Mittwoch, 3. Mai 2023

"Von Natur aus anders."


aus nzz.ch, 2. 5. 2023          Buben lassen die Barbie eher links liegen oder benutzen sie manchmal wie eine Pistole.,,,          zu Männlich

«Ist das Geschlecht ein soziales Konstrukt?» – «Wer das behauptet, muss sich fragen, was er unter ‹Forschung› versteht»
Die Psychologin Doris Bischof-Köhler hat sich ihr Leben lang mit den Unter-schieden zwischen Frauen und Männern beschäftigt. Sie kritisiert die heutige Genderdebatte: Diese verleugne die Biologie, und Gegenstimmen würden mundtot gemacht.


Interview von Birgit Schmid

Sie haben sich als Genderforscherin einen Namen gemacht, soeben ist Ihr Standardwerk «Von Natur aus anders» über die Psychologie der Geschlechtsunterschiede in fünfter Auflage erschienen. Wie viele Geschlechter gibt es?

Die Antwort darauf ist alles andere als einfach. Man sollte die Zahl der Geschlechter jedoch bei zwei belassen. Das entspricht dem genetisch angelegten Bauplan aller vielzelligen Organismen, und der Mensch macht da keine Ausnahme. Aber selbstverständlich gibt es, wie überall in der Natur, bei der Realisierung dieses Bauplans Abweichungen, die die Evolution begleiten, ohne eine besondere Funktion zu haben, ja die biologisch sogar dysfunktional sein können, da sie nicht zur Fortpflanzung führen. Dieser Umstand birgt ein Diskriminierungspotenzial, das nicht aus der Welt zu schaffen ist, schon gar nicht durch ein gutgemeintes oder auch militant verordnetes Narrativ von einer Vielzahl der Geschlechter.

Nonbinäre und Transmenschen dürften diese Sicht tatsächlich als ausgrenzend empfinden.

Es ist die moralische Pflicht der Gesellschaft, hier gegenzusteuern. Aber das sollte in einer Haltung geschehen, die sich nicht anmasst, die Naturordnung neu zu erfinden.

Ihre Haltung gilt heute als reduktionistisch. Universitäten könnten sich scheuen, Sie bei ihnen referieren zu lassen. Erlebten Sie je Einschüchterungsversuche?

«Reduktionismus» ist ein Totschlagargument. Ich warte bis heute, dass mir jemand erklärt, was das eigentlich heisst und warum es falsch ist. Was Anfeindungen anbelangt – im Zuge meiner Vorlesungs- und Vortragstätigkeit habe ich sie natürlich oft zu spüren bekommen. Neben ebenso entschiedener Zustimmung. Ausgeladen wurde ich noch nie. Die Tatsache, dass Universitäten heute vor so etwas nicht mehr zurückschrecken, bestätigt meine immer schon gehegten Zweifel am kulturellen Fortschritt. Aber deshalb vor offenkundiger Ideologie zu kapitulieren und nicht mehr zu sagen, was ich nach hinreichend sorgfältiger Prüfung für wahr halte, kann ja wohl auch nicht die Lösung sein.

Um Diskriminierung zu bekämpfen, postuliert die akademische Genderforschung, dass Geschlechtsunterschiede nicht angeboren, sondern ein Resultat der Sozialisation seien. Was denken Sie, wenn Sie hören, Geschlecht sei ein soziales Konstrukt?

Wer ein solches Postulat aufstellt, muss sich fragen, was er unter «Forschung» versteht. Er hält es nicht für nötig, auch nur darüber nachzudenken, warum die wichtigsten Geschlechtsunterschiede, die angeblich die Gesellschaft erfunden hat, auch im Tierreich so weit verbreitet sind. Vielleicht wären Gleichberechtigung und Gleichbewertung einfacher zu erreichen, wenn man alle Unterschiede aus der Welt schaffen könnte. Aber nicht einmal das ist sicher. Jedenfalls ist der guten Sache kein Dienst erwiesen, wenn man sich in die eigene Tasche lügt. Ich verstehe bis heute nicht, wie man meinen kann, Wunschdenken würde wahr, wenn man es nur lautstark verkündet und alle Gegenstimmen mundtot macht.

