aus spektrum.de, 9. 2. 2024 zu Jochen Ebmeiers Realien Der ewige Streit ums Bewusstsein Gleich
mehrere konkurrierende Theorien versuchen zu erklären, was Bewusstsein
ist. Nun sollen sie empirisch getestet werden. Doch das erweist sich als
ziemlich kompliziert.
Als
die Neurowissenschaftlerin Lucia Melloni 2018 an einem Treffen zur
Bewusst-seinsforschung teilnahm, hatte sie nicht erwartet, an die
Scheidung ihrer Eltern* er-innert zu werden. Aber genau wie ihre Mutter
und ihr Vater konnten sich die ver-sammelten Hirnforscher und Philosophen
auf nichts einigen.
Die
Zusammenkunft fand am Allen Institute for Brain Science in Seattle,
Washing-ton, USA, statt. Die Fachleute wollten einen Weg finden, wie sich
konkurrierende Theorien über das Bewusstsein empirisch testen lassen.
Eine solche Kollaboration von Vertretern gegensätzlicher Auffassungen
wird auch als kontradiktorische oder adversiale Zusammenarbeit
bezeichnet.
Ein
»Killer-Experiment« zu entwerfen – also eines, das definitive Antworten
liefern würde – gestaltete sich schwierig. »Natürlich schlugen alle
Experimente vor, für die sie die zu erwartenden Ergebnisse bereits
kannten«, sagt Melloni, die das gemein-schaftliche Projekt leitete und am
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main
arbeitet. Melloni griff auf die Rolle aus ihrer Kindheit zurück und
wurde zur Vermittlerin.
Das
Vorhaben von Melloni ist eine von fünf Kollaborationen, die die
Templeton World Charity Foundation – eine Wohltätigkeitsorganisation mit
Sitz in Nassau auf den Bahamas – ins Leben gerufen hat. 2019 wurden
dafür 20 Millionen US-Dollar bereitgestellt. Die Projekte sollen die
Bewusstseinsforschung voranbringen, indem wissenschaftliche Beweise für
eine Theorie erbracht werden, während andere wider-legt werden. Generell
finanziert die philanthropische Organisation Forschung zum Wohlergehen
des Menschen, das »Dimensionen des körperlichen, geistigen, sozialen und
spirituellen Wohlbefindens umfassen kann«, wie es auf der Internetseite heißt .
Wie hängen Informationsverarbeitung und Bewusstsein zusammen?
Die Aufgabe der Forschenden um Melloni ist es, zwei führende Ideen zur
wissenschaftlichen Beschreibung von Bewusstsein zu testen: die
integrierte Informationstheorie (IIT) und die globale neuronale
Arbeitsraumtheorie (GNWT). Die IIT behauptet, dass das Bewusstsein dem
Grad der »integrierten Information« entspricht, die von einem System wie
dem menschlichen Gehirn erzeugt wird. Die GNWT wiederum besagt, dass
mentale Inhalte wie Wahrnehmungen und Gedanken bewusst werden, wenn die
Informationen über ein spezielles Netzwerk oder einen Arbeitsraum im
Gehirn übertragen werden. Während Bewusstsein laut der IIT also in
Materie entstehen kann, wenn die Information auf hinreichend komplexe
Art verarbeitet wird, beruht es bei der GNWT auf dem bloßen Prozess der
Informationsverarbeitung ( siehe auch Theorien des Bewusstseins weiter unten ).
Auf
dem Treffen waren wichtige Vertreter dieser beiden Theorien zugegen.
Melloni und ihre Koleiter mussten zwischen ihnen vermitteln, nur selten
luden sie die Kontrahenten in denselben Raum ein. Ein Problem ist, dass
Bewusstsein für verschiedene Personen unterschiedliche Dinge bedeutet.
Einige Forscher konzentrieren sich bei ihren Betrachtungen auf die
subjektive Erfahrung: Wie ist es, du oder ich zu sein? Andere
untersuchen seine Funktion: Welche kognitiven Prozesse und
Verhaltensweisen werden durch Bewusstsein ermöglicht? Solche
unterschiedlichen Herangehensweisen machen es schwer, verschiedene Ideen
miteinander zu vergleichen.
Dann
war da noch die Sache mit dem offenen Brief. Im September 2023
unterzeichneten mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Erklärung, die als Preprint veröffentlicht wurde
und in der sie die IIT kritisierten. Die Unterzeichner behaupteten,
dass deren Vorhersagen nicht überprüfbar seien, und bezeichneten die
Forschung dazu daher als Pseudowissenschaft. Der Brief erschien, kurz
nachdem Mellonis Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse publiziert hatte.
Das
Chaos war vorprogrammiert. Der Angriff rief Reaktionen von weiteren
Fachleuten hervor, die fanden, dass er die Meinungsverschiedenheiten
verschärfe und der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft schade. Manche
Unterzeichner berichteten gar, sie würden E-Mails mit angedeuteten
Drohungen erhalten. Forschende auf beiden Seiten des Atlantiks wurden
durch anprangernde Tweets um den Schlaf gebracht. Einige zogen sogar in
Erwägung, der Wissenschaft ganz den Rücken zu kehren.
Insbesondere
jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen machen sich Sorgen
über das aggressive Klima. »Sie befürchten, dass ein Fachgebiet, in dem
derartig wütende Auseinandersetzungen stattfinden, von außen als
festgefahren wahrgenommen werden könnte und sich das auf die
Finanzierung auswirkt«, sagt der Mathematiker Johannes Kleiner, der an
der Ludwig-Maximilians-Universität München über Bewusstsein forscht. Ungeachtet
solcher Herausforderungen setzen viele große Hoffnung in die Zukunft
der Bewusstseinsforschung. Auch die Leiter der adversialen
Kollaborationen denken, dass ihre Arbeit das Feld bereits voranbringt –
wenn auch nur in kleinen Schritten. Und sie sind längst nicht die
Einzigen, die hochwertige empirische Tests von Bewusstseinstheorien
durchführen. In den letzten zwei Jahrzehnten gab es Hunderte solcher
Experimente. Manche deuten das als Zeichen für die wachsende Reife des
Felds.
