Donnerstag, 29. Februar 2024

Ist er böswillig?


aus t-online, 27. 2. 2024                                                                                                   zu öffentliche Angelegenheiten

Hierzulande ist die Empörung in Teilen der Öffentlichkeit groß ob des Nein des Kanzlers zu Taurus. Vor allem die Begründung Scholz' sorgt für Kopfschütteln, behauptete der Kanzler bei dem Medientreffen doch, dass für die Lieferung und Zielsteuerung des Taurus-Systems auch die Stationierung deutscher Soldaten in der Ukraine notwendig sei.

"Olaf Scholz führt gegen die Lieferung von Taurus ein längst widerlegtes Argument an", schreibt die FDP-Abgeordnete Agnes Strack-Zimmermann bei X. "Deutsche Soldaten werden für Taurus nicht auf ukrainischem Boden benötigt. Die Behaup-tung des Bundeskanzlers ist falsch", so die Verteidigungspolitikerin. Es gebe in der Ukraine bereits eine Menge programmierter Waffen aus deutscher Produktion: "Wenn das also das Argument ist, müssten wir sofort alle automatischen Waffen, die auf Angriffe reagieren, abziehen. Ich halte das für vorgeschoben."

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen zeigte sich in einer ersten Reaktion auf der Plattform X ebenfalls fassungslos: "Die Behauptung, mit der Lieferung von Taurus würde Deutschland zur Kriegspartei, ist rechtlich schlicht falsch und poli-tisch infam."

Militärexperte widerspricht Scholz

Wie groß die Enttäuschung über den Kanzler selbst in der Ampelkoalition ist, zeigt auch die Reaktion der grünen Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. "Niemand, der Taurus für die Ukraine fordert, will, dass Deutschland zur Kriegs-partei wird", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Aber: "Für den Frieden in Europa und darüber hinaus ist es essenziell, dass die Ukraine diesen Verteidigungskampf gewinnt." 

Das Hauptargument, das Scholz nun anführt, wenn er Taurus-Lieferungen ver-weigert, bezieht sich auf den möglichen Einsatz von Bundeswehrsoldaten zur Steuerung der Systeme. Doch auch unabhängige Experten wie der Sicherheits-berater Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) zerpflücken die Argumentation des Kanzlers. Übergabe und Bedienung der Taurus-Marschflugkörper müssten mitnichten von der Bundeswehr erledigt werden. "Das ist Herstellersache", so Gressel zu ntv.de.

Ähnlich sei es schon bei der Lieferung der Iris-T-Systeme an die Ukraine gewesen. Zudem hat Deutschland dem strategischen Partner Südkorea bereits 2014 Taurus geliefert, ohne dass es dafür eines Bundeswehrmandats bedurft hätte. "Es ist die Aufgabe des Herstellers, mit an den Ort zu reisen, an den der Taurus übergeben wird und sich die dazugehörigen Träger anzuschauen und die Programmierung zu übernehmen."

Kiesewetter wirft Scholz "Täuschung" vor

Scholz behauptete in seiner Rede am Montag, die Zielsteuerung des Taurus, wie es die Briten und Franzosen bereits mit den Storm Shadow und Scalp-Systemen machten, die sie an die Ukraine geliefert haben, könne im Fall der deutschen Waffe nicht gewährleistet werden. Das wisse jeder, der sich mit der Materie auseinander-gesetzt habe, so der Kanzler.

Gressel widerspricht: "Das wäre auch bei Taurus möglich." Es brauche dafür ledig-lich klassifizierte Geodaten und die Anpassung bereits existierender Protokolle, die den Ukrainern übergeben werden müssten.

Der Militärexperte Fabian Hoffmann von der Universität Oslo bestätigt dies. Er sagt sogar, dass die geografischen Daten für die Taurus-Zielsteuerung größtenteils öffentlich zugänglich seien und deshalb keine Unterstützung durch die Bundeswehr erforderten. Das Eskalationsrisiko infolge einer etwaigen Lieferung hält er deshalb für "extrem gering".  
 

Nota. - Ist er böswillig? 
JE

 

 

 

Wo die Worte fehlen.

yahoo                                                                       zu Philosophierungen

Alles Geistige wird durch sinnliche Ausdrücke bezeichnet, daher kommen viele Missverständnisse. Denn die Zeichen sind oft willkürlich, und drum muss erst, wenn man ein Zeichen gebraucht, eine Erklärung gegeben werden. Wenn man eine Erklärung geben soll, wo das Wort fehlt, da muss man die Sache selbst, d. h. man muss genetisch erklären.
J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 20

Einer hat mal behauptet, alles, was sich ausdrücken lässt, lasse sich klar ausdrücken. Das ist grundfalsch. Vieles lässt sich nur sagen, indem man ein Bild zeigt oder eine Geschichte erzählt. 

Der selbe hat später gesagt, Philosophie lasse sich eigentlich nur dichten. Er war kein Dogmatiker, das muss man ihm lassen, hört ihr, ihr systematischen Flohknak-ker?


Mittwoch, 28. Februar 2024

Das Wichigste in dieser Legislatur

  russischer Panzer                                   zu öffentliche Angelegenheiten

...ist, dass Putin auf dem Schlachtfeld zurückgeschlagen wird. Deutschland muss regiert werden von solchen, die das begreifen und das Nötige zu tun bereit sind. Anderes ist einstweilen nachrangig.

Wer einen Krieg mit Russland vermeiden will, muss Putin heute entgegentreten.

 


Maulheld oder eingekniffner Schwanz?

                 zu öffentliche Angelegenheiten 

Maulheld? Bei einem Franzosen überrascht das nicht.
Ein eingekniffner Schwanz bei einem Deutschen schon eher.

