Mittwoch, 31. Mai 2023

Besteht dunkle Materie aus schwarzen Löchern?

aus derStandard.at, 31. 5. 2023                                                                                zu Jochen Ebmeiers Realien

UMSTRITTENE VERMUTUNG
Astrophysiker Hasinger:
"Manche Schwarzen Löcher haben sich bereits beim Urknall ge-bildet"
Der ehemalige Esa-Wissenschaftschef vertritt eine kühne These, was hinter der rätselhaften Dunklen Materie steckt. Die Physik sieht er in der Krise

von Dorian Schiffer

Supermassive Schwarze Löcher sind spektakulär. Laut dem Astrophysiker Günther Hasinger könnten aber gerade kleinere, uralte Schwarze Löcher eine bedeutende Rolle im Universum spielen.

Eigentlich sollte das Universum, so wie wir es beobachten, nicht existieren. Wie Astronominnen und Astronomen bereits Anfang des letzten Jahrhunderts feststellen mussten, reicht die Masse all der glitzernden Sterne, bizarren Gasnebel und weit entfernten Galaxien nicht aus, um diese kosmischen Gebilde zusammenzuhalten. Konkret konnten Fachleute beobachten, dass Sterne zu schnell um ihr galaktisches Zentrum kreisen: Hielte sie nur die Schwerkraft der sichtbaren Masse in der Bahn, würden sie ins offene All davontreiben.

Doch da keine der abertausenden bekannten Galaxien solche akuten Auflösungserscheinungen zeigt, muss es zusätzliche Materie geben, deren Gravitation die Sterne auf Kurs hält. Nur, was soll diese "Dunkle Materie" getaufte Substanz sein – noch dazu, wenn sie fünfmal mehr Masse ausmacht als alle sichtbare Materie zusammen? Seit Jahren verspricht die Teilchenphysik Antworten: Wimps, schwere Partikel, die kaum mit anderen Teilchen wechselwirken, sollen die Bausteine der Dunklen Materie sein.

Der Physiker Günther Hasinger – ehemaliger Wissenschaftschef der europäischen Weltraumagentur Esa, zu der auch das Klimaschutzministerium finanziell beiträgt, und künftiger Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Astrophysik – ist von Wimps nicht überzeugt. Für ihn stecken Schwarze Löcher, die kurz nach dem Urknall entstanden sind, hinter der Dunklen Materie. Diese These referierte Hasinger an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien – DER STANDARD hat ihn dort zum Interview getroffen.

STANDARD: Die Jagd nach den Teilchen, die die Dunkle Materie bilden, sei irregeleitet, für die Extra-Schwerkraft seien uralte Schwarze Löcher verantwortlich – Ihre These wirkt gewagt.

Hasinger: Dazu müssen wir erst klären, woher diese Schwarzen Löcher kommen. Gewöhnlich entstehen sie beim Tod eines sehr massereichen Sterns, der unter seiner eigenen Gravitation zusammenstürzt. Ich vertrete dagegen die Theorie, dass sich manche Schwarzen Löcher auch bereits beim Urknall gebildet haben.

STANDARD: Damals gab es noch keine Sterne, die kollabieren konnten. Woher sind diese primordial genannten Schwarzen Löcher gekommen?

Hasinger: In den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall bestand das Universum aus einer Art Quantenschaum, alle bekannten Teilchen haben sich ständig erzeugt und wieder vernichtet. Als das Universum sich dann sprunghaft ausdehnte, froren diese Fluktuationen ein: Die virtuellen Teilchen konnten sich nicht mehr gegenseitig auslöschen – aus dem Quantenvakuum wurden reale Partikel gezogen. Dabei kam es zu Bereichen mit höherer Dichte, so hoch, dass die Masse dort eigentlich gerne zu einem Schwarzen Loch kollabiert wäre.

STANDARD: Was hielt sie davon ab?

Hasinger: Die enorme Hitze des Urknalls. Die Teilchen waren zu schnell, um dem Gravitationskollaps zu folgen. Erst mit Ausdehnung des Universums konnten diverse Kräfte die thermische Bewegung überwinden, wodurch sich etwa aus Quarks Protonen und Neutronen bildeten. Nach solchen Übergängen lag plötzlich mehr Raum zwischen den einzelnen Teilchen, wodurch die Schwerkraft auf diese Partikel einwirken konnte – die Wahrscheinlichkeit, dass ein Raumvolumen zu einem Schwarzen Loch zusammenstürzt, stieg exponentiell.

STANDARD: Also formten sich an den verschiedenen Phasenübergängen, die zwischen der heißen Ursuppe und den heute bekannten Partikeln liegen, jeweils Schwarze Löcher?

Hasinger: Genau, in diesem Bild entstanden in den ersten zwei Sekunden Schwarze Löcher mit der Masse von Planeten, im nächsten Schritt Löcher mit etwa einer Sonnenmasse, danach mit einigen Dutzend, dann mit einigen Hundert Sonnenmassen, bis hin zu Schwarzen Löcher, die Millionen von Sonnenmassen aufweisen. Während unser Universum noch ein Plasmaball war, hunderttausende Jahre bevor sich Atome bildeten, spielten diese Schwarzen Löcher bereits ihr Spiel: Um ein supermassereiches Schwarze Loch ordneten sich jeweils kleinere an und bildeten Halos. Dabei handelt es sich quasi um Badewannen, in die normale Materie hineinfällt.

STANDARD: Kosmische Badewannen kann ich mir sehr schwer vorstellen.

Hasinger: Dann sprechen wir von Fischernetzen: Zunächst schwimmt noch heiße Ursuppe durch die Maschen der Schwarzen Löcher, doch mit der fortschreitenden Abkühlung des Alls bleibt mehr und mehr Materie im Netz hängen. Als sich dann genügend kalte Klumpen aus normaler Materie ballen konnten, entstanden erste Sterne. Die Schwarzen Löcher bilden also das unsichtbare Skelett oder Gerüst, in das sich die sichtbare Materie einbaut.

Auf der Suche nach der sogenannten Dunklen Matarie tappen Forschende weiter im Dunkeln. Viele Hoffnungen liegen auf dem Weltraumteleskop Webb, dem diese spektakuläre Aufnahme des Tarantelnebels gelang.

STANDARD: Wenn Ihr Modell zutrifft, wären Schwarze Löcher, die unbeobachtet zwischen den Sternen liegen, viel häufiger als gedacht. Ist das auch eine potenzielle Gefahr für die Erde?

Hasinger: Es ist ein Irrglauben, dass alles einfach in Schwarze Löcher hineinfällt. Tatsächlich ist es sehr schwierig, Materie hinter den Ereignishorizont zu bekommen – und zwar wegen der Drehimpulserhaltung. Aus demselben Grund denken die Ringe des Saturns nicht daran, in den Planeten zu stürzen. Um ein Schwarzes Loch effektiv zu füttern, braucht es eine sehr hohe Dichte, wie sie etwa im Zentrum zweier zusammenstoßender Galaxien herrscht. Man muss sich also keine Sorgen um die Erde machen – obwohl unser Modell vorhersagt, dass praktisch jedes Sonnensystem ein Schwarzes Loch als Partner hat.

STANDARD: Gibt es in unserem Heimatsystem dafür Anhaltspunkte?

Hasinger: Ja. Ein etwa fünf Erdmassen schweres Schwarzes Loch könnte hinter dem postulierten "Planet X" stecken, der die Sonne in weitem Abstand umkreist – und sich nur durch seinen Einfluss auf die Bahnen verschiedener Zwergplaneten und anderer Körper des äußeren Sonnensystems bemerkbar macht.