Inzwischen richten auch andere Wissenschaftsförderer ihr
Augenmerk auf das Thema: So veranstalteten im Juni 2023 etwa die
US-amerikanischen National Institutes of Health ein dreitägiges Treffen
zu den Grenzen der Bewusstseinsforschung. Und eine neue Generation von
Forschenden setzt sich für einen sinnvollen Dialog und mehr
Aufgeschlossenheit ein. »Anstatt zu konkurrieren, sollten wir verstehen,
dass Wissenschaft eine Teamleistung ist«, sagt die
Neurowissenschaftlerin Rony Hirschhorn von der Tel Aviv University in
Israel. »Es mag naiv sein, aber das ist meine Art von Optimismus:
hoffen, dass wir es besser können.«
Die Zeit war reif für einen Angriff auf die neuronalen Grundlagen des Bewusstseins Es
existieren dutzende Theorien darüber, wie unser Gehirn subjektive
Erfahrungen erzeugt. Und neben einem philosophischen Interesse gibt es
viele weitere gute Gründe, sich mit dem menschlichen Geist zu
beschäftigen: Die Erkenntnisse könnten zum Beispiel Mediziner bei der
Entscheidung unterstützen, ob ein nicht ansprechbarer Mensch bei
Bewusstsein ist oder nicht. In der Forschung zur künstlichen Intelligenz
würden sie helfen zu verstehen, ob oder wie Maschinen bewusst werden
können.
Gleichwohl
behandelte die Wissenschaft das Bewusstsein viele Jahre lang nur
stiefmütterlich. »Bis vor rund 30 Jahren war die Erforschung des
Bewusstseins ein Tabu, und das aus guten Gründen«, sagt Lenore Blum,
theoretische Informatikerin an der Carnegie Mellon University in
Pittsburgh, Pennsylvania, USA. »Damals gab es keine guten Techniken, um
das Gehirn auf nicht invasive Weise zu untersuchen«, erzählt Blum, die
auch Präsidentin der Association for Mathematical Consciousness Science
mit Sitz in München ist, einer internationalen
Vereinigung von Wissenschaftlern und Philosophen, die sich mit
mathematischen Themen in der Bewusstseinsforschung befasst .
Im
Jahr 1990 – etwa zu der Zeit, als die funktionelle
Magnetresonanztomografie aufkam – trug ein einflussreicher Artikel dazu
bei, den Ruf des Fachgebiets zu verändern. Der Biologe und
Nobelpreisträger Francis Crick und der Neurowissenschaftler Christof
Koch, der heute am Allen Institute for Brain Science arbeitet, schrieben
damals: Die Zeit ist reif für einen Angriff auf die neuronalen Grundlagen des Bewusstseins .
Seitdem haben Philosophen und Neurowissenschaftler zahlreiche Theorien präsentiert die sowohl die physikalischen Grundlagen des subjektiven Erlebens – das
so genannte »harte Problem des Bewusstseins« – erklären sollen als auch
die »einfachen Probleme« wie Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Als der
Mathematiker Jonathan Mason aus Oxford, Großbritannien, versuchte, alle
zusammenzutragen, stieß er auf mehr als 30.
Einige davon war besonders einflussreich ( siehe »Theorien des Bewusstseins« ).
Dazu zählen unter anderem die beiden Theorien, die Melloni zu testen
versucht: die IIT, die auf Giulio Tononi zurückgeht,
Neurowissenschaftler an der University of Wisconsin-Madison, USA, sowie
die GNWT von Stanislas Dehaene, Direktor der Cognitive Neuroimaging Unit
am INSERM-CEA in Gif-sur-Yvette, Frankreich.
nach Seth, A.K., Bayne, T.: Theories of consciousness . Nature Reviews Neuroscience 23, 2022; Lenharo, M.: The consciousness wars: can scientists ever agree on how the mind works ? Nature 625, 2024; Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft (Ausschnitt) Angesagt
ist auch eine Gruppe an Erklärungsmodellen, die als Theorien höherer
Ordnung (HOT) bezeichnet werden. Ihnen zufolge können Inhalte nur dann
bewusst erlebt werden, wenn sie in einer Metarepräsentation in
Hirnarealen höherer Ordnung zusammengeführt werden. Ein weiteres
bekanntes Konzept ist die Theorie der rekurrenten Verarbeitung (RPT).
Demnach benötigt Bewusstsein eine Schleife aus Informationsfluss und
Rückkopplung. Die Idee wurde vor allem in den visuellen Bereichen des
Gehirns untersucht, aber das gleiche Modell sollte ebenfalls für andere
Sinne wie Hören oder Riechen gelten. Empirische Studien, die die
Vorhersagen solcher Theorien testen, werden immer gründlicher und
ausgefeilter. Doch – wie so oft in der Wissenschaft – in der Regel
führen Forschende sie durch, die die jeweilige zu überprüfende Idee
befürworten. Sie neigen also bisweilen dazu, Daten so zu ermitteln,
auszuwählen und zu interpretieren, dass das Ergebnis ihre Erwartungen
erfüllt. Laut Rony Hirschhorn macht das die Experimente anfällig für
Bestätigungsfehler, und infolgedessen hätten sich die Theorien isoliert
entwickelt. »In
den letzten 30 Jahren gab es einige vorherrschende Theorien. Sobald
neue Ergebnisse auftauchten, wurden diese Theorien überarbeitet, um die
neuen Erkenntnisse zu berücksichtigen«, sagt Biyu He,
Neurowissenschaftlerin an der New York University Grossman School of
Medicine in New York City. In diesem Sinn würden die Kollaborationen aus
Vertretern gegensätzlicher Standpunkte das Feld nun wachrütteln, denkt
He. Sie selbst leitet eine solche Zusammenarbeit, in der RPT und zwei
Versionen von HOT getestet werden.
»Eine unserer Hauptaufgaben ist es, eine gemeinsame Sprache zu finden, um sicherzustellen, dass wir über das Gleiche reden« Liad Mudrik, Neurowissenschaftlerin an der Tel Aviv University Einigen
Studienleiterinnen und -leitern zufolge sind manche Vertreter
prominenter Theorien dafür verantwortlich, dass die Tests bisweilen eher
gegeneinander denn miteinander ausgeführt wurden. »Das gilt nicht für
alle Kollaborationen und hängt bis zu einem gewissen Grad davon ab, wie
einfach die Theorien miteinander zu vergleichen sind«, weiß He. Einige
der teilhabenden Fachleute werden jedoch als Personen mit großem Ego
beschrieben. Auffallend ist, dass die meisten Experten männlich sind.
