Donnerstag, 31. August 2023

Grundeinkommen ist finanzierbar.


aus Tagesspiegel.de, 29. 8. 2023                                                                          zu öffentliche Angelegenheiten

Fakt oder Fiktion?
So könnte das bedingungslose Grundeinkommen finanziert werden
Falsche Anreize und viel zu teuer: Ein Grundeinkommen ohne Bedingungen erfährt viel Kritik. Forscher kommen nun zu neuen Ergebnissen: Können wir uns es doch leisten


von Felix Kiefer

Ein fester Betrag von 1200 Euro am Monatsanfang, ohne Bedingungen und für alle Men-schen in Deutschland, ist finanzierbar. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Montag veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) im Auftrag der Organisation Mein Grundeinkommen.

Der Großteil der dafür notwendigen Mittel sei demnach bereits vorhanden. Die tatsächliche Finanzierungslücke betrage nur 25 Prozent und sei durch höhere Steuern realisierbar. Trotz Steuererhöhung hätten der Studie zufolge 83 Prozent der Menschen in Deutschland mehr Geld zur Verfügung als heute. Die Zahl armutsgefährdeter Menschen würde außerdem von heute 13 Millionen auf dann vier Millionen sinken.

„Wir sind davon überzeugt, dass ein Grundeinkommen ein gutes Werkzeug für eine gerechtere, krisenfeste Welt sein kann“, sagte Michael Bohmeyer, Initiator und Projektentwickler bei Mein Grundeinkommen am Montag. Um herauszufinden, wie sich ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) in der Praxis auswirkt, zahlt die Organisation seit 2014 bereits über 1.500 Menschen für jeweils ein Jahr ein BGE von 1.000 Euro pro Monat. Finanziert über Spenden.

Was ist die Idee hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen?


Im Kern geht es beim Grundeinkommen darum, Menschen nicht rückwirkend, sondern vorausschauend abzusichern.* Durch die Überweisung eines festen Betrages soll zum einen die Existenz gesichert als auch eine gesellschaftliche Teilhabe
 ermöglicht werden. Da es außerdem alle Menschen unabhängig ihrer Verhältnisse bekommen, soll die Sozialhilfe entstigmatisiert werden.

Die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen ist emotional und auch aufgrund der noch dünnen Studienlage selten empirisch fundiert. Befürchtet wird zum Beispiel, dass Menschen bei einem Grundeinkommen nicht mehr arbeiten gehen. Oder, dass es sozial ungerecht sei, da auch vermögende Menschen das Geld bekommen. Kritiker warnen auch vor einem Ende des Subsidiaritätsprinzips: Niemand würde mehr dazu angehalten, für sich selbst zu sorgen oder einen Beitrag für die erhaltenen Zuwendungen zu leisten.

83 Prozent der Menschen hätten durch das Grundeinkommen mehr Geld zur Verfügung als heute.

Sehr häufig wird zudem die Finanzierbarkeit infrage gestellt: „In einer offenen Gesellschaft ist ein individuelles, bedingungsloses und in seiner Höhe existenzsicherndes BGE nicht umsetzbar“, schrieb der unabhängige wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums (BMF) in einem Gutachten im Juli 2021. Selbst bei Gegenrechnung anderer Sozialleistungen gäbe es laut Simulationen des ifo-Instituts eine Finanzierungslücke von fast 900 Milliarden Euro pro Jahr.


Die Studienautoren des DIW um Steuerexperte Stefan Bach kommen zu einem anderen Ergebnis. Zugrunde legen sie dabei ein Grundeinkommen orientiert an der Armutsgefährdungsgrenze von rund 1.200 Euro für Erwachsene und 600 Euro für Minderjährige. Mit 75 Prozent sei der Großteil des benötigen Geldes für ein bedingungsloses Grundeinkommen dieser Höhe bereits vorhanden: Zum Beispiel durch Wegfall nicht mehr notwendiger Sozialleistungen (Bürgergeld, Kindergeld etc.) oder Streichung bestehender Steuerprivilegien (Ehegattensplitting, Kinderfreibeträge, ermäßigte Mehrwertsteuer oder Abgeltungssteuer).

Effektiv für die meisten eine Steuersenkung

Die verbleibende Lücke von 25 Prozent sei durch einen Mix an Steuererhöhungen finanzierbar. Zum einen durch eine Erhöhung der Einkommensteuer: Die Autoren schlagen eine effektive Einheitssteuer von 50 Prozent auf alle Einkommen vor. „Das wäre ohne Grundeinkommen hoch unsozial“, sagte Bohmeyer bei Vorstellung der Studienergebnisse: „Zusammen mit dem Grundeinkommen wäre das Modell noch progressiver als heute“. Je mehr eigenes Einkommen Menschen erwirtschaften, desto weniger hätten sie so von einem Grundeinkommen.

Zusätzlich denkbar sei eine Verteuerung des CO₂-Preises, eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine Abgabe auf Finanztransaktionen (wie beispielsweise in Frankreich) oder höhere Unternehmenssteuern.

