Montag, 29. Mai 2023

Stärken ausbauen statt Schwächen ausbügeln.


aus derStandard.at, 26. 5. 2023                                 Wie fördern wir Talente? Nicht, indem beim Lernen der Schwerpunkt auf die Schwächen von Schülerinnen und Schülern gelegt wird.                                                                       zu Levana  zu öffentliche Angelegenheiten

Starten wir eine Schulrevolution – mit Unterricht nach dem Leader-ship-Prinzip!
Jedes Kind hat 
Stärken und ein Recht darauf, diese zu entwickeln. Im Schul-betrieb wenden wir uns oft nur seinen Schwächen zu. Das ist absurd.

Kommentar der anderen: von Manfred Hückel

Das Grundprinzip, die Stärken von Menschen zu stärken, anstatt auf ihren Schwächen herumzureiten, hat bei erfolgreichen Wirtschaftsbetrieben einen unaufhaltsamen Siegeszug angetreten. 90 Prozent der "Fortune 500 Companies" verwenden das Instrument eines "Strengths Finder"-Tests, und auch das global erfolgreiche österreichische Unternehmen Red Bull setzt das Prinzip seit vielen Jahren konsequent um. Dazu gehört nicht nur, die individuellen Stärken herauszufinden, sondern auch, die Mitarbeitenden gemäß ihren Stärken einzusetzen und sogar ihre Fortbildung darauf zu konzentrieren.

Leistungsbeweise dieses Prinzips finden sich im Spitzensport. Ein Paradebeispiel ist ein American-Football-Team, in dem die einzelnen Spieler fast ausschließlich den Bereich trainieren, in dem ihre Stärken liegen. Würde beispielsweise der Kicker anstelle der Fähigkeit, den Ball weit und präzise kicken zu können, überwiegend an seiner Schwäche arbeiten, einen körperlich überlegenen gegnerischen Spieler zu Fall zu bringen, würde dies das gesamte Team schwächen.

Alles Richtung Mittelmaß?

Unsere Gesellschaft ist auch ein Team, das davon profitiert, dass wir unsere individuellen Stärken entdecken und zum Einsatz bringen. Aber ist dieses Prinzip auch in unserem Schulsystem angekommen? Ich habe diese Frage mehr als eintausend Studierenden meiner Uni-Lehrveranstaltungen gestellt. Mehr als 90 Prozent von ihnen haben auf diese Frage mit "Nein" geantwortet. Stattdessen haben sie gnadenlose Schwächenorientierung erlebt. Sobald ein Defizit, zum Beispiel in Mathematik, herausgefunden wird, liegt der Fokus darauf, diese Schwäche Richtung Mittelmaß zu verbessern. Dafür bleibt keine Zeit für die Förderung von individuellen Stärken, womit sich diese ebenfalls Richtung Mittelmaß nach unten nivellieren. In Österreich werden deshalb jährlich mehr als 100 Millionen Euro für Nachhilfe ausgegeben – etwa die Hälfte für Mathematik. Ich halte dies für den größten grundsätzlichen Fehler unseres Schulsystems.


Denn viel besser wäre diese zusätzliche Förderung eingesetzt, wenn sie sich zum überwiegenden Teil auf die Stärkung von Stärken konzentrieren würde. Ich empfehle Eltern, die mit einer Mathematikschwäche ihrer Kinder konfrontiert sind, Zusatzförderungen zu 80 Prozent auf die Gegenstände und außerschulischen Aktivitäten zu konzentrieren, für die das Kind Talent und Begeisterung hat – und nur zu 20 Prozent auf Mathematik.

Überlegenswert ist außerdem der Wechsel in ein System, in dem die Kinder zwischen zwei Levels auswählen können, wie das weltweit anerkannte International Baccalaureate (IB). Nur für technische Studien ist der höchste Mathematiklevel erforderlich, für Studienzweige wie zum Beispiel Wirtschaft genügt ein weniger schwieriger "Standard Level". Wenn etwas gefördert wird, wofür man eine Stärke besitzt, dann kann dies den vielfachen Effekt einer auf das Ausbügeln von Schwächen gerichteten Zusatzhilfe haben. Und es macht viel mehr Spaß!


"Uns fällt automatisch das Negative auf, während es einige
Anstrengung benötigt, um das Positive zu suchen."

Die allgegenwärtige Schwächenfokussierung in Gesellschaft und Schulsystem ist auch einer reflexartigen Reaktion unseres Gehirns geschuldet. Uns fällt automatisch das Negative auf, während es einige Anstrengung benötigt, um das Positive zu suchen. Wir wissen auch, dass sich negative Nachrichten im Internet um ein Vielfaches schneller ausbreiten als positive. Es bedarf also einer ausgesprochenen Energieleistung und einiges an Durchhaltevermögen, wenn man sich dazu diszipliniert, das Positive, die Stärken von Menschen in den Vordergrund zu rücken. Aber diesen Einsatz ist es wert!

