Donnerstag, 31. August 2023

Grundeinkommen ist finanzierbar.


aus Tagesspiegel.de, 29. 8. 2023                                                                          zu öffentliche Angelegenheiten

Fakt oder Fiktion?
So könnte das bedingungslose Grundeinkommen finanziert werden
Falsche Anreize und viel zu teuer: Ein Grundeinkommen ohne Bedingungen erfährt viel Kritik. Forscher kommen nun zu neuen Ergebnissen: Können wir uns es doch leisten


von Felix Kiefer

Ein fester Betrag von 1200 Euro am Monatsanfang, ohne Bedingungen und für alle Men-schen in Deutschland, ist finanzierbar. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Montag veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) im Auftrag der Organisation Mein Grundeinkommen.

Der Großteil der dafür notwendigen Mittel sei demnach bereits vorhanden. Die tatsächliche Finanzierungslücke betrage nur 25 Prozent und sei durch höhere Steuern realisierbar. Trotz Steuererhöhung hätten der Studie zufolge 83 Prozent der Menschen in Deutschland mehr Geld zur Verfügung als heute. Die Zahl armutsgefährdeter Menschen würde außerdem von heute 13 Millionen auf dann vier Millionen sinken.

„Wir sind davon überzeugt, dass ein Grundeinkommen ein gutes Werkzeug für eine gerechtere, krisenfeste Welt sein kann“, sagte Michael Bohmeyer, Initiator und Projektentwickler bei Mein Grundeinkommen am Montag. Um herauszufinden, wie sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) in der Praxis auswirkt, zahlt die Organisation seit 2014 bereits über 1.500 Menschen für jeweils ein Jahr ein BGE von 1.000 Euro pro Monat. Finanziert über Spenden.

Was ist die Idee hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen?


Im Kern geht es beim Grundeinkommen darum, Menschen nicht rückwirkend, sondern vorausschauend abzusichern.* Durch die Überweisung eines festen Betrages soll zum einen die Existenz gesichert als auch eine gesellschaftliche Teilhabe
 ermöglicht werden. Da es außerdem alle Menschen unabhängig ihrer Verhältnisse bekommen, soll die Sozialhilfe entstigmatisiert werden.

Die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen ist emotional und auch aufgrund der noch dünnen Studienlage selten empirisch fundiert. Befürchtet wird zum Beispiel, dass Menschen bei einem Grundeinkommen nicht mehr arbeiten gehen. Oder, dass es sozial ungerecht sei, da auch vermögende Menschen das Geld bekommen. Kritiker warnen auch vor einem Ende des Subsidiaritätsprinzips: Niemand würde mehr dazu angehalten, für sich selbst zu sorgen oder einen Beitrag für die erhaltenen Zuwendungen zu leisten.

83 Prozent der Menschen hätten durch das Grundeinkommen mehr Geld zur Verfügung als heute.

Sehr häufig wird zudem die Finanzierbarkeit infrage gestellt: „In einer offenen Gesellschaft ist ein individuelles, bedingungsloses und in seiner Höhe existenzsicherndes BGE nicht umsetzbar“, schrieb der unabhängige wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums (BMF) in einem Gutachten im Juli 2021. Selbst bei Gegenrechnung anderer Sozialleistungen gäbe es laut Simulationen des ifo-Instituts eine Finanzierungslücke von fast 900 Milliarden Euro pro Jahr.


Die Studienautoren des DIW um Steuerexperte Stefan Bach kommen zu einem anderen Ergebnis. Zugrunde legen sie dabei ein Grundeinkommen orientiert an der Armutsgefährdungsgrenze von rund 1.200 Euro für Erwachsene und 600 Euro für Minderjährige. Mit 75 Prozent sei der Großteil des benötigen Geldes für ein bedingungsloses Grundeinkommen dieser Höhe bereits vorhanden: Zum Beispiel durch Wegfall nicht mehr notwendiger Sozialleistungen (Bürgergeld, Kindergeld etc.) oder Streichung bestehender Steuerprivilegien (Ehegattensplitting, Kinderfreibeträge, ermäßigte Mehrwertsteuer oder Abgeltungssteuer).

Effektiv für die meisten eine Steuersenkung

Die verbleibende Lücke von 25 Prozent sei durch einen Mix an Steuererhöhungen finanzierbar. Zum einen durch eine Erhöhung der Einkommensteuer: Die Autoren schlagen eine effektive Einheitssteuer von 50 Prozent auf alle Einkommen vor. „Das wäre ohne Grundeinkommen hoch unsozial“, sagte Bohmeyer bei Vorstellung der Studienergebnisse: „Zusammen mit dem Grundeinkommen wäre das Modell noch progressiver als heute“. Je mehr eigenes Einkommen Menschen erwirtschaften, desto weniger hätten sie so von einem Grundeinkommen.