Wie lassen sich die auseinanderklaffenden Ergebnisse von BMF und DIW erklären? Auf Nachfrage schildert Bohmeyer, man habe sich eng mit den Wissenschaftlern des ifo-Instituts abgesprochen. Die Datengrundlage sei mit dem Sozioökonomischen Panel die gleiche. Nur die dahinterliegenden Annahmen seien andere, wie zum Beispiel:

Das DIW hat eine Abschaffung von steuerlichen Privilegien ins Auge gefasst, das ifo-Institut nicht. Dagegen haben ifo-Forschende in ihrem Modellalle Arbeitnehmerbeiträge der Sozialsysteme (wie die Beiträge zur Kranken-, Renten oder Pflegeversicherung) abgeschafft und auf die Einkommensteuer übertragen; beim DIW bleiben diese Beiträge größtenteils unangetastet. Heißt allerdings auch: Auf die 50 Prozent Einkommensteuer kommen nochmal Sozialabgaben hinzu.

Steuererhöhungen wie einer stärkere CO₂-Bepreisung oder eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer wurden im ifo-Modell für das BMF nicht berücksichtigt. Um die Debatte um die Finanzierbarkeit eines Grundeinkommens zu versachlichen, haben Mitarbeitende der Organisation Mein Grundeinkommen einen Konfigurator entwickelt. In der Webanwendung können Interessierte verschiedene Varianten des BGE inklusive dessen Folgen interaktiv simulieren. Daneben erforschen in einer Langzeitstudie verschiedene Einrichtungen die gesellschaftlichen Auswirkungen eines Grundeinkommens: Werden Menschen glücklicher, wenn sie keine Angst um ihre Existenz haben? Werden sie produktiver oder fauler? Und arbeitet überhaupt noch jemand? Ergebnisse sollen erst nach Ende der Pilotstudie 2024 vorliegen. Die Frage der Finanzierbarkeit kann bis dahin bereits kontrovers diskutiert werden.


*Nota. - "Im Kern" geht es beim Grundeinkommen nicht darum, 'Menschen abzusichern'. Es war ein Kardinalfehler, während der Flüchtlingskrise 2015 ein gesellschaftspolitisches Weltproblem - die globale Migration - zu einer Gesinnungsfrage des Wohlfahrtsstaats und der Nächstenliebe zu verflachen, und derselbe Fehler - mit denselben demoralisierenden Folgen - ist es, das Grundeinkommen zu einer Sache der Wohltätigkeit zu verwässern. Im Kern geht es darum, die auf den Austausch von Arbeiten beruhenden Industriegesellschaf-ten in die digitale Welt der Künstlichen Intelligenz zu überführen, wo sowohl die ausfüh-renden als auch die planerisch-kombinatorischen Schritte von sich-selbst regulierenden Maschinen ausgeführt werden und die lebende menschliche Arbeitskraft für die eigentlich inventorischen Leistungen freigestellt wird: wo die natürliche Intelligenz sich auf das konzentrieren, was sie besser macht als alle andern - das Intelligieren. 

Das ist der Kern. Darum wird sich alles andere gruppieren müssen - es ist keine Frage, ob man das will, sondern das wird man müssen; oder die Karre fährt (global) gegen die Wand. Es ist die größte Umwälzung unserer Gattungsgeschichte seit der Sedentarisierung und der Erfindung des Ackerbaus. Das ist auch keine Sache der nächsten drei, wie Legislaturen, sondern eine Revolution, die die ganze Welt erfassen wird.

Ob das friedlich abgehen kann? Anders gefragt: Wer könnte sich dem nach ruhiger sach-licher Erwägung denn widersetzen? Interessen, die es zu schützen gälte, stünden dem auf die Dauer  nicht entgegen. Reicht das aus?

*

Viel ist schon gewonnen, wenn nun demonstriert wurde, dass es bezahlbar ist. Über Details zu streiten werden wir noch viel Gelegenheit hat, und politische Gesinnungsfragen können noch reichlich zur Sprache kommen. Ein Gesichtspunkt, der nicht unmittelbar zum 'Kern' gehört, aber unmittelbar daraus folgt, ist die Überwindung der gewaltigsten Faux frais der industriellen Zivilisation: der alle Lebensbereiche durchsetzenden öffentlichen und privaten Bürokratien, die aus der wildwuchernden Arbeitsteilung der Marktgesellschaft erwachsen, die immer erst nachträglich kombiniert werden muss und die weltweit Milliarden Menschen davon abhält, das zu tun, was sie besser können als jede Maschine: intelligieren.
JE  


Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Mittwoch, 30. August 2023

Ist philosophieren doch eine Kunst?

 4ever                                                zu Philosophierungen zu  Levana, oder Erziehlehre

Man kann keinen zwingen, das einzusehen, was man ihm einsichtig machen will. Man kann ihn bestenfalls verlocken und verführen.

Das, was man ihm einsichtig machen will, mag Wissenschaft sein. Das Einsichtigmachen selber ist aber Kunst.

7. 11. 21

Montag, 28. August 2023

Zwei Welten und ein paar Zerquetschte.



G7 oder BRICS - mehr geht nicht.



Vergesslichkeit und Intelligenz.

bing 
aus ELLE Germany                                                                                             zuJochen Ebmeiers Realienzu Levana, oder Erziehlehre

Erst morgens der Schlüssel, dann das Meeting und dann den Geburtstag der besten Freun-din oder des besten Freundes – es gibt Tage, an denen man einfach alles vergisst. Für alle, die dann immer nach der perfekten Ausrede suchen, haben wir jetzt eine Lösung: Der kanadische Forscher Paul W. Frankland und Neurologe Blake Richards fanden nämlich heraus, dass Vergesslichkeit ein Zeichen von Intelligenz ist.