Kürzlich war ich mit einem 18-monatigen Jungen unterwegs – von den Baggern auf einer Baustelle war er kaum wegzubringen. Seine Eltern lassen ihn auch mit Puppen spielen, was er aber nie so hingebungsvoll tut. Sind es bloß äußere Einflüsse, die bereits das Interesse von Kleinkindern so lenken?

Das Baggerbeispiel hat mich schon vor Jahren beschäftigt, als ein Reporter in einem Interview mir das Gleiche von seinem kleinen Neffen berichtete. Wir haben uns darauf geeinigt, dass da wohl wirklich Veranlagung eine Rolle spielt, was dann zu einigen unqualifizierten Kommentaren von Kolleginnen führte: ob ich denn meinte, es gebe ein Gen für die Vorliebe für Bagger. Ich weiss nicht, ob sie es wirklich nicht verstanden haben oder nur auf eine billige Pointe aus waren; womit man jedenfalls durchaus zu rechnen hat, ist eine genetisch angelegte Faszination durch einen bestimmten Typ von funktionalen Bewegungsabläufen.

Können Sie das erläutern?

Wenn man Buben und Mädchen bittet, einen Ball zu beschreiben, dann sagen die Mädchen eher, er sei rund, und die Buben, man könne damit werfen. Der Unterschied hat sich wahrscheinlich in Anpassung an die frühmenschliche Arbeitsteilung herausgebildet, aber da kann man nur spekulieren. Ein schönes Beispiel hat mir ein Mitarbeiter berichtet: Das Elternpaar, nicht verheiratet, aufgeschlossen für geschlechtsneutrale Erziehung, schenkte dem Sohn auch eine Puppe. Dieser nahm sie mit in die Badewanne und benutzte sie als Spritzpistole – sie hatte eine Öffnung im Rücken. Einzelne Anekdoten dieser Art beweisen natürlich nichts; empirische Forschung knüpft ein dichtes Netz aus vielen ineinandergreifenden Argumenten, die sich auf ganz unterschiedliche Datenbasis stützen. Sie kommen nicht von heute auf morgen zustande und lassen sich daher auch nicht auf so bequeme Weise erledigen.

In einem skandinavischen Kindergarten sollten die Kinder geschlechtsneutral erzogen werden bis hin zur Vermeidung der Personalpronomen «sie» und «er». Kann das funktionieren?

Das ist ein guter Beitrag zum Thema «Menschenversuche», bei denen Sozialpädagogen offenbar viel unverfrorener vorgehen als Biologen. Ist ein so massiver Eingriff zu rechtfertigen? Und was wäre im Erfolgsfall damit bewiesen? Der springende Punkt ist aber: Was genau geschehen ist, welchen Erfolg es hatte, welche Spätfolgen eingetreten sind – das alles wurde nie untersucht. Der Kindergarten hat die Erlaubnis zu einer Kontrolle verweigert.

Gab es nicht schon in der Vergangenheit solche Versuche?

Sicher gab es die. Denken Sie an die sogenannten Kinderläden. Das waren Einrichtungen in leerstehenden Tante-Emma-Läden, die im Zusammenhang mit der 1968er Bewegung entstanden sind. Deren Intention war allerdings eine andere, es gab dort eben gerade keinen Drill, auch keinen «sanften Zwang». Die Kinder sollten einfach frei von Rollenstereotypen aufwachsen. Davon erhoffte man sich, dass eine konfliktfreiere Problemlösung gefördert würde sowie dass Geschlechtsunterschiede vor allem in der Aggressivität zum Verschwinden gebracht würden. Es gibt gut dokumentierte Untersuchungen, die die dortige antiautoritäre Erziehung mit der in traditionellen Kindergärten verglichen.

Und was kam dabei heraus?

Zum Entsetzen der Untersucher trat genau das Gegenteil dessen ein, was man erwartet hatte: In den Kinderläden blieben die Jungen wild und ungebärdig und übertrafen in dieser Hinsicht sogar die Jungen aus den traditionellen Kindergärten, während die kleineren Mädchen mehr dazu neigten, sich zurückzuziehen, als ihre traditionell erzogenen Altersgenossinnen. Erst die etwas älteren hatten gelernt, sich zur Wehr zu setzen. Es handelte sich um eine ziemlich grosse Stichprobe, nahezu alle Kinderläden waren dabei. Deshalb liess sich das Ergebnis auch nicht einfach beiseiteschieben. Die Sozialisation kann nicht alles bewirken, wenn man die anlagebedingten Vorbedingungen nicht bedenkt.

