Montag, 14. August 2023

Big Bang?

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aus Tagesspiegel.de, 14. 8. 2023

China als „tickende Zeitbombe“?
Pekings Probleme sind die Probleme der Welt
Die chinesische Wirtschaft schwächelt, der Pakt des Regimes mit dem Volk ist bedroht. Als Mittel dagegen setzt Xi Jinping auf Nationalismus. Das kann global gefährlich werden.

Ein Kommentar von Viktoria Bräuner

Scharfe Worte von Joe Biden: Kürzlich bezeichnete der US-Präsident 
China als „tickende Zeitbombe“. Er wolle der Volksrepublik „nicht schaden“, aber das Land befinde sich in einer „wirtschaftlich schwierigen Situation“. Das sei „nicht gut“, analysierte Biden, „denn wenn schlechte Menschen Probleme haben, tun sie schlechte Dinge.“

Ein Sprecher Bidens konkretisierte später, der Präsident habe sich auf die innenpolitischen Herausforderungen Chinas bezogen – wirtschaftlich, sozial und kulturell. Diese Spannungen hätten Auswirkungen darauf, wie Peking mit der Welt interagiere. 

Ob Bidens Äußerung politisch klug war, mag dahinstehen. Doch was die US-Regierung sagt, ist nicht falsch. Das Wirtschaftswachstum der Volksrepublik schwächelt; nun rutscht das Land in eine Deflation..

Die Preise sinken, was zwar kurzfristig den Konsum ankurbeln und einen stabilisierenden Effekt haben kann. Doch Ökonomen halten eine solche Entwicklung langfristig für gefährlich, da sie Unternehmensgewinne drückt. Die Folge: Gehaltskürzungen und Entlassungen.

Das Land vergreist, junge Uniabsolventen werden Kellner

Zudem hat das Land dank der jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik ein selbstgemachtes Demografie-Problem: Die Gesellschaft vergreist. Während die Arbeitslosenquote insgesamt mit nur vier Prozent relativ niedrig ist, stieg die Jugendarbeitslosigkeit in diesem Jahr auf über 20 Prozent.

Immer mehr junge Menschen haben in China einen Universitätsabschluss, die Zahl qualifizierter Jobs reicht jedoch nicht. Corona und Mega-Lockdowns wie in Shanghai haben Chinas Unternehmen einen Dämpfer versetzt. Viele zögern noch immer mit Neueinstellungen.

Und so nehmen immer mehr gut ausgebildete Mittzwanziger Kellner- oder Kurierjobs an, um zu überleben. Viele bezweifeln, ob sie sich ein Kind leisten können. All das macht unzufrieden. Und genau hier liegt auch das Risiko, das Biden wohl fürchtet. Ihr lasst uns regieren, wir sorgen für euren Wohlstand – das ist der Deal, den Chinas Kommunistische Partei (KP) mit der Bevölkerung geschlossen hat. Doch was, wenn die Rechnung nicht mehr aufgeht?

Partei- und Staatschef Xi Jinping und seine Führungsclique haben bereits einen Plan B – und der heißt Nationalismus. Schon Grundschüler lernen, dass ihr Land von 1,43 Milliarden Menschen anderen überlegen ist. Sie werden zu Patrioten erzogen und bekommen ab der weiterführenden Schule Militärtraining. Immer öfter zeichnen die staatlich kontrollierten Medien ein Bild des Westens, der China unterdrücke.

China will mehr als Handel – es will politisch dominieren

Schon jetzt tobt ein Systemkampf, der nicht zu unterschätzen ist. China baut seinen Einfluss in internationalen Organisationen aus. Es macht andere Länder von sich wirtschaftlich abhängig, um dies für politische Zwecke zu nutzen.

Mit internationalen Initiativen wie dem Seidenstraßen-Projekt will die Diktatur auch ihre eigenen, zweifelhaften Werte in der Welt etablieren. Was China von Menschenrechten hält, zeigt sich unter anderem in der systematischen Unterdrückung in Xinjiang und Tibet. Peking sieht unser demokratisches System und Meinungsvielfalt als Schwäche.