STANDARD: Was spricht eigentlich gegen Wimps?

Hasinger: Grundsätzlich nichts. Man hat sie eben noch nicht gefunden. Unsere Theorie löst en passant aber auch andere Rätsel: Zum Beispiel wissen wir, dass es schon relativ bald nach dem Urknall sehr massereiche Quasare gab. Ohne ein primordiales Schwarzes Loch als Keim ist deren Existenz schwer nachzuvollziehen. Diese Objekte könnten die ersten Zeugen der Dunklen Materie sein. Auch Verschmelzungen Schwarzer Löcher, die wir über das Gravitationswellen-Interferometer Ligo beobachten, zeigen, dass es schon früh sehr massereiche Schwarze Löcher gab, die wohl auf den Urknall zurückgehen müssen.

STANDARD: Die zwei Theorien basieren auf unterschiedlichen Annahmen. Was sollten wir beobachten, wenn Ihr Modell stimmt?

Hasinger: Wenn Dunkle Materie aus Schwarzen Löchern besteht, sollte die erste Sterngeneration schon viel früher auftreten. Wir erwarten daher, dass auf den tiefsten Aufnahmen des James-Webb-Teleskops etwa zehnmal mehr Galaxien zu sehen sind als bisher angenommen. Und tatsächlich hat Webb diese überzähligen Galaxien gefunden. Ob das als Beweis für unser Modell genügt, wird heftig diskutiert.  

Diese Aufnahmen zeigen die ersten beiden Bilder, die jemals von Schwarzen Löchern aufgenommen wurden. Links ist M87 zu sehen, auf der rechten Seite befindet sich Sagittarius A*.

STANDARD: Welche Missionen könnten mehr Licht in die Sache bringen?

Hasinger: Den Beweis für unsere These wird die nächste Generation der Gravitationswellen-Observatorien erbringen, allen voran Lisa (Laser Interferometer Space Antenna, Anm.), deren Start die Esa für 2037 projektiert. Findet diese Mission Gravitationswellen von sehr massereichen Schwarzen Löchern, die bereits im frühen Universum verschmolzen sind, wäre das der Hammer. Unserem Modell zufolge müsste es auch Schwarze Löcher mit weniger als einer Sonnenmasse geben. Und die kann Ligo sehen! Mit ein bisschen Glück werden wir daher schon in den nächsten eineinhalb Jahren den Beweis haben.

STANDARD: Sie sind also davon überzeugt, dass es im Rennen um die Erklärung der Dunklen Materie die Astronomie vor der Teilchenphysik über die Ziellinie schafft?

Hasinger: Ja. Überhaupt war in den letzten Jahren die Astronomie für die wirklich wichtigen Neuerungen verantwortlich, Stichwort Dunkle Materie, Dunkle Energie. Die Physik dagegen steckt in einer tiefen Krise. Alle haben gehofft, dass Cern das Rennen um die Dunkle Materie macht – vergeblich. Daraufhin forderten Fachleute einen noch größeren Beschleuniger. Aber wenn die Suche schon bisher erfolglos war, wieso sollte es gerade bei dieser Steigerung anders sein? Dagegen sind unsere Schwarzen Löcher ein echter Gamechanger und kommen zudem ohne neue Physik aus: Es braucht nur die Standardmodelle der Teilchenphysik und der Kosmologie.  


Nota. - An der Grenze mag man immer rechnen, so viel man kann und will: Schließlich muss doch das Vorstellen einspringen - als der Rahmen, in dem man sucht. Solange man nicht wenigstens ahnt, wonach man gesucht hat, kann man kaum erkennen, was man findet. Man findet auf jeden Fall: dass die Vorstellung nicht erst als Geländer und Kontrollinstanz des diskursiven Vorgehens ins Spiel kommt, sondern als Bedeutungsstifter von Anfang an dabei war und bis zum Schluss geblieben ist.

Ehrlich gesagt kann ich mir schon unter einem gekrümmten Raum nicht wirklich was vor-stellen, und schon gar nichts unter einem Schwarzen Loch. Ich weiß, dass diese Begriffe ge-bräuchlich sind, und in dem Maße wie es mir umgangssprachlich zusteht, gebrauche ich sie selber. Ich habe Definitionen kennengelernt, die man nebeneinander und auch nacheinan-der stellen kann, aber ein Bild mit Fleisch und Knochen kann ich mir daraus nicht formen. Höchstens ein blasses, fast durchsichtiges Schema auch ein paar Linien und gehauchten Farbtönen. Doch sobald ich die dritte Dimension überschreiten soll, muss ich jedesmal aufgeben.

Dies ist der entscheidende Vorteil von Prof. Hasingers Theorie: Man kann sich dabei was denken, sofern man annimmt, sich unter einem schwarzen Loch was vorgestellt zu haben. Dann kommt es einem so vor, als könne man sich unter dunkler Materie auch was vor-stellen - na, beinahe.

Postscriptum. Ich kann mir in einem stabilen Raum eine gebremste Zeit vorstellen; ich kann mir eine stete Zeit in einem gestauchten Raum vorstellen - aber nur eins nach dem andern, nicht beides zugleich. Ich kann mir ein Kippbild denken, in dem unwillkürlich wechselnd mal das eine und mal das andere erscheint, und mir einreden, das wäre fast so gut, als sähe ich sie gleichzeitig. Aber das ist eine Fiktion. Ich kann nur analog oder digital denken.

Analog könnte ich nicht denken? Kann ich durchaus. Nur würden die Ergebnisse dieses Denkens nicht meiner Reflexion standhalten, denn die verfährt digital; Kunst ist nicht Wissenschaft.
JE

Dienstag, 30. Mai 2023

Beim Zerfallen ertappt.

aus scinexx.de                                                                                        Bei dieser im CMS-Detektor aufgezeichneten Protonenkollision entstand ein Higgs-Boson, das dann in ein Z-Boson und ein Photon zerfiel (rot).                                                     zu Jochen Ebmeiers Realien
 
Neuer Zerfall beim Higgs-Boson beobachtet
Exotischer Zerfallsweg des Higgs liefert mögliche Hinweise auf Physik jenseits des Standardmodells


Neue Physik? Physikern am Teilchenbeschleuniger LHC haben erstmals eine theoretisch vorhergesagte, aber zuvor noch nicht beobachtete Zerfallsform des Higgs-Bosons beob-achtet. Bei dieser interagiert das Higgs zunächst mit einer Reihe virtueller Teilchen, bevor es in ein Z-Boson und ein Photon zerfällt. Das Spannende daran: Die Rate dieser Zerfallsform liefert mögliche Hinweise auf „neue Physik“ – noch unbekannte Teilchen oder Wechselwir-kungen jenseits des Standardmodels.

Die Entdeckung des Higgs-Bosons im Jahr 2012 hat nicht nur Kernvoraussagen zum physikalischen Standardmodell bestätigt. Sie eröffnet auch die Chance, möglicherweise weitere Lücken zu schließen – und sogar noch unbekannte Teilchen und Kräfte zu ent-decken: Weil das Higgs-Boson weder Ladung noch Spin besitzt und mit nahezu allen anderen Teilchen interagiert, könnte sein Verhalten Hinweise auf eine solche „neue Physik“ liefern und auch auf die noch immer gesuchten Teilchen der Dunklen Materie.



Möglicher Zerfall eines Higgs-Bosons in ein Z-Boson und ein Photon (rot), aufgezeichnet im ATLAS-Detektor.


