Dienstag, 22. April 2025

Ist der Nervus Vagus meine Identität?

                                    zu Jochen Ebmeiers Realien

Bedeutet die sich abzeichnende neue Auffassung vom Nervus vagus als der durchgängigen Allvermittlung von Leib und Gehirn das Ende der Jahrtausende alten Dualiät von Körper unf Geist? Er wäre buchstäblich ihr Medium: sowohl afferens als eferens - und über seine ganze Länge und Breite ihr Grenzgebiet und Übergang; wäre ihrer beider Integration. Von einem 'dialektischen' Gegensatz könnte keine Rede mehr sein, nicht einmal mehr "rein begrifflich". 

Das wäre nicht nur in medizinischer Hinsicht eine Revolution, sondern ganz all-gemein anthropologisch. Und das Seelenleben ließe sich nicht länger verstehen als zusammegesetzt aus Geist und Gefühl.

 

Kriterium des Wahren.

  Rainer Sturm, pixelio.de                              aus Philosophierungen

Veri criterium sit id ipsum fecisse.
Kriterium des Wahren sei, es selber geschaffen zu haben. 
_________________________________________
Giambattista Vico, Liber Metaphysicus
De antiquissime Italiorum sapientia liber primus,
München 1979, S. 44/45 


Nota I. - Vicos Philosophie war ausdrücklich gegen Descartes gerichtet. Dessen rationalistischer Auffassung nach wäre das Wahre mit den Mitteln der Mathematik zu erkennen, denn die sei es, in der die res cogitans mit der res extensa zusammen-hinge und die beider Abkunft vom selben Schöpfer ausweise. Vicos Ablehnung war eine fromme; niemandem käme es zu, dem Schöpfer in die Karten zu blicken, denn erkennen könne jeder nur, was er selber gemacht hat.

Im 20. Jahrhundert galt der schon zu Lebzeiten kaum beachtete Vico als der Vor-läufer von Diltheys "verstehender" hermeneutischen Geisteswissenschaft. Das ist nicht falsch, aber pointierter ist die Einsicht, er habe der... Transzendentalphiloso-phie den Weg gewiesen. Pointierter, weil ja doch Descartes als der gilt, der die Er-kenntnisfähigkeit im ego cogito gegründet habe. Dessen eingedenk wird man hin-zufügen: Aber Vico hat es mit dem ego facio überboten.

Allerdings hat er der Tanszendentalphilosophie den Weg über Kant hinaus zu Fichte gewiesen. Populär wurde Vicos Philosophie dann doch noch in der ver-einfachten Formel Verum et factum convertuntur.
18. 5. 19 

Nota II. - Wahres Wissen ist: etwas selber gemacht haben, sagt Giambattista Vico. Von der Welt kann ich daher nichts wissen, nur wer sie gemacht hat, könnte es. Gemacht habe ich aber meine Vorstellungen, nämlich um des Machens willen. Ich weiß etwas, wenn meine Vorstellungen mir erlauben, dasjenige zu machen, was ich mir dank ihrer vorstelle. Ob oder ob nicht erweist nicht die Vorstellung selber, denn die ist grenzenlos; sondern ihre Umsetzung in Raum und Zeit; in der Materie

Das ist kein zufällig von außen hinzutretendes Kriterium, sondern der bestimmende Zweck, um den es von Anfang an ging. Zum bloßen Anschauen bräuchte ich keine Vorstellung, da reicht anschauen.

Soviel zum pp. Denkzwang. Ob meine Vorstellungen in einander aufgehen, kann allein ich selbst herausfinden: indem ich es versuche; denn ich habe sie zur Welt gebracht und kann es praktisch beurteilen. Dass es mir nur so und nicht anders gelingt, ist der einzige Maßstab.

Mit einer Schere kann ich Papier oder Kleiderstoff schneiden, zur Not auch ein Schräubchen eindrehen; einen Nagel in die Wand schlagen oder ein Stuhlbein absägen schon nicht mehr. Habe ich die Schere selbst hergestellt, weiß ich es im voraus, denn wozu sie taugen sollte, war mein Zweck. Die Sache mit dem Schräub-chen ist ein unvorhergesehener Grenzfall, da muss ichs machen wie alle andern: muss ich ausprobieren.
 JE 21. 2. 21

 

Montag, 21. April 2025

Nervus vagus und Depressionen.

Röntgenbild eines menschlichen Brustkorbs, das die Rippen und die Wirbelsäule zeigt. Ein Vagusnervstimulator ist auf der rechten Seite des Brustkorbs sichtbar, mit Drähten, die zum Hals führen. Der Stimulator ist klar umrissen und hebt sich durch seine metallischen Komponenten ab.
aus spektrum.de, 20. 4. 2025                                                      zu Jochen Ebmeiers Realien

Heilung per Vagusnerv
Dank elektrischer Reizung des Vagusnervs sollen sich verschiedenste Krankheiten kurieren lassen, behaupten Wellness-Influencer, aber auch manche Fachleute: von Depression bis hin zu krankhaftem Übergewicht. Was ist dran?

von Jena Pincott

Der Vagusnerv ist »in«. So versprechen Wellness-Influencer in sozialen Medien, mit der richtigen Behandlung dieses langen Hirnnervs könne man so ziemlich alles heilen: von Kopfschmerzen und Gedächtnisproblemen bis hin zu Depression und Übergewicht. Fußmassagen, Eisbäder und Entspannungsmusik sollen dabei helfen, seine »heilende Kraft« freizusetzen. Viele dieser Vorstellungen sind stark übertrieben. Der Hype beruht darauf, dass der Vagusnerv das Gehirn mit fast allen Organen des Körpers verbindet. Über ihn ist das Zentralnervensystem in der Lage, beispielsweise Herzrasen, hohen Blutdruck, Magenschmerzen, ein übereifriges Immunsystem und sogar die Alarmrufe von Mikroben in unserem Darm wahrzunehmen und solchen Problemen entgegenzuwirken.

