Donnerstag, 18. Mai 2023

Vätertag.


ausTagesspiegel.de, 18. 5. 2023                                                                                                                       zu Männlich

Psychologin über neue Väterrollen
„Männer wollen heute nicht mehr nur für die finanzielle Absicherung sorgen“
Warum handeln Papas, wie sie handeln? Was würde ihnen und ihren Kindern guttun? Und was haben die Evolution und Gorillas damit zu tun? Ein Interview mit der Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert.


Von Fabian Soethof

Frau Ahnert, Ihr Buch über Väter trägt den Untertitel „Wie ihr Denken, Fühlen und Handeln unsere Kinder von Anfang an prägen“. Fehlt der Zusatz „Im Guten wie im Schlechten“, oder?


Mit dieser Väterforschung wollten wir die Väter nicht darstellen, wie sie sein sollen, sondern wie sie sind. Und ja, im Guten wie im Schlechten. Das Denken und Fühlen von Vätern fiel über lange Zeit aus den psychologischen Abhandlungen heraus.  

Rührte Ihre Motivation für das Buch daher?

In der vergangen wie auch meiner eigenen Familienforschung lag der Fokus immer auf den Frauen und Müttern. Mutterschaft ist seit 100 Jahren ein riesiges Thema. Dass Väter trotz „Vater-Mutter-Kind“-Erzählungen nie dazugehörten, hat mich neugierig gemacht. Ich bin froh über den neuen Zeitgeist und die Motivation von jungen Männern, die sich mit der Vaterschaft ernsthaft auseinandersetzen.

Sie wollen ihre Vaterrolle anders handhaben, als sie es aus ihrer eigenen Kindheit kannten – mit Vätern, die zwar klare Positionen bezogen, wie das Familienleben gestaltet werden soll und welche Rolle die Kinder dabei spielen durften, die es jedoch den Müttern überließen, diese Vorstellungen umzusetzen

Gibt es diese neuen Väter wirklich? Oder ist nur die Wahrnehmung eine andere?

Der grundsätzliche Wunsch, ein guter Vater zu sein, ist inhärent. Evolutionspsychologisch kam irgendwann in der Menschheitsgeschichte der Punkt, an dem es Männern nicht mehr nur um die Zeugung und Verbreitung ihrer Gene ging, sondern auch um das Investment danach – die eigentliche Vaterschaft. Wie bringe ich mich neben der Mutter in die Nachwuchsbetreuung ein? Habe ich dort überhaupt eine Rolle? Wie sieht die aus?

Antworten auf diese Fragen befinden sich heute ganz massiv im Wandel. Die herkömmliche Geschlechterordnung ist durch den Feminismus und die Emanzipation, die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft ins Wanken geraten. Nichts läuft mehr in so festen Bahnen wie in den Generationen davor. Die traditionellen Muster zerbröckeln, bei denen es Männern um den sozialen Status und die finanzielle Absicherung der Familie ging und die im Wesentlichen ihre Ernährerrolle betrafen: Welcher junge Mann steigt heute noch in eine Firma ein und bleibt dort bis zu seiner Rente? 

Wo steht oder taumelt es jetzt?

Es scheint so, als ob die Vaterschaft traditionell eine fakultative, die Mutterschaft dagegen eine obligatorische Funktion hat. Sprich: Mutterschaft kann man nicht einfach abwählen. Vaterschaft dagegen kann man sehr flexibel gestalten, sich unter Umständen auch einfach aus dem Staub machen.

Wenn eine Frau sagen würde, dass der Mann das Kind alleine großziehen solle, weil sie sich das alles anders vorgestellt habe und ihr Leben anders einrichten möchte, gilt das auch in unserer modernen Zeit als sehr starker Tobak. Andererseits gibt es heute eine Menge alleinerziehender Väter. Und die Tendenz ist steigend, auch wenn der Kinderwunsch ursprünglich mit der passenden Partnerin verbunden war. 

Da kommen Sozialisation und Rollenbilder ins Spiel. Die Anforderungen an Väter sind sehr viel geringer als an Mütter. Und: Rund 40 Prozent aller Väter, die mittlerweile Elternzeit wahrnehmen, stehen noch immer rund 60 Prozent gegenüber, die dies nicht mal mit einem Mindestmaß tun. Sind wir in Wahrheit weit entfernt von einem wirklichen Wandel?