„Umweg“ über virtuelle Teilchen


Ein mögliches Indiz für „neue Physik“ könnte sich in einem schon länger vorhergesagten, seltenen Zerfallstyp des Higgs-Bosons verbergen. Bei diesem zerfällt das Masseteilchen in ein Z-Boson – eines der Trägerteilchen der schwachen Kernkraft – und in ein Photon. Dieser als H → Zγ abgekürzte Zerfall geschieht jedoch nicht direkt. Stattdessen durchläuft das Higgs zuvor eine Art Schleife, in der verschiedene virtuelle Partikel entstehen. Diese Teilchen tauchen scheinbar aus dem Nichts auf und verschwinden ebenso schnell wieder, weshalb sie nicht direkt nachweisbar sind.

Dieser „Umweg“ des Higgs-Zerfalls über die virtuellen Teilchen könnte – so hoffen Physiker – Hinweise auf noch unentdeckte Kräfte oder Teilchen in sich bergen. Sollten sie existieren, könnten sie diesen Zerfallsweg des Higgs-Bosons beeinflussen und die Rate dieser ohnehin sehr seltenen Zerfälle in ein Z-Boson und ein Photon verändern. Gängiger Theorie zufolge müsste ein Higgs der Masse von rund 125 Teraelektronenvolt in rund 0,15 Prozent aller Fälle auf diesem Wege zerfallen. Fällt der Prozess aber unter „neue Physik“, könnte diese Rate höher oder niedriger ausfallen – doch dafür muss dieser Zerfallsweg zunächst überhaupt nachgewiesen und gemessen werden.

Seltener Zerfallsweg in beiden Detektoren beobachtet

Genau dies ist nun Physikern mit dem Teilchenbeschleuniger LHC des CERN gelungen. Die Teams der beiden großen Teilchendetektoren ATLAS und CMS werteten dafür die Daten von Protonenkollisionen der zweiten Laufzeit des Beschleunigers aus, die von 2015 bis 2018 dauerte. Wenn in diesen Kollisionen Higgs-Bosonen entstanden, die den gesuchten Zerfallsweg durchliefen, dann müsste sich dies in den Detektoren durch einen Überschuss an Elektronen oder Myonen zeigen.


Zusammen erreichen die im ATLAS- und CMS-Detektor ermittelten Werte für H → Zγ eine Signifikanz von 3,4 Sigma.

Tatsächlich ergaben sowohl die getrennten Auswertungen der ATLAS- und CMS-Kollaboration als auch eine zusätzliche gepoolte Analyse für beide Detektoren einen solchen Überschuss: „Die Analysen lieferte Indizien für den Zerfall des Higgs in ein Z-Boson und Photon mit einer Signifikanz von 3,4 Sigma“, berichtet das Team im Blog der ATLAS-Kollaboration. „Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer bloßen statistischen Schwankung bei weniger als 0,04 Prozent liegt.“

Ein solcher Wert gilt in der Teilchenphysik als starkes Indiz, für eine offizielle Entdeckung wird jedoch eine Signifikanz von fünf Sigma benötigt. Dennoch sehen die Physiker ihre Daten als ersten Beleg dafür, dass der theoretisch postulierte Zerfallsweg des Higgs-Boson existiert und nachweisbar ist.

Erste Abweichungen vom Standardmodell

Das interessante jedoch: Schon bei diesen ersten Beobachtungen von H → Zγ detektierten die Physiker eine Zerfallsrate, die deutlich höher liegt als die theoretisch vorhergesagte: Sie lag bei 0,34 Prozent. „Das bedeutet, dass dieser Zerfall etwas häufiger detektiert wurde als es das Standardmodell vorsieht“, berichtet die ATLAS-Kollaboration. „Obwohl die Unsicherheiten zurzeit noch relativ hoch sind, eröffnen diese Ergebnisse den Weg zu neuen Einblicken in das Verhalten und die Merkmale des Higgs-Bosons.“

Gleichzeitig sei dies ein guter Test für das Standardmodell. Denn sollten sich die Abweichungen von den Vorhersagen in weiteren Messungen bestätigen, könnte dies bereits ein Indiz für „neue Physik“ sein. „Mit der zurzeit laufenden dritten Laufzeit und der künftigen High-Luminosity-Phase des LHC werden wir die Präzision dieses Tests weiter verbessern und können dann sogar noch seltenere Zerfallsformen des Higgs-Bosons erforschen“, erklärt Florencia Canelli von der CMS-Kollaboration. (Large Hadron Collider Physics (LHCP) conference)

Quelle: CERN, ATLAS Collaboration
30. Mai 2023
- von Nadja Podbregar

Nota. - Seit Jahren lauern die Physiker auf die Möglichkeit oder Notwendigkeit, 'das Standardmodell zu -' korrigieren? revidieren? ersetzen? Die Chance, alles "von Grund auf neu"  denken zu müssen - und zu dürfen -, ist natürlich verlockender, als mit gebundenen Händen überall nur Lücken stopfen zu können. 

Doch wenns soweit ist, wird man fragen, an welcher Stelle man anfangen soll. Ganz oben oder ganz unten? Vielleicht irgendwo zwischendrin? Oder überall zugleich?!
JE



Montag, 29. Mai 2023

Stärken ausbauen statt Schwächen ausbügeln.


aus derStandard.at, 26. 5. 2023                                 Wie fördern wir Talente? Nicht, indem beim Lernen der Schwerpunkt auf die Schwächen von Schülerinnen und Schülern gelegt wird.                                                                       zu Levana  zu öffentliche Angelegenheiten

Starten wir eine Schulrevolution – mit Unterricht nach dem Leader-ship-Prinzip!
Jedes Kind hat 
Stärken und ein Recht darauf, diese zu entwickeln. Im Schul-betrieb wenden wir uns oft nur seinen Schwächen zu. Das ist absurd.

Kommentar der anderen: von Manfred Hückel

Das Grundprinzip, die Stärken von Menschen zu stärken, anstatt auf ihren Schwächen herumzureiten, hat bei erfolgreichen Wirtschaftsbetrieben einen unaufhaltsamen Siegeszug angetreten. 90 Prozent der "Fortune 500 Companies" verwenden das Instrument eines "Strengths Finder"-Tests, und auch das global erfolgreiche österreichische Unternehmen Red Bull setzt das Prinzip seit vielen Jahren konsequent um. Dazu gehört nicht nur, die individuellen Stärken herauszufinden, sondern auch, die Mitarbeitenden gemäß ihren Stärken einzusetzen und sogar ihre Fortbildung darauf zu konzentrieren.

Leistungsbeweise dieses Prinzips finden sich im Spitzensport. Ein Paradebeispiel ist ein American-Football-Team, in dem die einzelnen Spieler fast ausschließlich den Bereich trainieren, in dem ihre Stärken liegen. Würde beispielsweise der Kicker anstelle der Fähigkeit, den Ball weit und präzise kicken zu können, überwiegend an seiner Schwäche arbeiten, einen körperlich überlegenen gegnerischen Spieler zu Fall zu bringen, würde dies das gesamte Team schwächen.

Alles Richtung Mittelmaß?