So hängen Vergesslichkeit und Intelligenz zusammen

In einer Studie an Mäusen stellten Frankland und Richards fest, dass alte Erinnerungen verblassen, wenn neue Gehirnzellen entstehen. „Wir wissen, dass Übungen die Anzahl der Neuronen im Hippocampus steigern, aber es sind exakt diese Details in deinem Leben, die eigentlich nicht relevant sind, die dich vielleicht davon abhalten, gute Entscheidungen zu treffen“, sagte Frankland. Bedeutet: Je öfter Sie Dinge vergessen, desto intelligenter werden Sie mit der Zeit, denn Ihr Gehirn macht Platz für wirklich wichtige Dinge. Auch eine Studie der University of Minnesota entdeckte, dass vergessliche Menschen in Wahrheit Genies sind. Warum? Sie vergessen Dinge, weil ihnen ein anderer Gedanke viel interessanter und wichtiger erscheint.


Nota. - "Das sind alles Flüchtigkeitsfehler", heißt es in der Schule. "Er kann sich nicht konzentrieren." Er konzentriert sich nicht auf das, was gestern dran war, sondern auf das, was hier und jetzt dran ist: Nichts Neues? Wie langweilig. Aber gleich klingelts, dann ist Pause und es gibt wieder was Neues.
JE

Sonntag, 27. August 2023

Reife des Mannes:

 Badische Zeitung                                                      zu Männlich

...das heißt den Ernst wiederfinden, den man als Kind hatte; beim Spiel.
Nietzsche


Der Kunstmarkt und das Vordringen der Individualgeschmäcker.

 
Watteau, Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint                                                                                  aus Geschmackssachen

Dies Blog heißt Geschmackssachen und bezieht sich darauf, dass die Geschmäcker - die ästhetischen Wertmaßstäbe - verschieden sind und sich zweitens entwickeln. Bei uns im Westen herrschten darum im Lauf der Zeiten unterschiedliche, aber aus einander hevorge-gangene Geschmäcker. Herrschten? Das heißt doch wohl, dass zu verschiedenen Zeiten verschiedene, aber stammverwandte Geschmäcker als die jeweils um Geltung ringenden hervortraten, und mit der Zeit neben einander als gleich- und gegeneinander gültige an-kämpften. So gab es Epochalgeschmäcker, landläufig Stile genannt - so, als sei eine Gesell- schaftsepoche ein eigenes Subjekt, das im Laufe seines Erlebens seinen Geschmack bildet und an seine Nachkommen weiterzugeben trachtet.

Da springt sogleich ins Auge: In anderen Weltteilen gibt es das nicht. Warum nicht? Es gibt eine pauschale Erklärung: Damit eine ganze Gesellschaft als ein Subjekt aufgefasst werden kann, bedarf es eines Mediums, in dem die Individualitäten aufgelöst erscheinen und unter-gehen. Ein solches Medium hat sich in den westlichen Gesellschaften in der Form der Öf-fentlichkeit ausgebildet.

Aber natürlich nicht auf einen Schlag. Eine Frühform von Öffentlichkeit war die Bildungs-welt des hohen katholische Klerus, der personell zu einem großen Teil aus den jüngeren Söhnen des Feudaladels bestand. An den Höfen der einen wie der anderen begegneten sie einander, und seit der Renaissance wetteiferte die bürgerliche Geldaristokratie. Die Feudal-ordnung war nicht eine Hierarchie wie die Beamten der orientalischen Despotien, sondern war ein Neben- und Gegeneinander rivalisierender Hierarchien, das Austausch sowohl mög-lich als auch notwendig machte.

Und schließlich riss die Ausbildung der Marktwirtschaft alle in einen Sog. Der Markt ist die Öffentlichkeit par excellence; hier treffen sich alle und hier gilt jeder so viel, wie er, unerach-tet seiner Individualität, wert ist. So wie es einen Markt der Waren gibt, gibt es einen Markt der Geschmäcker, und das Geld spielt auf dem einen fast dieselbe Rolle wie auf dem an-dern. So kam die Pflege des öffentlichen Geschmacks alsbald in die Hände der gebildeten Bourgeoisie - an der Stelle eines nur noch eingebildeten Adels.

Eine besondere Rolle spielt in den protestantischen Ländern das Eindringen der jüdischen Geldleute in die honette Gesellschaft. Die evangelische Taufe und die vergleichsweise bür-gerlich-nichthierarchiche Organisationsform der evangelischen Gemeinde bot den assimi-lierungswilligen Juden ein "Entreebillet in die gute Gesellschaft", wie Heinrich Heine es nannte. Felix Mendelssohn war, wenn ich nicht irre, der erste schon als Kind getaufte Sproß seiner Familie, und wie konnte er sich evangelischer darstellen als durch die mächtige Wie-derbelebung des bedeutendsten lutherischen Kirchenmusikers aller Zeiten?
30. 3. 20

Samstag, 26. August 2023

Michael Jackson - das Phänomen; online.

                                                                    aus Geschmackssachen

Nachdem Google vor Jahr und Tag meinen Account völlig gelöscht hatte (ohne bis heute ein Erklärung dafür zu geben), war mein Magnum opus Michael Jackson - Das Phänomen wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden. Auf die Idee, dass meine Blogs bei Google nicht sicher wären, war ich nie gekommen - und hatte keine Sicherungskopien gemacht (wird nie wieder vorkommen). Nur ab und zu tauchten bei ebay noch ein paar mehr oder weniger gebrauchte Einzelexemplare auf; aber zu unerschwinglichen Preisen. Das war nicht in meinem Sinn und wäre nicht im Sinn von Mr. Jackson gewesen.