 

 

Ein bisschen kühn, aber nicht falsch.

yahoo
aus FAZ.NET, 28. 2. 2023                                                                                       zu öffentliche Angelegenheiten

von Patrick Schlereth

Der frühere Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hält eine Debatte um die Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine für ange-bracht. „Es ist natürlich in einer solchen Konfliktsituation, in der wir uns mit Russ-land befinden, im Prinzip richtig, nichts auszuschließen. Sobald man irgendwas aus-schließt, macht man es natürlich im Prinzip für den Gegner leichter, sich auf das, was da vielleicht kommen könnte, einzurichten“, sagte der ehemalige Spitzendiplo-mat am Dienstagabend dem Sender Welt-TV. Er finde es „ein bisschen kühn, aber nicht falsch“, dass der französische Präsident Emmanuel Macron sage: „Wenn das so weitergeht, ist es besser, wir schließen gar nichts aus.“ Ischinger betonte aber auch, es gebe auf der anderen Seite den richtigen Grundsatz, dass die NATO nicht militärisch in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine hineingezo-gen werden wolle.
 
 
Nota. -  Scholz hatte noch bevor der erste Schuss fiel die Lieferung schwerer Waf-fen an die Ukraine "ausgeschlossen". Hat er den Angriff dadurch verzögert oder beschleunigt? 
Verhindert hat er ihn jedenfalls nicht.
JE

Dienstag, 27. Februar 2024

Friede!

München 1938; zu öffentliche Angelegenheiten

Ein wirklich schöner Mann.

 

 

Volksgemeinschaft.

Berlinale            zu öffentliche Angelegenheiten

Jetzt warten wir bloß noch darauf, dass Frau Weidel und Frau Wagenknecht die Hamas eine Befreiungsbewegung nennen.

 

 

Was lange währt, wird schließlich...

                                               zu öffentliche Angelegenheiten

Kanzler Olaf Scholz (SPD) äußert sich am Montag klar zur "Taurus"-Frage: Er wol-le verhindern, dass Deutschland in einen Krieg mit Russland verwickelt wird.
aus Süddeutsche, 17. 2.  2024 

Wenn wir nur lange genug abwarten, wird sich ein Krieg gegen Russland nicht mehr umgehen lassen.

 

 

 

Westliche Bodentruppen für die Ukraine.


aus FAZ.NET, 27. 2. 2024                                                                                         
zu öffentliche Angelegenheiten

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schließt den Einsatz westlicher Boden-truppen in der Ukraine nicht aus. Nichts sei ausgeschlossen, um das Ziel zu errei-chen, dass Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine nicht gewinne, sagte Macron nach Abschluss einer Ukraine-Hilfskonferenz am Montagabend in Paris. Bei dem Treffen von über 20 Staats- und Regierungschefs habe es keinen Konsens zum Einsatz von Bodentruppen gegeben, aber in der künftigen Dynamik könne nichts ausgeschlossen werden, sagte Macron. Jedes Land könne eigenständig und souverän über den Einsatz von Bodentruppen entscheiden.

Bei dem Treffen sei die Bildung einer Koalition beschlossen worden, die die Ukraine mit Raketen für Angriffe weit hinter die russischen Linien versorgt, sagte der französische Präsident. Kurzfristig solle außerdem auch aus eigenen Beständen zusätzliche Munition für die Ukraine mobilisiert werden.  Eine Lieferung französischer Mirage-Kampfflugzeuge sei aktuell nicht beschlossen worden, geprüft werde aber weiterhin, welches französische Militärmaterial der Ukraine helfen könne, sagte Macron.

Montag, 26. Februar 2024

Presente!

Eine vitruvianische Idee vom Menschen: Skizze von Leonardo da Vinci, entstanden um 1490. 
aus nzz.ch, 26. 2. 2024                                                                                                       zu Philosophierungen

Stückwerk des Geistes 
Der Verfall von Großphilosophien kündet von der Formschwäche west-lichen Denkens, aber auch von der Demokratisierung des Denkens und Fühlens.
 
Die aufklärerischen Philosophien des Westens, welche die moderne Welt hervorgetrieben haben, stehen vor einem Trümmerhaufen. Was sich als universal verstand, wird heute als interessengeleitet denunziert. Das Erbe unserer Kultur steht auf dem Spiel und mit ihm die Idee der Menschheit.
 
von Peter Strasser  

Gibt es heute noch Großphilosophien? Man könnte Peter Sloterdijks «Sphären»-Trilogie (1998–2004) als solche bezeichnen. Aber die «Neuerzählung» der Mensch-heitsgeschichte fällt sich selbst in den Rücken: Eine sich verzettelnde Lust am Metaphorischen – die Sphären sind Kugeln, Blasen, Schäume – tritt an die Stelle des Versuchs, die Conditio humana in geistigen Prinzipien zu fundieren. 2013 erschien dann das Buch «Warum es die Welt nicht gibt» von Markus Gabriel. Mit dem Gestus des Großphilosophischen wird über die Welt als Ort von «Sinnfel-dern» nachgedacht. Doch wehrt dieser «Neue Realismus» jede Reflexion über den «Sinn des Ganzen» ab. Der Welt selbst, als dem Ort alles Seienden, sei nichts der-gleichen zuschreibbar...

Treten wir einen Schritt zurück. 1848: Friedrich Engels und Karl Marx wollten Hegel «vom Kopf auf die Füße» stellen. Für Hegel, den Idealisten, waren das Ganze und der Geist identisch. Marx hingegen sah in der Geistmetaphysik, verkörpert durch Sitte und Religion, die Rechtfertigung bestehender Ausbeutungsverhältnisse: Opium für das Volk. Laut dem historischen Materialismus blockiert der «Geist», als bourgeoise Ideologie, die kommunistische Revolution; vergeblich. Großphiloso-phien bleiben selten ohne blutige Utopie.

Doch bereits seit Hegels monumentaler Dialektik, die Arthur Schopenhauer als Galimathias, Aberwitz und Unsinn gegeisselt hatte, wurde immer deutlicher: Das Zeitalter der Grossphilosophien, die es unternahmen, die Welt, vom Atom bis zur Zivilisationsdynamik, aus angeblich selbstevidenten Prinzipien herzuleiten, war vorbei. Aber nicht ganz, ein letztes Aufbäumen stand bevor. Martin Heidegger wollte in seinem epochalen Werk «Sein und Zeit» (1927) das tiefe Denken retten, indem er es vor den Gegenwartsdiskursen – dem «Gerede» – in Sicherheit brachte. Sein Motto: Rettung der Philosophie durch Wiederbesinnung auf ihren Ursprung.