»Ich glaube nicht, dass das daran liegt, dass Frauen keine wichtige
Forschung betreiben«, so He. »Ich vermute, das liegt eher daran, dass bestimmte Leute eher bereit sind, über große Theorien zu sprechen.«Ein Crashkurs in Diplomatie Die
Neurowissenschaftlerin Liad Mudrik von der Tel Aviv University erinnert
sich, wie aufgeregt sie war, als sie an dem Treffen in Seattle
teilnahm, aus dem die Kollaboration zwischen Vertretern der IIT und der
GNWT hervorging, genannt »Cogitate«. »Ich habe alles aufgeschrieben, was
die Leute gesagt haben, und war total begeistert von dem ganzen
Prozess«, erinnert sich Mudrik, die auf dem Treffen zur Koleiterin des
Projekts ernannt worden war. Bereits während ihres Rückflugs nach Israel
entwarf sie auf der Grundlage der Diskussionen einen Versuchsplan und
schickte ihn sogleich an ihre Kollegen. »Damals war ich wirklich naiv«,
sagt Mudrik. Es sollte zehn Monate dauern, bis ihr Plan tatsächlich in
die Tat umgesetzt wurde. Zunächst
stritten die Forschenden darüber, welche Aspekte des Bewusstseins man
mit welchen Methoden untersuchen sollte. Schließlich einigten sie sich
auf zwei Experimente: jeweils eines, das von der jeweiligen
konkurrierenden Theoretikergruppe präferiert wurde. Nun erstellte das
Team eine Liste mit Vorhersagen der beiden Theorien. Die Frage war
letztlich, was bei drei verschiedenen Arten von Hirnscans von
Probandinnen und Probanden zu sehen sein würde, wenn diese bestimmte
kognitive Aufgaben erledigten. Die Forschergruppe einigte sich auch
darauf, welches Ergebnis bei den unterschiedlichen Tests dazu führen
sollte, dass die jeweilige Theorie »bestanden« hat oder
»durchgefallen« ist. Im ersten Experiment wurden den insgesamt
256 Teilnehmern und Teilnehmerinnen eine Reihe von Bildern und Symbolen
gezeigt. Sobald ganz bestimmte Bilder auftauchten, mussten sie sich
melden. Gemäß der IIT sollte diese Aufgabe eine anhaltende Aktivierung
im hinteren Teil des Gehirns auslösen. Die Daten legen das nahe.
Allerdings synchronisierte sich die Aktivität zwischen den Hirnarealen
im hinteren Kortex nur vorübergehend und nicht wie angenommenen
dauerhaft. Die GNWT prognostizierte hingegen, dass der
präfrontale Kortex während der Aufgabe aktiviert wird – was sich
ebenfalls bestätigte. Es gab jedoch keine Hinweise darauf, dass die
Region Informationen über die Ausrichtung des gesehenen Objekts
enthielt. Dies ist aber Teil der bewussten Erfahrung und wäre gemäß der
Theorie zu erwarten gewesen. Das Experiment fand zudem Beweise für die
von der GNWT postulierte globalen Signalübertragung – allerdings nur zu
Beginn einer Erfahrung und nicht auch am Ende wie vorhergesagt. Die
Ergebnisse dieses ersten Experiments wurden im Jahr 2023 in einem Preprint
veröffentlicht. Sie würden einige der Vorhersagen der zwei Theorien
bestätigen, aber gleichzeitig beide grundlegend in Frage stellen, heißt
es in der Publikation. Im zweiten Experiment mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein
Videospiel spielen. Währenddessen sollten sie Auskunft darüber geben, ob
sie bestimmte Bilder im Hintergrund des Bildschirms wahrnehmen. Die
zugehörigen Ergebnisse wurden jedoch noch nicht publiziert. Die beiden
Experimente waren ein Kompromiss, den das Team eingehen musste, um einen
Konsens zwischen den Lagern von Tononi und Dehaene zu finden. »Ich
bewundere beide sehr und halte sie für extrem gute Wissenschaftler«,
sagt Melloni. Aber sie fügt hinzu: »Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn
sie sich die Chance geben würden, einander zuzuhören.« Weil das kaum
geschah, bestand eine diplomatische Strategie darin, sich mit den beiden
Theoretikern in getrennten Gesprächen zu unterhalten und die Ideen des
einen in die des anderen zu »übersetzen«. »Eine unserer Hauptaufgaben
ist es, eine gemeinsame Sprache zu finden, um sicherzustellen, dass wir
über das Gleiche reden«, beschreibt Mudrik das Vorgehen. Zumindest
ein bisschen hat es offenbar funktioniert: So berichtet Tononi auf
Anfrage, dass die kontradiktorische Kollaboration es ihm ermöglicht hat,
die anderen Theorien klarer zu sehen. Er räumt auch ein, wie schwierig
das Projekt war, und lobt die Leiter der Studie – Melloni, Mudrik und
Michael Pitts, Psychologe am Reed College in Portland, Oregon – dafür,
dass sie es durchgezogen haben. »Sie haben so viel von ihrer Zeit und
Leidenschaft investiert, anstatt ihre eigenen Experimente zu machen«,
sagt er. Die drei hätten fantastische Arbeit geleistet. Dehaene hat auf
die Anfrage von »Nature« nicht geantwortet. Die Gräben verkleinern Offenbar
sind besonders jüngere Wissenschaftler darauf bedacht, einen
gemeinsamen Nenner zu finden. Johannes Kleiner war während seiner ersten
Promotion auf dem Gebiet der mathematischen Quantenfeldtheorie
frustriert über die Streitereien unter den älteren Wissenschaftlern.
