Donnerstag, 28. März 2024

Die Neuzeit - eine erste Globalisierung.


aus welt.de, 27. 3. 2024                         Veronese-Fresko, um 1560                                     zu öffentliche Angelegenheiten
 
Als Europa seine erste Globalisierung erlebte
Angst vor dem Islam, Glaubenskriege und Exotisches aus aller Welt: Die Kulturwissen-schaftlerin Marina Münkler weiß, warum uns das 16. Jahrhundert mit seinen Konflikten so nahesteht. Brauchen wir wieder eine „Heilige Liga“?
 

Pagageien zum Beispiel. Gewiss waren einzelne Arten in Europa schon seit der Antike bekannt, doch zum Statussymbol vornehmer Familien avancierten sie erst im 16. Jahrhundert – als Importware aus der Neuen Welt. Zum Beweis besichtige man die Palladio-Villa Barbaro in Venetien, wo der exotische Vogel auf einer Balustrade herumspaziert, gemalt vom berühmten Veronese, der ihn in seiner Scheinarchitektur nebst Hausherrin, Nanny und Hündchen in Szene zu setzen wusste.

Der Eigentümer der Villa war maritimer Sonderbeauftragter der Seerepublik Venedig, einem damals noch wichtigen Player des Welthandels. Veronese und andere renommierte Maler der Epoche wurden seinerzeit auch beauftragt, die Seeschlacht von Lepanto ins Bild zu bannen. Anno 1571 siegte die „Heilige Liga“, eine Art Christen-EU unter Führung der Spanier, über die Osmanen. Das Gemäldeaufkommen zum Top-Ereignis der Epoche ist nur eines der Medien, mit denen Marina Münkler, Professorin für Mittelalterliche und Frühneuzeitliche Literatur und Kultur an der TU Dresden, „das dramatische 16. Jahrhundert“ gelungen ins Visier nimmt.

Auch Flugschriften zur Neuen Welt und Berichte gekidnappter Christen, die von den Osmanen berichten, sind Thema in Münklers Buch. „Anbruch der neuen Zeit“ ist eine der Sachbuch-Perlen der Saison, weil es jenseits aller Jubiläen und platten Aktualisierungen ganz viel kann. Zunächst einmal betrachtet es eine Epoche, die im Rahmen tradierter Epochenerzählungen oft nur isoliert vorkommt: entweder als Reformationszeitalter mit Luther oder als italienische Renaissance, entweder als Zeitalter der Seefahrer und Entdeckungen oder als Humanismus.

Frühe Neuzeit ist ein schillernder Oberbegriff, der unklar lässt, wie global und lokal verschlungen sich viele Phänomene schon zeitgenössisch darstellten, Globalgeschichten wie von Wolfgang Reinhard oder zuletzt Wolfgang Behringer wollen dem Rechnung tragen, werden allerdings sehr schnell sehr dickleibig, wenn sie nicht wie Heinz Schilling in „1517“ nur Schlaglichter auf ein einzelnes Jahr werfen wollen.

Münkler geht den Mittelweg. Obwohl oder gerade weil sie keine klassische Historikerin ist, erschließt sie mit ihrem Geschichtswerk ein Zeitalter, das für ihren Zugriff prädestiniert scheint, denn die frühe Neuzeit lebte nicht zuletzt von dramatischen Augenzeugenberichten und Erzählungen. Mit der Auswertung von Geschichten über die Fremde (etwa durch Marco Polo) hat sich Münkler einen Namen gemacht, bevor sie zuletzt gemeinsam mit ihrem Mann, dem Politologen Herfried Münkler, einige Debatten-Sachbücher veröffentlichte.

Marina Münklers 16. Jahrhundert möchte nun ausdrücklich kein weiteres Mal Michelangelo, Dürer oder Machiavelli bedenken, sondern drei grundlegende Konfliktlinien der Zeit: die Eroberung der neuen Welt, die Expansion des Osmanischen Reiches und die Glaubenskriege durch die Konfessionsspaltung in Europa. Alle drei Konflikte beginnen vor und enden nach dem 16. Jahrhundert, wie Münkler selbst betont.

Die Stärke ihres Buches entfaltet sich in den Kapiteln, in denen sie Texte von Zeitzeugen zu den drei Konflikten referiert und kommentiert. Etwa von Amerigo Vespucci, dem der Doppelkontinent Amerika seinen Namen verdankt und der fast schon als Hochstapler gilt, weil man nicht weiß, ob er viermal oder nur einmal in der Neuen Welt war. Jedenfalls hat er mit seinem Brief „Mundus Novus“, der als Flugschrift in ganz Europa verbreitet wurde, für Furore gesorgt. Analog anschaulich macht Münkler den „Türkenfurcht“-Diskurs des 16. Jahrhunderts, immerhin rückten die Osmanen 1529 bis vor die Tore Wiens. Berichte wie die des Genuesen Giovanni Antonio Menavino, der als zwölfjähriger Knabe auf dem Mittelmeer entführt und Serailpage in Konstantinopel wurde, beeindrucken in ihrer Doppelcodierung als Aufklärung über und Propaganda gegen den Islam.

Wer Muße für mehr als 500 Seiten mitbringt und etwas über die Verschränkung von Militär-, Handels-, Glaubens- und Mediengeschichte lernen will, wird im Buch von Marina Münkler ein erhellendes Epochenporträt der Frühen Neuzeit vorfinden.

Marina Münkler: Anbruch der neuen Zeit. Das dramatische 16. Jahrhundert. Rowohlt Berlin, 544 S., 34 Euro

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