Es hat einige Zeit gedauert, die Dateien wiederherzustellen. Aber jetzt ist alles fertig.

Michael Jackson - Das Phänomen
ist wieder online.

11. 10. 14 

Suchet und ihr werdet finden.

 Bing                                                                   aus öffentliche Angelegenheiten

Sollte die DNA-Analyse ergeben, dass Prigoschin nicht unter den Toten ist, haben weder die Wagner- noch die Putin-Seite ein Interesse daran, dass die Welt es erfährt. Wir können also sicher sein, dass sie Pr. identifizieren werden.

Das Erhebliche.

   ausÜber Ästhetik                                                     zuGeschmackssachen   
                                                                
Das Elementardatum unserer Gewärtigkeit (Gewahrseins, Zur-Welt-Seins...) ist weder die Vorstellung (im Symbolsystem: „Denken“) noch die Wahrnehmung („Sinnlichkeit“). Beide werden erst nachträglich in der Reflexion (=durch das „Eintreten“ der sprachlichen Reprä-sentation!) von einander geschieden. Und schon gar nicht so, daß „erst“ die sinnliche Wahr-nehmung „da“ wäre und „dann“ die Vorstellung „hinzukommt“. Sondern zuerst ist immer Erleben „da“. „Erlebnis“ wäre schon zu viel gesagt: zunächst einmal ein „Strom“ in einem „Feld“, aus dem gelegentlich Einzelnes „herausragt“, weil es Aufmerksamkeit erregt - oder es erregt Aufmerksamkeit, weil es „irgendwie“ herausragt, wie die Figur aus ihrem Grund. [„auffällig“: vgl. A. Gehlen, Anthropologische Forschung, S. 119] 

Was aber ist es, das einzelne Momente auszeichnet in (zeitlich) dem „Strom“ oder (räum-lich) dem „Feld“? Schon das Feld selbst ist konstituiert von einem wie auch immer geringen Grad von Aufmerksamkeit, und wenn sich ein Moment abzeichnet, dann immer, wenn und weil sich die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat. Ja, aber warum? Weil sie Qualitäten (Was-heiten) „erkennt“, die sie von Anderm unterscheiden kann; weil sie nicht so sind, wie (all) das Andere; also eine Information unterscheidet von einer (relativen) Nicht-Information, Redundanz. Ein Hier-jetzt-nicht-Erwartetes von einem Sowieso-schon-Dagewesenem. [In-sofern ist Neuheit doch eine ästhetische Qualität! ;cf. Burke]

Und später dann wird auf das So-Ausgezeichnete geachtet, ob, wann und wo man es wieder erkennt. Jetzt wird es erwartet, und wenn ‚es’ sich nicht wieder ‚ereignet’, dann ist das die Information. Also alles ‚Neue’ ist informativ, und eo ipso interessant. Also das Erlebnis ist die unmittelbare Gegebenheitsweise dessen, was ‚einem unbeteiligten Beobachter’ als Ereig-nis vorkommt - und also auch der Reflexion, in der ‚ich’ ‚mich’ anschaue, ‚als ob’ ich ein Anderer wäre. 

"Wahrgenommen" wird immer nur eine Figur in einem Grund. - Die Figur ist immer eine Störung des Grundes. D. h. nur als Störung "ist" sie Figur. Figur und Grund ‚verhalten’ sich nicht "dialektisch": Sie "bedingen" einander nicht! Zwar "gibt es" keine Figur ohne Grund, aber es gibt einen Grund ohne Figur. Nur "ist" er dann kein Grund. Aber er ist auch nicht Nichts. Er ist... "Strom", unausgezeichnet, unbeachtet. Er "ist", aber er bedeutet nichts. Erst wenn er als "das, was" er "ist" - nämlich nichts Bedeutendes - gestört wird, wird er etwas. (Das Auge "sieht" eine ungeordnete Fläche, aber es "nimmt" sie nicht "wahr"; es kann dar-auf nicht verharren; es "flackert", sucht nach einem "Anhalts-Punkt"; und wenn es keinen findet, halluziniert es ihn in die Fläche hinein - und "widmet" sie ipso facto zu einem Grund "um".)

- Die Erwartung eines Sinns im Meer des Sinnlosen; die Erwartung einer Figur im wüst-Unbestimmten ist so tief in unsere mentale Disposition eingeprägt, daß gewisse optische Texturen - von Kandinsky über Mondrian bis Pollock - ihre ästhetische Kraft gerade aus dem Verstoß gegen die Erwartung, aus ihrer Enttäuschung gewinnen.
aus ca. 2000 

Nota. - Dies ist denkpsychologisch gemeint; nicht transzendentalphilosophisch. Mein Studium der Wissenschaftslehre war noch nicht sehr tief gedrungen.



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Freitag, 25. August 2023

Wer für möglich hält, dass das alles echt ist...

 Prigoschin                                               aus öffentliche Angelegenheiten

...muss auch für möglich halten, dass es nur Theater war.
Theater mit echten Toten - würden Sie das denen nicht zutrauen?





