Mittwoch, 9. Oktober 2024

Das Nein ist die Ausnahme von der Naturregel.

 
Robert. Breyer, Joseph und Potiphars Weib, 1900                                                         aus Jochen Ebmeiers Realien

Der freie Wille ist die Fähigkeit, nein zu sagen.

Das Was der Wahl ist dem Willen als Anmutung seines Sensoriums vorgegeben; positio; gleichgültig, ob das Sensorium einen Reiz von außen oder von innen trans-portiert, und gleichgültig, ob dem Willen diese Anmutung als eine verlockende Ver-suchung, als „Bedürfnis“ oder als Zumutung vorkommt: Der Wille kann nur noch nein sagen; unterlässt er es, ist es so gut, als ob er ja gesagt hätte. Dann behält das Sensorium nach dem ersten auch das letzte Wort.


Max Schelers Kernsatz, der Mensch sei das Tier, das nein sagen kann, erhält durch die Hirnforschung (cf. Libet) eine radikalere (tiefer an die Wurzel reichende) Bedeu-tung. 

PS. Es liegt nahe, dass der Wille im Zweifelsfall – der im Alltag die Regel sein dürfte – auf das Neinsagen verzichtet.
aus e. Notizbuch, 14. 11. 13

 

Dienstag, 8. Oktober 2024

Tatort*innen.

                                         zu öffentliche Angelegenheiten

Habens Sie's auch bemerkt? Im Öffentlich-Rechtlichen wird die Quote weit über-erfüllt. Da rücken jetzt nur noch Kommissarinnen nach.

 

 

Die Anti-Manier.

Albert Gottschalk - Winter Landscape, Utterslev near Copenhagen [1887]                                           aus Geschmackssachen

Es stimmt zwar, kaum ein Sujet verführt so leicht zur Manier wie die Landschaft. Aber kaum ein Sujet, höchstens seitenverkehrt das Porträt, lenkt auch so energisch den Blick aufs Individuelle. Es reicht schon, immer wieder mal aufs Detail zu blik-ken. In gewisser Weise ist der Naturalismus die Anti-Manier. Er hält immer wieder die Tür zu Ausreißern auf.

Lucian Freud, Leigh Bowery

Aber man kann ihn so stur betreiben wie andere ihre Manier. Das heißt dann akade-misch.

Anton Hansch, Alpine Landschaft mit Wasserfall, ca. 1870

Kommt aber ein röhrender Hirsch hinzu, sagen wir Kitsch. Fast jede Manier gerät wiederum irgendwann in seine Nähe.
20. 4. 14

Montag, 7. Oktober 2024

Landschaft - der Gegenstand, der keiner mehr ist.

Klee, Blick in das Fruchtland, 1932                                       zu Geschmackssachen 

In seinem "ästhetischen Zustand" sei der Mensch gleich Null, sagte Schiller. Denn wenn er sich in einen Gegenstand versenkt, hört er auf, sich ihm entgegen zu setzen - oder sonst ein Verhältnis zu ihm einzugehen. Er geht in dem, was er 'ohne Inter-esse' betrachtet, unter, er verliert sich. 

Das hat erst was zu sagen in einem Leben, das sich im Normalfall ununterbrochen selber reflektiert. Kurz gesagt, in einem bürgerlichen, geschäftigen Leben, in einem Alltag als Marktsubjekt. 

Ob es Kunst 'immer gegeben' habe, mag eine Haarspalterei sein. Aber sie hat nicht immer dieselbe Bedeutung gehabt. Wie sich die Kunst selbst verändert hat, kommt hier erst an zweiter Stelle. Der Platz des Ästhetischen hat sich verändert. Welche Verstrickungen mit dem geschäftigen Leben die Kunst auch immer eingegangen war, blieb sie doch immer an ein ästhetisches, nämlich geschmackliches Substrat gebunden. Und mit dem Überhandnehmen der reflektierenden Geschäftigkeit tritt es ihr als das interesselose Ungeschäftige entgegen. Semantisch wäre es schief, aber bildhaft ganz treffend ausgedrückt: So ist die Kunst "erst auf ihren Begriff gekom-men".