Fachleute wissen seit Langem, dass die elektrische Stimulation des Vagusnervs bei einigen Krankheiten helfen kann. Sie dient heute etwa zum Behandeln bestimmter Formen von Epilepsie, Depression und der Genesungsförderung nach einem Schlaganfall. Dazu wird ein Vagusnervstimulator chirurgisch unter das Schlüsselbein implantiert und über ein Kabel mit dem Nerv verbunden. Neuere Ansätze nutzen Geräte, die den Nerv durch die Haut hindurch reizen und daher nicht mehr operativ eingesetzt werden müssen. Die Liste der damit möglicherweise therapierbaren Erkrankungen scheint endlos – von rheumatoider Arthritis über Migräne, der Autoimmunkrankheit Lupus bis zum chronischen Müdigkeitssyndrom. Und entsprechend laufen dazu viele Studien.

Eine lange Vorgeschichte

Im Jahr 1664 benannte der englische Neuroanatom Thomas Willis den längsten Hirnnerv »Vagus«, lateinisch für »umherstreifend« wegen seiner großen Ausdehnung. Genau gesagt gibt es nicht nur einen Vagusnerv, sondern zwei Stück: einen auf jeder Seite des Körpers mit jeweils bis zu 100 000 Nervenfasern. Jede davon unterstützt eine bestimmte Funktion, etwa das Atmen, die Herzfrequenz, das Immunsystem, Darmkontraktionen zum Verdauen der Nahrung und sogar Sprache. Etwa 80 Prozent dieser Fasern sind afferent, das heißt, sie berichten an das zentrale Nervensystem über den Zustand anderer Körperteile; die übrigen sind efferent, transportieren also Anweisungen vom Gehirn an den restlichen Körper.Illustration der Anatomie des Vagusnervs, die seinen Verlauf vom Gehirn durch den Körper zeigt. Der Nerv ist gelb hervorgehoben und verläuft durch das Gehirn, den Hals, die Brust und den Bauch. Beschriftungen identifizieren verschiedene Teile wie den Pharyngealast, den Herzplexus und den posterioren Vagusstrang. Der Text oben links erklärt die Funktion des Vagusnervs, einschließlich seiner Rolle bei der Regulierung von Herz, Lunge und Verdauung. Ziel-URL: [Beispiel-URL]. Anatomie des Vagusnervs | Der Vagus umfasst zwei Nervenbahnen, die über die linke beziehungsweise rechte Körperseite laufen und das Gehirn mit lebenswichtigen Organen wie etwa dem Herzen, den Lungen oder dem Verdauungssystem verbinden. Seine afferenten Nervenfasern transportieren Signale vom Körper an das Gehirn, die über den Zustand des Körpers berichten. Die efferenten Fasern, die vom Gehirn an den Körper senden, beeinflussen den Puls, die Atmung und die Verdauung. Durch die Verbindung zur Milz kann der Vagus sogar Entzündungen lindern.

Einen ersten Versuch, den Vagusnerv aus medizinischen Gründen elektrisch zu stimulieren, unternahm der amerikanische Neurologe James Leonard Corning in den 1880er Jahren. Um die Blutzufuhr zum Gehirn zu verringern und damit Epilepsie zu behandeln, hielt er seinen Patienten eine Art unter Strom stehende Grillgabel an den Hals. Allerdings ohne Erfolg. Erst ein Jahrhundert später schaffte es der Neurowissenschaftler Jacob Zabara von der Temple University in Philadelphia, mit diesem Ansatz die gestörte Hirnaktivität von Hunden, die an Epilepsie litten, zu unterbrechen. Den Durchbruch brachten direkte elektrische Stimulationen des Vagusnervs durch einen implantierten Impulsgeber, welche die Anfälle messbar verringerten. 1988 wurde dann das erste derartige Gerät zur Behandlung von Epilepsie in einen Menschen eingepflanzt.

Heutige Apparate zum Bekämpfen von Epilepsie sind direkte Nachfahren von Zabaras Erfindung und geben alle paar Minuten einen Stromstoß ab. Sie können Studien zufolge die Häufigkeit der Anfälle nach einem Jahr im Dienst durchschnittlich um 45 Prozent senken. Dieser Effekt wird hauptsächlich auf die Reizung der afferenten Fasern zurückgeführt, also derjenigen, die zum Gehirn hinführen.

Die Behandlung hatte aber eine bemerkenswerte Nebenerscheinung: Sie machte die Menschen glücklicher. Als die Ärzte den Patienten sagten, sie würden das Implantat jetzt wieder entfernen, weigerten sich viele, einfach weil die Stimulation ihnen ein gutes Gefühl gab. Die Hersteller wurden hellhörig und begannen, ihre Geräte als innovative Therapie gegen Depression zu vermarkten. Der Wissenschaft gab diese Zufallsentdeckung hingegen Rätsel auf, und sie löste eine Welle intensiver Forschung aus, die noch immer andauert.

Heute weiß man unter anderem, dass der Vagusnerv Informationen über die Herzfrequenz, die Verdauung und über den allgemeinen Zustand des Körpers an jene Gehirnregionen weiterleitet, die auch bei psychischen Erkrankungen eine Rolle spielen. Als Erstes erreichen die Signale den Nucleus tractus solitarius im Hirnstamm, der sie sortiert und weiterleitet, unter anderem zur Amygdala. Letztere hilft uns bei der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere von Angst und Stress. Ein anderes Ziel ist der Hypothalamus, der an der Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol mitwirkt. Außerdem gelangen die Impulse zur Area tegmentalis ventralis, welche eine zentrale Rolle bei unserem Erleben von Freude, Motivation und Belohnung spielt.