Fehlendes Fundament

Laut Heidegger bedurfte es eines Rückgangs zur griechischen Vorsokratik, die etwa von 600 bis 350 v. Chr. ihre Ursprungs-Lehren formulierte. Nur dadurch wäre es möglich, erneut eine Philosophie des Seins zu entwickeln – und damit auch die grundlegende Stellung des Menschen zu bedenken, der als einziges Wesen zur Seins-Erkenntnis fähig, aber keineswegs die alle Maßstäbe setzende «Krone der Schöpfung» sei. Heidegger behauptet, seine ursprungsphilosophische Grundlegung befreie von den humanistischen, den rationalistischen und idealistischen Einengun-gen.

Dass der Meisterdenker sich dabei in pathetischen Formeln ergeht – das Sein wird schließlich als «Seyn» in einen quasireligiösen Rang erhoben –, ist von Kritikern oft hervorgehoben worden: Aus dem Sein/Seyn als Urgrund der Welt lässt sich alles und nichts herauszaubern. Wir haben es, nüchtern betrachtet, mit einer großphilo-sophischen Leerformel zu tun, in welche alle möglichen Welterklärer ihre obskuren Gedanken hineinprojizieren können.

Wir leben in einer Zeit der Fragmentierungen des Geisteslebens, soweit die ideologischen Verwerfungen, die wir zurzeit durchleben, ein «Leben des Geistes» überhaupt zulassen.

Als Jürgen Habermas, linkshegelianisch geschult, 1968 sein Werk «Erkenntnis und Interesse» vorlegt, da ist der Geist gleichsam schon in die Brüche gegangen. Er hängt in seinen Leistungen ab von «transzendentalen Interessen»: Neben einem wissenschaftlich-technischen und einem hermeneutischen, dem wechselseitigen Verständnis dienenden Interesse existiert – bei Habermas entscheidend – ein Interesse, das auf die Emanzipation des Menschen, dessen Befreiung von aller Ausbeutung und Selbstentfremdung, gerichtet ist.

Bei alldem fehlt ein übergreifendes Prinzip oder Fundament, wie es noch der Fall war bei Kant («das Ding an sich»), bei Nietzsche («der Wille zur Macht»), bei Scho-penhauer («die Welt als Selbsterkenntnis des Willens») oder bei Heidegger («das Sein des Seienden»). Heute, nach einer stürmischen Phase der Sprachkritik, ist die akademische Zunft längst von allen philosophischen Welterklärungstheorien abge-rückt. Wir leben in einer Zeit der Fragmentierungen des Geisteslebens, soweit die ideologischen Verwerfungen, die der Westen zurzeit durchlebt, ein «Leben des Geistes» überhaupt zulassen.

In den ruhigeren akademischen Gewässern finden wir uns bei philosophischen Einzeldisziplinen wieder. Diese haben jeweils ihre eigenen Rayons und Regeln, ob es sich um Ontologie, Metaphysik, Erkenntnistheorie, Sprachanalytik, Ethik oder Sozialtheorie handelt. Nicht mehr wird beansprucht, eine umfassende Theorie allen Wissens oder der menschlichen Kondition zu bieten. Diese Selbstbescheidung im Umgang mit geisteserheblichen Themen passt in eine Welt der kulturellen Vielfalt. Deren «plurale» Gesinnung lehnt es ab, Philosophie als Nachfolgedisziplin einer religiösen Dogmatik zu betreiben.

Zerbrechlichkeit des aufgeklärten Denkens

Kein Zweifel, die Philosophie war, spätestens seit dem Durchbruch der neuzeit-lichen Aufklärung, die privilegierte Nachfolgerin der grossen religiösen Mythen, namentlich des Christentums – seiner Weltentstehungslehre, seiner Ethik und heilsgeschichtlichen Apokalyptik. In dieser Funktion blieb das Denken zurück-gebunden an Letztbegründungsmuster, was besonders den ethischen Universa-lismus des europäischen Denkens beflügelte. Christliches Naturrecht wurde schrittweise durch säkulare Prinzipien ersetzt, die beanspruchten, den Grundbe-dürfnissen und Untiefen der menschlichen Natur am besten zu entsprechen. Die Pflicht-, Tugend- und Glücksmoralen sollten allgemeingültige Formen des Zusam-menlebens ohne Rückgriff auf eine «übernatürliche» Ordnung ermöglichen.

Wir wissen heute um die Zerbrechlichkeit des aufgeklärten Denkens. Religionen prallen wieder mit voller Wucht aufeinander, die Vernunft wird denunziert, ja selbst die exakte Wissenschaft gerät in den Verdacht, von geldgierigen Mächten aus dem Hintergrund dirigiert zu werden. Im Übrigen konnten philosophische Großtheori-en das Böse nie effektiv zähmen, die menschliche Raffgier, Brutalität und Mordlust nicht wirksam stilllegen. Mit derlei «Theorien» wurden Tyranneien und brutale Großmachtbestrebungen großflächig gerechtfertigt und begrifflich unterbaut, bis hin zu Hitlers Rassen- und Welteroberungswahn.

Aber auch jene Haltung, die heute im Westen als posttraditionale Sensibilität vor-herrscht, scheint fragwürdig. Laut ihr sind die Lebensstile doktrinärer, frauenverach-tender, judenfeindlicher, homophober Kulturen strikt abzulehnen; und trotzdem sind wir gehalten, unsere ethischen Standards nicht absolut zu setzen, sondern jede Kultur aus ihrer eigenen Tradition heraus zu «verstehen». Der Berufung auf die un-verletzliche Würde und Gleichheit aller entspricht keine Menschheitsmetaphysik mehr, wie sie in Schillers Zeile anklingen mochte: «Alle Menschen werden Brüder», die «Schwestern» eingeschlossen.

Warum fehlen uns zunehmend Stärke und Mut, um die Prinzipien der aufgeklärten Vernunft, ob in der Wissenschaft oder der Ethik, philosophisch zu untermauern und ihre Umsetzung einzufordern? Vielleicht, weil wir noch immer einer Welt unge-bildeter, darbender und zum Fanatismus verführbarer Massen gegenüberstehen, die von monströsen Diktatoren und ihrem korrupten Anhang zu mörderischen Taten aufgehetzt werden, während wir, moralisch feinnervig wie niemals zuvor, unseren Eurozentrismus geißeln?