"Vollkommene" Naturformen.

aus scinexx.de, 23. 8. 2023                                                     zuJochen Ebmeiers Realienzu Geschmackssachen

Wahre Form des Lithiums aufgedeckt
Ohne Korrosion bildet metallisches Lithium verblüffend regel-mäßige Dodekaeder
Wenn metallisches Lithium ungestört auskristallisieren kann, bildet es zwölfseitige Kristalle – Dodekaeder.


Überraschend geordnet: Forscher haben erstmals beobachtet, welche Form Lithiumatome annehmen, wenn sie sich ohne die sonst übliche Korrosion ablagern. Das Alkalimetall bildet demnach erstaunlich regelmäßige Dodekaeder. Diese geordneten Kristalle entspre-chen zwar theoretischen Vorhersagen, bisher konnten aber immer nur vier andere, unre-gelmäßige Formvarianten beobachtet werden, wie das Team in „Nature“ berichtet. Prak-tischen Nutzen könnte diese Erkenntnis auch für Lithium-Metall-Batterien haben.

Lithium ist hochreaktiv: Das Alkalimetall läuft normalerweise so schnell an, dass es sich sofort mit einer weißlichen Schicht aus Lithiumhydroxid und Lithiumnitrid überzieht. Diese Korrosion findet auch bei der elektrochemischen Ablagerung des Elements auf Oberflä-chen statt – beispielsweise auf den Elektroden eines Lithium-Metall-Akkus. Dort bildet sich durch Reaktion mit dem Elektrolyten eine wachsende Schicht metallischen Lithiums an der Anode, die sogenannte Solid Elektrolyte Interphase (SEI).

Neuentdeckte Dodekaeder-Form des Lithiums (oben) und die vier bisher bekannten Formvarianten: Filamente, Säulen, Nanostäbchen und Klumpen.

Säulen, Nadeln und unregelmäßige Klumpen

Das Problem: Die wachsende SEI-Schicht kann spitze Lithium-Nadeln bilden, die die Separatormembran zwischen den Elektroden durchstoßen und den Akku dadurch kurzschließen. Dadurch überstehen Lithium-Metall-Batterien bisher nur wenige Ladezyklen und sind daher trotz hoher Energiedichte noch nicht für Anwendungen wie die Elektromobilität nutzbar. Bisher versucht man, die Dendritenbildung durch Schutzschichten oder spezielle Elektrolyten zu verhindern.

Allerdings blieb unklar, warum das Lithium solche Nadeln bildet und wann stattdessen Klumpen, verzweigte Säulen oder Stäbchen entstehen. „Seit fast einem halben Jahrhundert versucht man, die Lithiummetall-Morphologie zu kontrollieren. Aber dies wird durch die Verbindung der Elektrodeposition mit der SEI-Bildung erschwert“, erklären Xintong Yuan von der University of California in Los Angeles und seine Kollegen.

Kristallisation im Elektronenmikroskop

Um mehr Einblick in diesen Prozess zu erhalten, haben die Forscher eine neue Methode für die elektrochemische Abscheidung entwickelt. „Wir wollten sehen, ob wir das Lithium so schnell ablagern können, dass wir der Reaktion zuvorkommen, die den störenden Korrosionsfilm erzeugt“, erklärt Yuan. „Auf diese Weise könnten wir dann sehen, welche Form das Lithium in Abwesenheit dieses SEI-Films annimmt.“

Für ihr Experiment nutzten die Wissenschaftler das Kupfernetz eines Transmissions-Elektronenmikroskops als Substrat und Elektrode zugleich. Dies ermöglichte es ihnen, die durch Ablagerung des Lithiums aus einer Lösung entstandenen Kristallformen direkt mittels Cryo-Elektronenmikroskopie zu beobachten und gleichzeitig für eine schnelle Stromzufuhr zu sorgen. Die Elektrodeposition wiederholte das Team mehrfach mit verschiedenen Stromstärken und vier verschiedenen Elektrolyten.

Lauter winzige Dodekaeder

Das überraschende Ergebnis: Das Lithium bildet beim Ablagern keine der bisher bekannten vier Formvarianten, sondern eine fünfte – es entstanden winzige rhombische Dodekaeder – zwölfseitige Monokristalle ähnlich den Würfeln früherer Rollenspiele. „Es gibt tausende von Veröffentlichungen über metallisches Lithium und fast alle beschreiben die Struktur als säulenartig oder klumpig“, sagt Yuangs Kollege Yuzhang Li. „Es war daher eine überraschende Entdeckung, dass Lithium in Abwesenheit von Oberflächenkorrosion nur solche Polyeder bildet.“

Gleichzeitig entspricht diese regelmäßige Dodekaederform der thermodynamisch stabilen form deponierten Lithiums: „Diese klar erkennbare rhombische Dodekaederform passt genau zu den theoretischen Vorhersagen“, erklären die Wissenschaftler. „Damit enthüllt unser Experiment die fundamentale Form, die metallisches Lithium annimmt, wenn es nicht durch SEI beeinflusst wird.“

Unabhängig von Elektrolyt und Substrat

Überraschend auch: Entgegen den Erwartungen bildeten sich diese Lithium-Dodekaeder bei allen getesteten Elektrolyten und bei hohen Spannungsdichten, wie die Experimente ergaben. „Damit widersprechen unsere Resultate gleich zwei lange bestehenden Axiomen zur Lithium-Elektrodeposition“, konstatieren die Forscher. Demnach müssten hohe Spannungsdichten eigentlich das Wachstum von Lithium-Dendriten fördern, zum anderen sollte die Wahl des Elektrolyten die Morphologie der Lithiumablagerungen beeinflussen.