Die vom Gehirn ausgehenden Signale wiederum helfen dem Körper beim Regulieren seiner Aktivitäten und bewahren so sein inneres Gleichgewicht. Wenn wir etwa einer Bedrohung begegnen, steigen Herzfrequenz und Blutdruck, während die Aktivität im Verdauungstrakt abnimmt. Der Vagusnerv erkennt diese Veränderungen und meldet sie an das Gehirn. So kann Letzteres eingreifen, wenn die Stresssignale zu stark werden: Es sorgt dafür, dass der Vagus bei den inneren Organen den Neurotransmitter Acetylcholin freisetzt, was Puls und Blutdruck reduziert und die Verdauung fördert.

Der Vagusnerv kann Entzündungen hemmen

Eine zweite zufällige Entdeckung in den späten 1990er Jahren zeigte, dass der Vagusnerv noch viel mehr kann, als bloß den Körper zu beruhigen. Ein Team im Labor von Kevin J. Tracey an den Feinstein Institutes for Medical Research in New York wollte eigentlich ein Medikament testen, das Entzündungen im Gehirn reduzieren soll. Hierzu mussten die Forscher den Mäusen zuerst ein entzündungsförderndes Gift injizieren. Doch aus Versehen wurde es der Maus statt ins Gehirn in den Bauch gespritzt, was eine großflächige Entzündung im ganzen Körper auslöste.

Zur großen Überraschung von Tracey konnte das anschließend wie geplant ins Gehirn injizierte Medikament die Entzündung im Körper bremsen – obwohl die Blut-Hirn-Schranke verhindert, dass solche Substanzen aus dem Gehirn herausgelangen. »Wir haben monatelang darüber diskutiert«, erinnert sich Tracey. Es stellte sich schließlich heraus, dass der Vagusnerv die vom Medikament im Gehirn ausgelösten Signale an den Körper weitergeleitet hatte.

Noch erstaunlicher war, dass es schon ausreichte, den Vagusnerv elektrisch zu stimulieren, um Entzündungen zu hemmen – ganz ohne Medikamente. Die Entdeckung veränderte sein Leben, sagt Tracey heute. Denn die Tragweite ist immens: Mehr als die Hälfte aller krankheitsbedingten Todesfälle hängen mit Entzündungen zusammen, darunter Herzkrankheiten, Schlaganfälle, Asthma, Diabetes sowie Autoimmun- und neurodegenerative Erkrankungen. Könnte die Vagusnervstimulation hier ohne Medikamente und deren Nebenwirkungen helfen, wäre das ein dramatischer Durchbruch.

Um das Potenzial der Methode zu testen, nahm Tracey Depressionen ins Visier. Menschen mit Depressionen leiden unter unterschiedlichen Symptomen, aber sie weisen auch einige Gemeinsamkeiten auf: Traurigkeit, Motivationsverlust, sozialer Rückzug beispielsweise. Und fast ein Drittel von ihnen leidet an Entzündungen. Eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Förderung von Entzündungen spielen Botenstoffe, die zu den so genannten Zytokinen gehören. »Zytokine verursachen Depressionen«, sagt Tracey. »Wenn ich Ihnen diese Entzündungsmoleküle injiziere, werden Sie sich erschöpft fühlen und das Interesse an Dingen verlieren, die Ihnen normalerweise Freude bereiten.« Im Rahmen von Immuntherapien gegen Krebs, die Zytokine beinhalten, würden Ärzte deshalb zudem oft prophylaktisch Antidepressiva verschreiben.

In der Folgezeit versuchten mehrere Studien, den Zusammenhang zwischen Depressionen, Entzündungen und dem Vagusnerv für Therapieansätze zu nutzen. Nach ersten, wenig befriedigenden Resultaten zeigten neuere Untersuchungen nach einer mehrjährigen Anwendungsdauer vielversprechendere Ergebnisse. So konnten in einer 2017 erschienenen Studie Vagusnervstimulationen, die über fünf Jahre hinweg erfolgten, fast die Hälfte der rund 800 Probanden vollständig heilen und bei gut zwei Dritteln der Teilnehmenden die Symptome um mindestens die Hälfte reduzieren.

2019 begann eine neue, größere Untersuchung mit insgesamt 1000 schwer depressiven Patienten und Patientinnen, bei denen mehrere andere Behandlungen nicht angeschlagen hatten und die sogar Suizidversuche hinter sich hatten – Menschen, die deshalb normalerweise von klinischen Studien ausgeschlossen werden. »Diese Studie richtet sich an die kränksten der Kranken«, sagt Studienleiter Charles Conway von der Washington University. Die Probanden wurden über mehrere Jahre hinweg für jeweils fünf Jahre rekrutiert.

Gina Bolton ist eine der Teilnehmerinnen. Alle fünfeinhalb Minuten spürt sie ein sanftes Kribbeln an ihrer Kehle. Ein paar Sekunden lang klingt ihre Stimme etwas höher und dadurch etwas erstickt und aufgeregt. Aber das bedeutet bloß, dass der Stimulator funktioniert, der etwa so groß wie eine 50-Cent-Münze ist und in der Nähe ihres Schlüsselbeins implantiert wurde. Das Gerät sendet regelmäßig winzige Stromstöße – etwa zwei Milliampere – durch einen Draht, der um den Vagusnerv in der Nähe ihrer Stimmbänder gewickelt ist.

Bolton hat ihren Stimulator seit Sommer 2021. 30 Jahre lang hatte sie jede verfügbare Art der Behandlung ausprobiert – Psychotherapie, diverse Medikamente, transkranielle Magnetstimulation – ein Verfahren zur Reizung von Neuronen mit Hilfe eines Magnetfelds – und sogar Elektrokrampftherapie, bei der Elektroden an den Schläfen unter Narkose eine kurze Überregung des Gehirns auslösen. Kein Ansatz hatte nachhaltigen Erfolg. Und während all dieser Zeit machte ihr die Depression ein normales Leben fast unmöglich. Als ihr Sohn und ihre Tochter noch klein waren, brachte sie sie zur Schule, rang sich ein Lächeln ab und zog sich dann ins Bett zurück. Mehr als einmal versuchte sie, sich das Leben zu nehmen.