»Von außen wurde das Fachgebiet als nicht sehr fortschrittlich
wahrgenommen, weil jeder so lautstark behauptete, dass andere Ansätze
falsch seien«, sagt er. Als
er sich entschloss, ein zweites Mal zu promovieren, diesmal in der
Bewusstseinsforschung, kannte er die bestehenden Spannungen in diesem
Feld. Dennoch hatte er den Eindruck, dass die Leute im Allgemeinen gut
miteinander auskamen. »Die Gemeinschaft war zuversichtlich, dass die
adversialen Kollaborationen nützliche Daten hervorbringen würden«, sagt
er. Der offene Brief zerstörte diese Hoffnungen jedoch. Die heftigen
Diskussionen im Internet beunruhigten Kleiner, und er entschloss sich,
aktiv zu werden. Er wollte nicht, dass sein neues Arbeitsgebiet genauso
wahrgenommen wird wie sein erstes. »Ich weiß, das klingt total naiv,
aber wenn man diese Spaltung nicht heilen kann, dann folgen daraus so
viele negative Dinge«, befürchtet er. »Die Ergebnisse sollten nicht als endgültiger Beweis für oder gegen eine bestimmte Theorie gewertet werden« Biyu He, Neurowissenschaftlerin an der New York University Grossman School of Medicine Nachdem
der offene Brief veröffentlicht wurde, half Kleiner ein Online-Event zu
organisieren, um die Zukunft der Bewusstseinswissenschaft zu
diskutieren. Die Veranstaltung fand unter dem Banner der Association for
Mathematical Consciousness Science statt. Kleiner war 2021
Gründungsmitglied der Organisation. Doch die Idee ging nach hinten los.
Einige Leute in der Community empfanden das Format der Veranstaltung als
zu einseitig. Nach reiflicher Überlegung wurde das Treffen in »einen
virtuellen Kaffee und ein offenes Gespräch« geändert, bei dem die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgefordert wurden, den offenen Brief
nicht direkt zu erwähnen.
Eine andere Organisation, die den
Forschungsbereich dabei unterstützen möchte, die Differenzen zu
überwinden, ist die Mediterranean Society for Consciousness Science –
eine Vereinigung, die Nachwuchsforscher in den Bewusstseinswissenschaften fördert
und tief gehende Gespräche zwischen Gelehrten verschiedener
Denkrichtungen anregen möchte. »Ohne einen solchen Austausch gerät man
in eine Art Kreislauf, in dem man immer mehr von dem macht, was man
bereits weiß«, sagt die Vizepräsidentin der Gesellschaft, Rony
Hirschhorn.
Trotz den Schwierigkeiten profitiert die Bewusstseinsforschung Viele
Forschende begrüßen die gegnerschaftliche Zusammenarbeit als eine
Möglichkeit, aus diesen wiederkehrenden Abläufen auszubrechen. Aber sie
bleiben pragmatisch: »Die Ergebnisse sollten nicht als endgültiger
Beweis für oder gegen eine bestimmte Theorie gewertet werden«, sagt zum
Beispiel Biyu He. Nichtsdestoweniger liefern die Kollaborationen
wertvolle Daten. »Es werden dringend benötigte Ressourcen in das Feld
eingebracht, mit denen sich sehr solide, große gemeinschaftliche Studien
durchführen lassen«, so He.
Melloni fragt sich, ob die
adversialen Kollaborationen teilweise selbst für die jüngsten
Turbulenzen verantwortlich sind, weil sie die gegensätzlichen Meinungen
zusammenbringen. Als die Ergebnisse des ersten Cogitate-Experiments
eintrafen, waren Melloni und ihre Koleiter nicht gerade überrascht, dass
sich die Verfechter der beiden Theorien nicht einigen konnten, was die
Daten bedeuten.
»Wenn ich eines bedauere, dann, dass ich
es nicht geschafft habe, ihnen klarzumachen, dass in beiden Ideen etwas
Wertvolles steckt« Lucia Melloni, Neurowissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main Am
Ende stellten neutrale Fachleute die Ergebnisse in einem Preprint vor.
Darin beschreiben sie, wie die Experimente beide Theorien auf
unterschiedliche Weise in Frage stellen. Die beiden gegnerischen Gruppen
schrieben in der Publikation ihre eigenen Diskussionsabschnitte, in
denen sie jeweils darlegen, wie die Ergebnisse ihrer Ansicht nach zu
ihren Vorhersagen passen.
Melloni
gibt zu, dass sie anfangs die falsche Hoffnung hegte, die Theoretiker
würden die Ergebnisse einfach akzeptieren und anhand der Daten mögliche
Fehler in ihren eigenen Theorien erkennen. »Wenn ich eines bedauere,
dann, dass ich es nicht geschafft habe, ihnen klarzumachen, dass in
beiden Ideen etwas Wertvolles steckt.« Ihr Mentor, der Nobelpreisträger
und Psychologe Daniel Kahneman, der die Idee der kontradiktorischen
Zusammenarbeit erstmals vorstellte, hatte sie genau vor diesem Szenario
gewarnt: »Er sagte: ›Bereite dich darauf vor, dass sie ihre Meinung
nicht ändern werden‹«, erinnert sie sich. Das mache aber nichts,
beruhigte er sie. Denn mit der Zeit würden neue Beweise dazu beitragen,
die Ansichten anderer Forscher in der Gemeinschaft zu wandeln. Die
Vorstellung, dass jemand seine Meinung auf Grund von ein oder zwei
Ergebnissen bei einem so komplexen Thema wie dem Bewusstsein ändern
würde, war »von Anfang an nicht plausibel«, findet auch Tononi.
Hirschhorn
glaubt, dass der Konflikt auf eine gewisse Art und Weise produktiv war.
Die Polarisierung gab es zwar schon immer, doch die Menschen haben sie
nicht explizit diskutiert – bis die Kollaborationen und der offene Brief
sie ans Licht gebracht hätten, sagt sie. »Ich glaube, jetzt müssen wir
die Ärmel hochkrempeln und weiter daran arbeiten.«
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Nota. - Verständigen - worüber denn? Eine gemeinsame Sprache finden - für Phy-siologie und Philosophie? Ja, wofür denn? Wenn sie - wozu auch immer - in ein fachliches Gespräch geraten, müssten die einen immer sagen: Hier meine ich es physiologisch, und die andern: Hier meine ich es philosophisch . Was wäre damit gewonnwn? Das ist so gut wie wenn sie in kein Gespräch kämen. Hier rede ich von Materie, da redest du von.. . na ja, sagen wir: Geist ...
Sie reden von zwei ganz unterschiedlichen Komplexen,** da wär's das beste, sie verwendeten verschiedene Namen. Am besten verzichteten wohl die Philoso-phen auf die Vokabel, denn sie stiftet selbst intra muros nur Verwirrung. Sie sollten - weil sie es könnten - in jdem Zusammenhang sie jeweis genauere Bestimmung verwen-den: Reflexion, Gewärtigkeit, Absicht und manches andere. Den Triumph können sie den Physiologen schon gönnen, denn den größeren Vorteil - die größere Klar-heit - hätten sie selber.
