Freitag, 21. Juli 2023

Wann ist Stille hörbar?

aus spektrum.de, 19. 7. 2023                      Isaak Lewitan, Wladimirka                       zu Jochen Ebmeiers Realienzu Geschmackssachen

Kann man Stille hören?
Die Abwesenheit von Lauten, Tönen oder Geräuschen empfinden wir als Stille. Doch aus einer Reihe von Experimenten schließen US-Forscher, dass Stille hörbar ist.


von Christiane Gelitz

Wenn es still ist, hören wir nichts – oder? Über diese Frage kann man offenbar streiten, jedenfalls laut drei Forschern von der Johns Hopkins University in Baltimore. In einer Reihe von Experimenten haben der Philosoph Rui Zhe Goh und seine Kollegen nun nachgewiesen, dass wir die Abwesenheit von Geräuschen ähnlich verarbeiten wie die Geräusche selbst. Und den Forschern zufolge deutet das darauf hin, dass wir Stille durchaus hören können.

Wie die Forscher in den »Proceedings of the National Academy of Sciences« schildern, griffen sie auf bekannte Experimente zurück, die akustische Wahrnehmungsverzerrungen hervorrufen. Die Idee dahinter: »Wenn man mit Stille die gleichen Täuschungen erzielen kann wie mit Geräuschen, dann könnte das ein Beleg dafür sein, dass wir Stille tatsächlich hören«, erklärt der Psychologe und Koautor Chaz Firestone, der das Johns Hopkins Perception & Mind Laboratory leitet, in einer Pressemitteilung.

Die rund 1000 Versuchspersonen bekamen zu diesem Zweck kurze Tonbandaufnahmen vorgespielt, darunter zum Beispiel Geräuschkulissen von belebten Restaurants, Märkten und Bahnhöfen. In einer Versuchsvariante verstummten die Geräusche kurz und abrupt, zuerst über einen durchgehenden Zeitraum, dann über zwei kurz aufeinanderfolgende Sequenzen (Beispiel auf Youtube).

Die Unterbrechungen, ob eine oder zwei, dauerten insgesamt gleich lang. Doch den durchgehenden Moment der Stille empfanden die Versuchspersonen länger als die beiden kurzen Momente zusammen – ähnlich wie in der bekannten »One-is-more-illusion«: Hier scheint ein langer Piepton länger als zwei kurz aufeinander folgende, in der Summe aber gleich lange Pieptöne. In zwei weiteren abgewandelten Hörexperimenten kamen die Forscher zu ähnlichen Ergebnissen.

Die Wahrnehmungsverzerrungen, von denen man dachte, dass sie nur durch Geräusche ausgelöst werden, traten demnach auch bei Stille auf. Das werten die drei Forscher als Anzeichen dafür, dass Stille ebenfalls ein Hörereignis darstellt, genauer: dass sie vom auditiven System so verarbeitet wird wie ein akustisches Signal, und »dass wir tatsächlich auch die Abwesenheit von Geräuschen hören«.

Als Nächstes wollen sie prüfen, ob Stille auch dann »hörbar« ist, wenn ihr kein Ton direkt vorausgeht oder nachfolgt. Denn womöglich wird die Stille nur deshalb zu einem eigenen Hörereignis, weil sie die Geräusche unterbricht und so Objektcharakter bekommt – was bei der herkömmlichen »One-is-more-illusion« eine zentrale Rolle spielt. Der Beweis dafür, dass Stille an sich hörbar wäre, steht demnach noch aus.


Nota. - Was aber könnte das heißen: "dass Stille an sich hörbar wäre"? Wenn ich nichts höre - höre ich dann das Nichts? Nichts ist kein Ding, sondern kein Ding. Nichts schmecken, nichts sehen kann ich nicht. Ich schmecke mindestens meinen Mundraum, und wenn ich die Augen schließe, sehe ich eine mehr oder minder geordnete Farbfläche von Hellrot bist fast Schwarz, gelegentlich sogar einen grünen Fleck. Nichts sehe ich, wenn ich traumlos schlafe, denn dann sehe ich nicht. Garnichts hören kann ich auch kaum - im linken Ohr habe ich meist ein fast unmerkliches Wispern, aber gelegentlich auch das nicht. Oder höre ich dann ein ganz unmerkliches Wispern?
JE 

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