Der Placeboeffekt spielt eine große Rolle

Einige Monate, nachdem Bolton den Stimulator für den Vagusnerv erhalten hatte, bemerkte sie auf einmal eine Veränderung: »Ich spürte Emotionen.« Sie konnte wieder lachen oder weinen. »Vorher war ich einfach gefühllos.« Im Sommer 2023, zwei Jahre nach Therapiebeginn, setzte Bolton die Antidepressiva ab, die sie fast ihr ganzes Leben lang eingenommen hatte. Das Gerät hatte die Medikamente ersetzt.

Bei einer vorläufigen Datenauswertung im Juni 2024, für die ein Jahr lang rund 500 Patienten beobachtet wurden, zeigten sich allerdings eher durchwachsene Resultate. Zwar ging es vielen der Patienten deutlich besser, aber ebenso bei jenen, bei denen zum Vergleich das Gerät gar nicht eingeschaltet war. Anscheinend spielte der Placeboeffekt eine große Rolle bei der Genesung.

Das Ergebnis sei enttäuschend, aber nicht völlig unerwartet, sagt Sarah Lisanby, Direktorin der Abteilung für translationale Forschung des National Institute of Mental Health. Die Placeboreaktion sei ein Stolperstein für alle Studien zu psychiatrischen Geräten. Denn die aufwändigen Verfahren verstärken die Erwartung einer positiven Wirkung. Diese kann wiederum neuronale Mechanismen in Gang setzen, die entzündungshemmend wirken. Ein starker Placeboeffekt bedeutet allerdings nicht, dass eine Krankheit nicht geheilt wurde, sondern eher, dass die geprüfte Behandlung dazu wenig beigetragen hat.

In der Zwischenzeit läuft die Studie weiter. Conway und andere hoffen, dass die Daten zeigen werden, welche Patienten besonders profitieren. Zum Beispiel könnten solche mit hohen Entzündungswerten besser geeignet für eine Vagusnervtherapie sein; allerdings werden in der aktuellen Untersuchung entsprechende Daten nicht erhoben. Immerhin kennt man inzwischen Mechanismen, über die Entzündungen Depression verursachen können. Wenn Zytokine im Blut zirkulieren, etwa nachdem man sich verletzt oder mit einem Virus infiziert hat, kann die Schutzbarriere zwischen Blutgefäßen und Gehirn schwächer werden und sogar ganz zusammenbrechen. So gelangen dann Substanzen ins Gehirn, die dort nicht hingehören und daher die Immunzellen des Hirngewebes aktivieren: die Mikroglia. Diese setzen daraufhin weitere Entzündungsbotenstoffe frei.

Und das kann wiederum andere Prozesse im Gehirn stören: zum Beispiel die Produktion von Neurotransmittern wie Serotonin und Dopamin, die für Motivation und Wohlgefühl sorgen. Außerdem wird der Wachstumsfaktor BDNF, der Neurone neue Verknüpfungen bilden lässt, nicht mehr genügend hergestellt. Sinkt der BDNF-Spiegel im Gehirn stark, schwächen sich wichtige neuronale Verbindungen ab. Dann kann etwa der Präfrontalkortex nicht mehr die Aktivität der Amygdala ausreichend regulieren, um darüber unsere Emotionen vor extremen Ausschlägen zu bewahren, und der fürs Gedächtnis zuständige Hippocampus erholt sich nur noch schlecht von stressigen Erlebnissen.

Diese Kettenreaktion könnte der Vagusnerv helfen zu durchbrechen. Wenn das Gehirn Informationen über gefährliche Entzündungen im Körper erhält, sorgt es normalerweise dafür, dass die Milz den Neurotransmitter Acetylcholin ausschüttet. Beide Signalwege laufen über den Vagusnerv. Das Acetylcholin sorgt unter anderem dafür, dass in der Milz bestimmte weiße Blutkörperchen – so genannte Makrophagen – weniger Zytokine freisetzen. Außerdem kann es diese Immunzellen so umprogrammieren, dass sie nicht mehr wie sonst geschädigtes Gewebe zerstören, sondern Entzündungsherde aufsuchen und dort die Regeneration des Gewebes unterstützen. Selbst im Gehirn könnten sie dann Entzündungsschäden reparieren und die Bildung neuer Neurone und Schaltkreise anregen, sagt Tracey.

Funktioniert hingegen der Vagusnerv nicht mehr richtig, würden derartige Abläufe gestört und entzündliche Krankheiten könnten sich etablieren – einschließlich Depressionen, wie Tracey vermutet. Therapeutisch lässt sich die Hypothese jedoch bisher nur begrenzt nutzen. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse unter der Leitung von Sharmili Edwin Thanarajah vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main hat gezeigt, dass eine Vagusnervstimulation Entzündungen nicht immer beseitigen kann. Und bei jenem Drittel an Depressiven, die zu viel Zytokine im Blut aufweisen, lindert sie manchmal die Depression, aber nicht die Entzündung.

Ein Grund für die gemischte Erfolgsgeschichte könnte die Mehrdeutigkeit der Diagnose Depression sein. »Depressive Menschen haben vielleicht ähnliche Symptome, aber sie haben nicht alle dieselbe Krankheit«, sagt Tracey. Diese Vielfältigkeit könnte bedeuten, dass unterschiedliche Vagusnervsignale bei individuellen Menschen verschieden wirken. Einige könnten von Impulsen aus dem Gehirn profitieren, die Entzündungen hemmen und den Körper beruhigen, während bei anderen eher Signale, die zum Gehirn hinlaufen, helfen könnten.

Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren liefern dafür einige Anhaltspunkte. Die Ergebnisse variieren zwar je nach Art der Stimulation des Vagusnervs, aber im Allgemeinen scheint diese die Verbindungen von Präfrontalkortex und Amygdala zu verstärken, was zu einer besseren Kontrolle der Emotionen führen kann. Sie steigert auch die Aktivität in der linken vorderen Insula, wo Emotionen verarbeitet werden. Darüber hinaus fand ein Team unter der Leitung von Jian Kong vom Massachusetts General Hospital und der Harvard Medical School heraus, dass eine Vagusnervstimulation gegen Depression zwei Hirnregionen stärker miteinander verknüpft: den medialen Hypothalamus, der Stressreaktionen reguliert, und den rostralen anterioren zingulären Kortex, welcher mit selbstbezogenem Denken zusammenhängt. Das verbessert möglicherweise die Integration von emotionalen und kognitiven Prozessen.

Die positiven Effekte einer elektrischen Reizung könnten auch auf eine Zunahme von Noradrenalin und Serotonin im Gehirn zurückgehen. Bei Nagetieren wurden die beiden Neurotransmitter mit erhöhter Energie und Wachsamkeit in Verbindung gebracht. Außerdem führten Vagusnervstimulationen in Tieren zu vermehrter Ausschüttung des Wachstumsfaktors BDNF, der die durch Stress und Depression verloren gegangenen neuronalen Verbindungen wiederherstellen hilft. Darüber hinaus scheint die Behandlung einen Mangel an weiteren Botenstoffen zu beseitigen, die bei Depressionen häufig aus dem Gleichgewicht geraten sind, etwa Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und Glutamat.

Conway führt jedoch die Wirkung der Stimulationstherapie vor allem auf eine Veränderung des Dopaminsystems zurück. Dopamin ist entscheidend an Hirnprozessen beteiligt, die mit Motivation und Vergnügen zu tun haben; bei Menschen mit Depressionen fehlt es an dem Transmittermolekül. Bereits vor mehr als zehn Jahren demonstrierten Conway und sein Team mit bildgebenden Verfahren: Stark depressive Patienten, die nach einem Jahr Vagusnervstimulation Besserung zeigten, wiesen außerdem eine erhöhte Aktivität in ihrer Area tegmentalis ventralis auf, wo Dopamin entsteht.

Die Motivation aktivieren

Laut neueren Untersuchungen des Neurowissenschaftlers Nils Kroemer von der Universität Bonn und der Universität Tübingen beeinflusst die elektrische Vagusnervstimulation entsprechend auch die Motivation und damit das Verhalten. In seiner 2024 erschienenen Studie ließ Kroemer Patienten mit Depressionen eine Art Videospiel spielen, bei dem sie etwas Geld oder Essen gewinnen konnten. Die Bereitschaft, für die Belohnung ein schwierigeres Level zu absolvieren, erhöhte sich deutlich, wenn der Vagusnerv der Patienten stimuliert wurde.

Zumindest bei einigen depressiven Menschen könne der charakteristische Mangel an Motivation daran liegen, dass der Vagus zu wenig Sinnessignale zum Gehirn schickt, glaubt Kroemer. Solche Informationen aus dem Körperinneren treiben uns an, etwa in Form von Hunger. »Wenn der Magen leer ist, scheint es ein starkes Motivationssignal zu geben, das uns dazu bringt, neue Wege zu erkunden«, so Kroemer. Aber das geschieht nur, wenn die Signale weitergegeben werden, was einen gesunden Vagusnerv voraussetzt.

Hier könnte auch das Mikrobiom eine Rolle spielen. So senden die Bakterien im Verdauungstrakt Informationen über den Vagus zum Nucleus tractus solitarius und zum Großhirn, was wiederum die Neurotransmitterfreisetzung beeinflusst. Umgekehrt kann das Gehirn über den Vagusnerv Entzündungen im Darm lindern und die Verdauung verbessern, was die Zusammensetzung der dort ansässigen Bakterien verändert. Es gibt Hinweise darauf, dass nützliche Bakterien Depressionen, Angstzustände, Panikattacken und Stress verringern, während andere Mikroben diese Zustände verschlimmern. Künftige Interventionen könnten Vagusnervstimulationen mit der Optimierung des Darmmikrobioms kombinieren, zum Beispiel mit einer ballaststoffreichen Ernährung.

Bei seinen Versuchen verwendete Kroemer eine nicht invasive Alternative zur Implantation: Bei der transkutanen Vagusnervstimulation wird das Gerät außen am Hals oder Ohr befestigt und von dort sendet es elektrische Impulse an den Nerv. Da diese Methode einfacher und günstiger ist, nutzen Forscher und Mediziner sie zunehmend gern. Solche Geräte werden bereits jetzt unter anderem zur Behandlung von starkem Übergewicht, Schmerzen und Migräne eingesetzt.

Ein implantiertes Gerät ist Conway zufolge wohl effektiver, weil es direkt mit dem Nerv verbunden sei und rund um die Uhr den Nerv stimulieren könne. Die Reizung sei deshalb intensiver und kann laut Bildgebungsstudien mehr Hirnareale aktivieren als die äußerlich angewandte Variante.

Trotzdem lassen einige Untersuchungen eine gewisse Wirksamkeit der transkutanen Stimulation vermuten. Eine davon unter der Leitung von Jian Kong ergab, dass eine achtwöchige Anwendung im Ohr bei schweren Depressionen ebenso gut wirkt wie das Antidepressivum Citalopram. In einer Pilotstudie aus dem Jahr 2021 ließen Omer Inan vom Georgia Institute of Technology und Douglas Bremner von der Emory University Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung über drei Monate hinweg zweimal täglich den Vagusnerv am Hals stimulieren. Im Vergleich zur Kontrollgruppe lagen Stresssymptome sowie die durch traumatische Erinnerungen ausgelösten Entzündungsreaktionen am Ende der Behandlung deutlich niedriger.

