aus Tagesspiegel.de, 29. 8. 2023 zu öffentliche Angelegenheiten
Fakt oder Fiktion?
So könnte das bedingungslose Grundeinkommen finanziert werden
Falsche Anreize und viel zu teuer: Ein Grundeinkommen ohne Bedingungen erfährt viel Kritik. Forscher kommen nun zu neuen Ergebnissen: Können wir uns es doch leisten
von Felix Kiefer
Ein fester Betrag von 1200 Euro am Monatsanfang, ohne Bedingungen und für alle Men-schen in Deutschland, ist finanzierbar. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Montag veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) im Auftrag der Organisation Mein Grundeinkommen.
Der Großteil der dafür notwendigen Mittel sei demnach bereits vorhanden. Die tatsächliche Finanzierungslücke betrage nur 25 Prozent und sei durch höhere Steuern realisierbar. Trotz Steuererhöhung hätten der Studie zufolge 83 Prozent der Menschen in Deutschland mehr Geld zur Verfügung als heute. Die Zahl armutsgefährdeter Menschen würde außerdem von heute 13 Millionen auf dann vier Millionen sinken.
„Wir sind davon überzeugt, dass ein Grundeinkommen ein gutes Werkzeug für eine gerechtere, krisenfeste Welt sein kann“, sagte Michael Bohmeyer, Initiator und Projektentwickler bei Mein Grundeinkommen am Montag. Um herauszufinden, wie sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) in der Praxis auswirkt, zahlt die Organisation seit 2014 bereits über 1.500 Menschen für jeweils ein Jahr ein BGE von 1.000 Euro pro Monat. Finanziert über Spenden.
Was ist die Idee hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen?
Im Kern geht es beim Grundeinkommen darum, Menschen nicht rückwirkend, sondern vorausschauend abzusichern.* Durch die Überweisung eines festen Betrages soll zum einen die Existenz gesichert als auch eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden. Da es außerdem alle Menschen unabhängig ihrer Verhältnisse bekommen, soll die Sozialhilfe entstigmatisiert werden.
83 Prozent der Menschen hätten durch das Grundeinkommen mehr Geld zur Verfügung als heute.
Sehr häufig wird zudem die Finanzierbarkeit infrage gestellt: „In einer offenen Gesellschaft ist ein individuelles, bedingungsloses und in seiner Höhe existenzsicherndes BGE nicht umsetzbar“, schrieb der unabhängige wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums (BMF) in einem Gutachten im Juli 2021. Selbst bei Gegenrechnung anderer Sozialleistungen gäbe es laut Simulationen des ifo-Instituts eine Finanzierungslücke von fast 900 Milliarden Euro pro Jahr.
Die Studienautoren des DIW um Steuerexperte Stefan Bach kommen zu einem anderen Ergebnis. Zugrunde legen sie dabei ein Grundeinkommen orientiert an der Armutsgefährdungsgrenze von rund 1.200 Euro für Erwachsene und 600 Euro für Minderjährige. Mit 75 Prozent sei der Großteil des benötigen Geldes für ein bedingungsloses Grundeinkommen dieser Höhe bereits vorhanden: Zum Beispiel durch Wegfall nicht mehr notwendiger Sozialleistungen (Bürgergeld, Kindergeld etc.) oder Streichung bestehender Steuerprivilegien (Ehegattensplitting, Kinderfreibeträge, ermäßigte Mehrwertsteuer oder Abgeltungssteuer).
Effektiv für die meisten eine Steuersenkung
Die verbleibende Lücke von 25 Prozent sei durch einen Mix an Steuererhöhungen finanzierbar. Zum einen durch eine Erhöhung der Einkommensteuer: Die Autoren schlagen eine effektive Einheitssteuer von 50 Prozent auf alle Einkommen vor. „Das wäre ohne Grundeinkommen hoch unsozial“, sagte Bohmeyer bei Vorstellung der Studienergebnisse: „Zusammen mit dem Grundeinkommen wäre das Modell noch progressiver als heute“. Je mehr eigenes Einkommen Menschen erwirtschaften, desto weniger hätten sie so von einem Grundeinkommen.
Zusätzlich denkbar sei eine Verteuerung des CO₂-Preises, eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine Abgabe auf Finanztransaktionen (wie beispielsweise in Frankreich) oder höhere Unternehmenssteuern.
Wie lassen sich die auseinanderklaffenden Ergebnisse von BMF und DIW erklären? Auf Nachfrage schildert Bohmeyer, man habe sich eng mit den Wissenschaftlern des ifo-Instituts abgesprochen. Die Datengrundlage sei mit dem Sozioökonomischen Panel die gleiche. Nur die dahinterliegenden Annahmen seien andere, wie zum Beispiel:
Das DIW hat eine Abschaffung von steuerlichen Privilegien ins Auge gefasst, das ifo-Institut nicht. Dagegen haben ifo-Forschende in ihrem Modellalle Arbeitnehmerbeiträge der Sozialsysteme (wie die Beiträge zur Kranken-, Renten oder Pflegeversicherung) abgeschafft und auf die Einkommensteuer übertragen; beim DIW bleiben diese Beiträge größtenteils unangetastet. Heißt allerdings auch: Auf die 50 Prozent Einkommensteuer kommen nochmal Sozialabgaben hinzu.
Steuererhöhungen wie einer stärkere CO₂-Bepreisung oder eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer wurden im ifo-Modell für das BMF nicht berücksichtigt. Um die Debatte um die Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens zu versachlichen, haben Mitarbeitende der Organisation Mein Grundeinkommen einen Konfigurator entwickelt. In der Webanwendung können Interessierte verschiedene Varianten des BGE inklusive dessen Folgen interaktiv simulieren. Daneben erforschen in einer Langzeitstudie verschiedene Einrichtungen die gesellschaftlichen Auswirkungen eines Grundeinkommens: Werden Menschen glücklicher, wenn sie keine Angst um ihre Existenz haben? Werden sie produktiver oder fauler? Und arbeitet überhaupt noch jemand? Ergebnisse sollen erst nach Ende der Pilotstudie 2024 vorliegen. Die Frage der Finanzierbarkeit kann bis dahin bereits kontrovers diskutiert werden.
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