Wolfgang Dirscherl, Pixelio.de zu Philosophierungen
Der Siegeszug der Wissenschaften im 17. Jahrhundert sei "das politische Ereignis par excellence" gewesen, schrieb ich andernorts,
er hat im Reich der Parteienkämp-fe ein - kontinuierlich wachsendes -
Feld geschaffen, wo nicht länger der Stärkere entscheidet, sondern der geprüfte Grund.
Wenn auch faktisch die Physik die treibende Kraft war,
betraf diese 'Wissenschaft-liche Revolution' nicht bloß die
Naturwissenschaften im Besondern, sondern die Geisteshaltung einer
ganzen Zivilisation: Als rational gilt
seither nur noch solche Erkenntnis, die eine Er-scheinung als Wirkung
einer Ursache darstellen kann; und zwar ein geschichtliches Ereignis
nicht minder als ein Laborexperiment. Auch poli-tische Probleme sollten
seither, so weit irgend möglich, durch Vernunft
lösbar sein, ohne Waffen. (Der Aufstieg der Wissenschaften begann nach
dem Ende des 30jäh-rigen Kriegs und der englischen Revolution - in der
Hoffnung auf ewigen Frieden, nachdem die Religion Ewige Zwietracht gesät
hatte.)
Allerdings beschränkte er sich auf den (seither stets wachsenden) engen Kreis der Gelehr-ten.
Dass es sich im Besondern um Naturgesetze
handeln sollte, wurde erst im Lauf des 19. Jahrhunderts deutlich, als die Siege der Exakten Wissenschaften in Gestalt der
technisch-industriellen Revolution auch den Durchschnittsmenschen
anzugehen be-gannen. Dass es für alles einen hinreichend Grund geben
müsse, scheidet seither den gesunden Menschen-verstand von
allen Arten des Irrsinns. (Und seither gewin-nen die
'Geisteswissenschaften' ihr eigenes Profil, weil sich sich gegen die
'harten' Fächer legitimieren müssen.)
Doch das Dogma der Kausalität ist inzwischen zu einem - pragmatisch vertretbaren - Aberglauben des
Gesunden Menschenverstands herabgesunken; es begann mit den
Revolutionen der Thermodynamik und hat mit der Quantenphysik einen
einst-weilen Höhe-, aber längst keinen Schlusspunkt gefunden.
Dass
die exakten alias 'Natur'-Wissenschaften an ihren Grundlagen zu
zweifeln be-ginnen, ist löblich, aber auch das mindeste, was man erwarten
darf. Nun wenden sie sich in neuer Bescheidenheit an die 'weiche'
Philosophie zurück. Wobei sie viel Zeit sparen können, wenn sie sich
erinnern, dass die Philosophie ihnen schon vor zwei-hundert Jahren in
Bescheidenheit vorangegangen ist und sich mit Kants Kopernika-nischen Wende selber
die Schranken gezogen hat, die sie von den Realwissenschaf-ten trennen -
und die Realwissenschaften von ihr! Erkenntnisfortschritt können beide
nur erhoffen, wenn sie die Schranken klug beach-ten und nicht wieder
alles miteinander verrühren. Wenn ihr Interesse eben der Andersheit des
andern gilt und sie Konsens und Gemeinsamkeit den profanen
Alltagsmenschen über-lassen.
25. 6. 16; zu Ist die Geschichte der Wissenschaft die wahre Geschichte der Menschheit?
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