Auf Grund solcher Erfolge wird zunehmend die transkutane Vagusnervstimulation mit konventionellen Methoden wie Antidepressiva oder Verhaltenstherapie kombiniert. Die Geräte ermöglichen es auch, sich selbst damit bei verschiedenen Beeinträchtigungen wie Angstzuständen oder Stress zu behandeln. Es gibt allerdings keine einheitlichen Vorgaben für die optimale Anwendungsdauer und -stärke. Schlimmer noch, die Ungenauigkeit der Geräte kann dazu führen, dass sie ungewollt die falschen Nervenbahnen reizen. In einigen Fällen führt ihr Einsatz nicht zur erwünschten Beruhigung, sondern erhöht im Gegenteil Wachsamkeit und Erregung – oder bei zu starker Einstellung sogar Nervosität und Angstzustände.

Um besser zu verstehen, welche Teile des Vagus am meisten von einer Stimulation profitieren, wurde im Rahmen eines Forschungsprogramms der National Institutes of Health (NIH) in den USA eine umfangreiche Datenplattform mit detaillierten Karten und Modellen des Hirnnervs zusammengestellt. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz und anderer Technologien will man einzelne Nervenfasern und Schaltkreise identifizieren, die bei bestimmten Krankheiten eine wichtige Rolle spielen und gezielt stimuliert werden könnten. Unter anderem sollen Patienten mit Morbus Crohn, Parkinson, Hirnverletzungen und Schmerzzuständen davon profitieren.

Hierzu entwickeln Fachleute Geräte, die verschiedene Fasern des Nervs unabhängig voneinander reizen können, um spezifisch bestimmte Organe anzusprechen und negative Auswirkungen zu vermeiden. Im Optimalfall ließen sich die Stimulationsparameter auf Basis von Echtzeit-Feedback des Körpers wie Heißhunger, Herzfrequenz oder Entzündungen anpassen. Ist ein konkreter Schaltkreis identifiziert, könnte man diesen auch etwa mittels Ultraschall reizen oder über kleine Implantate an diversen Orten im Körper, vielleicht sogar im Hirnstamm.

Egal durch welche technische Variante vermittelt – Gina Bolton möchte jedenfalls nicht mehr ohne die elektrische Stimulation leben. Sie erinnert sich noch genau an den Moment, als sie merkte, dass die Behandlung bei ihr anschlägt. Es war einige Monate nach Beginn der Studie, sie befand sich gerade auf dem Weg zu einem Kontrolltermin. Bolton spürte den Puls des Geräts, daneben aber noch etwas anderes: den Takt des Lieds im Autoradio. Sie ertappte sich dabei, wie sie mit den Fingern dazu auf das Lenkrad klopfte. »Ich hatte so lange schon nicht mehr leben wollen«, sagt sie, »und jetzt wollte ich es plötzlich wieder.« Die Musik lief weiter, und zum ersten Mal seit Jahren begann sie mitzusingen
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Sinnbilder und Begriffsbilder.

                                          zu Philosophierungen,  

Sonntag, 20. April 2025

Bewusst sein?

                                             zu Philosophierungen,  

Das ist ein irreführenes Wort, weil es zu der Vorstellung von einem mehr oder min-der dauerhaften Zustand eines bewussten Seins verführt, in den man ein- und aus dem man wieder auf-, d. h abtauchen kann. Tatsächlich gibt es kein dauerndes be-wusstes Sein, sondern nur bewusste Tätigkeit: Tätigkeit, die sich ihres Zwecks be-wusst ist und des Widerstands, den er erfährt; vulgo Handlung. 

Als seiend und dauernd kann man sich den Zweck vorstellen und den Widerstand, und beide mag man en détail weiterbestimmen. Die Tätigkeit aber kann man nur anschauen - und sich ein Vorstellen einreden, indem man den ganzen Verlauf zwi-schen Bestimmung des Zwecks und der Überwindung des letzten Widerstands in tausend Einzeloperationen zerlegt, deren jede man als die Spanne von Sonderzweck und Sonderwiderstand 'definiert'. So glaubt man, eine Tätigkeit begriffen zu haben, indem man sie in fingierte Stufen zerlegt - was seine ergonomische Plausibilität dar-in findet, dass der Handwerker gelegentlich das eine Werkzeug gegen ein anderes austauschen muss.

25. 11. 19 
 

Samstag, 19. April 2025

Wink für poetische Geister.

Kind in der Welt 

Mittlerer Zustand (René Magritte, Liaison dangereuse)

Wenn der Mensch in diesem Alleinsein, in diesem Leben mit sich selbst, diesem widersprechenden Mittelzustande zwischen natürlichem Zusammenhange mit einer natür-lich vorhandenen Welt, und zwischen dem höheren Zu-sammenhange mit einer auch natürlich vorhandenen, aber mit freier Wahl zur Sphäre erkornen voraus erkann-ten und in allen ihren Einflüssen nicht ohne seinen Wil-len ihn bestimmenden Welt, wenn er in jenem Mittelzu-stande zwischen Kindheit und reifer Humanität, zwischen mechanisch schönem und menschlich schönem, mit Frei-heit schönem Leben gelebt hat, und diesen Mittelzustand erkannt und erfahren, wie er schlechterdings im Widerspruche mit sich selber, im notwendigen Widerstreite 1) des Strebens zur reinen Selbstheit und Identität, 2) des Strebens zur Bedeutenheit und Unterscheidung, 3) des Strebens zur Harmonie verbleiben, und wie in diesem Widerstreite jede dieser Bestrebungen sich aufheben und als unrealisierbar sich zeigen muß, wie er also resignieren, in Kindheit zurückfallen oder in fruchtlosen Widersprüchen mit sich selber sich aufreiben muß, wenn er in diesem Zustande verharrt, so ist Eines, was ihn aus dieser traurigen Alternative zieht, und das Pro-blem, frei zu sein, wie ein Jüngling, und in der Welt zu leben wie ein Kind, der Un-abhängigkeit eines kultivierten Menschen, und der Akkommodation eines gewöhn-lichen Menschen, löst sich auf in Befolgung der Regel:

