozent sehen in der
Digitalisierung gar eine regelrechte Ge-fahr für die Demokratie.
Eine Skepsis und augenscheinliche Gefahr, die durch die schier
unaufhaltsame Welle der Künstlichen Intelligenz nicht sofort abnehmen
wird. Schließlich stehen wir mittlerweile oft vor dem Problem, dass KI
und ChatGPT keine rein lustigen Spielereien mehr sind – KI ist
allgegenwärtig, aber vor allem nicht mehr immer als solche erkennbar.
Falschinformation zum eigenen Zweck
Während der jüngsten
Proteste in Los Angeles verbreiteten sich zahlreiche irre-führende Fotos,
Videos und Texte in sozialen Medien. Sie griffen alte
Verschwö-rungstheorien auf, unterstützten US-Präsident Donald Trumps
Maßnahmen und vermittelten fälschlich den Eindruck, die gesamte Stadt
sei von Gewalt betroffen.
Auch bereits 2016, zum ersten Wahlsieg des momentanen US-Präsidenten,
hat eine Studie herausgefunden, dass mindestens 400.000 Bots die
politische Diskussion zur damaligen US-Präsidentschaftswahl auf Twitter
aufgemischt haben. Diese Bots produzierten ungefähr 20 Prozent aller zum
Thema passenden Tweets – über drei Viertel davon waren rein positive
Botschaften über Trump. Beweise dafür, dass sich KI und
Falschinformationen gezielt für eigene Zwecke einsetzen lassen.
Beim Scrollen übersehen
Doch nicht nur im politischen Kontext
sind Bots, Falschinformationen und schwer als solche erkennbare
KI-Inhalte zu finden. Wer sich einmal auf der Plattform Tik-tok
herumgetrieben hat, dem fiel beim schnellen Scrollen durch die
Kurzvideos wo-möglich auf, dass da bei weitem nicht alles menschengemacht
ist. Eine KI-generier-te Stimme hier, eine synthetische Person dort.
Unten zwar oft klein als "KI-gene-riert" gekennzeichnet oder zumindest
mit dem passenden Hashtag versehen, beim schnellen Scrollen jedoch
leicht zu übersehen – selbst vermeintlich kreative Platt-formen scheinen
von KI überschwemmt zu werden.
Doch schon lange vor Tiktok und Deepfake-Videos war Social Media
nicht mehr ausschließlich von echten Menschen bevölkert. Bereits 2018
enthüllte eine Recher-che der New York Times, wie eine obskure
amerikanische Firma namens Devumi über 3,5 Millionen Social-Media-Bots
verkauft hatte – automatisierte Accounts, die täuschend echte Profile
imitierten, inklusive Name, Profilbild und Biografie. Diese Bots
verbreiteten rund 200 Millionen Tweets und wurden unter anderem von
Pro-minenten, Influencern und Unternehmen gekauft, um Reichweite und
Einfluss künstlich aufzublasen.
Wie steht es nun um unser Internet?
Ist das Internet also
tatsächlich tot? Mit derart verallgemeinernden Aussagen ist höchste
Vorsicht geboten. Schließlich können wir nicht alle Inhalte im Netz
hand-fest auf deren Authentizität prüfen – einige durchgeführte Studien
und wissen-schaftliche Untersuchungen deuten allerdings auf eine Tendenz
zu einem zumindest "halbtoten" Internet hin.
Ahrefs – eine Firma, die hauptsächlich eine Suchoptimierung für
Unternehmen, Marketer und Content-Creators anbietet – hat erst im April
eine Analyse von 900.000 Webseiten veröffentlicht und dabei
festgestellt, dass rund 74 Prozent neu aufgesetzter Webseiten zumindest
einen Teil an nicht menschlich geschaffenem Content inkludieren. Knapp
2,5 Prozent sind laut Ahrefs sogar gänzlich computer-generiert, ungefähr
47 Prozent weisen eine "substanzielle KI-Nutzung" auf.
In eine ähnliche Richtung geht auch der jährlich durchgeführte
Bericht der US-Firma Imperva von 2024. Das Unternehmen für
Cybersicherheit untersuchte und erforschte die Art des automatisierten
Internetverkehrs – hauptsächlich automati-sierte Bot-Angriffe. Dabei kam
es zum Schluss, dass circa 49,6 Prozent jeglichen Internetverkehrs nicht
menschlich sind – laut Imperva kratzen wir zumindest massiv an der
Schwelle zum toten Internet.
