aus deutschlandfunk.de, 16. 2. 2015 zu öffentliche Angelegenheiten
Die brutale Kehrseite des Monotheismus
Die Frage nach einem
Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt ist nach den Anschlägen von
Paris hochaktuell. Der Religions- und Kulturwissenschaftler Jan Assmann
kommt in seinem Buch „Exodus“ zu dem Ergebnis, dass Brutalität ein
Wesensmerkmal des Monotheismus ist und keine extremistische Entgleisung.
Gab
es diesen Mose wirklich, der die Israeliten hinausführte aus der
ägyptischen Sklaverei? Erschien ihm Gott wirklich in einem brennenden
Dornbusch? Empfing er wirklich die Zehn Gebote? Wirklich ist keine
Kategorie für eine große Erzählung, behauptet der Ägyptologe Jan
Assmann. Hauptsache, sie wirkt. Und wirkmächtig ist diese Erzählung. Das
macht das neue Buch des emeritierten Professors aus Heidelberg auf
faszinierend gelehrte Weise deutlich. „Exodus“ hat er sein Opus ebenso
schlicht wie wuchtig genannt. Er vertraut auf die Fülle an
Assoziationen, die dieses Wort auch bei Bibelunkundigen weckt: Exodus –
das sind Aufbruch und Gelobtes Land, Gott und Volk, Gebote und Freiheit.
Zum Verhältnis von Wirklichkeit und Wirkung schreibt Jan Assmann:
„Die
Exodus-Erzählung schreibt nicht Geschichte, sondern sie macht
Geschichte. Die Welt, auf die sich die Exodus-Erzählung bezieht,
entsteht mit dem, was sich auf der Erzählung als einer Gründung aufbaut.
Den Pharao, der die Israeliten unterdrückt, hat es mit Sicherheit nie
gegeben.“
Das
Buch verlangt dem Leser einige Anstrengungen ab. Es ist ein Fachbuch,
kein populäres Sachbuch. Dabei legt Assmann seinen Weg scheinbar wenig
beschwerlich an: Er stellt grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis
von Erinnerung und Ereignis voran, danach nimmt er den Leser mit durch
die große Offenbarung. Zeile für Zeile des biblischen Textes deutet er.
Bastelbegabte könnten sogar nach seiner Maßgabe jenes Zelt auf den
Zentimeter genau nachbauen, in dem Gott laut Exodus 26 wohnte. Den
Detailreichtum des Buches ganz auskosten werden nur jene, die mit
Assmanns Gesamtwerk sowie der Literatur zu Moses Geschichte vertraut
sind. Bei aller Akribie behält Assmann jedoch die ganz breite Schneise
im Blick: das unerhört Neue im Alten Testament. Er ist sich sicher:
„Die
Versklavung der Kinder Israels und ihre Leiden in Ägypten ist ein Thema
von enormer Bedeutung und Strahlkraft in jüdischer, christlicher sowie
islamischer Tradition. Ohne diesen Leidensdruck kein Exodus, ohne den
Exodus keine neue Welt, in der sich das Verhältnis von Gott und Welt,
Gott und Menschheit, Mensch und Gesellschaft bis hin zu Vergangenheit
und Zukunft von Grund auf verändert hat.“
Der Volksbegriff als revolutionäres Element
Die
Exodus-Erzählung sagt nicht nur etwas über das Selbst- und Gottesbild
Israels, sie stiftet einen neuen Begriff von Religion. Dieses Neue
arbeitet Assmann im zentralen Kapitel seines Buches heraus. Mit dem
Begriffspaar „Vertrag und Gesetz“ hat er seine Deutung der Zehn Gebote
und des Bundesschlusses überschrieben. Die Gebote begründen den Bund
zwischen Gott und den Menschen. Was im Rückblick so leicht dahingesagt
ist, setzt eine Revolution der Religion in Gang. Gott ist nicht mehr nur
Richter und Rechtsgarant, er wird selbst Gesetzgeber. Der Bund ist
freiwillig. Wer ihn aber eingeht, verpflichtet sich zu ewiger Treue. In
seinen Ausführungen zum ersten Gebot – dem Verbot anderer Götter –
schreibt Assmann:
„Es
geht hier nur um JHWH (Jahweh) und Israel und ER nimmt es an sein Herz:
mein bist Du! Keines anderen! Ich verlobe mich dir auf ewig. Es ist das
Bild der Ehe... Das Eheweib ist unter allen Umständen nur eines
Mannes... Im ersten Gebot haben wir das zentrale Bekenntnis des
biblischen Monotheismus vor uns. Es handelt sich aber nicht um den
„Monotheismus der Wahrheit“, für den es die anderen Götter nicht gibt,
sondern ganz explizit um den „Monotheismus der Treue".“
Dieser
Bund verändert die Blickrichtung. Religion ist nicht mehr
rückwärtsgewandt, sie zementiert nicht das, was immer schon war. Sie
wird mit Verheißung aufgeladen. Religion meint eine Bindung, eine
Liebesbeziehung, die immer wieder auf die Probe gestellt wird. Wer Gott
trotz aller Anfechtungen treu bleibt, den erwartet Heil. Die
Theologisierung des Rechts in den Geboten ist neu, der Monotheismus der
Treue ist neu. Und noch ein drittes revolutionäres Element macht Assmann
aus: den Volksbegriff.