Beide Annahmen treffen jedoch offensichtlich nicht zu. Stattdessen kristallisiert das Lithium, sofern es sich schnell genug und damit ungestört von der Korrosion ablagert, bevorzugt in Form der dodekaedrischen Kristalle. Dies geschieht dann unabhängig von Elektrolyt und Unterlage, wie die Experimente belegten. Die winzigen Dodekaeder entstanden sowohl auf Unterlagen aus lithiumaffinen Materialien wie Gold oder Silber als auch auf lithiumabweisenden Elementen wie Kupfer oder Kohlenstoff.

Hilfreich auch für Lithium-Metall-Akkus

Nach Ansicht von Yuang und seinem Team eröffnen ihre Erkenntnisse auch neue Möglichkeiten, das unerwünschte Dendritenwachstum in Lithium-Metall-Akkus besser zu kontrollieren. „Jetzt, wo wir die wahre Form des Lithiums kennen, stellt sich die Frage, wie wir es so beeinflussen können, dass es Dodekaederwürfel bildet“, sagt Yuang. In ersten Versuchen haben die Forscher bereits herausgefunden, dass schon die Präsenz einiger Dodekaederkristalle reicht, um als Nukleationskeime für weitere zu dienen.

Ob und wie sich dies praktisch in Lithium-Metall-Akkus nutzen lässt, müssen nun weitere Forschungen zeigen. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06235-w)


Quelle: California NanoSystems Institute
23. August 2023
- von Nadja Podbregar


Nota. - Die schönste Form oder die einfachste? Der Mensch mit seiner jahrmillionenalten tierischen Vorgeschichte ist "von Natur" auf das Wirre und Wüsteste gefasst. Was dagegen regelmäßig und klar überschaubar begegnete, hält er für wertmäßig überlegen: für wahrer. Das allerdings ist ein (erstes?) Qualitätsurteil und gehört schon in die Ästhetik.

In gewissem Sinn ist es das, was 'dem Ursprung noch am nächsten steht': Am ursprünglichsten sind diejenigen Formen, deren Bildung am wenigsten Energie verbraucht. Nach dem Einfachen das Doppelte, das Dreifache, das Vierfache...

So irgendwie dürften auch Platos fünf vollkommene Körper entstanden sein.
JE

Donnerstag, 24. August 2023

Klugheit kann man sehen.

 Apollo del Tevere
aus Elle Germany                                                                zuJochen Ebmeiers Realien, zu Geschmackssachen

Wusste Sie, dass Sie intelligente Menschen sehr wahrscheinlich erkennen können, ohne auch nur ein Wort mit ihnen gewechselt zu haben? Wie? Sie sehen gut aus. Denn laut Studien können Personen, die körperlich attraktiv sind, einen um bis zu 14 Prozent höheren IQ haben als subjektiv betrachtet weniger attraktive Menschen. Hier lesen Sie, wie das Aussehen mit der Intelligenz zusammenhängt.

Der Zusammenhang von Aussehen und Intelligenz

Menschen gehen unbewusst davon aus, dass besser aussehende Personen intelligenter sind. Dieses Phänomen bezeichnen Psychologen und Psychologinnen als „Halo-Effekt“. Dabei nimmt der Verstand an, dass das, was schön ist, auch gut ist. Und die Studien geben der These, dass attraktive Menschen auch klug sind, recht. Seit 1958 wurden in Großbritannien Daten von 17.419 Kindern gesammelt aus denen sich ablesen lässt: Hübschere männliche Kinder haben 13,6 IQ-Punkte mehr als ihre als eher weniger schön angesehenen Altersge-nossen. Bei weiblichen Kindern sind es 11,4 IQ-Punkte mehr.

Hollywood-Stars sind das beste Beispiel für den Halo-Effekt

Da Weltstars
 oft attraktiv und sympathisch sind (oder zumindest so wirken), nehmen wir automatisch an, dass sie auch intelligent und freundlich sind, ein gutes Urteilsvermögen haben und so weiter. Forscher der oben genannten Studie schrieben dazu: „Menschen halten körperlich attraktive Personen für intelligenter als körperlich unattraktive Personen. Während die meisten Forschenden diese Wahrnehmung als ‚Voreingenommenheit' oder ‚Stereotyp' abtun, behaupten wir, dass Individuen diese Wahrnehmung haben, weil schöne Menschen tatsächlich intelligenter sind." 

Die Experten warnen aber eindringlich davor, die Ergebnisse als Grundlage für Diskrimi-nierung oder Vorurteile herzunehmen: „Unsere Behauptung, dass schöne Menschen intel-ligenter sind, ist rein wissenschaftlich. Sie ist keine Ausrede dafür, wie man andere behan-deln oder beurteilen sollte.“ Ein zweites Zeichen für höhere Intelligenz ist, dass man größer ist. Der Grund dafür ist, dass die Gene, die mit der Körpergröße zusammenhängen, auch mit der Intelligenz verknüpft sind. Dies geht aus einer Untersuchung der DNA von 6.815 Personen hervor. Natürlich gibt es immer noch Menschen, die klein und intelligent sind, und solche, die groß sind, aber weniger IQ-Punkte aufweisen. Aber im Durchschnitt be-steht ein geringer Zusammenhang zwischen Körpergröße und höherer Intelligenz.