Noch immer wählen Frauen viel seltener technische Berufe wie Ingenieur, während Männer sich weniger für Care-Arbeit interessieren. Biologie oder kulturell bedingte Vorlieben?

Natürlich spielt beides eine Rolle. Allerdings ist die Diskrepanz nicht so gross. Frauen haben wohl wirklich seltener eine besondere Vorliebe für technische Berufe. Wählen sie einen solchen aus, dann durchaus auch deshalb, weil sie sich ein gutes Einkommen oder Prestige versprechen. Bei den Männern wiederum sollte man ein hormonal fundiertes fürsorgliches Potenzial nicht unterschätzen. Sobald sie Vater werden, steigen bei ihnen das weibliche Hormon Progesteron und das sogenannte Bindungshormon Oxytocin an, und Testosteron fällt ab.

Geschlecht scheint heute eine subjektive Entscheidung. Egal, welches Geschlecht einem bei Geburt zugewiesen wurde: Jeder soll als Frau oder Mann leben können, wenn er das will. Wo liegt das Problem?

Die Bundesregierung hat gerade das Transsexuellengesetz mit allen seinen Hindernissen abgeschafft und durch das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Jeder Mensch, der mit seinem Geschlecht unzufrieden ist, kann von nun an ohne medizinischen Nachweis frei entscheiden, welches Geschlecht er annehmen will. Es genügt ein Gang aufs Einwohnermeldeamt. Einen kleinen Haken hat das Ganze allerdings, der Feministinnen auf den Plan ruft. Wie kann man verhindern, dass ein Mann sich mit seiner ganzen toxischen Männlichkeit in strikt abgegrenzte weibliche Zirkel einschleicht, indem er angibt, er sei eine Frau. Als Aussenstehender wartet man gespannt auf die weitere Entwicklung.

Warum ist es gut, dass Frauen und Männer «von Natur aus anders» sind?


Es kommt nicht darauf an, ob man das gut findet oder nicht. Es ist eine Tatsachenfrage, die nur empirisch zu beantworten ist und sich im Übrigen auch gar nicht für eine Wertung anbietet. Entscheidend ist etwas anderes.

Nämlich?


Üblicherweise besteht die Ansicht, man müsse Männer und Frauen gleich machen, weil dies der einzige Weg sei, Gendergerechtigkeit zu erreichen, und das werde verhindert, wenn ihre Verschiedenheit natürlich bedingt sei. Hier liegt ganz ohne Zweifel ein Fehlschluss vor. Es ist richtig: Wenn die bestehenden Unterschiede nur gesellschaftliche Ursachen hätten, dann müsste man die Lehrpläne, die Normen und die Sprache und was weiss ich sonst noch eben ändern. Einige Volkspädagogen sind da ja recht experimentierfreudig, indem sie den Kindern die Verwendung von Personalpronomina abgewöhnen wollen

Und wenn es eben doch natürliche Unterschiede gibt?

Dann werden alle Anstrengungen nichts nützen. Man schafft Probleme nicht aus der Welt, indem man sie für nichtexistent erklärt. Wenn Gendergerechtigkeit einkehren soll, wird man Lösungen finden müssen, die auf Gleichmacherei verzichten. Ich leugne nicht, dass das schwierig ist. Aber wir haben keine andere Wahl. Es müssen sich doch Strukturen finden lassen, die es beiden Geschlechtern ermöglichen, gemeinsam ein sinnvolles und befriedigendes Leben zu führen, auch wenn sie von Natur aus anders sind. Gegenseitige Achtung sollte trotz Anderssein keine Utopie sein. Das ist es jedenfalls, was man sich für das Zusammenleben von Frauen und Männern wünscht.

Die deutsche Psychologin Doris Bischof-Köhler (87) forschte und unterrichtete an den Universitäten Zürich und München. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören die frühe Entwicklung im Kindesalter und Geschlechterunterschiede. Sie schrieb zahlreiche Bücher, darunter das Standardwerk «Von Natur aus anders», das 2022 in überarbeiteter Version in fünfter Auflage erschienen ist (Kohlhammer-Verlag). 2003 wurde sie mit dem Deutschen Psychologie-Preis ausgezeichnet. Mit ihrem Mann, dem Psychologen Norbert Bischof, hat sie drei Töchter. – Das Interview wurde schriftlich geführt.

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