Unsere Gesellschaft ist auch ein Team, das davon profitiert, dass wir unsere individuellen Stärken entdecken und zum Einsatz bringen. Aber ist dieses Prinzip auch in unserem Schulsystem angekommen? Ich habe diese Frage mehr als eintausend Studierenden meiner Uni-Lehrveranstaltungen gestellt. Mehr als 90 Prozent von ihnen haben auf diese Frage mit "Nein" geantwortet. Stattdessen haben sie gnadenlose Schwächenorientierung erlebt. Sobald ein Defizit, zum Beispiel in Mathematik, herausgefunden wird, liegt der Fokus darauf, diese Schwäche Richtung Mittelmaß zu verbessern. Dafür bleibt keine Zeit für die Förderung von individuellen Stärken, womit sich diese ebenfalls Richtung Mittelmaß nach unten nivellieren. In Österreich werden deshalb jährlich mehr als 100 Millionen Euro für Nachhilfe ausgegeben – etwa die Hälfte für Mathematik. Ich halte dies für den größten grundsätzlichen Fehler unseres Schulsystems.


Denn viel besser wäre diese zusätzliche Förderung eingesetzt, wenn sie sich zum überwiegenden Teil auf die Stärkung von Stärken konzentrieren würde. Ich empfehle Eltern, die mit einer Mathematikschwäche ihrer Kinder konfrontiert sind, Zusatzförderungen zu 80 Prozent auf die Gegenstände und außerschulischen Aktivitäten zu konzentrieren, für die das Kind Talent und Begeisterung hat – und nur zu 20 Prozent auf Mathematik.

Überlegenswert ist außerdem der Wechsel in ein System, in dem die Kinder zwischen zwei Levels auswählen können, wie das weltweit anerkannte International Baccalaureate (IB). Nur für technische Studien ist der höchste Mathematiklevel erforderlich, für Studienzweige wie zum Beispiel Wirtschaft genügt ein weniger schwieriger "Standard Level". Wenn etwas gefördert wird, wofür man eine Stärke besitzt, dann kann dies den vielfachen Effekt einer auf das Ausbügeln von Schwächen gerichteten Zusatzhilfe haben. Und es macht viel mehr Spaß!


"Uns fällt automatisch das Negative auf, während es einige
Anstrengung benötigt, um das Positive zu suchen."

Die allgegenwärtige Schwächenfokussierung in Gesellschaft und Schulsystem ist auch einer reflexartigen Reaktion unseres Gehirns geschuldet. Uns fällt automatisch das Negative auf, während es einige Anstrengung benötigt, um das Positive zu suchen. Wir wissen auch, dass sich negative Nachrichten im Internet um ein Vielfaches schneller ausbreiten als positive. Es bedarf also einer ausgesprochenen Energieleistung und einiges an Durchhaltevermögen, wenn man sich dazu diszipliniert, das Positive, die Stärken von Menschen in den Vordergrund zu rücken. Aber diesen Einsatz ist es wert!

Nur die wenigsten Schulkinder haben das Glück, in ihrer Schulzeit einem Mentor zu begegnen, der in ihnen ein Talent entdeckt und fördert. Von diesem erzählen sie später mit leuchtenden Augen und sagen oftmals, ohne sie hätten sie es nicht an die Uni geschafft. Denn durch das Entdecken ihrer eigenen Stärken hatten sie Erfolgserlebnisse an der Schule, gewannen an Selbstvertrauen, gingen lieber in den Unterricht, und dadurch verbesserten sich auch die Leistungen in den übrigen Gegenständen. Nur vereinzelt gibt es Schulen, die sich diesem Prinzip verschreiben.

Aber was können wir tun, damit viel mehr Kinder Zugang zu "Leuchttürmen der Bildung" bekommen, in denen Kinder ihre Stärken entwickeln und eine lebenslange Liebe zum Lernen entdecken können? Eine dringend notwendige, zukunftstaugliche Schulreform ist nicht in Sicht, obwohl zwei Drittel der jungen Erwachsenen mit unserem Schulsystem unzufrieden sind. Zu stark sind die beharrenden Kräfte im Bildungssystem, sodass von begrüßenswerten Initiativen wie mehr Schulautonomie, Förderung digitaler Grundbildung oder mehr Lehrpersonal bisher kaum etwas bei den Schulkindern ankommt.

Wie viel inspirierender wäre ein Aufruf, sich als junger Mensch für den vielleicht wichtigsten Job des Landes zu entscheiden, wenn er gleichzeitig eine gemeinsame Vision beinhaltete, welche Freiräume für leidenschaftliches und zukunftstaugliches Unterrichten an Schulen geschaffen werden! Die letzte tiefgreifende Schulreform, die sich tatsächlich mit einem neuen Zeitalter auseinandergesetzt hat, haben wir wohl Maria Theresia zu verdanken.

Mehr Lob


Aber es gibt etwas, das wir als Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen ändern können – und zwar in dem Umfeld, in dem wir selbst direkten Einfluss nehmen können. Bekennen wir uns zum – im Schulsystem revolutionären – Prinzip des Stärkenstärkens, auch wenn man dafür viel Anstrengung und Durchhaltevermögen benötigt! Suchen wir bewusst nach den Stärken der Kinder, die uns am Herzen liegen. Und dann sagen wir sie ihnen! Nicht jeden Tag, nicht bei jeder Kleinigkeit, aber öfter als beim Elternsprechtag darf es schon sein. Und wenn wir dazu bereit sind, dann sind wir Trägerinnen und Träger einer sanften Schulrevolution. 
 

Das Bildungssystem sollte sich das moderne Leadership-Prinzip zum Vorbild nehmen, findet Buchautor Manfred Hückel, der früher im Management bei Red Bull arbeitete und heute ehrenamtlich die St. Gilgen International School managt. In seinem Gastkommentar erklärt er, was sich ändern müsste.


Nota. - "Das ist ja alles gesunder Menschenverstand! Dem wird ja keiner widersprechen, da kann also das Problem gar nicht liegen."

Fragen wir mal andersrum: Warum benutzt er eine englische Vokabel, wo doch eine deutsche flach auf der Hand liegt? Na, dann sprechen Sie sie mal aus, da hören Sie gleich, warum. "Führerprinzip" ist aber gar keine nationalsozialistische Erfindung. Baldur von Schirach hatte es aus dem Wandervogel mitgebracht, wo es der Sache nach allein darum ging, eine Wanderung glücklich ans Ziel zu bringen. Natürlich mischten sich, wie immer, wo Menschen zusammenkommen, tausend Nebengesichtspunkte ein, um manche Wandergruppe trennte sich unterwegs im Streit. Na und? Sicher ein stärkeres Ferienerlebnis als drei Wochen Club Méditerranée.

Ein Schule ist aber ein hochorganisierter Massenbetrieb, der ohne Hierarchie und Formalität nicht auskommt. Wie sollte ein Führerprinzip im täglichen Unterricht funktionieren, wenn die Lehrerschaft von Amts wegen bürokratische verfasst ist?

So sehr ich Herrn Hückel immer zustimme: Am Problem unseres Bildungssystems wird er so nicht ändern. Das Problem ist, dass Schule und Bildung nicht zusammenführen, sondern in entgegengesetzte Richtung weisen.

