Samstag, 5. August 2023

Spielen und lachen, anregen und verführen.

aus derStandard.at, 5. 8. 2023                                           zuJochen Ebmeiers Realien  zu Levana, oder Erziehlehre

Forscher kitzeln Ratten und stoßen auf die Grundlagen des Lachens

Ratten sind ziemlich spaßige Spielgefährten. Ein Forschungsteam spielte mit ihnen Verstecken und Kitzeln – und untersuchte die neuronalen Strukturen dahinter


von Karin Krichmayr

Warum sind wir eigentlich kitzelig? Eine eindeutige Antwort hat die Wissenschaft noch nicht auf diese Frage. Vermutet wird eine soziale Funktion – man kann sich bekannter-maßen selbst schlecht kitzeln. Eine andere Annahme geht davon aus, dass das Kitzeln in der Evolution eine Art Vorläufer des Humors war. Es scheint außerdem, dass unkontrol-liertes Lachen – durchaus aus eine Folge von Kitzeln – mit Gehirnregionen, die für Motorik zuständig sind, zusammenhängt.


Eines wissen Forschende aber: Ratten sind, ebenso wie auch beispielsweise Menschen, äußerst kitzelig. Wie Michael Brecht von der Berliner Humboldt Universität, eine veritable Koryphäe in der Kitzelforschung, in einer Reihe von Studien beobachten konnte, sind Rat-ten ziemlich spaßige Gesellen, wenn sie sich in ihrer Umgebung wohlfühlen. Unter den richtigen Umständen sind sie auch für wildes Herumtollen zu haben. Dabei lachen bezie-hungsweise quieken sie in einer sehr hohen, für menschliche Ohren nicht wahrnehmbaren Tonhöhe. Besonders wenn sie am Rücken oder am Bauch gekitzelt werden, stoßen sie ihr hochfrequentes Kichern aus und vollführen richtige Freudensprünge.

Instinkt zum Spielen

In einer aktuellen Studie im Fachblatt "Neuron" kam das Team um den Neurowissenschaf-ter Brecht beim Spielen mit Ratten den Gehirnstrukturen auf die Spur, die auch beim Men-schen für das Bedürfnis nach Spiel, Spaß und Lachen erklären könnten. "Die Neurowissen-schaft tendiert dazu, sich auf unangenehme Dinge zu konzentrieren", sagt Michael Brecht. Während es eine Menge Forschung zu Gehirnregionen gibt, die hinter Aggression, Angst und emotionalen Störungen stecken können, würden positive Emotionen wie Spaß, Lachen und Glück ver-nachlässigt.

Bekannt ist, dass Ratten auch weiterspielen, wenn ihr gesamter Kortex, also der Teil des Gehirns, der wesent-lich für das Bewusstsein und komplexes Verhalten zu-ständig ist, zerstört war. Das legte nahe, dass Spielen, so wie auch Angst, etwas Instinktives an sich hat. Brecht vermutete, dass möglicherweise eine Struktur, die sich periaquäduktales Grau (PAG) nennt, involviert ist. Das periaquäduktale Grau, auch zentrales Höhlengrau ge-nannt, befindet sich im Mittelhirn und koordiniert die Aktivierung der Mimik, der Stimm-bänder und der Atmung und somit auch Angst- und Fluchtreflexe. Schließlich imitieren Ratten – ganz genau wie Kinder –, wenn sie spielerisch miteinander kämpfen, Angst und Aggression. Zudem ist Lachen eine fast unumgängliche Komponente des Spielens. "Kinder prüfen, ob gelacht wird, wenn sie miteinander raufen. Wenn ihr Spielgefährte nicht mehr lacht, beenden sie das Spiel."