„Der
Bundesgedanke macht das Königtum überflüssig. Das Volk tritt an die
Stelle des Königs. In der Abwesenheit des Königs liegt das Spezifische
der alttestamentlichen Bundestheologie. (...) Das Volk agiert als
souveräner Bundespartner, nicht Mose, nicht die siebzig Ältesten, nicht
Aaron und die Leviten. Diese Gottesunmittelbarkeit des Volks gibt dem
biblischen Volksbegriff seine demokratische Stoßkraft.“
Ungnädiges Urteil über den beleidigten Gott
Jan
Assmann ist ein Protagonist der Dauerdebatte über das Verhältnis von
Monotheismus und Gewalt. Eine seiner Thesen: Mit der Unterscheidung in
wahr und falsch, in falsche Götter und den einen wahren Gott, kommt die
Gewalt im Namen Gottes in die Welt. Das bedeutet nicht, dass es ohne
Gott keine Gewalt gäbe. Es bedeutet aber, dass der Monotheismus der
Treue eine brutale Kehrseite hat. Auch in seinem neuen Buch stellt
Assmann diesen Zusammenhang her. Gott schließt den Bund mit seinem
erwählten Volk aus Liebe, das betont der Autor mehrfach. Wer aber den
Bund bricht, etwa Götzen wie das Goldene Kalb anbetet, den erwartet ein
grausames Strafgericht. Mose befiehlt in Gottes Namen den Mord an Söhnen
und Brüdern. Erst danach zeigt sich Gott gnädig. Assmann urteilt
ungnädig über diesen beleidigten Gott:
„Die
Vergebung, die Mose von JHWH erreicht, hat, bedeutet nicht
Straffreiheit, sondern nur – das ist jedoch das Entscheidende – das
Fortbestehen des Bundes. Innerhalb des Bundes aber gilt, dass die Sünde
bestraft werden muss... Zur Treue gehört im Ernstfall ... das
fanatische, mörderische Eifern für Gott. Die Verse Exodus 32, 27-29,
bilden die Urszene des Gotteseifers, der nun einmal, das ist durch keine
Apologetik zu beschönigen, zum Monotheismus der Treue gehört... Hier
geht es nicht um Dogmen und Wahrheitsfragen, sondern um die Ehre eines
beleidigten Gottes, und da gibt es – bis heute – keine Toleranz.“
Die
Verbindung zur aktuellen Nachrichtenlage ist unübersehbar. Keine
Religion kann sich damit herausreden, missbraucht zu werden, wenn in
ihrem Namen gemordet wird. Assmann zeigt am Gründungsmythos des Exodus
die befreiende, heilsame, durchaus demokratische Kraft der Religion.
Aber er belegt eben auch, dass Brutalität ein Wesensmerkmal des
Monotheismus ist und keine extremistische Entgleisung. Auf das
Gottesbild des Neuen Testaments geht der Altertumsforscher kaum ein, es
passt nicht recht zu seiner Story. Assmann hat ein Buch für Gläubige und
für Atheisten geschrieben. Es ist eleganter und brisanter als vieles,
was nach den Anschlägen von Paris über die Gewalt der Religion
veröffentlicht wurde.
Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der alten Welt. C.H. Beck, 493 Seiten, 29,95 Euro.
Nota. - Doch erst ein Alleiniger Gott verbürgt - und fordert - eben auch Wahrheit, Güte und Gerechtigkeit. Erst ein alleiniger Gott ist barmherzig. Und erst ein einziger Gott konnte den Gedanken seiner Entbehrlichkeit aufkommen lassen.
Jan Assmann ist gestern im Alter von 85 Jahren in Konstanz verstorben.
JE
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