Man wird sich noch für eine ganze Weile damit bescheiden müssen, in die Routine des Schulbetriebs hier und da, wo es nur geht, Elemente aus einer entgegengesetzten Logik einzuflechten. Doch Summa summarum wird es immer heißen: Die Suche nach der idealen Schulform führt in die Irre, weil die Schule gar kein Ideal ist, sondern immer nur Notbehelf.
JE


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Freitag, 26. Mai 2023

Erworbenes Gehirngeschlecht?

      zu Männlich,  zu Jochen Ebmeiers Realien,zu Levana  zu öffentliche Angelegenheiten
aus derStandard.at, 13. 5. 2023                                                                   Ein MRI-Scan eines normalen Gehirns. Bei Vergleichen von fast 8.000 solcher Bilder zeigten sich Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und bestimmten Hirnunterschieden                    

UMSTRITTENE UNTERSCHIEDE
Größere soziale Ungleichheit zwischen Geschlechtern zeigt sich auch bei Hirnscans
Große soziale Unterschiede lassen sich auch an den Gehirne von Frauen ablesen, behauptet eine neue Studie. Ähnliches wurde bei armen Kindern in den USA beobachtet


Es ist schon wieder ein paar Jahre her, dass Bücher über die Unterschiede von männlichen und weiblichen Gehirnen boomten. Die US-amerikanische Neurowissenschafterin Louann Brizendine löste vor knapp zwei Jahrzehnten mit Büchern wie "Das weibliche Gehirn: War-um Frauen anders sind als Männer" einen regelrechten Boom aus, angeborene Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht mehr in nur in den Hormonen oder den Genen zu su-chen, sondern im Gehirn.

Solche Ansätze übersahen aber erstens, dass Gehirne eine enorme Plastizität aufweisen und ihre Entwicklung zweitens stark von Umweltfaktoren abhängt. In Ländern, wo die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern größer ist, haben Frauen beispielsweise ein höhe-res Risiko, neurologisch zu erkranken, also etwa früher unter Demenz zu leiden. Letzteres zeigte sich beispielsweise in China, wo Frauen auch stärker von den Risikofaktoren Bewe-gungsmangel und Analphabetismus betroffen sind.

Fast 8.000 Magnetresonanzbilder

Wie ein internationales Forscherteam um Nicolas Crossley (Pontificia Universidad Católica de Chile) nun behauptet, lassen sich die Folgen starker sozialer Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch an stärkeren Unterschieden in den Gehirnen festmachen. Diesen Schluss würde die vergleichende Auswertung von fast 8.000 Magnetresonanzbildern menschlicher Gehirne aus 29 Ländern zulassen, schreiben Crossley und sein Team im Fachblatt "PNAS".



Laut diesen Analysen waren in Ländern mit weitgehender Gleichstellung der Geschlechter (gemessen unter anderem am Gender Inequality Index) so gut wie keine Unterschiede zwi-schen den Gehirnen von Männern und Frauen zu beobachten. In Ländern mit größerer Ungleichheit war jedoch die Dicke der rechten Seite der Großhirnrinde bei Frauen geringer.

Doch taugt dieser Befund tatsächlich als Beweis, dass sich soziale Ungleichheit sogar in den Gehirnen zeigt? Die Autorinnen und Autoren selbst gestehen gewisse Unsicherheiten der Interpretation ein, liefern immerhin mögliche Hypothesen zur Erklärung ihrer Beobachtun-gen. So werden jene Regionen des Kortex, bei denen die Unterschiede festgestellt wurden, mit Widerstandsfähigkeit gegenüber Widrigkeiten assoziiert. Beobachtet wurde auch, dass diese Regionen bei (posttraumatischem) Stress oder Depressionen dünner werden.

Obwohl die Forschenden keinen kausalen Zusammenhang herstellen, hoffen sie doch, mit ihren Ergebnissen Argumente für politische Maßnahmen zur Verringerung der Ungleich-heit zu liefern.

Dazu befragte Kolleginnen und Kollegen, die nicht an der Studie beteiligt waren, äußern sich eher zurückhaltend. So etwa meinte die Neurowissenschafterin María Ruz (Universität Granada) gegenüber der spanischen Tageszeitung "El País", dass die Korrelation zwischen einer geringeren Kortexdicke und Erfahrungen körperlicher Gewalt nur sehr schwer zu belegen sei. Und Zweifel wird auch angemeldet, ob dokumentierte Unterschiede in den Gehirnen tatsächlich ein stärkeres "politisches" Argument liefern.

Unterstützung durch US-Studie

Indirekte Unterstützung bekommt die neue Untersuchung aber durch eine rezente Studie aus den USA. Forschende um David Weissman (Harvard University) werteten dafür die Daten der Adolescent Brain Cognitive Development Study (ABCD-Studie) aus, konkret: von mehr als 10.000 Jugendlichen aus 17 Bundesstaaten, die sich in ihren Lebenshaltungs-kosten und ihrer Politik zur Armutsbekämpfung unterscheiden.

Erste Analysen der ABCD-Daten hatte ergeben, dass Kinder aus Familien mit geringerem Einkommen im Vergleich zu Kindern aus Familien mit höherem Einkommen ein geringeres Volumen des Hippocampus aufweisen, der eine entscheidende Rolle für das Gedächtnis und das emotionale Lernen spielt.

Bei weiteren Auswertungen, deren Ergebnisse Anfang Mai im Fachblatt "Nature Communications" erschienen, zeigte sich nun, dass bei Kindern zwischen neun und elf Jahren die Unterschiede in der Gehirnentwicklung und der psychischen Gesundheit in jenen Bundesstaaten deutlich geringer waren, die ein stärkeres soziales Sicherheitsnetz bieten und geringere sozioökonomische Unterschiede aufweisen. (tasch)


Nota. - Immer wieder hört man Lob und Preis ob der anscheinend grenzenlosen Plastizität unseres Gehirns. Fällt irgendwo eine Gehirnregion aus, kann meist die entsprechende Regi-on auf der gegenüberliegenden Hirnseite einspringen; aber selbst ganz verschiedene Zell-gruppen in der näheren oder weiteren Umgebung können das!

Das ist ein systematisch gar nicht zu überschätzender Beitrag zum Thema Nature vs. Nur-ture - und übrigens, weil politische Brauchbarkeit ja anscheinend gefragt ist, zur derzeitigen Trans-Debatte. Aber, wie auch beim Thema Epigenetik, keine Sache der positiven, sondern der negativen Determination: Wenn durch lebensgeschichtliche Faktoren eine Stelle im Kortex unterentwickelt blieb, kann eine bestimmte normale Entwicklung nicht eintreten. Zu den schädigenden lebensgeschichtliche Faktoren kann die Zugehörigkeit zu einer sozial benachteiligten Gruppe - Frauen in China, arme Kinder in den USA - Auswirkungen auf deren ontogenetische Ausprägung haben.

Vergesst alles, was Ihr über erworbene und angeborene Geschlechtsunterschiede je zu wissen glaubtet: Es kann ebensogut auch genau andersrum sein. Zwar in aller Regel Darwin, aber wo der nicht hinreicht, kann vielleicht Lamarck einspringen. Halali, die Saison ist eröffnet.
JE



Donnerstag, 25. Mai 2023

Keine*r "erzieht allein".


aus FAZ.NET.de, 16. 5. 2023                                15 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland sind Väter. Ihr Anteil ist in den vergangenen zehn Jahren angestiegen.                                      zu Levana, oder Erziehlehre zu öffentliche Angelegenheitenzu Männlich

Immer mehr Alleinerziehende in Deutschland sind Väter
In Deutschland wächst der Anteil von Vätern, die als Alleinerziehende mit ihren minderjährigen Kindern leben. 15 Prozent der Alleinerziehenden waren im Jahr 2022 Väter, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Zehn Jahre zuvor hatte ihr Anteil bei zehn Prozent gelegen.


In diesem Zeitraum hat auch die Gesamtzahl der alleinerziehenden Väter mit Kindern zu-genommen: von 166.000 im Jahr 2012 auf 239.000 im Jahr 2022. Das entspricht einer Zu-nahme um 44 Prozentpunkte.

