aus tagesschau.de, 7.01.2024 zu öffentliche Angelegenheiten
Neue Studie mit Orang-Utans
So entdeckten Urmenschen die Sprache.
Umweltveränderungen vor Millionen Jahren könnten die
Entwicklung der menschlichen Sprache maßgeblich vorangetrieben haben.
Forschende glauben, dass mit den Konsonanten alles anders wurde.
Von Lilly Zerbst, SWR
Vor mehr als fünf Millionen Jahren sanken die Temperaturen auf der Erde.
Das Klima wurde trockener, und der Lebensraum veränderte sich. Die
Vorfahren des Menschen waren gezwungen, sich vom Leben in den Bäumen auf
das Überleben im Flachland umzustellen.
Dieser Lebensraumwechsel könnte die von ihnen genutzten Stimmlaute verändert haben. Zu diesem Schluss kamen Forschende aus England, indem sie die Rufe von Orang-Utans untersucht haben. Es ist ein Hinweis darauf, wie der Mensch zu seiner einzigartigen Sprachfähigkeit kam. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden nun im Fachmagazin "Scientific Reports".
Sprache macht den Menschen
Unsere komplexe Sprache ist eine Voraussetzung dafür, dass sich der
Mensch so weit entwickeln konnte. Durch sie können wir Gedanken und
Gefühle austauschen, Wissen überliefern und Neues lernen.
Adriano Lameira, Primatologe Warwick University, England
Konsonanten sind der "Kleber" unserer Sprache
Damit aus einer Menge wirrer Laute eine komplexe Sprache entstehen kann,
brauchen wir ganz bestimmte Bausteine: Konsonanten. Unsere Sprache
besteht aus zwei Arten von Lauten: Konsonanten und Vokalen. Vokale
werden mit dem offenen Mund gebildet. Dabei entweicht die Luft
ungehindert – so wie bei der Aussprache von A, E, I, O und U.
Konsonanten sind Laute, die durch die Verformung des Mundes und der
Zunge gebildet werden. Dadurch wird die ausströmende Luft behindert und
es entstehen Laute wie K, P, S und T.
Laute einer Gruppe lassen sich zusammengereiht nur schwer aussprechen.
Baut man sie jedoch im Wechsel aneinander, so ergeben sich Silben und
Wörter, die einfacher gesprochen und verstanden werden können. Darum
spielen Konsonanten in allen heutigen Sprachen eine wichtige Rolle.
Warum sich die Konsonanten anders als bei anderen Tieren in unserer
heutigen Sprache fest etabliert haben und so das Entstehen einer
komplexen Sprache ermöglichten, war bisher unklar. Ausschlaggebend soll
aber die Zeit des mittleren bis späten Miozäns gewesen sein. In diesem
geologischen Zeitalter vor 16 bis fünf Millionen Jahren veränderten sich
das Klima und die Landschaft auf der Erde drastisch. Sprachforschende
nennen das Zeitalter eine "ökologische Blackbox": Hinein ging ein wild
rufender Menschenaffe und heraus kam ein sprachfähiger Mensch.
Orang-Utans als "lebendes Modell" der Urmenschen
Lameira und sein Forschungsteam vermuten, dass der extreme
Lebensraumwandel im Miozän eine wesentliche Rolle bei der
Sprachentwicklung unserer Vorfahren gespielt haben könnte. Um dies zu
untersuchen, warfen sie einen Blick auf unsere nächsten Verwandten. "Wir
können Konsonanten nicht rekonstruieren, indem wir unsere DNA
entschlüsseln, also müssen wir wirklich lebende Modelle verwenden.
Deshalb sind Menschenaffen so wichtig", sagt der Primatologe Lameira.
Die Forschenden nutzten Rufaufnahmen von Orang-Utans aus Sumatra und
Borneo, um die Sprachentwicklung der Urmenschen zu studieren. Unter den
Menschenaffen verfügen Orang-Utans über ein besonders großes Repertoire
an konsonantenartigen Lauten. Das ermöglicht ihnen, aus einzelnen Lauten
komplexere silbenartige Rufe zusammenbauen.
Sie besitzen also eine ähnliche Sprachfähigkeit wie unsere Vorfahren vor
Millionen von Jahren, vermuten die Forschenden. Und sie sind die
einzigen Menschenaffen, die in Bäumen wohnen - ein guter Kandidat also,
um den Übergang von Baum zu Boden vor Millionen von Jahren zu
rekonstruieren.
Wie unterscheiden sich Konsonanten von Vokalen?
Wie alle Menschenaffen können Orang-Utans vokalartige und
konsonantenartige Laute bilden. Die untersuchten vokalartigen Laute
ähneln einem tiefen Raunen und entstehen durch die Vibration der
Stimmbänder. Die konsonantenartigen Laute der Orang-Utans ähneln einem
Kuss-Geräusch. Die Menschenaffen erzeugen sie, indem sie ihren Mund
verformen und Luft hindurchpusten.
Die Orang-Utan-Laute spielten die Forschenden in der südafrikanischen Savanne ab. So wollten sie den extremen Übergang simulieren, der passiert, wenn das Sprachrepertoire eines baumbewohnenden Menschenaffen in eine offene Landschaft gebracht wird, erklärt Lameira.
Mit einem Mikrofon nahmen die Forschenden die abgespielten Orang-Utan-Töne dann in verschiedenen Abständen zum Lautsprecher wieder auf. So wollten sie feststellen, wie gut die insgesamt knapp 500 Aufnahmen der Orang-Utan-Rufe zu hören sind.
Konsonantenartige Laute sind besser hörbar
Das Ergebnis: Bei einer Entfernung von 100 Metern waren konsonantenartigen Rufe deutlich besser registrierbar als vokalartige. In 400 Metern Entfernung waren die vokalartigen Rufe dann sogar weitestgehend unhörbar, während die konsonantenartigen Rufe noch zu 80 Prozent wahrnehmbar waren.
Das Verwenden von Konsonanten bot den Urmenschen, die in die Ebene ziehen mussten, möglicherweise eine höhere Zuverlässigkeit bei der Übermittlung von Botschaften über weitere Distanzen. Dieser Vorteil könnte ihre Stimmentwicklung wesentlich beeinflusst haben - hin zu einer konsonantenhaltigeren Sprache.
Konsonanten erleichtern das Sprachenlernen
Die essenzielle Rolle der Konsonanten lässt sich auch heute noch bei der Sprachverarbeitung von Kindern beobachten: Je mehr verschiedene Konsonanten ein Säugling in der Phase des Sprachenlernens hört, desto früher unternimmt er in der Regel auch selbst Sprechversuche. Dass Konsonanten besser hörbar - also auffälliger - sind, spielt dabei eine wesentliche Rolle.
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