Für die Idee der Menschheit

Ein Hauptgrund unseres Hangs zur Kleingeistigkeit liegt zweifellos darin, dass – außerhalb des religiösen und naturrechtlichen Kontextes – das Selbstverständnis des Westens zusehends blasser geworden ist. Immer lauter melden sich individua-listische und egomanische Stimmen zu Wort. Man kann die Schlag- und Stichworte der neuen Moralisten nicht mehr ohne Beklemmung aussprechen: politische Kor-rektheit, neue Wachheit («Wokeness»). Stets sind wir zu wenig korrekt oder nicht «woke» genug. Auf diese Weise beschleunigen sich die Auflösungstendenzen unse-rer historisch vermittelten Einheit des Guten, Wahren und Schönen. Dieser Ero-sion haben all die Opportunisten und Querköpfe, welche die Massenmedien und das Internet fluten, nichts entgegenzusetzen als Tagespolemik.

Aber vielleicht – auch diese Perspektive zählt – ist das Ende der philosophischen Großtheorien, in denen sich der «Geist» gerne gottgleich manifestierte, eine not-wendige Folge der Demokratisierung des Denkens und Fühlens. Wer pragmatisch denkt, und zwar entlang der Grundbedürfnisse und Gefahren, die der menschlichen Natur innewohnen, wird eine Theorie der kleinen Schritte (Karl Poppers «piecemeal social engineering») befürworten. Fundamentalistische Weltbilder enden nicht selten beim Terror der Ideale, indem sie sich anheischig machen, das Wesen des Menschen zu befreien oder aber alle Menschlichkeit einer übermenschlichen Autorität zu op-fern. Und so hat das Stückwerk des Geistes seine eigene Humanität. Zwar verwei-gert es sich aller Heroik, aber es lässt uns immerhin leben.

Dessen ungeachtet dürfen wir, über alle «Love, peace and respect»-Rhetorik hinaus, nicht aufhören, unsere Stellung im Ganzen des Seins und Weltseins philosophisch, religiös und existenziell zu befragen. Wir dürfen, nach unserer Selbstreinigung von eurozentristischen Verengungen, nicht davon Abstand nehmen, uns auf die univer-salethische Tradition des Abendlandes zu besinnen. Denn wir benötigen ein geisti-ges Fundament, welches dem Sog der narzisstischen und neonationalistischen Verlockungen widersteht. Wenn wir das Erbe unserer Kultur, geformt aus antiker, christlicher und humanistischer Gesinnung, dauerhaft verspielen, dann opfern wir die Idee der Menschheit und versinken in den Egoismen der Kleingeistigkeit.

Peter Strasser ist Universitätsprofessor i. R. Er lehrt an der Karl-Franzens-Universität Graz Philosophie.

 

Postskriptum für Peter Strasser: Um groß geht es beim Philosphieren nicht, sondern um scharf. Radikal sein heißt, bei der Wurzel ansetzen. Einen Grund brauchen wir nicht, um zu einem Schluss zu kommen, sondern um uns die Richtung zu geben, in die es fortgehen soll. JE 

 

Nota. -  Dass ich mein System nur fragmentarisch darstellen konnte, gebe ich frei-mütig zu, und den Titel Großphilosophie beansprucht es nicht. Die Einsicht, dass dem zeitgenössischen Denken das Fundament fehlt, drängt sich jedem auf, der die gegenwärtigen Grundströmungen des westlichen Denken vergleicht, die philolo-gisch spitzenklöppelnden Kontinentalen und die definitorisch flohknackenden Sy-stematiker.

Ich habe auf deren Konjunktion nicht gewartet, ich schürfe seit vierzig Jahren am selben Ort nach einem Grund, und als ich auf einen festen Punkt gestoßen bin, hielt ich die Zeit für gekommen, dort mein Fundament zu legen - das ich aber von anderen auch schon vor-bereitet fand.

Da ich - ungern - den unsicheren Gang wagen musste, mein fragmentarisches Sys-tem ausschließlich im Internet vorzutragen, hat Peter Strasser meinen Weg nicht gekreuzt. Da bleibt mir nur, mich ihm so bemerkbar zu machen:

Ich bin da!
JE 

 

 

Mit dem Besen!

                    zu öffentliche Angelegenheiten
 

Der Abschluss der Berlinale wird zu einer Kundgebung für die Hamas, aber Israel darf bein ESC nicht mit "Oktoberregen" auftreten, weil es ein politisches Lied ist? 

Die Documenta15 war kein Ausrutscher. Es riecht nach Verschwörung, allerdings. Da muss man mit einem großen Besen zwischenfahren.

 

 

"Werte" oder Vernunft?

  

...Im konkretesten Fall bedeutet »Werte« also abstrakt und unveränderlich konzipierte Gebilde, auf die gestützt man sich das menschliche Denken darüber, was wünschenswert ist und was nicht, denkt. Im schlechtesten Falle ist das Wort eine bloße Hülse, mit der man signalisieren möchte, dass man auch über Gut und Böse nachgedacht hat. Es gibt jedenfalls, wie ich finde, kaum ein Wort, bei dem es nötiger ist, immer nachzufragen, was jeweils genau gemeint ist – auch wenn es nur selten jemand macht.
aus Matthias Warkus, Vom Wert der Werte 

Nota. - Das ist lobenswert, aber halbherzig. Er hätte schreiben sollen: "Wir brau-chen keine Werte"; oder doch wenigstens: Wir bräuchten keine Werte - wenn wir uns endlich darauf verständigen könnten, dass im öffentlichen Raum Vernunft wal-ten soll. 

Der realistisch aufgefasste 'Wert' ist nämlich ein begrifflicher Bastard, der nur Lö-cher verkleistern soll: die Löcher, die sich aufgetan haben, seit das Absolute aus dem irdischen Leben verschwunden ist. Es hieß nicht so und hatte sich in diverse rivalisierende Glaubenskongregationen zersetzt, deren Partikularität auch dem Dümmsten ins Auge sprang, als sich im 30jährigen Krieg die Religion nicht als verbindender Leim, sondern als kriegstreibendes Gift entpuppte. 

