Sonntag, 7. April 2024

Musik - Geschmack oder Emotion?

 Callas, Medea
aus derStandard.at, 4. 4. 2024                                                             zu Geschmackssachen; zu Jochen Ebmeiers Realien

Die Macht der Melodien
Wie Musik unsere Gefühle und den Körper beeinflusst
Eine neue Studie zeigt: Klänge, die uns überraschen, spüren wir mit dem Herz, Musik, die unseren Erwartungen entspricht, ruft Ruhe und Zufriedenheit hervor

Musik ist eine feine Sache. Kein Wunder also, dass Gesang und Musizieren zu den ältesten kulturellen Errungenschaften der Menschheit zählen. Wie lange der Mensch bereits Musik macht, lässt sich zwar nur schwer nachvollziehen. Aber wenn man die ältesten bekannten Musikinstrumente zur Beurteilung heranzieht, dürften es schon mindestens 35.000 Jahre sein. So alt ist zumindest jene Flöte aus dem Speichenknochen eines Geierflügels, die 2009 in der Höhle Hohler Fels bei Ulm entdeckt wurde.

Was Musik heute mit uns anzustellen vermag, ist zwar deutlich besser erforscht, aber die Ergebnisse fallen nicht immer eindeutig aus. Wenig umstritten ist jedenfalls, dass Musikkonsum viele unterschiedliche psychische, physische und soziale Auswir-kungen hat: Musik kann unsere Kreativität beleben, Stress reduzieren, Musik wird in der Medizin eingesetzt, und sie fördert den sozialen Zusammenhalt, zum Beispiel auf der Tanzfläche.

Unsere emotionalen Saiten

Diese besondere emotionale Wirkung von Klängen hat jeder selbst schon am eigenen Leib erfahren – aber was genau an der Musik bringt unseren Geist zum Klingen und entlockt dem Körper so intensive Empfindungen? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, hat ein Team von den Universitäten Tokio und Hiroshi-ma in Japan systematisch untersucht, wie einzelne Musikakkorde bestimmte emo-tionale Saiten in uns anschlagen und wo sich diese Empfindungen im Körper am stärksten manifestieren.

Für ihre Arbeit baten die Forschenden um Tatsuya Daikoku (Universität Tokio) 527 Testpersonen zum Musikhören. Auf der Grundlage von 890 Liedern aus den US-Billboard-Musikcharts erstellte die Gruppe acht Sequenzen von vier Akkorden, die sie den Studienteilnehmern vorspielten. Im Anschluss sollten sie angeben, wo in ihrem Körper sie die Musik spürten und wie stark. Außerdem bewerteten sie aus einer Liste von Optionen ihre fünf wichtigsten emotionalen Reaktionen auf jeden Klang und gaben an, wie sehr ihnen die Musik zusagte oder missfiel.

Bauch-, Herz- und Hirnmusik

Aus der Kombination dieser Reaktionen erstellten die Forschenden eine Art Karte des Körpers mit jenen Orten, wo jede Akkordfolge am stärksten gefühlt wurde. Die im Fachjournal "iScience" präsentierten Ergebnisse zeigen, dass die Erwartungshal-tung eine entscheidende Rolle spielt: Vorhersehbare Melodien, die unseren Erwar-tungen entsprechen, riefen Gefühle der Gelassenheit, Zufriedenheit, Nostalgie und Empathie hervor und waren vor allem im Bauchraum zu spüren.

Überraschende, unerwartete Tonfolgen lösten dagegen Empfindungen in der Herz-gegend aus und bewirkten Reaktionen wie Freude und ästhetische Wertschätzung. Im Gegensatz dazu standen musikalische Sequenzen, die starke Empfindungen im Kopf auslösten, signifikant mit Gefühlen von Angst und Verwirrung in Verbindung.

Das Team um Tatsuya Daikoku von der Universität Tokio generierte für seine Studie mithilfe eines mathematischen Modells auf Basis von US-Billboard-Songs acht Akkordfolgen.

Für die Wissenschafter bedeuten die Resultate vor allem eines: Die durch Musik ausgelösten Emotionen und Empfindungen hängen wohl eng mit der sogenannten musikalischen Interozeption zusammen, also mit der körperlichen Wahrnehmung. Daikoku und sein Team vermuten außerdem, dass diese Reaktionen mit dem psy-chischen Wohlbefinden in Verbindung stehen. "Musik ist nicht nur etwas, das wir mit unseren Ohren hören, sondern eine Erfahrung, die wir mit dem ganzen Körper spüren", sagte Daikoku. "Ich denke, dieses Ganzkörpergefühl ist es, was Musik wirklich ausmacht."

Eine Sache des Körpers

Mit anderen Worten: Die ästhetische Wertschätzung von Musik und die zugrun-deliegenden positiven Emotionen hängen insbesondere mit den körperlichen Emp-findungen zusammen, die beim Hören auftreten. "Unsere Forschungsarbeit gibt Aufschluss darüber, wie sehr musikalische Erfahrungen mit unserem Körper ver-bunden sind", schreibt das Team in seiner Studie. Die Arbeit könnte demnach dazu beitragen, Musik als Therapeutikum, etwa zum Stressabbau und zur Verbesserung der psychischen Gesundheit, zielgenauer einzusetzen.

Freilich konzentrierte sich diese Untersuchung auf subjektive Empfindungen und Emotionen, räumte Daikoku ein. Daher möchte sein Team in einem nächsten Schritt analysieren, wie sich quantifizierbare körperliche Reaktionen, beispielsweise Veränderungen des Herzschlags, mit der erstellten Karte der registrierten Wahrneh-mungen überlagern. 

Studie

iScience: "Bodily Maps of Uncertainty and Surprise in Musical Chord Progression and the Underlying Emotional Response."

 

Nota. - Man sagt, der Rhythmus baue Spannung auf, die Melodie baue sie ab. Von Rhythmus ist oben gar nicht die Rede, was bei Ostasiaten nicht überrascht. Es heißt aber auch, dass bei der Untersuchung eine Hälfte fehlt.

Dass Emotion und ästhetische Wertung in der Wirklichkeit kaum zu scheiden sind, wird keiner leugnen. Aber das bedeutet nicht, dass sie dasselbe sind. Sensus, Psyche und Kognition dürften beide beteiligt sein, so vermengt sie auch immer auftreten. Sinnesreizungen lassen sich durch die bildgebenden Verfahren heute nachweisen, von Gemütsbewegungen kann jedermann berichten, und Geschmacksurteile lassen sich im Vergleich er- und abwägen. Das sind Unterscheidungen, die nicht nur den Künstlern beim Musizieren behilflich sind, sondern auch uns andern beim Hören.

Das Schaubild verstehe ich nicht; es fehlt eine Erläuterung.
JE

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