Nur die wenigsten Schulkinder haben das Glück, in ihrer Schulzeit einem Mentor zu begegnen, der in ihnen ein Talent entdeckt und fördert. Von diesem erzählen sie später mit leuchtenden Augen und sagen oftmals, ohne sie hätten sie es nicht an die Uni geschafft. Denn durch das Entdecken ihrer eigenen Stärken hatten sie Erfolgserlebnisse an der Schule, gewannen an Selbstvertrauen, gingen lieber in den Unterricht, und dadurch verbesserten sich auch die Leistungen in den übrigen Gegenständen. Nur vereinzelt gibt es Schulen, die sich diesem Prinzip verschreiben.

Aber was können wir tun, damit viel mehr Kinder Zugang zu "Leuchttürmen der Bildung" bekommen, in denen Kinder ihre Stärken entwickeln und eine lebenslange Liebe zum Lernen entdecken können? Eine dringend notwendige, zukunftstaugliche Schulreform ist nicht in Sicht, obwohl zwei Drittel der jungen Erwachsenen mit unserem Schulsystem unzufrieden sind. Zu stark sind die beharrenden Kräfte im Bildungssystem, sodass von begrüßenswerten Initiativen wie mehr Schulautonomie, Förderung digitaler Grundbildung oder mehr Lehrpersonal bisher kaum etwas bei den Schulkindern ankommt.

Wie viel inspirierender wäre ein Aufruf, sich als junger Mensch für den vielleicht wichtigsten Job des Landes zu entscheiden, wenn er gleichzeitig eine gemeinsame Vision beinhaltete, welche Freiräume für leidenschaftliches und zukunftstaugliches Unterrichten an Schulen geschaffen werden! Die letzte tiefgreifende Schulreform, die sich tatsächlich mit einem neuen Zeitalter auseinandergesetzt hat, haben wir wohl Maria Theresia zu verdanken.

Mehr Lob


Aber es gibt etwas, das wir als Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen ändern können – und zwar in dem Umfeld, in dem wir selbst direkten Einfluss nehmen können. Bekennen wir uns zum – im Schulsystem revolutionären – Prinzip des Stärkenstärkens, auch wenn man dafür viel Anstrengung und Durchhaltevermögen benötigt! Suchen wir bewusst nach den Stärken der Kinder, die uns am Herzen liegen. Und dann sagen wir sie ihnen! Nicht jeden Tag, nicht bei jeder Kleinigkeit, aber öfter als beim Elternsprechtag darf es schon sein. Und wenn wir dazu bereit sind, dann sind wir Trägerinnen und Träger einer sanften Schulrevolution. 
 

Das Bildungssystem sollte sich das moderne Leadership-Prinzip zum Vorbild nehmen, findet Buchautor Manfred Hückel, der früher im Management bei Red Bull arbeitete und heute ehrenamtlich die St. Gilgen International School managt. In seinem Gastkommentar erklärt er, was sich ändern müsste.


Nota. - "Das ist ja alles gesunder Menschenverstand! Dem wird ja keiner widersprechen, da kann also das Problem gar nicht liegen."

Fragen wir mal andersrum: Warum benutzt er eine englische Vokabel, wo doch eine deutsche flach auf der Hand liegt? Na, dann sprechen Sie sie mal aus, da hören Sie gleich, warum. "Führerprinzip" ist aber gar keine nationalsozialistische Erfindung. Baldur von Schirach hatte es aus dem Wandervogel mitgebracht, wo es der Sache nach allein darum ging, eine Wanderung glücklich ans Ziel zu bringen. Natürlich mischten sich, wie immer, wo Menschen zusammenkommen, tausend Nebengesichtspunkte ein, um manche Wandergruppe trennte sich unterwegs im Streit. Na und? Sicher ein stärkeres Ferienerlebnis als drei Wochen Club Méditerranée.

Ein Schule ist aber ein hochorganisierter Massenbetrieb, der ohne Hierarchie und Formalität nicht auskommt. Wie sollte ein Führerprinzip im täglichen Unterricht funktionieren, wenn die Lehrerschaft von Amts wegen bürokratische verfasst ist?

So sehr ich Herrn Hückel immer zustimme: Am Problem unseres Bildungssystems wird er so nicht ändern. Das Problem ist, dass Schule und Bildung nicht zusammenführen, sondern in entgegengesetzte Richtung weisen.

Man wird sich noch für eine ganze Weile damit bescheiden müssen, in die Routine des Schulbetriebs hier und da, wo es nur geht, Elemente aus einer entgegengesetzten Logik einzuflechten. Doch Summa summarum wird es immer heißen: Die Suche nach der idealen Schulform führt in die Irre, weil die Schule gar kein Ideal ist, sondern immer nur Notbehelf.
JE


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

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