Es musste etwas gefunden werden, auf das sich Alle verständigen konnten, weil es über den Religionen stand und diese unbeachtet lassen könnte "etsi deus non dare-tur". Zu beachten: Die Idee eines irdischen Vernunftreichs ist nicht aus scholasti-schen Spekulationen der Philosophen entstanden, sondern aus der politischen Er-fordernis des wirklichen Lebens.

 

 

Das war dann aber doch nicht der Stein des Weisen, wie man gehofft hatte. Denn dass Vernunft herrschen sollte, war "Konsens";  doch was Vernunft "überhaupt ist", wäre so strittig gewesen, wie es die religiösen Dogmen waren, die in die Katastro-phe geführt hatten.* Also hat man die Frage vorsichtig ausgeklammert. Statt zu be-stimmen, was Vernunft ist, beschränkte man sich darauf, zu regeln, wie sie verfährt - nämlich 'klar und deutlich wie der Geometer'.

In der Sache war man also kaum gebessert. Was absolut ist, kann keinen reellen Streit entscheiden, denn es ist nicht positiv. Positiv könnte es sein, wenn es be-stimmt wäre - doch dann wäre es nicht absolut. Und so traten im Zusammenleben der Staaten im 19. Jahrhundert an die Stelle der Vernunft die Bündnissysteme der imperialistischen Großmächte (was schließlich in den Weltkrieg führte). Im inneren Zusammenleben der Staaten traten rivalisierende Weltanschauungen in Gestalt von Klassen- und Programmparteien als ordnende Kräfte auf. 

Und die vertraten "Werte". Verhackstückte, verweltlichte, "anschauliche", handhab-bare Portionen vom ehemals Absoluten: relativ Absolute. Ein Notbehelf, besser als gar nichts, sollte man sagen. Doch als solchen sollte man ihn besser unterm Mantel halten und nicht an die große Glocke hängen. Denn wer das tut, kann wirklich nur demagogische Absichten verfolgen.

Als unbestimmtes Absolutum kann Vernunft gar nicht herrschen, sondern nur kon-kret und bestimmt. Das ist umso mühseliger, je weniger Leute es einsehen. Man müsste ein Mittel finden, dass es mehr werden. Die Vernunft braucht ihre Prosely-ten in der Welt wie die ersten Christen unter Juden und Heiden.

*) Nicht der Wortlaut der Dogmen hat den 30jährigen Krieg verursacht; sondern der Glaube, dass das weltliche Zusammenleben durch Dogmen geregelt werden könnte - sobald nämlich jeder seine eigenen hatte. Real waren politische Konflikte; die Konfessionen folgten ihnen und gossen Öl ins Feuer

JE



Sonntag, 25. Februar 2024

Man In The Mirror: Ego oder Selbstbewusstsein?

Mann mit Handspiegel                                              zu Philosophierungen

Fangen wir gleich beim Schluss an: dass das Selbstbewusstsein "praktisch lebens-lang formbar" sei.

Ein solcher Schweinsgalopp durch das gesamte Feld der Ich-Problematik kann ohne Banalitäten schwerlich abgehen - zugegeben. Manchmal dienen die Banali-täten aber, wissentlich oder unbeabsichtigt, dazu, das Thema zu vernebeln. 

So etwa, wenn es vom Selbstbewusstsein heißt, dass es "formbar" sei. Die Frage, wer es formt, stellt sich aber nicht erst unter soundsoviel anderen, sondern zu allem Anfang: denn sie entscheidet darüber, ob es sich um ein Selbst-Bewusstsein über-haupt handelt. Der Artikel zählt als formende Faktoren auf: Anpassung, Gewohn-heit, Konditionierung und Nachahmung. Ein freier Wille kommt nicht vor.

Manche Stelle im Text scheint dem entgegenzustehen, etwa, wenn irgendwer ir-gendwas "einordnet". Besorgen das "Hirnmechanismen"? Und sind die Ich oder sind die bei mir bloß zu Gast? Das ist doch nichts, was man in der Schwebe lassen darf! Denn die Hirnphysiologen haben - erinnern Sie sich? - vor Jahr und Tag mit empirischen Argumenten ein ganzes Weltbild darauf aufzubauen versucht, dass mein Hirn macht, was es will, und sich als mein Ich nur tarnt. Und polemisierten bei der Gelegenheit gegen das, was sie "das Ich der Philosophen" nannten.

Flankierend kommt oben der Satz hinzu, dass keiner perfekt sei noch sein könne. Da werden Begriffe benutzt, die aus der Erfahrung - und die ist immer die Erfah-rung der einen oder der andern - gar nicht zu bestimmen sind, sondern auf Wertur-teilen beruht, die der Erfahrung vorausgehen, weil diese durch jene überhaupt erst möglich wird. 

Was selbst und was nicht der Andere (z. B. "die Gesellschaft") ist, ist eine philoso-phische Frage, die ich nicht nachträglich aus meinen Erfahrungen herauslesen kann, sondern von vornherein in sie ordnend hineintragen muss. Und was 'perfekt' sein soll, kann die Erfahrung schon gar nicht entscheiden. Sie sagt nur, dass ich irgend-wo nicht weiter kam. Ob ich oder irgendwer aber weiter kommen könnte, kann sie nicht wis- sen. Es ist ein Maß, das ich aufstellen musste, bevor das Erfahren losging. Ein eignes Urteil ist aber nur möglich unter Vorausssetzung eines freien Willens.

Wer aus freiem Willen ein eignes Urteil fällt, müsste sich dazu allerdings als bevoll-mächtigt auffassen: perfekt wenigstens in dieser Hinsicht.

"Hinsicht"? Der Empiriker, der nur auf Erfahrungen baut, sagt: Ist oder ist nicht. Erfahrung stellt fest, Erfahrung widerlegt. Erfahrung ist handfest. Hinsichten sind Haarspaltereien von Hirnwebern...

Philosophie ist keine Erfahrungswissenschaft mit positiven Resultaten, sondern eine kritische Disziplin, deren Gegenstand die Voraussetzungen sind, unter denen wir Erfahrungen machen. Die Voraussetzungen liegen ihr zu Grunde. Sie können nur spekulativ, nämlich durch Denken aufgefunden werden. Wenn die Philosophie von einem Ich redet, dann von dem, das Erfahrungen macht. 