"Fang die Hand"-Spiel


Um die Rolle des PAG bei Spiel und Spaß experimentell zu erforschen, praktizierten die Forschenden das beliebte "Fang die Hand"-Spiel. Dabei verfolgen die Ratten die Hand ihrer menschlichen Kompagnons, um dann ausgiebig gekitzelt zu werden. Dass die Tiere Freude daran hatten, konnten die Forscher auch mittels im Gehirn implantierter Elektroden feststellen. Wenn die Ratten ins Spiel vertieft waren, leuchte ein bestimmtes Areal des PAG vor Aktivität auf. Zusätzlich blockierten die Forschenden auf chemischen Weg die betreffende Hirnstruktur: Die Folge war, dass die Ratten nicht mehr quiekten, wenn sie gekitzelt wurden, und auch jegliches Interesse an ihren menschlichen Spielge-fährten verloren. Dem periaquäduktalen Grau dürfte also eine wesentliche Rolle beim Kitzeln, Lachen und Spielen zukommen, schloss das Forschungsteam.

Regeltreue Versteckenspieler

Zukünftig möchte Brecht herausfinden, ob das PAG auch in andere Aspekte des Spielens eingebunden ist, etwa das Einhalten von Regeln. Dass Ratten ziemlich pedantisch sind, was die Regeltreue angeht, zeigte sich in einem anderen Experiment von Brechts Team, in dem die Forschenden mit den Nagern Verstecken spielten. Dabei wurde eine Ratte in eine Box gesperrt, während sich eine Person im Raum versteckte. Als sich die Box per Fernbedie-nung öffnete, begann das Tier zu suchen. Hatte es das Versteck gefunden, gab es zur Beloh-nung eine Runde Kitzeln. Aber auch umgekehrt suchten die Ratten Verstecke, wenn sie von einem der Forschenden gesucht wurden. Ihre Fähigkeit, Strategien zu entwerfen, sei "fast unheimlich" gewesen, erinnert sich Brecht. Wenn die Menschen sich nicht an die Regeln hielten und sich immer am selben Ort oder nicht richtig versteckten, verloren die Tiere die Lust am Spielen.

Spielen ist jedenfalls grundlegend für das Wohlbefinden sowohl von Tieren als auch von Menschen. Tiere, denen jegliche Möglichkeit zu spielen entzogen wird, werden depressiv, beziehungsunfähig und weniger resilient gegenüber Stresssituationen. Michael Brecht er-hofft sich, dass seine Arbeit zu einer größeren Wertschätzung des Spielens in der Wissen-schaft beiträgt. Der Drang zu Spielen scheint jedenfalls in unserem Gehirn fest verankert zu sein.

"Viele Menschen denken, dass Spielen kindisch und nicht unbedingt ein bedeutsames Ver-halten ist", sagt Brecht. "In meiner Wahrnehmung ist es ein Verhalten zum Selbst-Training. Normalerweise dient das Gehirn dazu, Verhalten zu kontrollieren. Normalerweise dient das Gehirn dazu, Verhalten zu kontrollieren. Spielerisches Verhalten scheint hingegen dazu zu dienen, das Gehirn anzuregen."


Nota. - "Die Neurowissenschaft tendiert dazu, sich auf unangenehme Dinge zu konzen-trieren" Das ist wohl der springende Punkt bei allen Humanwissenschaften. Ohne strengen Ernst keine Erkenntnis; Konzentration und Fleiß, Verspannung und Griesgram. Der Nor-malmensch ist ein Schlechtgelaunter, ein in Notdurft und Pflichten Verbissener. Lustlos und mühsam ist die Conditio Humana. Was aus diesem Rahmen fällt, stört das natürliche Gleichgewicht und ist aus der Forschung auszuscheiden. 

Wir Kinder der Arbeitszivilisation leben, indem wir Tag für Tag, Stunde um Stunde Zwe-cken gerecht werden, die nicht uns dienen, sondern wir ihnen. "Normalerweise dient das Gehirn dazu, Verhalten zu kontrollieren." Das ist aber nicht die Natur des Menschen; das ist nur ein relativ kurzer Abschnitt seiner Gattungsgeschichte. Gewesen? In der wirklichen Wirklichkeit bleibt sie uns vielleicht noch erhalten. Aber Sache wissenschaftlicher Erkennt-nis ist doch, zurück zu schauen, um sich vorne orientieren zu können. Bisher schien uns die Geschichte immer nur zu drängen. "Spielerisches Verhalten scheint hingegen dazu zu die-nen, das Gehirn anzuregen." Dann lockt die Geschichte.
JE

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