Die Zielgröße für das moderne Vaterbild wage ich nicht zu definieren. Wir gehen in eine Zeit, in der sich große Fragen stellen, die mit der Globalisierung, der Migration und dem Klimawandel verbunden sind. Zumindest wollen Männer heute nicht mehr nur für die finanzielle Absicherung sorgen – und könnten das oft auch gar nicht mehr allein schaffen.

Sie sind in ein Dilemma gerutscht, das nur partnerschaftlich zu klären ist, nämlich mit der zentralen Frage, wie die Vaterschaft in einer Familie gelebt werden kann. Das Hegemoniale im Vaterbild gehört der Vergangenheit an. Aber wie und unter welchen Umständen wollen sich Väter wirklich einbringen? Viele denken: Wenn das Kind richtig spricht und läuft und ich was mit ihm anfangen kann, dann bringe ich mich ein! Dann ist es aber oft zu spät.

Sie müssten ein Fan vom neuen Familienstartzeitgesetz sein, der geplanten Einführung einer zweiwöchigen bezahlten Auszeit für den Partner nach der Geburt eines Kindes. Das einerseits nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, andererseits bei vielen Vätern einen Schalter umlegen kann.

Jede gesellschafts- und familienpolitische Maßnahme, die den Männern die Tür zu einem direkten Engagement in ihren Familien öffnet, ist zu begrüßen. Aber viele stecken damit auch in einer Zwickmühle. Eine der aktuellen Väterstudien fand heraus, dass es unter Männern mit Leitungsverantwortung so läuft: Je größer die Abteilung, desto weniger nehmen sie Elternzeit.

 e. o. plauen
Heutige Väter lassen sich nicht mehr nur auf die Ernährerrolle reduzieren.

Was Quatsch ist: Je größer die Abteilung, desto leichter kann man vertreten werden.

Häufig bekommen Männer Angst, auf der Karriereleiter abgestraft zu werden, wenn sie ausgiebiger Elternzeit nehmen, als der Unternehmer sich das vorstellt.

Das ist genau das, was Frauen seit Jahrzehnten betrifft. Da müsste ich als Mann doch sagen: Na gut, es ist auch mein Kind. Warum muss meine Frau einen Karriereknick hinnehmen? Gleichzeitig zitieren Sie Untersuchungen, die besagen, dass Mütter teilweise zufriedener sind, wenn der Vater länger arbeitet. Steile Frage: Wollen Eltern überhaupt mehr Gleichberechtigung?

Es gibt selbstverständlich verschiedene Perspektiven innerhalb einer gemeinsamen Elternschaft. Und es gibt Frauen, die leidenschaftlich gerne auch erst mal Mutter sein wollen … 

... aber Väter wollen ja vielleicht auch Väter sein?

Aber ja. Manche Mütter können es jedoch ihren Partnern wirklich schwer machen, ihre Vaterrolle zu entwickeln. In unseren Forschungsstudien stellen wir fest, dass Mütter sich enger mit der Entwicklung des Kindes verbunden fühlen und ihre Mutterschaft dadurch motiviert ist. Dies gilt nicht im gleichen Maße für den Vater. Wir können in dem komplexen Geschehen der Kinderbetreuung nicht den gleichen Maßstab an den Mann wie an die Frau legen.

Sie führen das Beispiel von Gorillamännchen an, unter denen das größte und stärkste die meisten Nachfahren zeugt, während unter Menschen Männer und Frauen vergleichsweise gleich groß sind. Soll das etwa heißen, dass die menschliche Spezies schon vergleichsweise gleichberechtigt lebt? Dass wir alle jemanden abkriegen und nicht nur ein Alpha-Männchen alle Frauen? Oder dass Monogamie das einzig Natürliche ist? Später schreiben Sie, dass Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften früher egalitärer lebten, sich aber auch dort die Versorgerrolle durchgesetzt hat. Können sich konservative Männer auf der Evolution ausruhen und sagen: Guck mal, es hat Gründe, dass ich die Kohle nach Hause bringe?