Für Descartes, der die Hinwendung der Philosophie von den Gegenständen der Erfahrung weg zum dem Vermögen des Erfahrungmachens eingeleitet hat, war das Denken der Anfang. Ihm ging es um Klarheit und Deutlichkeit des Verfahrens; doch nicht wirklich um das Verfahren selbst. Erfahrung heißt nicht bloß, dass einer etwas bemerkt; Erfahrung heißt, dass er es versteht. Dazu braucht er Begriffe. Wie kommen wir zu Begriffen? Diese Frage nannte Kant Transzendental-Philosophie - weil sie nicht von dem handelt, was hin- ter der Erfahrung kommt, sondern vor ihr. Und ebenso vorher - bevor wir von ihm Erfahrung machen und bevor es selber Erfahrungen macht - kommt das transzendentale Ich. Das "Ich der Philosophen", von dem die Hirnforscher rede(te)n, stammt daher.

Doch da es von ihm keine Erfahrung gibt, kann man es weder 'komplex' noch 'vielschichtig' nennen. Es ist auch nicht das- oder derjenige, das oder der Selbstbe-wusstsein hat. Es ist vielmehr die Voraussetzung dafür, dass wirkliche, lebendige Menschen ein Selbstbewusstsein aus sich hervorbringen. Ach, man kann es nicht verhehlen: Es ist selber gar nicht real

Darum kann es in der Psychologie und in der Neurologie, die beide Erfahrungswis-senschaften sind, auch nicht vorkommen. Es stammt aus der Philosophie und dort bleibt es. Das Interesse der Philosophen galt nämlich nicht der Frage, wie eine Per-son X zu einem Bewusstsein von 'sich selbst' gelangt. Vielmehr ging es darum, was Vernunft ist, woher sie kommt und wie sie sich rechtfertigt. Kant Hauptwerk heißt darum Kritik der reinen Vernunft, wobei er unter Kritik Prüfung und Wertung versteht.

Ausgangspunkt ist, dass Menschen tatsächlich vernünftig handeln; nicht alle im gleichen Maß und auch nicht jederzeit: aber im gegebenen Fall, und dass es also Vernunft wirklich gibt. Gegenstand der Philosophie ist seit Kant nicht der ganze Mensch mit Stoffwechsel, Leidenschaften und Gebrechen, sondern dasjenige an ihm, was ihn zur Vernunft befähigt. Wie er von dieser Fähigkeit wirklich Gebrauch macht, ist Gegenstand mancher anderen Wissenschaften. Der Philosoph will wis-sen, worin sie besteht und was sie tut. 

Psychologie und Neurophysiologie mögen davon berichten, wie das Gehirn beim Denken verfährt, aber was es denkt, kann nur der Denkende selbst sagen, und was daran vernünftig ist, kann er nur sagen, sofern er philosophiert. Vernünftig ist, sich in der Welt Zwecke zu setzen, die man vor dem eigenen Urteil vertreten kann. Ir-ren kann sich jeder, entscheidend ist der Richtstuhl des eigenen Urteils. Vorausge-setzt ist die Freiheit des Urteils - von fremden Einflüssen und gegenüber unver-nünftigen Anmutungen des eignen Selbst. Ist das Urteil frei? Es kann es sein, weil es das soll.

Ab hier haben Erfahrungswissenschaften das Wort.

Kommentar zu Das Ich der Psychologen, JE, 12. April 2020,


Samstag, 24. Februar 2024

Die wahre Geschichte der nordamerikanischen Indianer.

Tȟatȟáŋka Íyotake 
aus scinexx.de, 22.02.2024                                     Sitting Bull                                                     zu öffentliche Angelegenheiten

»Der indigene Kontinent«   
Die wahre Geschichte der Ureinwohner Nordamerikas
Weder wehrlose Opfer noch grausame Krieger: Kenntnisreich schildert Pekka Hämäläinen die Geschichte der indianischen Nationen Nordamerikas – sehr lesenswert.

Es ist ein bedeutendes Treffen der Diplomatie. Im Sommer kommen mehr als 1000 Delegierte aus rund 40 Nationen in Montreal zusammen. Nach langen Beratungen beschließen sie gemeinsam ein Abkommen. Als krönenden Abschluss pflanzen sie einen Baum, auf dass aus seinen Wurzeln Frieden erwachse. Es klingt fast wie ein Treffen der UNO. Aber in der Tat versammeln sich hier im Jahr 1702 indigene Nationen, die einen bemerkenswerten Vertrag mit Frankreich schließen. Hört sich das nach Winnetou, Pocahontas und wild um Marterpfähle tanzende Indianer an?

Die übliche Sichtweise ist so: Kurz nachdem die europäischen Siedler in Nordamerika angekommen waren, besiegten sie die Indianer, steckten die wenigen Überlebenden in Reservate und vernichteten deren Kultur. Ergänzend zeigen Filme das Bild von grausamen oder auch mal heldenhaften Kriegern. In anderen Versionen werden die Indianer als Völker verehrt, die friedlich im Einklang mit der Natur leben. Doch das sind v

Pekka Hämäläinen, Professor für Amerikanische Geschichte an der University of Oxford, will das verfälschte Geschichtsbild geraderücken. Bücher über die Indianerkriege gebe es einige, so der Autor, der sich schon lange mit der Historie der Ureinwohner Nordamerikas beschäftigt. Bekannt wurde er mit seiner Studie aus dem Jahr 2008 über »Das Imperium der Comanchen«.

Gleich zu Anfang macht er klar: Wenn es um Kriege geht, sollte man nicht von »Kriegern« schreiben, sondern von »Soldaten oder Soldatinnen«, und Ansiedlungen sind »Städte« oder »Dörfer« und »Häuptlinge« Anführer, Amtsinhaber oder Beamte – oder Hämäläinen nutzt gleich das indigene Vokabular. In seinem Buch gibt es daher auch »Nationen« und »Imperien« – Begriffe, die ausdrücken, wie groß und wie gut organisiert die indigenen Reiche waren.