Eine Frage der Übersetzung
Das flächendeckend womöglich
größte Problem zeigt jedoch eine andere umfas-sende Studie von Amazon
Sciences: die Flut an maschinell übersetzten Texten im Netz. Laut einer
Analyse von über sechs Milliarden geschriebenen Sätzen im Inter-net, in
über 90 Sprachen, stellte sich heraus, dass in vielen weniger
vertretenen Sprachen große Teile des Webs aus automatisierten
Übersetzungen englischer Originaltexte bestehen.
Dabei durchlaufen sie oft mehrere maschinelle Übersetzungsschritte –
ein Prozess, der zu erheblichen Qualitätsverlusten führt: von Englisch
nach Französisch, von Französisch nach Deutsch, von Deutsch nach
Kroatisch, oft stilistisch künstlich, inhaltlich unpräzise oder gar
schlicht falsch – ein Stille-Post-Prinzip. Das ist insbe-sondere
kritisch, weil KI-Modelle wie ChatGPT genau aus diesen verzerrten Daten
lernen. Stichwort "AI-Slop".
Stichwort "AI-Slop" – also minderwertige, oft automatisiert
generierte Texte, die ohne redaktionelle Kontrolle massenhaft ins Netz
gelangen. Geraten solche Texte in Trainingsdaten zukünftiger KI-Modelle,
entsteht ein Kreislauf der Qualitätsver-chlechterung: Maschinen lernen
von maschinellem Unsinn.
Müssen wir das Internet zu Grabe tragen?
Natürlich sind all
diese Zahlen und Studien mit Vorsicht zu genießen und sollen die "Dead
Internet Theory" nicht zur Wahrheit erklären. Die Erkenntnisse lehren
uns jedoch eines: Sobald wir uns online bewegen, gilt es, die eigenen
Sinne zu schärfen.
Das Internet ist demnach nicht tot – aber es ist dabei, seine
Echtheit zu verlieren. Was als menschlicher Marktplatz der Ideen
begonnen hat, wird mehr und mehr zu einer Spielwiese für die KIs.
Zwischen Bots, Deepfakes, synthetischen Stimmen und automatisierten
Übersetzungen wird es zunehmend schwieriger, das Echte vom Künstlichen
zu unterscheiden.
Die "Dead Internet Theory" mag überspitzt sein, doch die Zahlen und
Entwick-lungen der letzten Jahre deuten klar darauf hin: Wir stehen nicht
vor einer digitalen Apokalypse, sondern mitten in einem schleichenden
Wandel, bei dem der Mensch im Netz leiser wird – und der Algorithmus
übernimmt. Die Frage ist nicht mehr, ob KI das Internet verändert.
Sondern wie viel Mensch noch übrigbleibt.
Nota. - Mit jedem Tag, da KI Content
generiert, und das tut sie aus dem und haupt-sächlich für das Internet, wächst die
Wahrscheinlichkeit, dass sie bei ihrer Suche auf Daten stößt, die sie
selber eingegeben hat. Und da ihr Wirken im Internet wohl noch ein wenig
rasanter wächst, als der menschliche Internet-Zugriff in den 2000er
Jahren, wird schließlich der Tag kommen, wo sie selbst ihre eigene wichtigste
Quelle ist. Sie mag die im Wortsinne phantastischsten Ergebnisse
erbringen, ohne dass menschliche Intelligenz die Chance hätte,
wenigstens ihre Wahrscheinlichkeit zu überprüfen; ganz zu schweigen von
ihrer Wahrheit.
Ist es aber statthaft, KI als ein Ganzes zu betrachten? Da sie sich selber im Internet nicht identifizieren lässt, ist sie nicht einmal das. Sie geht in der anonymen Masse der User unter. Sie ist nicht nur Ursache ihrer selbst, sondern weiß es nicht einmal. Das www "ist" ja auch schließlich nur virtuell.
Da kriegt man eine Gänsehaut.
PS. In der Sprache der Scholastik ist causa sui - Grund seiner selbst - Attribut des ens perfectissimum - des vollkommenen Seins; und das wiederum ist GOtt selbst.
JE