Zusätzlich denkbar sei eine Verteuerung des CO₂-Preises, eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine Abgabe auf Finanztransaktionen (wie beispielsweise in Frankreich) oder höhere Unternehmenssteuern.

Wie lassen sich die auseinanderklaffenden Ergebnisse von BMF und DIW erklären? Auf Nachfrage schildert Bohmeyer, man habe sich eng mit den Wissenschaftlern des ifo-Instituts abgesprochen. Die Datengrundlage sei mit dem Sozioökonomischen Panel die gleiche. Nur die dahinterliegenden Annahmen seien andere, wie zum Beispiel:

Das DIW hat eine Abschaffung von steuerlichen Privilegien ins Auge gefasst, das ifo-Institut nicht. Dagegen haben ifo-Forschende in ihrem Modellalle Arbeitnehmerbeiträge der Sozialsysteme (wie die Beiträge zur Kranken-, Renten oder Pflegeversicherung) abgeschafft und auf die Einkommensteuer übertragen; beim DIW bleiben diese Beiträge größtenteils unangetastet. Heißt allerdings auch: Auf die 50 Prozent Einkommensteuer kommen nochmal Sozialabgaben hinzu.

Steuererhöhungen wie einer stärkere CO₂-Bepreisung oder eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer wurden im ifo-Modell für das BMF nicht berücksichtigt. Um die Debatte um die Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens zu versachlichen, haben Mitarbeitende der Organisation Mein Grundeinkommen einen Konfigurator entwickelt. In der Webanwendung können Interessierte verschiedene Varianten des BGE inklusive dessen Folgen interaktiv simulieren. Daneben erforschen in einer Langzeitstudie verschiedene Einrichtungen die gesellschaftlichen Auswirkungen eines Grundeinkommens: Werden Menschen glücklicher, wenn sie keine Angst um ihre Existenz haben? Werden sie produktiver oder fauler? Und arbeitet überhaupt noch jemand? Ergebnisse sollen erst nach Ende der Pilotstudie 2024 vorliegen. Die Frage der Finanzierbarkeit kann bis dahin bereits kontrovers diskutiert werden.


*Nota. - "Im Kern" geht es beim Grundeinkommen nicht darum, 'Menschen abzusichern'. Es war ein Kardinalfehler, während der Flüchtlingskrise 2015 ein gesellschaftspolitisches Weltproblem - die globale Migration - zu einer Gesinnungsfrage des Wohlfahrtsstaats und der Nächstenliebe zu verflachen, und derselbe Fehler - mit denselben demoralisierenden Folgen - ist es, das Grundeinkommen zu einer Sache der Wohltätigkeit zu verwässern. Im Kern geht es darum, die auf den Austausch von Arbeiten beruhenden Industriegesellschaf-ten in die digitale Welt der Künstlichen Intelligenz zu überführen, wo sowohl die ausfüh-renden als auch die planerisch-kombinatorischen Schritte von sich-selbst regulierenden Maschinen ausgeführt werden und die lebende menschliche Arbeitskraft für die eigentlich inventorischen Leistungen freigestellt wird: wo die natürliche Intelligenz sich auf das konzentrieren, was sie besser macht als alle andern - das Intelligieren. 

Das ist der Kern. Darum wird sich alles andere gruppieren müssen - es ist keine Frage, ob man das will, sondern das wird man müssen; oder die Karre fährt (global) gegen die Wand. Es ist die größte Umwälzung unserer Gattungsgeschichte seit der Sedentarisierung und der Erfindung des Ackerbaus. Das ist auch keine Sache der nächsten drei, wie Legislaturen, sondern eine Revolution, die die ganze Welt erfassen wird.

Ob das friedlich abgehen kann? Anders gefragt: Wer könnte sich dem nach ruhiger sach-licher Erwägung denn widersetzen? Interessen, die es zu schützen gälte, stünden dem auf die Dauer  nicht entgegen. Reicht das aus?

*

Viel ist schon gewonnen, wenn nun demonstriert wurde, dass es bezahlbar ist. Über Details zu streiten werden wir noch viel Gelegenheit hat, und politische Gesinnungsfragen können noch reichlich zur Sprache kommen. Ein Gesichtspunkt, der nicht unmittelbar zum 'Kern' gehört, aber unmittelbar daraus folgt, ist die Überwindung der gewaltigsten Faux frais der industriellen Zivilisation: der alle Lebensbereiche durchsetzenden öffentlichen und privaten Bürokratien, die aus der wildwuchernden Arbeitsteilung der Marktgesellschaft erwachsen, die immer erst nachträglich kombiniert werden muss und die weltweit Milliarden Menschen davon abhält, das zu tun, was sie besser können als jede Maschine: intelligieren.
JE  


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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