So schildert Pekka Hämäläinen überaus kenntnis- und detailreich nicht nur die Geschichte von Kriegen, denn »indianische Männer und Frauen waren eben auch geschickte Diplomaten, kluge Händler und energische Anführer«. Mit vielen Fakten und neuen Forschungsergebnissen hat er auf 630 Seiten ein Standardwerk erschaffen, in dem konsequent die indigenen Völker im Mittelpunkt stehen, das aber auch die Sicht der europäischen Siedler nachvollzieht.

Der Kampf gegen den Genozid

Der Autor zeigt, dass es vor allem die Geschichte eines sehr langen und erfolgreichen Widerstands gegen die Kolonisierung und eines versuchten Genozids durch die neuen Siedler war. Auch war Krieg meist das letzte Mittel, denn im Mittelpunkt standen Bündnisse und neu geknüpfte Konföderationen wie das der Six Nations der Wyandot, Lakota, Comanchen, Muscogee, Cherokee und Semiolen. Auch waren es die Indigenen, die bei diplomatischen Verhandlungen den europäischen Vertretern meist die Bedingungen diktierten. Kleinere Nationen nutzten auch andere Strategien des Überlebens wie eine »strategische Mobilität«: Sie verbargen sich in der weiten landschaftlichen Vielfalt Nordamerikas, suchten Zuflucht in den Wüsten, Bergen und Sümpfen. So wie etwa die Catawba, von denen es Mitte der 1820er Jahre nur noch 110 Mitglieder gab. Sie reichten aus, um diese Nation wieder neu zu beleben.

In seinem mit geografischen Karten, Fotos und Abbildungen aufgelockerten Buch berichtet Hämäläinen zunächst über die ursprüngliche Besiedlung Nordamerikas, leitet dann über in das 16. Jahrhundert und schließt mit dem späten 19. Jahrhundert. Mal stellt der Autor einzelne Nationen wie die Wampanoags, die Irokesen oder die Apachen in den Mittelpunkt. Mal schildert er die Geschehnisse im Detail, mal etwas weiter gefasst. Auch bedeutende Anführer wie Sitting Bull (oben im Bild), Red Cloud, Crazy Horse oder Mangas Coloradas tauchen auf. Aber er erzählt nicht die Geschichte einzelner Helden. Denn er wollte nicht den Fehler anderer Historiker und Historikerinnen wiederholen und »menschliche Monolithe« betrachten. Er wollte kein weiteres »Ideendrama« mit »eindimensionalen Klischeegestalten« verfassen, so der Autor.

Eine grausame Bilanz

Hämäläinen berichtet unter Bezugnahme auf historische Quellen von den genozidalen Kampagnen der Siedler und Soldaten. Wir erfahren, dass sie 70 Prozent der indigenen Bevölkerung umbrachten, den Rest zwangsumsiedelten und nach und nach alles, was Indianer zu Indianern machte, verboten. Doch die überlebenden 250 000 Ureinwohner reichten, so der Autor, aus für eine kulturelle Wiederbelebung. Heute gebe es viele indigene Nationen und Communitys, die ihre (nationale) Identität aufrechterhalten.

Das Buch von Hämäläinen ist nicht das einzige, das sich dieses Themas annimmt. In letzter Zeit sind weitere Werke erschienen, etwa »Eine Geschichte des amerikanischen Volkes« von Howard Zinn, das – neu aufgelegt – das Geschichtsbild um die indigene Sichtweise bereichert. Andere Bücher wie »Der Lithium-Rush« von Felix Dorn widmen den Indigenen und beispielsweise der Ausbeutung des Lithiumvorkommens in ihrem Land ganze Kapitel.

Auch wenn der ganz kurze Blick in die Gegenwart vielleicht etwas zu optimistisch sein mag: »Der indigene Kontinent« ist eines der besten Bücher zur Geschichte der nordamerikanischen Ureinwohner und der weißen Eroberung ihres Landes. Die Darstellung wird der Komplexität ihres Gegenstand gerecht, ist aber zugleich verständlich geschrieben und spannend zu lesen – eine absolute Leseempfehlung!
 

Nota. - Nur nebenbei: Soldaten beziehen Sold, Stadte haben Straßen, Plätze und öffentliche Infrastruktur.
JE

Freitag, 23. Februar 2024

Taurus.

                                 zu öffentliche Angelegenheiten

Wer im Bundestag nicht für die Lieferung des Marschfluggeräts an die Ukraine ge-stimmt hat, sollte der kommenden Bundesregierung nicht angehören dürfen.

 

 

Der Zweck des Spielens.

                                                aus Philosophierungen  zu Geschmackssachen

Der Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen. Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.
Fr. Schiller, Die ästhetische Erziehung des Menschen

Um wirklich zu spielen, muss der Mensch, solange er spielt, wieder Kind sein.
Johan Huizinga, Homo ludens

* 

Die Freude am Spiel ist das schlechterdings ästhetische Vermögen: die Bereitschaft, die 'Sachen' nicht nur so anzuschauen, sondern so für wahr zu nehmen, als ob sie 'an und für sich selber' wären; nämlich ohne irgend ein Verhältnis zu irgend einem Andern, und vor allem nicht: zu meinem 'Bedürfnis'. Es ist eo ipso die Kraft zur Abstraktion und ergo der Reflexion. Kurz, am "Grunde" der Vernunft steht das Spiel – als die spezifisch männ- lich-kindliche Leistung

Nota: Der Gedanke, dass die Dinge so, wie sie im Fluss des Geschehens erschei-nen, eben nicht 'an und für sich' sind, ist alles andere als ein naturwüchsiger; er kommt undeutlich erst bei den ionischen Naturphilosophen und ausdrücklich erst bei den Eleaten vor.
2. 10. 13 

 

Donnerstag, 22. Februar 2024

Die Vorstellung von der Natur als einem Haushälter stammt von Aristoteles.

 
aus Neue Zürcher Zeitung, 22. 10. 2010                                                                                                 aus Philosophierungen
 
von Klaus Bartels 

Im alten Latein bezeichnete die natura, ein Spross des Stammworts nasci, «geboren werden», nichts weiter als die «Geburt» von Mensch und Tier und entsprechende Organe. Erst als Cicero das griechische Begriffspaar physis und téchne mit natura und ars, «Natur» und «Technik» alias «Kunst» wiedergab, ist jene alte natura im wei-testen Sinne zur «Natur» geworden. Mit diesem Begriffspaar hatte zuvörderst Aris-toteles zwei mächtige Weltbereiche in den Blick genommen: auf der einen Seite die natürliche Welt, wie wir sie um uns vorfinden, von der Erde vor unseren Füßen bis zu den Sternen am Himmel, auf der anderen Seite die künstliche Welt, mit der wir uns, wie es einmal bei Cicero heisst, «mit unseren Händen in der Natur gleichsam eine zweite Natur zu schaffen versuchen», «nostris manibus in rerum natura quasi alteram naturam efficere conamur».
 