Tolle These! Bestimmte Verhaltensweisen und Verhaltensprioritäten sind im Verlauf der Menschheitsgeschichte für nutzbringend erkannt und weitergegeben worden. So gibt die Evolutionsbiologie tatsächlich Hinweise auf die Entwicklung von Partnerschaft und Paarbeziehung – und auf die Ernährerrolle des Vaters, wie sie auch noch heute im Vaterbild von jungen Männern verankert ist. Das heißt aber keinesfalls, dass sich die Väter von heute auf diese Rolle reduzieren lassen. 

Der Testosteronspiegel sinkt bei Vätern. Vielleicht ist der Weg hin zu mehr Betreuungseinsatz ja doch ein biologischer!

Grundsätzlich ändern sich die sexuellen Orientierungen und Ansprüche bei denen, die in einer glücklichen Partnerschaft sind und ein Kind haben. In meinem Buch stelle ich auch Forschungsergebnisse zum Vaterglück vor, und wie bei diesen Vätern die Lebenszufriedenheit steigt. Testosteron wird als das wichtigste Hormon des Mannes in Situationen heruntergeregelt, in denen es um Nähe und Zärtlichkeit geht, zum Beispiel beim Kuscheln mit dem Kind und mit der Partnerin. Der Spiegel steigt dagegen sofort wieder an, wenn Durchsetzungsstärke gebraucht wird.

Mit den Argumenten von Biologie und Evolution im Hinterkopf könnte es mit der Gleichberechtigung noch ein paar Tausend Jahre dauern …

Kommt darauf an, was man darunter versteht. Gleichberechtigung bedeutet ja nicht Gleichmacherei. Jeder und jede soll nach seinen Bedürfnissen und Wünschen sein Leben gestalten können. Da würde ich mir auch als Frau von einem Mann nichts vorschreiben lassen. Aber auch nichts von einer Frau, die glaubt, den optimalen Lebensentwurf gefunden zu haben.  

Sie spielen an auf das sogenannte Maternal Gatekeeping, wenn also Mütter bestimmte Felder nicht abgeben wollen. Das mag vorkommen, wird aber doch oft als Ausrede von Vätern benutzt, die sich nicht kümmern wollen: Ich würde ja, wenn sie mich lassen würde!

Die Tendenz von Müttern, die Kinderbetreuung möglichst nicht aus der Hand zu geben und von bestimmten Erziehungsvorstellungen auch nicht abrücken zu wollen, ist tatsächlich davon abhängig, wie die gemeinsame Elternschaft gelebt wird.

In einer Partnerschaft auf Augenhöhe können sich die Frauen Gatekeeping gar nicht leisten, und Väter haben auch keine Ausreden. Beide müssen sich darauf verlassen, dass neben ihrem sonstigen Engagement im Beruf das Familienleben und Kinderbetreuung mit ihren Partnern Hand in Hand gehen, müssen auch Abstriche machen, wenn die eigenen Vorstellungen von denen des Partners abweichen.

Kennen Sie solche Gefälle aus eigener Erfahrung?

Tatsächlich bin in meiner eigenen Familie schon einige Male in Schockstarre geraten, wenn ich etwa von einer Konferenz anrief und die Kinder fragte, wie es ihnen gehe. „Super!“, riefen sie, „zum Frühstück waren wir bei McDonald’s und jetzt hat Papa eine Pizza bestellt!“ Da ist die Kompromissbereitschaft schon sehr gefordert.

Mama kann ja auch mal Pizza bestellen, und dann könnte sich der Papa ärgern. Aber apropos: Ist denn das klassische Mama-Papa-Paar-Modell das „beste“?

Etwa zwei Drittel der Männer in Deutschland, Österreich und der Schweiz leben in den klassischen Familien: Vater, Mutter, Kind. Daneben gibt es die ganze andere Bandbreite von Vätern in Stief- und Patchworkfamilien und in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. In all diesen Konstellationen können Kinder sehr gut groß werden. Es hat keinen Sinn, in einer klassischen Familie zu leben, die zerstritten und konfliktreich ist. Dort wird ein Kind natürlich schlechter groß als wenn es Harmonie, Zuwendung, Bestätigung und Ermutigung erfährt. 