Setze dich mit freier Wahl in harmonische Entgegensetzung mit einer äußeren Sphä-re, so wie du in dir selber in harmonischer Entgegensetzung bist, von Natur, aber unerkennbarerweise, solange du in dir selbst bleibst.

im höheren Zusammenhang

aus Friedrich Hölderlin, Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes, in: Sämtliche Werke, Frankfurt a.M., 1961, S. 977f.

Freitag, 18. April 2025

Begriffe bezeichnen das, was ist.

Meißner Porzellan 

Begriffe bezeichnen, und beschreiben - wenn sie was taugen - durch die Definitio-nen, die sie mit sich führen, das, was ist. Je mehr von dem, was ist, bezeichnet und beschrieben werden soll, umso mehr Begriffe müssen, unter Rücksicht auf ihre je-weiligen Definitionen, mit einander assoziiert werden. Außer dem, was in der Welt zur Erscheinung kommt, bezeichnen und beschreiben sie nichts. Die ganze Welt der Begriffe ist schlechterdings theoretisch.

Ausdrücke, in denen mitgeteilt wird, was sein soll, sind praktisch - indem das, was sein soll, von dem Ausdrückenden realisiert zu werden beansprucht. Wird es in Raum und Zeit ausgeführt, tritt es ins Reich der Begriffe über - soweit es es wirklich geworden ist. Darum kann das Reich des Theoretischen vom Reich des Praktischen nicht plausibel streng geschieden werden.

Ich kann urteilen, dass dieses oder jenes sein soll. Dieses Urteil kann man auffassen als etwas, das ist - nämlich in Raum und Zeit gefällt. Dann ändern sich nicht die sachlichen Elemente, die in ihm ausgesprochen werden; aber ihr Vorzeichen: statt kategorisch wird die Aussage problematisch. In einer Hinsicht - theoretisch - gilt sie weniger, in anderer - praktisch - gilt sie mehr;  nämlich hier für einen Betrachter, da für einen Tätigen. Auf die Situation kommt es an, und nicht nur auf die des Reden-den, sondern auch die des Zuhörers; auf die Umstände von Raum und Zeit, und die sind auch theoretisch realer als die Begriffe.

Nichts davon merkt man denen selber an. Sie sind, wie sie sind - und stehen über Raum und Zeit.



Donnerstag, 17. April 2025

Humor ist eine willkürlich angenommene Manier.

meer-lava                                                           aus Neuromantiker

Humor ist eine willkürlich angenommene Manier. Das Willkürliche ist das Pikante daran: Humor ist Resultat einer freien Vermischung des Bedingten und Unbeding-ten. Durch Humor wird das eigentümlich Bedingte allgemein interessant, und erhält objektiven Wert. Wo Phantasie und Urteilskraft sich berühren, entsteht Witz; wo sich Vernunft und Willkür paaren, Humor. Persiflage gehört zum Humor, ist aber um einen Grad geringer: es ist nicht mehr rein artistisch, und viel beschränkter. Was Fr. Schlegel als Ironie charakterisiert, ist meinem Bedünken nach nichts anders als die Folge, der Charakter der Besonnenheit, der wahrhaften Gegenwart des Geistes. Schlegels Ironie scheint mir echter Humor zu sein.

Picasso, Arlequin penseur Picasso

Mehre Namen sind einer Idee vorteilhaft.  _______________________________________________________________
Novalis, Blütenstaub N°29

 

 

Mittwoch, 16. April 2025

Witz und Gedächtnis

Individuation

Das Gedächtnis ist der Individualsinn – das Element der Individuation.
N°1248

Der Witz ist schöpferisch – er macht Ähnlichkeiten.
N°1298
_______________________________
Novalis, Neue Fragmente 


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Dienstag, 15. April 2025

Eudämonik der bildenden Kunst.


aus derStandard.at, 15.  4. 2025                                  Ivana Kobilca                                          zu Geschmackssachen,
 
Betrachten von Kunst hebt laut Studie die Stimmung
Schon das alleinige Ansehen von bildender Kunst hat eine wohltuende Wirkung aufs Gemüt, hat nun eine Metastudie festgestellt

Wien/Dublin/Berlin – Wer über Ostern einen Stimmungsaufheller braucht, der sollte sich mit Kunst beschäftigen. Abermals hat eine internationale Überblicks-studie unter der Leitung von Forschenden der Universität Wien festgestellt: "Allein der Anblick von bildender Kunst, der Besuch eines Museums oder die Anwesenheit von Kunst im Krankenzimmer kann das Wohlbefinden steigern", so das Fazit der Untersuchung, die im Journal of Positive Psychology veröffentlicht wurde.

Auf der Suche nach dem Glück

Schon die großen Philosophen Sokrates, Aristoteles und Kant hatten ihre eigenen Theorien zum "eudämonischen Empfinden", einem Gefühl von Glückseligkeit und Sinn. Was diesen ausgeglichenen Gemütszustand ausmacht, bleibt für viele Men-schen ein Rätsel, allerdings weiß man inzwischen, dass Kunst eine wohltuende Wirkung auf die Psyche und Gesundheit haben kann.