Die Zahl alleinerziehender Mütter ging im selben Zeitraum um zehn Prozentpunkte zurück: von 1,48 auf 1,33 Millionen. Damit sind immer noch deutlich mehr Mütter als Väter allein-erziehend.

Insgesamt wächst in knapp jeder fünften Familie ein Kind unter 18 Jahren mit einem El-ternteil auf. Rund 1,57 Millionen Alleinerziehenden-Familien lebten 2022 in Deutschland. Im Vergleich zu 2012 ging ihre Zahl leicht zurück. Damals hatten 1,64 Millionen Allein-erziehenden-Familien in Deutschland gelebt.

Quelle: dpa/AFP/fmp.


Nota. - Da hieß es eben noch, wir lebten in semantisch sensitiven Zeiten: "Sag bloß kein Wort mit N!"  Wenn aber kein Gender und nix Postkoloniales involviert ist, quatschen sie gedankenverloren aus sich raus.

Hätte vor fünfzig Jahren ein Elternpaar bekundet "Wir erziehen unsere Kinder allein", dann hätten in manchem Jugendamt die Signalklingeln geschrillt, und nicht nur in den sozialde-mokratisch gesonnenen: "Das demokratische Gemeinwesen erzieht gottlob überall mit!" Oder prosaischer gesagt, unsere freiheitliche Zivilgesellschaft; Lehrer und Erzieher, Ver-kehrspolizisten und Bademeister, Eisverkäufer und... nun ja, ein paar weniger gerngesehene Dealer auch, aber das ist der Preis der Freiheit, die an ihren Herausforderungen wächst.

Und dann wurde aus einer unsäglichen Anmaßung eine schamlose Impertinenz: Vereine "alleinerziehender Mütter" schossen ins Kraut. Dass grinsend "... und Väter" hinzugefügt wurde, machte das selbstgerechte Dutzend voll: Mein Bauch gehört mir; und sein... gleich mit

In den Sechzigern war gerade um die Bedürfnisse und wohl gar Rechte von Kindern viel Aufhebens gemacht worden. Und nun wurde deutlich, dass es doch eigentlich immer um die Bedürfnisse der Aufmerksamkeitserreger gegangen war. Die so ewig unterdrückten Be-dürfnisse und Rechte von Frauen!  hatten Pandora als Büchsenöffner gedient. Wokeness und Letzte Generation, ich ahne es, sind noch nicht der Schlusspunkt. Identität gilt überall und allein.
JE


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE  

Mittwoch, 24. Mai 2023

Auf dem Weg zur Sprache?

SChimpansenaus scinexx.de                                                                                            Schimpansen stoßen je nach Situation verschiedene Rufe aus – aber können sie diese auch sinnvoll kombinieren?                                                                                                  zu Jochen Ebmeiers Realien

Schimpansen nutzen auch kombinierte Rufe
Menschenaffen demonstrieren erste Ansätze einer kompositionellen Syntax

Neu kombiniert: Schimpansen könnten schon eine erste Voraussetzung für echte Sprache besitzen, wie Beobachtungen in Uganda nahelegen. Demnach kombinieren die Menschen-affen in bestimmten Situationen zwei Laute mit verschiedener Bedeutung miteinander – und geben ihnen damit eine neue Bedeutung. Diese Fähigkeit zur sinnvollen Kombination, kompositionelle Syntax genannt, könnte demnach schon bei den gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffe und Mensch entstanden sein.

Ob mit „Huh“-Rufen, Grunzlauten oder Schreien: Auch Menschenaffen nutzen verschie-denste Lautäußerungen, um zu kommunizieren. Sie drücken damit Aggression, Wohlbe-hagen oder Angst aus und nutzen auch spezielle Alarmlaute, um ihre Artgenossen zu warnen. Ob Gorilla, Schimpanse und Co diese Laute jedoch kontrolliert verändern und kombinieren können oder ob sie rein instinktgesteuert sind, ist strittig – und damit auch, ob Menschenaffen schon das Rüstzeug für eine echte Sprache besitzen.

Ist Fähigkeit zur Bedeutungskombination einzigartig menschlich?

Doch wie sich nun zeigt, beherrschen Schimpansen offenbar doch ein erstes Merkmal echter Sprache: die Fähigkeit, einzelne Laute zu neuen Einheiten zusammenzufügen. Wir nutzen diese kompositionelle Syntax beispielsweise, um einzelne Wörter zu sinnvollen Sätzen zusammenzufügen oder um Dinge näher zu beschreiben – aus „Ball“ wird der „rote Ball“. Wann unsere Vorfahren diese Fähigkeit zur Kompositionalität jedoch entwickelten, ist bisher unklar.


„Der evolutionäre Ursprung dieser Fähigkeit ist umstritten, dabei geht es vor allem um die Frage, ob die kompositionelle Syntax ein einzigartiges Merkmal nur der menschlichen Kommunikation ist“, erklären Maël Leroux von der Universität Zürich und seine Kollegen. Zwar können einige Affenarten unter bestimmten Bedingungen zwei verschiedene Rufe kombinieren. Weil diese aber nicht zu den Menschenaffen gehören, ist strittig, ob dies nicht eine konvergente Entwicklung und damit keine evolutionäre Errungenschaft unserer direkten Affenvorfahren ist.

Das Experiment mit der Schlange


Um dieser Frage nachzugehen, haben Leroux und sein Team wilde Schimpansen in Uganda auf die Probe gestellt. Sie wollten wissen, ob diese Menschenaffen in spezifischen Situationen vielleicht doch eine kompositionelle Syntax nutzen. „Schimpansen produzieren Huu-Rufe, wenn sie überrascht werden, und ein Waa-Gebrüll, wenn sie bei Aggressionen oder bei der Jagd Unterstützung brauchen“, erklärt Leroux. Was aber passiert, wenn die Primaten von einer Bedrohung überrascht werden, bei der sie die Hilfe ihrer Artgenossen benötigen?

Für ihr Experiment versteckten die Biologen eine von einer echten Pythonhaut überzogenen Gummischlange im Gebüsch. Kam ein Schimpanse vorbei, zogen sie an einer Schnur, so dass die Schlange abrupt vor dem Schimpansen auftauchte. Anschließend zeichnete das Team die ausgestoßenen Laute des überraschten Affen auf und beobachtete, wie die Artgenossen auf seine Rufe reagierten.

Alarm- und Hilferufe kombiniert


Es zeigte sich: Beim überraschenden Auftauchen der bedrohlichen Schlange stießen die Schimpansen manchmal nur den Alarmruf Huu aus, in neun von 21 Tests kombinierten sie den Huu-Laut aber mit dem Waa-Ruf nach Unterstützung. „Unsere Beobachtungen legen nahe, dass die Tiere mehrere Rufe kombinieren, wenn sie einer Bedrohung ausgesetzt sind und andere Gruppenmitglieder zur Verteidigung rekrutieren wollen. So zum Beispiel bei der Begegnung mit einer Schlange“, sagt Leroux.

Tatsächlich bewirkte die Huu-Waa-Lautkombination bei den Artgenossenen des rufenden Schimpansen eine spezifische Reaktion: Während sie bei bloßen Alarmrufen meist wegblieben, eilten sie bei der Rufkombination deutlich häufiger herbei. Ähnlich fiel die Reaktion aus, als die Forschenden die verschiedenen Rufe per Lautsprecher ertönen ließen: „Das Playback der Huu-Waa-Kombination rief stärkere Reaktionen hervor, sie schauten beispielsweise länger hin und reagierten schneller als bei bloßem Alarm-Huus“, berichtet das Team.

