Der Philister, zu deutsch: der Spießer…
…war das Inbild der Romantik: als ihr Gegner. zu öffentliche Angelegenheiten
... Zwar ist keine Gattung so naturwüchsig international
wie der Spießer. Wir alle tragen irgendwo einen kleinen Spießer
versteckt in unserer Brust. In unsern lausi-gen bürgerlichen
Verhältnissen hat sich jeder von uns schon öfter, als er zugeben mag,
unter so manches Joch gebeugt und ist in so manchen A… gekrochen. Stolz
darauf ist keiner: “Das hast du getan, sagt meine Gedächtnis. Das kannst
du nicht getan haben, sagt mein Stolz. Nach einer Weile gibt mein
Gedächtnis nach.” (Nietzsche)
Der Spießer ist einer, der sein Gedächtnis prophylaktisch auf Eis gelegt hat. “Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit”, und darum wird er sich nie etwas vorzuwerfen haben. Das sind die ‘Leute mit dem pathologisch reinen Gewissen’. Es gibt eine Sorte Stolz, die ganz ohne Gedächtnis auskommt: die nennt man Dünkel (lat. vanitas = eine der sieben Todsünden). Der erfüllt den Spießer bis zum Scheitel.
Wie gesagt, einen kleinen Spießer trägt jeder von uns im Herzen. Die Frage ist immer nur, wie groß er ihn werden lässt.
...
Kein normaler Mensch ist absichtlich ein Spießer. Und da keiner ein Spießer sein will, mag er auch den, den er in seiner Brust trägt, nicht wahr haben. Er erkennt
ihn nicht. Also muss er ihm von seinen Freunden vor Augen geführt
werden. Dann lacht er laut auf, schüttelt sich und jagt den albernen
Patron zum Teufel. Man muss den kleinen Spießer aus seinen Winkeln in
den Herzen herauslocken, hervor/rufen (lat. pro/vocare), ans Licht zerren und… zum Tempel hin/aus lachen.
Freilich, beim Vollblutspießer sind Hopfen und Malz verloren. Er ist nicht bloß brav, bieder und betulich, sondern auch besorgt, bierernst und bedeutsam. Er denkt positiv; vor allem von sich. Seine Welt ist aufgeräumt, das hat eine höhere Intelligenz (derer er kraft richtiger Gesinnung teilhaftig ward) so gefügt. Betroffen ist er gern, vor allem, wenn Publikum zuschaut, doch getroffen fühlt er sich selten. Sein Lieblingsgedanke: “Ich danke dir, HErr, dass ich nicht bin wie jene!” Gelacht hat er sein Lebtag nur über andere, und lacht ein Mal einer über ihn, dann ist er entrüstet: Der Tugend höhnen? Unerhört!
Freilich, beim Vollblutspießer sind Hopfen und Malz verloren. Er ist nicht bloß brav, bieder und betulich, sondern auch besorgt, bierernst und bedeutsam. Er denkt positiv; vor allem von sich. Seine Welt ist aufgeräumt, das hat eine höhere Intelligenz (derer er kraft richtiger Gesinnung teilhaftig ward) so gefügt. Betroffen ist er gern, vor allem, wenn Publikum zuschaut, doch getroffen fühlt er sich selten. Sein Lieblingsgedanke: “Ich danke dir, HErr, dass ich nicht bin wie jene!” Gelacht hat er sein Lebtag nur über andere, und lacht ein Mal einer über ihn, dann ist er entrüstet: Der Tugend höhnen? Unerhört!
Untrügliches
Merkmal: Der Spießer ist humorlos. Das Reinigungsmittel, das unfehlbar
die kleinen Spießer austreibt und die großen kenntlich macht, ist das
Lachen. (Katharsis nannten
das die alten Griechen, und dazu hatte sie ihre Komödie.) Denn gegen
Argumente ist er immun. Er wird immer irgendwas anderes – gerade in
diesem Moment! – “wichtiger” finden, und er wird Bedenken tragen, “ob
man das denn so sagen kann”; nicht, weil er selber zimperlich wäre, ach
wo, sondern in Rücksicht auf “die andern”. An seinen Rücksichten und
Bedenken meint man zu ersticken wie an ungepresster Watte oder an
gehackten Borsten.
Der Spießer ist in eminentem Sinn ungebildet. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht trotzdem allerhand gelesen haben mag. Manch einer hat gehört: Den Spießer
erkennt man an der Humorlosigkeit. Darum höhnt und feixt er vorsorglich
über alles, was ihm über den Weg läuft. Um’s Himmels Willen
nicht als Spießer erkannt werden! Eher noch als Hanswurst oder
Giftspritze… Den “Spötter” hat er sich als Kostüm angezogen. Aber
den Spießer erkennt man immer noch daran, dass unter dem Kostüm… nix is:
Red’ ihm über was Ernstes, und er ist verloren.
Man kann den Spießer zur Selbsterkenntnis nicht verführen. Ein bissel seiner selbst spotten? Da bräche die ganze
Fassade ein: Was er wie Selbstironie vorträgt, ist eine kaum verhohlene
Art des Eigenlobs. Mit dem Spießer gibt es kein Kompromisseln. Jeden
Fußbreit Boden, den man ihm kampflos preisgibt, verbucht er als
verdienten Sieg und geschuldeten Tribut an seine Vernünftigkeit. Die
Konzessionen, die man ihm macht, sind nur Konzessionen an sein
Selbstgefallen.
Aber:
Das Gefährlichste am Kampf gegen die Spießerei ist die Gewöhnung; die
Gewöhnung nämlich an... den Kampf gegen die Spießer! Denn von allen
Dünkeln der spießigste ist der, man könne seinen eignen
innern Spießer ein für alle mal hinter sich bringen, und sei dann vor
ihm sicher. Doch wann immer einer länger als eine Viertelstunde mit sich zufrieden ist, wächst ihm heimlich einer nach.
Nota. - Geschrieben für einen Verein im Berliner Osten, wo mancher sich seine "DDR-Identität nicht vollends nehmen lassen" wollte. Viel Echo hat es damals erwartungsgemäß nicht gegeben. Wer hätte sich getroffen fühlen können?
Ich hatte ihn zwar für allezeit gültig gehalten, aber dass er dreißig Jahre später gar tagespolitische Aktualität bekommen würde, hatte ich nicht erwartet. Heute könnte man meinen, er sei vorausahnend auf die grassierende Wokerei gemünzt; oder eher auf die ebeno grassierenden Alternativen für Deutschland?
Stelle anheim.
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