Nota. - Ich weiß nicht, ob Elle eine zitierbare Quelle ist. Skepsis kann nicht schaden. -  Dass sowohl Schönheit als auch Intelligenz über die Generationen ein Selektionsvorteil waren und zur Ausbildung eines besondern Genpools geführt hätten, ist allerdings denkbar, aber dürfte sich empirisch kaum demonstrieren lassen.
JE  

Es gibt sehr wohl einen Fortschritt in der Kunst.

Tel Moza, Israel                                                    aus Geschmackssachen

Dieser Fortschritt ist der Weg, den die bildliche Darstellung vom Kult zur Ästhetik ge-nommen hat. Diesen Weg kann man messen; nicht mit dem Zollstock, aber mit dem Ge-schmack. Er ist freilich nicht ein Maß dafür, was besser ist und was schlechter. Sondern eben nur: was noch mehr einem kultischen Zweck verhaftet ist und was schon eher nach rein-ästhetischen Kriterien zu bewerten ist. 


Piet Mondrian, o. T.

Merke: Kunst und Ästhetik sind historisch miteinander verwandt, aber nicht genetisch; sie haben sich gefunden, aber nicht erzeugt.
6. 2. 14 



Mittwoch, 23. August 2023

Öffentlichkeit, oder Die Große europäische Kulturrevolution.

                                                              aus öffentliche Angelegenheiten

Die größte kulturelle Leistung der Menschheit seit der Erfindung des Ackerbaus war die Entstehung von Öffentlichkeit. Erst sie hat Privatheit möglich gemacht - und die freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Erst sie hat Wissenschaft möglich gemacht - und Vernunft überhaupt. Nur in der Öffent-lichkeit kann das Individuum sich zum autonomen Subjekt ausbilden - und für den Schutz seiner Privatheit sorgen. Nur sie macht ein freiheitliches Gemeinwesen möglich.


Nur im Unterschied zur Privatheit kann es Öffentlichkeit geben. Öffentlichkeit kann nur bestehen, wo Recht herrscht. Recht kann nur herrschen als gleiches für alle; und rechtliche Gleichheit ist nur möglich unter der Herrschaft von Öffentlichkeit. Alles, was wir als Bau-steine westlicher Kultur erachten, bedarf als seines Mediums der Öffentlichkeit. Sie ist A und Ω der Moderne, mit ihr endet das Mittelalter.

*

Ein zivilisatorisches Problem ist das Internet, weil es die Scheidung von öffentlich und privat untergräbt.

*

Ein gesellschaftspolitisches Problem wird Massenmigration, wenn sie in westliche Länder stattfindet aus Kulturen, die die Scheidung von öffentlich und privat nicht kennen - und deren Religion sich ihr womöglich widersetzt
27. 7. 18



Dienstag, 22. August 2023

Ist Mathematik uns angeboren?


aus derStandard.at, 22. 8. 2023       Jatata-Blätter werden zum Decken von Häusern verwendet, dienen aber auch als Zahlungsmittel, um Schulden bei Händlern zu begleichen. Während der Studie wurden die Blätter für fünf Bolivianos pro Stück verkauftzuJ. Ebmeiers Realien 

Ist unser Mathematikverständnis angeboren?
Eine Studie mit Indigenen in Bolivien untersuchte, wie Bildung das Verständnis von Mathematik beeinflusst. Auch völlig ungebildete Menschen entwickeln einschlägige Fähigkeiten


von Reinhard Kleindl

Mathematik gilt als universell und unabhängig von kulturellen Besonderheiten ihrer Ausübung. Weder große räumliche oder zeitliche Distanzen können der Gültigkeit ihrer Aussagen etwas anhaben. Und abgesehen von wenigen spektakulären Ausnahmen gibt es keine regionalen Befindlichkeiten, die für Verwirrung sorgen würden. Das geht so weit, dass manche Fachleute vermuten, die Fähigkeit zur Mathematik oder zum Zählen könnte dem Menschen in gewisser Weise angeboren sein.

Vor allem natürliche Zahlen sind so fundamental, dass diese Idee nicht ganz abwegig erscheint. Es gibt starke Hinweise auf einen evolutionär erfolgreichen Mechanismus zur Unterscheidung der Größe von Ansammlungen einzelner Objekte, der vielen Spezies gemeinsam ist. Schimpansen sind dazu in der Lage. Auch Gorillas, Kapuzineräffchen, Totenkopfäffchen, Lemure, Delfine und Elefanten können auf rudimentäre Weise zählen, was ebenfalls für eine angeborene Fähigkeit spricht.


Den meisten Menschen erscheinen die natürlichen Zahlen so "natürlich", dass sie kaum weiter erklärt werden müssen, Leopold Kronecker hielt sie für "vom lieben Gott gemacht". Eine Definition lieferte erstmals 1888 der deutsche Mathematiker Richard Dedekind, knapp gefolgt von seinem italienischen Kollegen Guiseppe Peano. Inzwischen hat sich Peanos Definition weitgehend durchgesetzt. Salopp gesagt fordern seine Axiome nur, dass jede natürliche Zahl einen Nachfolger hat, es eine natürliche Zahl gibt, die nicht Nachfolger einer anderen ist (die Eins), dass zwei Zahlen mit identischem Nachfolger einander gleich sind und dass jede Menge, die jene nachfolgerlose Zahl und alle ihre Nachfolger enthält, die natürlichen Zahlen enthält.