Für den grossen Philosophen und Zoologen ist die griechische physis – eigentlich: «das Werden, das Wachsen»* – der Inbegriff des selbsttätigen Naturprozesses, mit dem die Gestirne am Himmel «von selbst» ihre immergleichen Kreise ziehen, Erdi-ges, also Schweres, «von selbst» zu Boden fällt und Feuriges, also Leichtes, empor-steigt, der Same sich «von selbst» zur Pflanze, das Ei sich zum Huhn entwickelt und der Mensch über all das «von selbst» ins Staunen und Fragen gerät. Zugleich erkennt Aristoteles in dieser physis die ingeniöse Werkmeisterin alles Lebenden, mit seiner Formel: eine «handwerkende physis», die alle Artgestalten vom Menschen bis hinab zu den Pflanzen ursprünglich organisiert hat und fortwährend reproduziert.
 
In seiner vergleichenden Morphologie der Tiere schreibt Aristoteles dieser «hand-werkenden Physis», die wir nun getrost groß schreiben wollen, allgemeine Kon-struktionsprinzipien zu, die heute jedem Automobilkonzern Ehre machen würden. «Wie ein intelligenter Mensch», sagt er da, teilt die Physis jedes Organ einzig dem zu, der es gebrauchen kann» – und erklärt so, dass einzig der intelligente Mensch die speziell zum Werkzeuggebrauch dienlichen Hände erhalten hat. Wie jeder Volks-wagen vom Phaethon bis zum Polo das seiner Leistungsstufe Entsprechende, so er-hält hier jede Tiergattung vom Menschen bis zu den Seegurken das ihrer Lebensstu-fe Entsprechende. Hie und da gibt es ein Sondermodell: Dem vermeintlich amphi-bischen planschfreudigen Elefanten hat diese Physis die Nase zu einem Schnorchel ausgebildet und mit einem zweiten Geniestreich die Greiffunktion von den klobi-gen Vordergliedmassen auf den biegsamen Rüssel übertragen.
 

Die Regel, dass diese Physis « nichts Unnützes und nichts Überflüssiges» schaffe, gilt insbesondere für die Angriffs- und Verteidigungswaffen. So deutet Aristoteles, dass keine Gattung der grossen Vierbeiner zugleich über Hörner und Reisszähne verfügt: «Mehrere jeweils für sich ausreichende Rüstungsorgane hat die Natur ein und derselben Gattung nicht gegeben.» Also kein Overkill: Von dieser superintel-ligenten alten Physis könnte auch ihr intelligentes Topmodell noch etwas lernen.

Auch in puncto Schonung der Ressourcen und Recycling der Abfälle ist diese aristotelische Physis ihrer Zeit weit voraus. In seiner gelehrten embryologischen Schrift rühmt der «Sekretär der Natur» die Öko-Qualitäten seiner Meisterin: «Wie ein guter Haushalter – wie ein guter oikonómos – pflegt die Physis nichts wegzu-werfen, woraus sich noch etwas Brauchbares machen lässt.» Im modernen Euro-Wortschatz lebt die griechische physis von der «Physik» bis zur «Neurophysiologie» vielfältig fort, und mit ihrer lateinischen Lehnübersetzung natura hat sie das weite Feld von «Natur» und «Naturwissenschaft» besetzt.

Aber der Begriff einer schöpferischen, sozusagen am Reissbrett gestaltenden Natur, wie Aristoteles ihn als Erster geprägt hat, hat sich aus der Naturwissenschaft seither doch völlig verflüchtigt; Klopstocks Anruf – am Anfang seiner Ode an den Zür-chersee – «Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht» sieht heute ziemlich alt, ja geradezu antikisch aus. Dafür ist die «Natur» unter dem Zeichen der unerhör-ten Akzeleration und Globalisierung des Kulturprozesses zu einem scharf geschlif-fenen politischen Hieb- und Stichwort geworden. Neu steht da jetzt nicht mehr die aristotelische «handwerkende» natura fabra einem entsprechend handwerkenden Homo faber, sondern eine bedrängte, leidende «Natur» mit allem, was da grünt und blüht, kriecht und fliegt, einem grassierenden Raubbau und Kahlschlag und allerlei Luft und Meer verpestenden Emissionen und Immissionen, «Auspuffungen» und «Einpuffungen», gegenüber.

*) von gr. φυω = (er)zeugen


Nota I. - Ist es nicht bemerkenswert, wie gut das animistisch inspirierte ‘holistische’ Naturgeraune des Aristoteles zum ganz nüchternen Krämergeist des kapitalistischen Zeitalters passt? Die Natur, ein “Haushälter”! Der Bourgeois hätte, ganz “natürlich”, auch nichts dagegen gehabt, das Kapital als eine “Entelechie” und das Geld als eine causa finalis alias “Zweckursache” aufzufassen. Doch tatsächlich verschwendet niemand so großzügig wie ‘die Natur’.
 

Nota II. - Sicher wird die Vorstellung von der Natur als einem Landwirt und Haus-hälter von Aristoteles nicht "stammen"; sie wird, wie die Entelechien und die Vor-stellung vom Kosmos als einem Organismus, schon lange latent in den Vorstellun-gen (wessen?) gewebt und gewirkt haben. Aber Aristoteles hat sie deutlich ausge-sprochen, indem er sie für die Mit- und Nachwelt aufgeschrieben und zum Be-standteil unseres geistesgeschichtlichen Erbes gemacht hat.
JE , 9. 10. 15



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