Es ist aber auch die Epoche, in der Zeit knapp wurde - so grundsätzlich knapp, dass sie zum allgemeinen Wertmaß werden konnte. Je dringender dem Individuum das Bedürfnis wurde, als Kontrapunkt zur Alltagskonkurrenz immer wiedermal von Identität und Verhältnis abzusehen, um so seltener, umso kostbarer wurden die Gelegenheiten dazu. Und umgekehrt proportional: je knapper die Zeit, umso stär-ker das Bedürfnis. Die es sich am ehesten noch leisten konnten, legten am wenig-sten Wert darauf; erst die ganz Reichen konnten sich den "ästhetischen Zustand" dann wieder leisten. Er wurde nun zum Standesmerkmal so, wie es vordem die kunststilistische Bildung gewesen war.

Und damit zum Autor: Mit "der Moderne" wurde der Künstler zum Avantgardisten - und das erlesene Publikum zum Connoisseur. Anders hätte es eine ungegenständ-liche Kunst nie geben können. Denn da das Bedürfnis nach kontrapunktischer Irre-flexibilität ein allgemeines wurde, geschieht seine Bedienung nun ihrerseits durch - den Markt. Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen braucht einen sättigenden Kuchen als Grundlage; damit es erlesene Kunst geben kann, muss es zuvor Massenkunst ge-ben. 

Von Kitsch rede ich hier nicht, der gilt nicht als Kunst, sondern als Industrieware. Damit sich oben - gottlob nur vorübergehend - eine ungegenständliche Kunst kri-stallisieren konnte, musste sich an der Basis ein Kunstgegenstand finden, der streng genommen kein Gegenstand mehr war, weil er zu den nützlichen Geschäften in kei-nem Verhältnis steht. Das war die Landschaft. Es konnte nicht anders sein, als dass die Ungegenständlichkeit aus der Ausbreitung der Landschaftmalerei erwuchs - von den Impressionisten über Les Fauves bis Mondrian und Klee. 

Indes hat die Ungegenständlichkeit die Malerei - wenigstens das Tafelbild - an den Rand des Untergangs geführt. Unter den verzweifelten Rettungsversuchen nehmen Rückgriffe auf die Landschaft einen breiten Raum ein. Sie haben nur leider einen organischen Hang zu Manier und Kitsch, dem nur wenige widerstehen. Dass sie das kompromittiert, ist nicht zu übersehen.

Kommentar zu "Verweilen", JE, 26. 2. 20

 

PS. -  Landschaft ist ohnehin nur ein Bild: Ansicht. Real ist Topographie - auch wenn man die Augen schließt und auch nachts. 

Landschaftsmalerei ist Bild von einem Bild. Ihr Gegenstand ist schon eine Abstrak-tion von der Gegenständlichkeit der Gegenstände. Früher oder später musste sie dar-über stolpern. 

  

Sonntag, 6. Oktober 2024

Wir sind nicht die Drehscheibe zwischen Ost und West, sondern des Abendlands heißer Rand.

                    zu öffentliche Angelegenheiten

Dass die Polen sich nicht blindlings darauf verlassen mögen, ist ihnen nach allem, was gewesen ist, nicht zu verdenken. 

Als umso verlässlicher müssen wir uns nun erweisen.

 

 

Nota Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

Kitsch


...ist es nicht, wo man es sehen kann (Kanaren); sondern wenn man es zum Besten gibt (handgepinselt oder technisch).

dass., ästhetisch frisiert

 

 

 

 

Wie und warum Schulen notwendig geworden sind.

                                            aus Levana, oder Erziehlehre

...Das ist der entscheidende Gedanke: Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben setzt heute eine Menge Wissen voraus, das der Mensch nicht einfach so nebenher und ganz von alleine erwirbt. Das ist weniger selbstverständlich, als es klingt. Denn bis vor rund anderthalb Jahrhunderten galt dieser Satz nur für die Angehörigen der herrschenden Klassen. Deren Kinder brauchten immer eine ganz besondere Schule, die sie später zum Herrschen - und dazu gehört das glaubwürdige Repräsentieren der Herrschaft - befähigte. Und gleich an dieser Stelle fällt auf: Eine Schule musste diese Schule nicht unbedingt sein, denn eine solche taugte wohl für werdende Kleri-ker, nicht aber für künftige Krieger und Regenten. Doch einer besonderen Lehrzeit im Dienst bei einem Fürsten mussten auch die Kinder des Adels sich unterziehen.

