Sowa, Der Verdacht; zu Philosophierungen
Es ist löblich, dass Prof. Binswanger so einen Artikel schreibt und dass die Neue Zürcher ihn druckt. Doch Neues ist nicht darin. Für Wissenschaftlichkeit gibt es keinen Lackmus-Test, sie ist keine Ingredienz, die man ihrerseits wissenschaftlich nachweisen könnte. Was Wissenschaft ist und was nicht, erweist sich im wissen-schaftlichen Betrieb. Wissenschaft ist eine gesellschaftliche Instanz, ihr Medium ist Öffentlichkeit. Sie steht - ähnlich wie ihre Schwester, die Kunst - am Rande der bürgerlichen Gesellschaft, Öffentlichkeit sichert ihre Distanz zu den Einzelinter-essen; denn in der Wissenschaft selber konkurrieren Interessen, unter unter den Bedingungen der Öffentllichkeit bleibt es nicht aus, dass die Interessierten mit den Fingern auf einander zeigen. Und das reinigt.
Distanz
heißt aber nicht Autonomie. Mögen die Wissenschaften als Instanz auch
kritisch am Rande der Gesellschaft stehen - die Wissenschaftler
ihrerseits leben mittendrin. Im wissenschaftlichen Betrieb konkurrieren
die Interessen - Karriere und Renommé - von Individuen und
überschaubaren Klüngeln; doch in der Gesellschaft gehören auch die
Wissenschaftler großen Gruppen an, und deren Interessen sprechen sich
weniger in Theorien und Lehrmeinungen aus, als in Ideologien. Die sind kein spezifisch wissenschaftliches, sondern vielmehr ein politisches Problem: Da mag ein ganzer Wissenszweig als Wissenschaft längst
in Grund und Boden kritisiert worden sein; wenn die Interessen, denen
er dient, mächtig genug sind, wird er noch Jahrhunderte forleben, obwohl
er noch nie ge-konnt hat, was angeblich der Wissenschaft vornehmste
Aufgabe ist: Vorhersagen möglich zu machen.
Soviel
zur Volkswirtschaftslehre und der "Neutralität des Geldes"; sie dient
unmit-telbar der Legitimierung des einen oder andern Regierungshandelns.
Dass es sie gibt, ist ein Politikum, wissenschaftlich ist es ohne
Belang. Das einzige, was an der Politischen Ökonomie wissen-schaftlich
sein kann, ist ihre Kritik.
Dass
Binswanger den Streit um die Erderwärmung damit auf dieselbe Stufe
stellt, zeigt nur, dass er das Problem nicht wirklich verstanden hat.
Dass geldwerte Inter-essen im Spiel sind, ist offenkundig, aber die
lassen sich nicht restlos identifizieren, solange die empirischen
Befunde noch so widersprüchlich sind. Die Masse der Da-ten reicht noch
lange nicht aus - und wohl auch die Kapazität der Rechner nicht -, um
wirklich aussagekräftige Modelle zu entwickeln. Es ist nicht
einmal sicher, ob solche Modelle für das globale Klimageschehen
theoretisch überhaupt möglich sind.
Bei den Wirtschaftswissenschaften ist es anders: Da weiß man, da sollte man wis-sen, dass Modelle schlechterdings nicht möglich
sind, jedenfalls nicht für das, was noch geschehen soll, sondern nur
für Dinge, die längst geschehen sind. Warum? Weil die Wirtschaft kein
Teil der Natur, sondern Teil unserer Geschichte ist, die gehorcht keinem
Gesetz,
sondern wir machen sie, wennauch unter nicht selbst gewählten
Bedingungen, immer noch selber. Und wie, das ist unwägbar. Es hängt
auch ein bisschen von den Ideologien ab, die in den Köpfen von Laien und
Wis-senschaftlern herrschen.
15. 9. 16
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