Es besteht die begründete Befürchtung, dass Ihr Buch vorrangig von Frauen gelesen werden wird. Wie erreichen wir als Gesellschaft Väter mit den Themen, die gerade sie angehen sollten?

Das ist auch die Crux in unserer Forschung. Wir sind darauf angewiesen, dass Väter aktiv dieses Thema selbst ergründen wollen. Man kann niemanden irgendwas aufdrängen. Ich denke, das liegt immer noch daran, dass Väter oft entmutigt werden müssen, ein aktiverer Part zu sein.

Entmutigen hieße doch, dass sie zuvor bereits ermutigt waren, bis irgendwas sie bremste?

Wenn ein eigenes Kind auf der Welt ist, stehen Männer einer aktiven Vaterschaft in der Regel auch aufgeschlossen gegenüber. Leider hören sie jedoch noch allzu oft aus ihrer eigenen Herkunftsfamilie, dass sie sich besser um die Karriere als ums Kind kümmern sollten. Oder sie hören von Freunden: Jetzt geht der wieder mit dem Kinderwagen durch die Gegend, wir wollten uns doch treffen!“ Das Umfeld spielt eine große Rolle dabei, was für ein Vater man wird.

Dabei erscheint es so einfach, ein guter Vater zu sein, wenn man den Kapiteln Ihres Buchs glaubt: Ich soll mit meinen Kindern sprechen, spielen und eine Bindung aufbauen, zack, fertig. Ist es so leicht?

Mein Anliegen ist es aufzuzeigen, dass Väter, auch wenn sie völlig unbedarft an die Betreuung ihrer Kinder herangehen, sehr wichtig für die Entwicklung sind: Dein Kind redet Kauderwelsch? Na und, rede halt mit! Frage nach, steig in den Dialog ein! Das bringt dein Kind zum Sprechen und kurbelt seine Mitteilungsfreude an. Spiele mit ihm, auch so wild, dass seine Mutter wahrscheinlich sagen würde: Um Himmels willen, geht denn das gut? Aber genau das ist es, was Körper, Gefühl und Entwicklung forciert, wo starke Emotionen erlebt werden und reguliert werden müssen.

Und wenn ich alles befolge und auf dem Weg bin, irgendwann ein guter Vater oder zumindest kein allzu schlechter zu werden: Bin ich dann auch auf dem Weg, ein guter Partner zu werden?


Direkte Daten liegen uns dazu noch nicht vor. Aber vereinzelte Forschungsergebnisse lassen jetzt schon den Schluss zu, dass die hervorragenden Beziehungen, die Väter zu ihren Kindern haben, mit harmonischen Partnerschaften zusammenhängen. Klar ist: Wenn ein Mann sich für sein Kind engagiert und ein guter Vater ist, strahlt dies auf die gesamte Familie aus. Ein glückliches Familienleben ist Teil der Partnerschaftsqualität, und das kann von Vätern ganz kraftvoll ausgehen.



Lieselotte Ahners Buch heißt „Auf die Väter kommt es an“ (Ullstein, 288 Seiten, 22.99 Euro). Lieselotte Ahnert ist seit ihrer Emeritierung Gastprofessorin an der Freien Universität Berlin im Arbeitsbereich Entwicklungswissenschaft und Angewandte Entwicklungspsychologie. 2013 gründete sie, damals noch als Professorin an der Uni Wien, Wien mit Kolleg:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit CENOF einen Forschungsverbund zum Thema Vaterschaft. In ihrem neuen Buch „Auf die Väter kommt es an“ versammelt sie bisherige Erkenntnisse.


Nota. - Ganz trivial, hätt' ich mir alles selber denken können - ? 


Ich bin vom Temperament her ja kein Versöhnler, aber manchmal ermahne ich mich: Vor gut einem halben Jahrhundert mussten emanzipierte Frauen noch manche Plattitüde vorbringen, wenn sie auf vorsintflutliche Sturheit stießen. Inzwischen ist es umgekehrt, da muss man als Mann schonmal etwas elementarer argumentieren, um noch durchzudringen. Deshalb veröffentliche ich dieses Interview in meinem Blog.

JE


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