Die Kinder der einfachen Leute, und
die waren die große Mehrheit, wuchsen in den Haushalt ihrer Familie hinein, und die war in der agrarischen Gesellschaft die eigent-liche Produktions- und Wirtschaftsstätte. Zum Bauern wuchs man auf dem eigenen Hof heran. (Die Kinder der Tagelöhner lernten Vieh hüten.) Das zünftige Hand-werk mit seinem ausgefeilten Lehrlings- und Gesellensystem gehörte schon zu dem privilegierteren Teil der städtischen Gesellschaften.


 
Und schließlich die kaufmännischen Patrizier waren die Gesellschaftsklasse, in der "die Schule" zur Norm geworden ist. Die städtischen Bürgerschulen wurden, nach der Reformation zumal, zum Grundbestand, auf dem unser heutiges Schulwesen aufgebaut ist, auf sie geht das humanistische Gymnasium zurück, das zum Paradig-ma der Schule wurde. Hier lernte man, was man als Bürger unter Bürgern wissen und können musste, als Berufsmensch, der sich unter seinesgleichen im Marktge-schehen zu orientieren und behaupten wusste. Und als dann das Kapital in die In-dustrie zu fließen begann, wurden neben den Kaufleuten immer mehr Ingenieure gebraucht. Die Realschulen machten den Gymnasien Konkurrenz, und die speziali-sierten sich auf die Vorbereitung zum Höheren Staatsdienst.

Dagegen war die Volksschule von Anbeginn Restschule. Die bildete nicht zum Bürger, sondern konditionierte zum Untertan und Tagelöhner. Lesen, schreiben, das Kleine Einmaleins und der Katechismus, mehr wurde nicht benötigt. Das war der Typ des Proletariers, den die Industrialisierung brauchen konnte.
 

Die Geschichte der Schule im 20. Jahrhundert ist schließlich die Geschichte, wie das Schulsystem immer mehr zum Schatten und zum Wurmfortsatz der Verwaltungen wurde, der öffentlichen mehr noch als der wirtschaftlichen. Mit der Explosion des Öffentlichen Dienstes explodierten die Gymnasien, und mit wachsender Masse san-ken die Maßstäbe.
 

Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück: Die Aufgabe einer Schule ist es, Wissen zu vermitteln, das der Mensch nicht einfach so nebenher und ganz von alleine erwirbt. Setzt die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben heute mehr Wissen voraus als frü-her, so dass eine längere Lernzeit erforderlich würde?

Jein. Einerseits ist die Masse von Wissen, das einer heute braucht, unermesslich, doch andererseits ist es so schnell überholt wie nie zuvor, und man tut gut daran, es sich nicht allzu gut zu merken, damit im Gedächtnis gleich Platz geschaffen werden kann, wenn neue Nachrichten eintreffen; und was man grad eben nicht gewärtig hat, darauf kann man jederzeit im Internet zugreifen.

Es ist nicht wirklich so, dass man heute (noch) mehr wissen muss als gestern; me-morieren bis der Kopf raucht ist jedenfalls so unangebracht wie nie. Aber man müsste besser wissen. Was damit gemeint ist? Aber das wissen Sie doch längst sel-ber! Gemeint ist, dass man das, was die (flüchtigen) Daten bedeuten, gründlicher verstehen sollte - denn dann fällt man nicht jedesmal in Verwirrung, wenn man die alten Daten gegen neue auswechseln muss. Der Haken sei der, dass man das Verste-hen der Schüler nicht mit einem Test erheben kann? Da haben Sie nun auch wieder Recht.

Und wenn man bei PISA I zuerst noch annahm, mit den 'Kompetenzen zur Welt-erschließung' sei Verständnis gemeint gewesen, wurde bald klar, dass lediglich die Testmethode des Multiple choice mit dem Brecheisen durchgesetzt werden sollte.

Dieses hinzugefügt habend, kann ich mich den Ausführungen von Prof. Schirlbauer weitgehend anschließen; doch nicht ohne anzumerken, dass es wohl in der Natur der Schule selber liegt, dass sie mehr zum Memorieren neigt als zum verstehen-Lehren.
8. 7. 15 




Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Es riecht nach was.

aus spektrum.de,  14. 10. 2024                                                                          zu Jochen Ebmeiers Realien Wahrn...