Donnerstag, 27. Juli 2023

Sesshafte Männer, wandernde Frauen.

aus Tagesspiegel.de, 26. 7. 2023                                                                                 zu Männlich zuöffentliche Angelegenheiten

Männer bleiben, Frauen werden flügge
Archäologen entdecken großen Stammbaum aus der Jungsteinzeit
Vor rund 6700 Jahren legten Menschen im heutigen Frankreich eine Art Friedhof an. Nun haben Forscher daraus Stammbäume erstellt, die viel über ihr damaliges Leben verraten.


von Valentin Frimmer, dpa

Aufwendig erstellte Stammbäume von zwei Familien aus der Jungsteinzeit geben Einblicke in die Lebenswelt der damaligen Menschen. So blieben die Söhne vor rund 6700 Jahren weitgehend Teil der Gemeinschaft und pflanzten sich mit zugezogenen Partnerinnen fort, wie ein deutsch-französisches Forscherteam im Fachblatt „Nature“ schreibt. Die Töchter hingegen verließen ihre Familien, um sich anderen frühbäuerlichen Gruppen anzuschließen.


Forscher unter der Leitung des Leipziger Max-Planck-Instituts (MPI) für evolutionäre Anthropologie und der Universität Bordeaux hatten sich menschliche Überreste aus dem Gräberfeld Gurgy „Les Noisats“ rund 140 Kilometer südöstlich von Paris genauer angeschaut. Auf dem Friedhof, den Fachleute auf zwischen 4850 und 4500 vor Christus datieren, liegen Skelettteile von insgesamt 128 Individuen.

Einen Großteil davon untersuchten die Wissenschaftler mit modernen Methoden, unter anderem analysierten sie das Erbgut von 94 Menschen. Damit lassen sich verwandtschaftliche Beziehungen feststellen. Zudem erhoben sie sogenannte Strontium-Isotopendaten. Diese lassen Rückschlüsse darüber zu, ob Individuen vor Ort oder woanders aufgewachsen sind. Außerdem ermittelten sie das Alter, das biologische Geschlecht und die Lage im Gräberfeld der dort bestatteten Personen.

Stammbäume über 64 Menschen und sieben Generationen

Die Forschenden erstellten mit Hilfe der Abstammungsdaten zwei weitgehend voneinander unabhängige Familienstammbäume: einen größeren, der 64 Menschen über sieben Generationen hinweg miteinander verbindet sowie einen kleineren, der die Verwandtschaftsverhältnisse von zwölf Individuen über fünf Generationen aufzeigt.

Bei den Stammbäumen fällt auf, dass die Generationen fast ausschließlich über die Väter verknüpft waren. Das deutet den Forschern zufolge darauf hin, dass der männliche Nachwuchs in der Gemeinschaft blieb und mit Partnerinnen von anderswo Kinder zeugte.

Erwachsene Töchter der Großfamilie sind hingegen zum großen Teil nicht im Gräberfeld bestattet. Sie verließen demnach als junge Frauen die Gemeinschaft, um sich anderswo fortzupflanzen – „sehr wahrscheinlich im gegenseitigen Austausch“, wie es in einer MPI-Mitteilung heißt. „Interessanterweise waren einige der eingeheirateten Frauen entfernt miteinander verwandt, was darauf hindeutet, dass Gurgy mit einigen wenigen benachbarten Gemeinschaften in solchen Austauschbündnissen stand.“

Monogame Lebensweise schon in der Steinzeit

Den Forschern fielen anhand der Erbgutanalysen weitere Details auf, die Einblicke in die damaligen sozialen Strukturen bieten. „Wir sehen eine große Anzahl an Vollgeschwistern, die allesamt das Reproduktionsalter erreicht hatten“, sagt Erstautorin Maïté Rivollat. Hinzu kommen als weitere Geschwister die Töchter, die anderswo bestattet worden waren, sowie als Kleinkinder gestorbene Individuen. Deshalb gehen die Forschenden von „ziemlich großen Familien und einer hohen Fortpflanzungsfähigkeit oder Fruchtbarkeitsrate“ aus, wie Rivollat betont. Das deute auf einen insgesamt sehr guten Ernährungs- und Gesundheitszustand der Gruppe hin, „was bemerkenswert für vorgeschichtliche Zeiten ist“.

Auffällig ist auch, dass es in den Stammbäumen keine Halbgeschwister gibt. Das Team um Rivollat sieht das als einen möglichen Hinweis auf eine monogame Lebensweise. Entweder war es untypisch, dass ein Mensch mit zwei verschiedenen Partnern Kinder bekam. Oder solcher Nachwuchs wurde anderswo begraben.

Bemerkenswert ist den Forschern zufolge auch, dass die Überreste jenes Mannes, der an der Spitze des größeren Stammbaumes steht, ursprünglich woanders begraben waren. Die Gebeine dieses Gründervaters wurden demnach vom vorherigen Siedlungs- oder Bestattungsort der Gruppe mitgebracht und im Grab einer Frau beigesetzt. Einzig bei ihm, so Studienleiter Wolfgang Haak, lag das Skelett nicht im anatomischen Verbund, stattdessen fand das Team lediglich die Langknochen – also von Armen und Beinen. Vermutlich seien sie in einem Bündel beigesetzt worden.

„Er muss als Ahne also von großer Bedeutung für die Gemeinschaft gewesen sein, um von seinen Verwandten nach Gurgy umgebettet zu werden“, erklärt Ko-Autorin Marie-France Deguilloux.


Nota. - Ein sogenanntes Matriarchat hat es nie gegeben. Doch dass das Zusammenleben in der menschlichen Frühzeit lange matrilinear geprägt war, ist kaum zu bezweifeln: Wer von welcher Mutter geboren wurde, ist unstrittig, aber wer von welchem Mann gezeugt wurde, steht in den Sternen. Mindestens die Verwandtschaftsbeziehungen, die ursprünglich die ersten gesellschaftlichen Bindungen waren, werden durch die Abstammung von der Mutter bestimmt gewesen sein. Innerhalb der wandernden Gemeinschaften wird man die wenigen vererbbaren Gebrauchsgegenstände matrilinear überliefert haben.

Man kann sich kaum vorstellen, dass, nämlich warum mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit ein plötzlicher Wandel einhergegangen wäre. Mit dem Übergang zur Landwirtschaft könnte sich das langsam geändert haben. Jahrhundertelang wurde zunächst wildes Getreide gesam-melt - und das Wildbret wie immer gejagt. Mit dem Übergang zum Ackerbau wurde männ-liche Muskelkraft erforderlich, und männliche Wehrbereitschaft. Es liegt nahe, dass der be-arbeitete Boden nach und nach in männlicher Linie vererbt wurde. Und dass die Söhne blieben, während die Töchter weiterzogen. Voraussetzung war die Einehe.
JE

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