Manche Forschende vermuten, dass der menschliche Geist eine Art kognitive Version der Peano-Axiome quasi vorinstalliert hat, insbesondere die Idee einer Zahl eins und einer Nachfolgefunktion. Diese Ansicht einer angeborenen Logik für die einfache Mathematik des Zählens ist aber umstritten. Kritisiert wird etwa, dass die Kinder, die zur Klärung dieser Frage untersucht wurden, durchwegs aus westlichem, gebildetem, industrialisiertem, rei-chem, demokratischem Umfeld stammen (eine Abkürzung, die im Englischen den schönen und tatsächlich gängigen Ausdruck "WEIRD" ergibt, zu Deutsch "schräg"). Sie hätten einfach zu früh zu guten Zugang zu abstrakteren Mathematikkonzepten, um sich zur Untersuchung dieser Frage zu eignen. 

Studie im Amazonasgebiet

Eine Forschungsgruppe um David O'Shaughnessy und Steven Piantadosi von der University of California in Berkeley nahm sich dieser Kritik an und versuchte, der Frage mit einer experimentellen Studie abseits der industrialisierten Welt auf den Grund zu gehen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal "PNAS" veröffentlicht. Konkret untersucht wurde das Zahlenverständnis des indigenen Volks der Tsimane im bolivianischen Amazonasgebiet.

Die Tsimane erregten schon früher die Aufmerksamkeit der Wissenschaft, weil ihre Vertreter als außergewöhnlich gesund gelten und 2017 den geringsten gemessenen Wert für Arterienverkalkung im Vergleich zu allen bisher untersuchten Menschengruppen aufwiesen.

Die Tsimane waren für die neue Untersuchung besonders geeignet, weil ihr Bildungsniveau stark variiert. Manche Gruppen erhalten eine gewisse Schulbildung, zu der auch Unterricht in Mathematik gehört, andere erhalten keinerlei Unterricht. In den Jahren 2012 bis 2019 untersuchte das Team um O'Shaughnessy und Piantadosi bei 25 Tsimane-Gemeinschaften die Fähigkeit zum Zählen. Getestet wurde, neben anderen Dingen, ob die befragten Personen bis acht zählen konnten.

Erwachsene ohne Schulbildung können zum Teil zählen

Kinder mit zwei bis drei Jahren Schulbildung bewältigten diese Aufgabe in der Regel, Kinder ohne Schulbildung scheiterten daran. Das ist eher nicht überraschend und deutet laut den Autoren darauf hin, dass die Fähigkeit zu zählen vermutlich nicht angeboren ist. Überraschend war hingegen, dass 58 Prozent der Erwachsenen ohne Schulbildung die Aufgabe bewältigten.

Je weiter abgeschieden sie lebten, desto weniger waren sie allerdings dazu in der Lage. Eine Erklärung dafür könnte laut den Forschenden die Distanz zu Märkten sein. Das ließ sich durch die Beobachtung stützen, dass Frauen, die bei den Tsimane traditionell nicht auf Märkte gehen, diese Fähigkeit seltener besaßen.

Das Team konzentrierte sich daraufhin auf entlegen lebende Menschen ohne Schulbildung. Es zeigte sich, dass manche dieser Menschen Schwierigkeiten mit den meisten einfachen Additionen und Subtraktionen hatten, etwa mit der Aufgabe, eins zu einer Zahl zu addieren. Doch bei allem, was die Zahl fünf betraf, zeigten sie sich geschickt. Sie konnten etwa verlässlich eine Zahl mit fünf multiplizieren, eine deutlich komplexere mathematische Aufgabe. Das dürfte, so heißt es in der Studie, an der Art der lokalen Wirtschaftstätigkeit liegen, in der die Fünf eine wichtige Basiseinheit darstellt.

Bedeutung der Fünf

Dass ausgerechnet die Fünf einen so hohen Stellenwert hat, ist kein Zufall. Auch in anderen Kulturen ist die Fünf eine Basiseinheit. Eine Analyse von 307 Zahlsystemen indigener amerikanischer Kulturen ergab 106 mit der Fünf als Grundeinheit, während 146 Dezimalsysteme waren. Charles Darwin vermutete einst in seiner "Abstammung des Menschen", dass diese Tendenz zu Vielfachen der Fünf "ihren Ursprung in dem Zählen der Finger, zuerst der einen Hand, dann der andern und endlich auch der Zehen gefunden hat". Spuren davon finde man in unserem eigenen Dezimalsystem und in den römischen Zahlzeichen. Die Zahl der Finger dürfte bei der Herausbildung dieser Zähltraditionen tatsächlich eine Rolle gespielt haben. Hinzu kommt, dass die Fünf intuitiv gut zu fassen ist, wie Studien belegen.

In Summe deuteten die Ergebnisse jedenfalls nicht auf angeborene Fähigkeiten hin. Das ist das Fazit der Studie. Das Verständnis von natürlichen Zahlen dürfte als Fähigkeit anhand konkreter Aufgaben des Zusammenlebens entwickelt werden. "Die Arbeit mit Nicht-WEIRD-Populationen birgt das Potenzial, universelle Eigenschaften der menschlichen Natur aufzudecken, dient aber auch als Kontrolle gegen überzogene Ansprüche auf Universalität", betonen die Studienautoren.

Studien
PNAS: "Diverse mathematical knowledge among indigenous Amazonians" 
Trends in Cognitive Sciences: The generative basis of natural number concepts"




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