"Kunst wird oft als Luxus betrachtet, aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Betrachten von Kunst – sei es im Rahmen der eigenen Hobbys oder durch gezielte Intervention – das Wohlbefinden erheblich fördern kann", so MacKenzie Trupp, Hauptautorin und Forscherin an der Universität Wien und an der Radboud-Universität in Nijmegen (Niederlande).

Bloßes Betrachten "weitgehend unerforscht"

Bereits im Jahr 2023 kam Trupp zu dem Schluss, dass das Betrachten eines digitalen Monet-Gemäldes in nur weniger als zwei Minuten das subjektive Wohlbefinden verbessern kann. Die Auswirkungen des bloßen Betrachtens von Kunst seien jedoch noch "unerforscht", heißt es am Dienstag in einer Presseaussendung der Universität Wien. Der Schwerpunkt der Forschung habe bisher auf dem kreativen Prozess gelegen und nicht auf dem Anschauen.

In einer neuen Metastudie wurden deshalb Daten aus 38 Studien mit 6805 Teilneh-mern (aus den Jahren 2000 bis 2023) zusammengefasst, um herauszufinden, welche psychologischen Prozesse zu mehr Wohlbefinden führen können. Die dabei mitein-geschlossene Kunst bestand aus visuellen Objekten oder Bildern in jeglicher Art (z. B. Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen) und umfasste keine Filme oder Auffüh-rungen wie Performancekunst, Tanz und Theater.

Freude und stärkere Resilienz

Zum ersten Mal konnten laut Uni Wien fünf zugrundeliegende Mechanismen identifiziert werden: affektive, kognitive, soziale, selbsttransformative – also etwa identitätsstärkende oder die Selbstreflexion fördernde – und solche, die die Resilienz (Widerstandsfähigkeit) stärken. So könne das Betrachten von Kunst etwa zur Regulierung der eigenen Emotionen und zu Freude führen. Es könne zum Nachdenken anregen oder Neugierde wecken, aber auch ein Gefühl von Sinnhaftigkeit vermitteln.

Ebenso könnten Gefühle wie Einsamkeit gemildert und belastende Situationen besser gemeistert werden. Da Kunst bereits in öffentlichen und privaten Räumen präsent ist und sie sich auch relativ leicht ins eigene Leben integrieren lässt, sehen die Forschenden darin mitunter auch ein kostengünstiges Mittel zur Unterstützung der psychischen Gesundheit. (APA)

 

Nota. - "Auch Natur und bestimmte Farben wirken positiv", schreibt derStandard unter obiges Bild. Das hätte man gern etwas ausführlicher erfahren! 'Natur' sind keine ausgeklügelt arrangierten Sitllleben, oder doch? Auf jeden Fall Natur ist Landschaft, wenn auch nicht jede. Und gehe ich recht in der Annahme, dass besonders gemütlich stimmende Farben Grün, Blau und Braun sind?

Das sind Motive, die im Wortsinn kaum noch welche sind: Sie bewegen nichts, man kann sie betrachten, ohne etwas erkennen zu wollen und ohne sich eine Meinung bilden zu müssen. Das sind Gründe, die die Kunst veranlassen konnten, zuerst von den historischen Themen zur Landschaft, und schließlich von den Gegenständen überhaupt zum bloßen Spiel von Farben und Formen überzugehen. Die erfordern keine Stellungnnahme - wenn man eine Kunst, die zu ihrer eigentlichsten, nämlich einer ästhetischen Bestimmung gelangt ist, nicht gerade für entartet hält.
JE

 


Zwecke an sich.

das Loch und sein Knopf

Witz ist Zweck an sich, wie die Tugend, die Liebe und die Kunst.
Friedrich Schlegel, Kritische Fragmenteaus N°59

Nota. - Dem ist zu widersprechen: Zweck des Witzes ist das Lachen.
JE

 

Montag, 14. April 2025

Kommt Taurus?

                                
aus süddeutsche.de, 14. 4. 2025                                              zu öffentliche Angelegenheiten

Merz steht zu Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine
 
In seiner Zeit als Oppositionspolitiker hatte sich CDU-Chef Friedrich Merz offen für eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine gezeigt - und dazu steht er weiter. Auf die Frage, ob dies noch gelte, sagte er in der ARD: „Ja, ich habe das genauso gesagt, wie ich es gemeint habe. Nicht, dass wir selbst in diesen Krieg eingreifen, sondern dass wir die ukrainische Armee mit solchen Waffen ausrüsten.“ Merz ergänzte, er habe immer gesagt, dass er das nur in Abstimmung mit den europäischen Partnern tun würde. „Das muss abgestimmt werden, und wenn es abgestimmt wird, dann sollte Deutschland sich daran beteiligen.“

Der designierte Kanzler begründete seine Position damit, dass die ukrainische Armee aus der Defensive kommen müsse. „Die Militärs würden sagen, sie müssen vor die Lage kommen.“ Für den Fall weiterer russischer Angriffe müsse die Ukraine in der Lage sein, dass „zum Beispiel die wichtigste Landverbindung zwischen Russland und der Krim zerstört wird“. Denn auf der Krim liege der größte Teil des militärischen Nachschubs für die russische Armee. „Das wäre eine Möglichkeit, dieses Land nun endlich mal strategisch vor die Lage zu bringen.“ Russlands Präsident Wladimir Putin müsse irgendwann die Aussichtslosigkeit dieses Krieges erkennen.

 

Zwei Sorten Vernunft

wässrig                                   zu Geschmackssachen, aus Neuromantiker

Was man gewöhnlich Vernunft nennt, ist nur eine Gattung derselben; nämlich die dünne und wäßrige. Es gibt auch eine dicke feurige Vernunft, welche den Witz eigentlich zum Witz macht, und dem gediegenen Styl das Elastische gibt und das Elektrische.

feurig  Friedrich Schlegel, Kritische Fragmente, 104


 

 

Nota. - Die Unterscheidung ist offenbar Geschmackssache.
JE

 

 

 

 


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