Erbe schon unserer gemeinsamen Vorfahren?

Nach Ansicht von Leroux und seinem Team deuten diese Beobachtungen darauf hin, dass Schimpansen zumindest erste Ansätze einer kompositionellen Syntax zeigen: Sie kombinieren Alarm- und Hilferufe, ihre Artgenossen sowohl zu warnen als auch ihre Hilfe anzufordern. „Die Bedeutung der Ruf-Kombination ergibt sich damit aus der Bedeutung ihrer einzelnen Teile – damit repräsentiert dies eine der kompositionellen Syntax ähnliche Struktur“, schreiben die Forschenden.

Dies wirft auch neues Licht auf den Ursprung dieser Fähigkeit: „Menschen und Schimpansen hatten vor etwa sechs Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren. Unsere Daten deuten also darauf hin, dass die Fähigkeit, sinnvolle Vokalisationen miteinander zu kombinieren, mindestens sechs Millionen Jahre alt ist – wenn nicht sogar älter“, sagt Leroux. Das Kombinieren von Lauten könnte demnach schon vor dem Auftreten einer echten Sprache entstanden sein.

Wenn auch andere Menschenaffen diese Fähigkeit besitzen, dann könnte sie sogar noch weiter zurückreichen und schon beim letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen vorhanden gewesen sein. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-37816-y)


Quelle: Universität Zürich
5. Mai 2023
- von Nadja Podbregar

Nota. - Wenn ich die Zeilen richtig entziffere, ist hier lediglich die Rede davon, dass Schim-pansen Laute mit einer bestimmten Bedeutung aneinanderfügen: dies! und das! Nicht ein-mal auf die Reihenfolge kommt es an.

Das wäre aber das Mindeste, was man unter kombinieren verstehen könnte; von Über- und Unterordnen gar nicht zu reden. Erst das würde man aber unter Syntax verstehen: dass die eine Aussage der andern ihre Rang anweist; nämlich die eine ein Bedeutungsfeld eröffnet, in dem die andere ihren Platz findet. 

Dazu ist das Aneinanderreihen von Sätzen natürlich die Voraussetzung. Aber mehr noch nicht. Da wurde wohl mal wieder ein kleiner empirischer Befund semantisch aufgebläht.
JE

Ästhetik und Kognition.


aus derStandard.at, 17. 5. 2023                                     Schwarzkopfmeisen (Poecile atricapillus) können mit nur vier Noten und einer einfachen Grammatik verschiedene Botschaften an ihre Artgenossen senden.                                             zu Jochen Ebmeiers Realien
 
RICHTIG ZWITSCHERN

Schwarzkopfmeisen legen Wert auf korrekte Grammatik
Die nordamerikanischen Singvögel können korrekte von falschen Notenfolgen unterscheiden und bevorzugen fehlerfreie Darbietungen


Will man bei der Kommunikation verstanden werden, muss man sich an gewisse Regeln halten – dessen sind sich auch die Singvögel bewusst. Schwarzkopfmeisen achten bei ihren Zwiegesprächen mit Artgenossen penibel auf den richtigen "Satzbau" ihrer Rufe. Wie ein österreichisch- kanadisches Forschungsteam nun zeigte, können die in Nordamerika beheimateten Vögel korrekte von falschen Tonfolgen unterscheiden und präferieren fehlerfreie Rufe. Doch nicht jeder Vogel ist im gleichen Ausmaß sprachbegabt. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter stellten auch individuelle Unterschiede bei den Fähigkeiten der Vögel fest.

So ähnlich wie menschliche Sprache

Marisa Hoeschele vom Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat mit ihren Kolleginnen und Kollegen von der University of Alberta (Kanada) 20 wild lebende Schwarzkopfmeisen (Poecile atricapillus) gefangen und mit ihnen zwei Verhaltensexperimente durchgeführt. Diese Singvogelart verfüge über eine berechenbare Satzstruktur, "die jener der menschlichen Sprache nicht unähnlich ist", schreiben die Forscher in ihrer Arbeit.

Bereits seit längerem weiß man, dass bei den sogenannten Chick-a-Dee-Rufen der Vögel, die zum Beispiel für Warnungen vor Feinden oder zum Anlocken von Artgenossen angesichts einer Futterquelle verwendet werden, die Reihenfolge der vier verwendeten Noten immer gleich ist. "Note A kommt vor B, B kommt vor C und C kommt vor D. Einzelne Noten können auch ausgelassen oder wiederholt werden, wodurch sich mehrere Hundert mögliche Kombinationen bilden lassen, die sich alle an die grundsätzliche Reihenfolge halten", erklärt Hoeschele.

Gefahr in Abstufungen

Durch diese einfache Grammatik lassen sich mit nur vier Noten verschiedene Botschaften an die Artgenossen senden. So weiß man aus früheren Studien, dass sich die Zusammensetzung des Rufs ändert, je nachdem, wie gefährlich ein Raubtier eingeschätzt wird: So haben bei Eulen und Falken, die eine höhere Bedrohung darstellen, die Chick-a-Dee-Rufe mehr D-Töne als bei weniger gefährlichen Feinden.

In einem Experiment konnten die Forscher nachweisen, dass die Schwarzkopfmeisen falschen Satzbau auch tatsächlich als Kategorie erkennen. Dazu wurden den Vögeln drei verschiedene Sitzstangen angeboten: eine mit einem Lautsprecher, der korrekte Chick-a-Dee-Rufe abspielte, eine mit Rufen mit falschem Satzbau und eine Stange mit Stille. "Wir konnten eine deutliche Präferenz für die korrekten Rufe feststellen. Das beweist, dass die Vögel tatsächlich Kategorien für richtige und falsche Notenfolgen kennen", so Hoeschele.

"Interessanterweise" zeigten die Vögel auch eine Vorliebe für Stille: "Es kann sein, dass es für die Tiere ein wenig unbefriedigend ist, diese Rufe zu hören, wenn sie nirgends hinkönnen und sie deshalb gerne die Sitzstange ohne Rufe wählten", erklärte Hoeschele. In einem weiteren Experiment erhielten die Vögel Belohnungen in Form von Futter für Reaktionen auf korrekte Chick-a-Dee-Rufe bzw. auf solche mit falschem Satzbau.

Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter fanden hier individuelle Unterschiede in der Sprachbegabung: Individuen, die im ersten Experiment eine stärkere Präferenz für die korrekte Notenfolge zeigten, lernten schneller auf die falschen Rufe zu reagieren, berichten sie im Fachjournal "Behavioural Processes". "Falsche Notenfolgen kommen bei Schwarzkopfmeisen eigentlich nicht vor, die Vögel halten sich von Natur aus immer an die korrekte Abfolge. Einige Individuen scheinen aber eine besondere Begabung für solche Sprachspiele zu haben", sagte Hoeschele.

Weil die Schwarzkopfmeisen neben den Chick-a-Dee-Rufen noch eine Reihe anderer Rufe verwenden, die zum Teil noch komplizierter sind und deren Regeln bisher noch nicht untersucht wurden, ist derzeit noch unklar, wie komplex die Sprache der Vögel ist und welche Inhalte damit kommuniziert werden. (APA, red,)

Studie

Behavioural Processes: "Black-capped chickadees (Poecile atricapillus) discriminate between naturally-ordered and scramble-ordered chick-a-dee calls and individual preference is related to rate of learning."