**) diese von reagieren, jene von agieren.
*) Ein Hinweis an Frau Melloni: Physiologie und Philosophie waren nie verheiratet - jedenfalls nicht, seit sich die Wissenschaften herausgebildet haben - und müssen daher nicht erst geschieden werden. Man könnte die Ausbildung von Wissenschaft rückgängig machen wollen. Aber das sollte man dann klar und deutlich aussprechen.
zu Philosophierungen Die Frage ist nicht, ob
"man" die Wissenschaften trennen kann, sondern ob nicht gewisse
Wissenschaften "von selbst" von andern Wissenschaften getrennt sind. Gewiß,
wenn man von vorneherein alle Gegenstände, die man möglicherweise
vor-finden kann, dogmatisch in die Rubriken "Geisteswissenschaften" und
"Naturwis-senschaften" einteilt, verfällt man in einen logischen Zirkel,
indem man das, was man vorher hineingesteckt hat, notwendigerweise
hinten wieder heraus analysiert. Darum wurde vorgeschlagen ,
die Wissenschaften in "nomothetische" (= solche, die auf die
Formulierung allgemeiner Gesetze abzielen) und in "idiographische"
( = sol-che, die das je einzeln Gegebene beschreiben) zu unterteilen. Aber
das ist keine Un-terscheidung der Gegenstände "a priori", von
vornherein und durch bloße logische Konstruktion, sondern eine
Unterscheidung im nachhinein: Welche Gegenstände haben sich tatsächlich
für die Behandlung nach der einen Methode, und welche ha-ben sich für die andere Methode tauglich erwiesen?
... Denn natürlich geht es
den Naturwissenschaften um das Formulieren allgemein-gültiger Gesetze und
nicht um die Darstellung eines tatsächlich vor ihr liegenden ("Natur"-)
Objekts. Darum löst sie ja die Gegenstände zuerst aus ihrer natürlichen
Umgebung heraus und versetzt sie in eine künstliche Labor -Situation,
wo ein jedes Ding nicht mehr als es selber, sondern bloß als Vertreter
seiner Gattung erscheint. Man hat es also durch das bloße experimentelle
Verfahren definiert als eines, das... einer Gattung zugehört! Das
kann man mit historischen Ereignissen, mit gedanklichen Gebilden (also
mit philosophischen "Systemen"), mit Kunstwerken und sozialen Situationen
nicht ma-chen. Die kann man höchstens, nach erschöpfender
"idiographischer" Bearbeitung, je nach den Ergebnissen wegen ihrer mehr
oder weniger großen Ähnlichkeiten in Gruppen zusammenfassen. Aber daraus
lassen sich nachträglich keine "Gesetze" rekonstruieren, denn die
könnten ja nur... die eigene Vorgehensweise betreffen! Wenn
irgendeine Denkfigur oder ein Vorstellungsschema aus einer
Geisteswissen-schaft (z.B. Philosophie) in einer naturwissenschaftlichen
Disziplin (z.B. Mikrophy-sik) wiederauftaucht, oder umgekehrt: dann
handelt es sich immer nur um eine Ana-logie, die unser
Vorstellungsvermögen zum Weiterdenken anregen mag, aber nie um eine
Identität, aus der sich ihrerseits wissenschaftliche Schlüsse ziehen
ließen.
... Die Unterscheidung von
Natur- und Geisteswissenschaften stammt von Wilhelm Dilthey. Der war
kein Dummkopf und wußte ziemlich viel. Wie manchem anderen ist ihm
aufgefallen, daß das Wort Wissenschaft "irgendwie" je nach Disziplin in
deutlich verschiedenem Sinn verstanden wird. Das hat er zu klären
versucht, indem er die (bestehenden!) Wissenschaften nach ihren Gegenständen in
solche unter-schied, in denen sich der Mensch mit den Dingen außer ihm
beschäftigt, und sol-che, wo er sich mit sich selbst und seinen Werken
befaßt. Das Problem war, daß sich damit eine klare Grenzlinie
gar nicht, wie er dachte, ziehen ließ.* Auch Dilthey hatte seinen Kant
gelesen und mußte zugeben, daß sich in den "Naturwissenschaften" der
Mensch nicht mit den Dingen beschäftigt, wie sie an sich sind,
sondern mit den Dingen, wie er sie sich zurechtkonstruiert hat.
Durchführen läßt sich seine Unterscheidung nur dann, wenn man das, was
man
herausfinden will, klammheimlich vorneweg schon vorausgesetzt hat. Darum hat der Neukantianer Wilhelm Windelband
die Unterscheidung von Nomo-thetisch und Idiographisch eingeführt.
Natürlich hatte er dieselben (bestehenden) Wissenschaften im Auge wie
Dilthey: Was haben Chemie und Physik gemein, und was unterscheidet sie
gemeinsam von Philosophie und Geschichte - und was haben letztere
gemeinsam? Natürlich kann man die Liste ausweiten, aber um wen es geht, weiß man schon irgendwie. Die
neue Formulierung Windelbands bezog sich daher nicht auf die
Gegenstände (die man so sauber gar nicht trennen kann), sondern auf die
Erkenntnisziele und die jeweils ihnen entsprechenden Verfahren.
Ich hoffe, jetzt ist es
klarer. Wenn Du meinst, Kunst und Geschichte hätten "mit dieser Art
Wissenschaft nichts zu tun", dann hattest Du es aber schon beim
er-stenmal richtig verstanden: Genau das wollte ich sagen. Und Philosophie genau-sowenig! Die
hat - seit der Kant'schen Revolution - ausschließlich mit dem Erzeu-gen
und den Erzeugnissen unserer Vorstellung zu tun. Von den Dingen "an
sich" weiß sie gar nichts. Sie ist eine Kritik unseres Vernunftgebrauchs
und lehrt uns, daß die begrifflichen Spekulationen gar nichts zur
Naturerkenntnis beitragen, und daß uns die Naturwissenschaften keinen
Deut weiterbringen, wo es um den Sinn der Sache(n) geht.
aus einem Online-Forum, 24..9.. 07
Nachtrag für Jüngere: Als die Grünen noch frisch waren und "ganz anders als die Altparteien", stritten sie, ob sie überhaupt in die Parlamente wollten. Da hieß es: Die außerparlamentarische Bewegung blie-be ihr Standbein, eventuelle Parlamentsfraktionen würden lediglich zum "Spielbein".