Nun gilt es, die Vereinigten Staaten abzuhängen. Eskalieren könnte der Konflikt um Taiwan. China erhebt Anspruch auf die Insel, obwohl sie nie zur 1949 gegründeten Volksrepublik gehört hat. Doch erst nach einem Anschluss kann sich, so behauptet die KP, ihre Vision von China als dominierender Weltmacht erfüllen.

Die Vorbereitungen für dieses gigantische Patriotismus-Projekt laufen bereits: Bis 2049 will Xi das modernste und schlagkräftigste Militär der Welt kommandieren. Gegen die wachsende Unzufriedenheit im Volk ist eine aggressive Außenpolitik noch immer das Mittel von Diktaturen gewesen.


Nota. -  Maos Volksrepublik China war ein feudalbürokratisches System wie die Sowjet-union, dessen feudale Züge trotz des Personenkults um den Großen Vorsitzende von Anbeginn viel stärker ausgeprägt waren als im zunächst bonpartistischen, schließlich totalitären System Stalins. Anders Hätte Mao im Politbüro nie in die Minderheit geraten können, hätte keine "Kulturrevolution" anzetteln müssen und wäre die Viererbande nicht davongejagt worden - von dem gestrigen Zuchthäusler Deng Xiaoping. Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens hat, jenseits aller Ideologie, die PARTEI genau in dem Moment noch einmal zusammengeschweißt, als in Osteuropa die Überreste des Stalinismus auseinanderzufallen begannen. Dass das reichen könnte, Maos Volksrepublik vor dem Schicksal der Sowjetunion zu bewahren, habe ich nie geglaubt, so sehr das von manchen westlichen Kapitalstrategen herbeigejubelt wurde.

Erst im letzten Winter schrieb ich: "Der chinesische Traum möchte wohl auch Putins Traum sein: ein weltmarktfähiger Staatskapitalismus mit dynamischer privatkapitalistischer Speerspitze unter enger Kontrolle einer straff charismatisch geführten Einheitspartei mit einer arkanischen Nationalmythologie. Auch weltpolitisch kommen sie sich näher. Putins 'eurasische' Idee passt gut auf einen russisch-chinesischen Block. - Aber das staatskapitali-stische Modell ist eine Chimäre. Es kann nicht anders funktionieren - wenn es funktioniert - denn als ein bürokratisches Monstrum, und Bürokratie ist Korruption und Unsachlichkeit, da mögen die zyklischen Reinigungskampagnen noch so terroristisch durchgeführt werden. Ein monolithischer Staat müsste totalitär verfasst sein, aber bei seiner privat- und staatska-pitalistischen Doppelnatur kann er nicht totalitär verfasst sein. Die konfuzianische Reichs-bürokratie hielt eine asiatische Wasserbaugesellschaft zusammen, die ohne sie nicht beste-hen konnte. Eine sozusagen säkularisierte "Partei", die sich bei einer - wie bei Kung Ze - rein pragmatischen Mentalität aus den jeweils Besten eines Studienjahres rekrutiert, wäre, gerade weil sie entbehrlich und für den Auftritt auf dem Weltmarkt sogar hinderlich ist, nicht nur Spiegel, sondern Hohlspiegel aller widerstreitenden sozialen Interessen. Es ist zu befürchten, dass das mit einem ganz großen Knall endet, an den sich die Welt noch lange erinnern wird."

Die Sowjetunion ist am Ende einfach ausgelaufen wie eine Badewanne, mit lautem Gurgeln zwar, weil es so schnell ging, aber ohne großen Knall. Dass es in China ohne großen Knall nicht abgehen wird, schwant nun auch den Claqueuren, die gestern noch ein alternatives Entwicklungsmodell für die Dritte Welt beweihräuchert haben. Wünschen kann man ihn eigentlich nicht, aber wie sollte das anders ausgehen?

aus China - nach der Euphorie jetzt Panik?, 30. 7. 15

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