Nun sind sie in den Regierungen.
aus derStandard.at , 13. 1. 2025 zu Männlich
Warum feste Liebesbeziehungen für Männer wichtiger sind als für Frauen
Männer profitieren
emotional wie auch gesundheitlich mehr von Partnerschaften als Frauen,
beenden Beziehungen seltener und leiden stärker unter Trennungen
... Unzählige Filme und Serien haben das Klischee zementiert, dass Frauen
diejeni-gen sind, für die eine feste Liebesbeziehung zentraler
Bestandteil des Lebens ist und lieber bis zur Selbstaufgabe schmachten
und leiden, als alleine dazustehen, während Männern zugestanden wird,
ein glückliches Lotterleben ohne langfristige Bindun-gen zu führen.
Dass diese Vorstellungen in der Realität nicht haltbar sind, hat nun
eine großange-legte Metaanalyse zutage gebracht. Forschende um die
Psychologin Iris Wahring von der Humboldt-Universität in Berlin haben
die Ergebnisse von mehr als 50 wis-senschaftlichen Studien aus den
vergangenen 20 Jahren zusammengetragen, die Ge-schlechterunterschiede in
heterosexuellen Beziehungen untersucht haben – und kamen zu
überraschenden Ergebnissen.
Emotionale Abhängigkeit
Denn romantische Beziehungen scheinen für Männer eine größere Rolle zu spielen als für Frauen, wie das Team im Fachblatt Behavioral and Brain Sciences
berichtet. "Männer sind offenbar tendenziell stärker darauf fokussiert,
feste Beziehungen ein-zugehen", sagt Wahring. In einer aktuellen
US-Studie beispielsweise gaben 61 Pro-zent der alleinstehenden Männer,
aber nur 38 Prozent der alleinstehenden Frauen an, dass sie gerade auf
der Suche nach einer Partnerschaft sind. Darüber hinaus stellen die
Studienautorinnen und -autoren fest, dass Männer seltener als Frauen die
Trennung initiieren, dass sie nach dem Bruch eher Einsamkeit empfinden
und we-niger dazu neigen, die positiven Seiten der Trennung zu sehen.
Doch was sind die Gründe für die offenbar stärkere Abhängigkeit von
Männern von einer dauerhaften Paarbeziehung? "Beziehungen wirken sich
bei Männern posi-tiver auf Wohlbefinden und Gesundheit aus als bei
Frauen. Selbst die Lebenserwar-tung von Männern hängt stärker davon ab,
ob sie in einer festen Beziehung leben, als das bei Frauen der Fall
ist", erklärt Wahring. Männer verlieben sich der Studie zufolge
schneller und häufiger und erwarten größere emotionale Vorteile von
Be-ziehungen.
Letzteres zeigte sich in dem theoretischen Modell, das die
Forschenden entwi-ckelten, als bedeutendster Erklärungsansatz: Aus
zahlreichen Studien sei bekannt, dass Frauen typischerweise stärkere
Netzwerke außerhalb romantischer Beziehun-gen aufbauen und emotionale
Unterstützung eher durch Freundschaften und Fami-lienmitglieder erhalten
als Männer. "Daher sind heterosexuelle Männer stärker von ihrer festen
Partnerin abhängig, um ihre emotionalen Bedürfnisse zu erfüllen als
he-terosexuelle Frauen. Kurz gesagt, feste Beziehungen sind psychologisch
wichtiger für Männer als für Frauen", fasst Wahring zusammen.
Soziale Normen
Dass für viele Männer ihre Partnerinnen die
primäre Quelle emotionaler Unterstüt-zung und Intimität sind, zeigte etwa
eine britische Studie, in der rund vier Fünftel der Männer, aber nur
etwa die Hälfte der Frauen angab, dass der Partner oder die Partnerin
gleichzeitig auch ihre engste Bezugsperson ist. Ursache dafür dürften
tief verankerte Muster sein.
"Soziale Normen haben einen Einfluss darauf, dass Frauen häufiger
Emotionen mit anderen teilen und sich gegenseitig stärker unterstützen
als Männer das tun. Schon kleine Kinder erleben diese Normen, denen
zufolge es für Mädchen viel üblicher und angemessener ist als für
Jungen, Emotionen und Verletzlichkeiten zu teilen", sagt Co-Autor Paul
van Lange von der Freien Universität Amsterdam. Das könne weitreichende
Konsequenzen für Gesundheit und Wohlbefinden haben.
Erst vor wenigen Tagen hat eine Studie gezeigt, dass alleinstehende Frauen oft zufriedener sind als alleinstehende Männer .
Einer britischen Untersuchung zufolge verdoppelt sich bei
alleinlebenden Männern das Suizidrisiko im Vergleich zu Män-nern, die mit
einer Partnerin zusammenleben. Männer, die Dauersingles sind oder
häufige Trennungen hinter sich haben, sind im Vergleich zu Frauen
häufiger de-pressiv und einsam und weisen zudem oft erhöhte
Entzündungsmarker im Blut auf.
Nach dem Beziehungsende Dass Männer sowohl psychisch als auch
körperlich von Partnerschaften profitieren, dürfte auch dazu führen,
dass Männer seltener Trennungen initiieren als Frauen. So leiten laut
der Studie Frauen rund 70 Prozent der Scheidungen ein, Männer dagegen
nur 15 Prozent. Die verbleibenden 15 Prozent entfallen auf Scheidungen,
für die sich beide Partner gleichermaßen entschieden haben.
Außerdem leiden Männer intensiver und länger unter Trennungen. Sie
suchen schneller neue Partnerschaften, oft um emotionale Unterstützung
wiederzugewin-nen. Männer nehmen zudem im Vergleich zu Frauen weniger oft
positive Verän-derungen nach einer Trennung wahr und neigen auch dazu,
ihre Ex-Partnerin wei-terhin positiv zu sehen. Nach dem Beziehungsende
wachsen sie seltener über sich hinaus und versuchen weniger oft, ihre
Bedürfnisse besser kennenzulernen, als das bei getrennten Frauen der
Fall ist.
Die Ergebnisse beruhen ausschließlich auf Befunden zu heterosexuellen
Beziehun-gen, zumeist in westlichen Industrieländern, betont das
Forschungsteam. "Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede es bei
Männern und Frauen in homosexuellen Beziehungen oder in anderen Kulturen
gibt, diese Fragen müssen zukünftige Studi-en beantworten", sagt van
Lange.
Studie
Behavioral and Brain Sciences: "Romantic Relationships Matter More to Men than to Women"
Nota. - Was ist denn da los? Nicht nur hängen Männer tiefer in ihren Bindungen als Frauen - sie sind auch nach der Trennung gerechter mit der Verflossenen als die mit ihnen. Das stellt ja alles auf den Kopf, was uns durch hunderte von Generationen überliefert ist! Wartet's nur ab, gleich werden wokere Schwestern anprangern, was sie damit zu verschleiern suchen...
" Tief verankerte Muster" würden vielmehr dabei zu Tage treten, heißt es in der Meldung. Und erinnert daran, dass Frauen sich eher in einen kleinen Kreis enger Freundinnen binden, während Männer größere Verbände bevorzugen, in denen Wettbewerb herrscht ist. Und das wiederum erinnert hier mehr an gemeinsames Sammeln und dort an gemeinsames Jagen.
Das war die über hunderttausende von Jahren vorherrschende Weise der Lebens-haltung. Sesshaftigkeit, Ackerbau und Eigentum, aus denen eine angebliche Vor-herrschaft der Männer allenfalls hervorgegangen sein könnte, sind höchstens zehntausend Jahre alt. Zu tief verankerten Mustern könnten sie es noch kaum gebracht haben. JE
skyrat, aus Über Ästhetik, Rohentwurf; 3
Das „Feld“ des Ästhetischen ist „konstituiert“ durch ein
Problem: nämlich „daß in unserer Einbildungskraft ein Bestreben zum
Fortschritte ins Unendliche, in unserer Vernunft aber ein Anspruch auf absolute
Totalität als einer reellen Idee liegt.“ Kant, Kritik der Urteilskraft in Werke (ed. Weischedel) Bd. X, S. 172
...daß nämlich auf dem ‚Bild’ „mehr zu
sehen“ ist, als es abbildet. Daß außer den (zahllosen) identifizier-, meß- und
mitteilbaren Merkmalen „am“ Bild ( = den digita-lisierbaren Punkten auf dem
Bildschirm, Pixels) noch etwas „Anderes“ „erscheint“; also daß „am“ Sinnlichen
ein nicht-sinnlicher Überschuß „wahrnehmbar“ wird; näm-lich (s)eine Bedeutung
(alias Das Transzendente).
Hardy5, pixelio.de
Namentlich die Gute Gestalt „sieht so aus,
als ob sie uns was sagen will“, das mehr
ist als nur ihr sachlicher Grund; etwa das Blattwerk der Pflanze; die aerodynamische
Form des Vogels; die Rundung des Bachkiesels... Mehr ist als Zweckform und
Ur-sache.
Das war schon
immer so . Aber es ist noch nicht immer aufgefallen. Sobald es aber auffiel
(den alten Griechen nämlich), nannte man es „das Schöne“ und setzte es so-gleich
in ein logisch-genetisches Verhältnis zum Wahren; systematisch bei Plato/Plotin.
Übrigens nicht zuerst das Kunstschöne - bei Plato ausdrücklich nicht: Sein
Urbild des Schönen ist der schöne Knabe. Aber wiederum nicht, sofern er Natur (‚Werden’)
ist, sondern sofern er an der Idee (‚Sein’) „teilhat“*. So in der Reflexion. Für
Plato war der Knabe Inbild des Erotischen: ein außerästhetisches Motiv -
dies-seits der Reflexion. Oder ist das Erotische selber der „Stoff“ des Ästhetischen?!
(In Platos - nachträglicher - Reflexion ist Eros der Drang zum Wahren und zum
Schö-nen; welches beides dasselbe ist.)
joujou, pixelio.de
Die früheste „ästhetische Absicht“ glauben
wir nicht in den Menschendarstellungen zu erkennen (Venus von Willendorf),
sondern in Tierdarstellungen: Lascaux, Alta-mira. Ein Hinweis darauf, daß „das
Kunstschöne vor dem Naturschönen da war“? (Die bloße „Natur“ - Landschaft und
Stilleben (nature morte - die zwar „tot“, aber nicht „natürlich“ ist) - wird
erst sehr spät, im 16. Jahrhundert in Holland, zum Ge-genstand der Kunst.) - Ist
aber Stilisierung allein schon „ästhetisch“**? (Dann auch bei der Venus von
Willendorf!) Auf jeden Fall hebt sie ‚am’ Gegenstand dasjenige hervor, was
seine (rituelle, mythische, logische, bedürfnismäßige) Bedeutung aus-macht! Ja,
aber nicht, dass ‚an’ den Dingen noch eine ‚Bedeutung’ haftet, macht das Ästhetische
aus, sondern daß sie als solche nicht
abgebildet, nicht ‚dingfest’ ge-macht werden kann! Also daß man sie nicht
bestimmen kann. ...
Martin Schemm
*) Das Wirkliche, „die Erscheinung“ heißt
bei Plato das Werden , die mindere,
unvollständige Seinsweise; Sein ist (ewige Form= ) Idee - das, was „in Wahrheit“
ist; und das, was ‚das Werdende’ werden soll:
das, was es „bedeutet“.
**) Stilisierung = Entindividualisierung = ‚Wiederholbarkeit’;
äußerste Stilisierung: das ‚Zeichen für ...’;
das allenthalben fungible ‚Bild von ...’;
das ökonomisierte; d. h.: entästhetisierte, anästhetisierte Bild.
Nota. - Dass man auf dem obigen Wolkenbild einen Vogel 'erkennen' kann, stört die ästhetische Wirkung.
Ostrazismus *
Was ist der Vorzug
der Demokratie vor anderen Regierungsformen?
Wer irgend mit gesundem
Menschenverstand (sensus communis ) begabt ist, wird auf die Frage Wer
soll regieren? unfehlbar die Antwort geben: der am besten dazu geeignet ist.* Das eigentliche Problem war und bleibt immer: Wer entscheidet darüber,
wer die Besten sind - wenn nicht die Besten selber?
Es ist die Quadratur des Zirkels, landläufig: Die
Katze beißt sich in den Schwanz. Denn dass die relativ
größere Weisheit stets bei dem relativ größeren Haufen wäre, wird kein
verständiger Mann behaupten wollen. Eher darf man annehmen, dass die höhere
Weisheit in den meisten Fällen bei einer Minderheit liegt. Das Kreuz ist nur:
Man weiß nie im voraus, bei welcher.
Unter diesen Gesichtspunkten ist die Herrschaft der
Volksmehrheit, wie seit Plato bekannt ist, sogar eine ganz besonders unkluge
Regierungsform. Sie ist nur dadurch zu rechtfertigen, dass einerseits kein
gesellschaftliches Korps a priori zu bevorrechten ist, und dass sie anderersits
erlaubt, die Mehrheiten auszuwechseln – so dass Minderheiten ihrerseits an die
Macht kommen können. Und dieses dann und darum, wenn und weil sich die bislang
machthaben-de Partei als weniger geeignet erwiesen hat, als eine Mehrheit zuvor
glaubte: Man kann es mit einer anderen noch einmal versuchen. Die Voraussetzung ist: die Repräsentation der Meinungen
durch Parteien, und die Periodizität der Mandate. Und das alles ganz prosaisch
und pragmatisch, ohne Glanz und Pathos, weil es sich von allen Regie-rungsformen
als die dem Gemeinwohl am wenigsten schädliche bewährt hat. Demokratie ist kein
Ideal, sondern das erwiesenermaßen kleinste Übel.
*
Das demokratische Gleichheitsgebot beruht nur
redensartlich auf den von Gott oder der Natur verliehenen ewig unveräußerlichen
Rechten einer jeden Person. Pragmatisch beruht es darauf, dass nach
vernünftigen Maßstäben keiner von vornherein einem andern vorgezogen oder ihm
hintangesetzt werden kann - und was für die zu Wählen-den gilt, tut es für die
Wähler nicht minder.
Und dass ein jeder nach unverkürzter
Selbstverwirklichung strebt, ist kein unmittelbarer, sondern erst ein
abgeleite-ter Grund politischer Gleichheit. Unmittelbar ist es ein
Privatanliegen ohne öffentliche Geltung. Erst wenn man aus anderen, eben: pragmatischen
Gründen die demokratische Staatsform als die verhältnismäßig zweckmäßigste
schon gewählt hat, kommt sekundär der Gesichtspunkt in Betracht, dass diese
Verfahrensweise besser funktioniert, wenn die öffentlichen Angelegenheit von
den Staatsbürgern nicht als lästige Pflicht, sondern als ihr ureigenster Beruf
angesehen werden. Doch das ist keine Lösung, sondern das Problem selbst. Aber
ein politisches Problem und keines der ausgefeilten Verfahrensweise.
*
Dieses sind die tatsächlichen, sachlichen Gründe
dafür, eine demokratische Staatsverfassung zu wählen. Es sind zugleich die
Gründe für die Ausbildung politischer Parteien. Eine Partei ist eine
Körperschaft, die vor die Wähler hintritt und sagt: Die Besseren, um euch zu
regieren, sind wir. Besser in Hinblick worauf? In Hinblick auf die Kompetenz
zur Vertretung. Historisch unterscheidet man zwischen Interessenparteien und
Programmparteien. Während die Tories im englischen Unterhaus die Interessen des
Hochadels vertraten, sammelten sich bei den Whigs die Vertreter des Kleinadels
und des Bürgertums.
Die sozialistischen Parteien traten später als
Interessenvertreter der Arbeiterklasse auf, aber zugleich als Reprä-sentanten
eines Programms, der Gesellschaft der Freien und Gleichen: Was heute noch
unmittelbar Interesse der Arbeiterschaft sei, wären auf lange Sicht die
Interessen der Ganzen Menschheit. Und während heute eine Partei die Interessen
der Besserverdienenden oder der Hoteliers und der Zahnärzte zu vertreten
beansprucht, verschreibt sich eine andere der Bewahrung der Schöpfung und den
Anliegen der höheren Staatsdiener und der gebildeten Mittel-schicht. Und
schließlich tritt eine Partei auf, die alle konstituierten Interessen als Residuen
einer verfließenden industriellen Zivilisation betrachtet und die Ausgestaltung
der digitalen Gesellschaft zu ihrem Programm macht – wiederum im Interesse
Aller, aber unmittelbar zum Vorteil der kreativen Prekariats in der IT-Branche.**
Doch ob Interesse oder Programm: in jedem Fall
vertreten sie, und das ist es, woran sie gemessen zu werden bean-spruchen. Und
daran kann man sie messen: nämlich nachdem man sie eine Weile hat agieren
sehen. Und aus diesem Grund treten auch in ihrem Innern nicht alle als
gleich-berechtigt auf (und lösen einander turnusmäßig bei den leitenden
Tätigkeiten ab), sondern der eine oder die andre sagt: Ich kann es besser als
dieser oder jener. Besser nämlich in Hinblick auf die Vertretung – der
Interessen und des Programms. Und auch das können alle – nämlich alle, die
dieser Partei angehören – beurteilen: nachdem man sie eine Weile hat machen
lassen.
Nachdem man sich darüber einmal verständigt hat, kommt
fernerhin in Betracht, dass sich "ein jeder einbringen kann": nämlich weil es
für die Partei besser ist, wenn alle den Parteizweck als ihre ureigenste Sache
auffassen können, als wenn nur ein paar die Partei zum Vehikel ihrer persönlich
Ambitionen machen.
*
Die praktischen Nutzanwendungen aus alledem ergeben
sich wie von selbst.
*) Die kokette Antwort Keine Macht für niemand braucht
hier nicht erörtert zu werden, solange sie, nämlich unter sonst unverändert
bleibenden Bedingungen, nur die Macht der jeweils Stärkeren bedeutet – und wenn
es selbst "das Volk" wäre.
**) (geschrieben im Jahre des Herrn 2011)
*) Foto von Gösta Hellner; Ostraka aus dem Kerameikos, Deutsches Archäologisches Institut Athen, 1963