Nota. - Ohne Distinktion kein Gedächtnis, ohne Gedächtnis kein Verstand, ohne Verstand keine Mitteilung.

Die Voraussetzung fürs Distinguieren ist ein Fühlen. Allerdings kann man Gefühltes auch nach Graden unterscheiden. Doch um Qualitäten - um die geht es hier - zu unterscheiden, muss man gewisse Grade auch wieder einander assimilieren können. Im obigen Versuch geht es um Töne und ihre Gradierungen. Deren Gradierungen unterscheidet man als Melodie und Rhythmus. Das sind ästhetische Qualitäten, die auf elementarster Ebene Kognition bedingen.

Baumgartens Bezeichnung der Ästhetik als "unteres Erkenntnisvermögen" ist doch nicht so falsch.
JE

Dienstag, 23. Mai 2023

Unser Stammgeflecht.


aus spektrum.de,22. 1. 2023                                                    zu öffentliche Angelegenheiten zu Jochen Ebmeiers Realien 

EVOLUTION
Am Anfang war das Stammgeflecht
Eine neue Studie zeichnet ein neues Bild vom Ursprung des Menschen in Afrika: Demnach entwickelte sich unsere Art dort an vielen Orten gleichzeitig.

von Jude Coleman

Modellrechnungen am Computer stellen die verbreitete Vorstellung in Frage, dass der moderne Mensch nur aus einer einzigen Region Afrikas stammt. Dazu haben Forschende eine große Menge genomischer Daten analysiert. Ihre Modelle legen nun nahe, dass der Mensch aus mehreren Urpopulationen hervorgegangen ist, die vor mehr als einer Million Jahren über den gesamten afrikanischen Kontinent verteilt waren. Alle Angehörigen dieser Populationen gehörten demnach trotz einiger genetischer Unterschiede zur selben Menschenart.

Das Wissenschaftlerteam stützt sich dabei auf Erbgutdaten von heutigen afrikanischen und europäischen Populationen sowie auf die DNA der Neandertaler. Publiziert hat das Team um Brenna Henn von der University of California in Davies und Simon Gravel von der McGill University in Montreal seine Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins »Nature«
.

Die Studie liefere weitere Belege für die Idee, dass es »nicht den einen Geburtsort in Afrika gibt und dass die Wurzeln der menschlichen Evolution sehr tief in die Vergangenheit in Afrika zurückreichen«, sagt Eleanor Scerri, Evolutionsarchäologin am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena, die nicht an der Studie beteiligt war.

Die alte Theorie, wonach die Art des modernen Menschen nur einen einzigen Ursprung hat, ist seit Jahrzehnten populär und stützt sich zum Teil auf fossile Funde. Laut Scerri passt sie aber nicht sonderlich gut zu den Daten. Werkzeuge und anatomische Merkmale, die dem Homo sapiens zugeschrieben werden, tauchen überall in Afrika ungefähr gleichzeitig auf. Hätte sich der moderne Mensch von einem einzigen Ort ausgebreitet, würde man eher erwarten, dass jüngere Fossilien weiter von einem zentralen Punkt entfernt sind und ältere näher an diesem Punkt zu finden sind.

Lianengeflecht statt dickem Baumstamm

Henn, Gravel und Kollegen gehen nun jedoch davon aus, dass die Menschenart, aus der sich der anatomisch moderne Homo sapiens entwickelte, aus räumlich verteilten Populationen bestand, die durch Afrika migrierten und dabei offenbar über Jahrtausende hinweg Genmaterial austauschten. »Unsere Wurzeln liegen in einer sehr vielfältigen Gesamtpopulation, die sich aus fragmentierten lokalen Populationen zusammensetzt«, sagt Scerri. Dies entspricht einem Stammbaum, der nicht aus einem oder mehreren dicken Stämmen besteht, sondern eher einem verwickelten Lianengeflecht. Die Forscher sprechen von einem »schwach strukturierten Stamm«.







Der Gedanke, dass es mehrere Ursprungsorte gibt, ist nicht neu, wohl aber die Auffassung, dass der menschliche Stammbaum an seinem unteren Ende ein solches Geflecht bildet. Brenna Henn zufolge hätten frühere Modelle mehrerer Ursprungspunkte deutlich weniger Parameter einbezogen als sie und ihr Team in der jüngsten Untersuchung.

Die Gruppe verwendete eine Software, die von Koautor Simon Gravel entwickelt wurde. Sie kann mit der umfangreichen Rechenleistung umgehen, die für ein solches Modell nötig ist. Das ermöglichte dem Team, mehr Daten einzubeziehen – anders als frühere Arbeiten, die zu wenige Gendaten verwendeten oder auf Erbgutsammlungen zurückgriffen, in denen Westafrika überrepräsentiert ist, wodurch die große genetische Vielfalt im Gesamtkontinent außen vor blieb. Die Folge: Das sich abzeichnende Gesamtbild der Geschichte des modernen Menschen und seiner Wanderbewegungen hatte Lücken.

Für die jüngste Studie bezogen die Forschenden auch DNA heutiger ost- und westafrikanischer Bevölkerungsgruppen mit ein sowie Erbgut von den Nama, die im südlichen Afrika leben. Das half der Gruppe, die Bewegung von Genen durch Raum und Zeit hinweg zu verstehen und zu verfolgen.

»Wir hatten uns vorgenommen, sehr systematisch und auf kreative Art und Weise die Modelle zu vergleichen«, sagt Henn. Herausgekommen sei ein ganz konkretes neues Modell für die menschliche Evolution.

Kein Aufeinandertreffen mit einem archaischen Unbekannten


In den Modellrechnungen können Populationen migrieren und miteinander verschmelzen, bei jedem Szenario entstehen andere Vorhersagen für den Genfluss über den Lauf von Jahrtausenden. Diese Vorhersagen werden anschließend mit der heute beobachteten genetischen Variation verglichen, um festzustellen, welche Modelle am besten zu den Daten passen.

Eine früher vorgeschlagene Erklärung für die heutige menschliche Vielfalt ist, dass sich Homo sapiens irgendwann vor relativ kurzer Zeit mit einer archaischen Menschengruppe vermischte, die sich viel früher abgespalten hatte und dann über Jahrhunderttausende isoliert geblieben war. Henn und Kollegen kommen jedoch zu einem anderen Ergebnis. Demnach passt das Modell des »schwach strukturierten Stamms« besser zu den Daten, als die Idee eines Aufeinandertreffens mit einer archaischen Gruppe.

Am Ende bleiben jedoch noch Fragen zum Ursprung des Menschen offen. Henn möchte zum Beispiel mehr DNA aus anderen afrikanischen Regionen einbeziehen, um zu schauen, ob die Ergebnisse dabei immer noch dieselben bleiben. Sie hofft auch, aus den Modellen Vorhersagen über Fundstücke machen zu können: Welche Merkmale würde man wo und wann bei menschlichen Fossilien erwarten?


Nota. - Wenn das zutrifft, käme dem aufrechten Gang eine noch größere Schlüsselrolle in unserer Evolution zu als gedacht. Denn nur solche Populationen, die nicht mehr von Ast zu Ast oder auf allen Vieren vorankamen, dürften sich wie angenommen kreuz und quer durch Afrika bewegt haben. Sollten sie zuvor noch nicht allzu eng mit einander verwandt gewesen sein - danach waren sie's. 
JE


Nota. Die obigen Fotos gehören mir nicht, ich habe sie im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE  

Aus unserer Intelligenz kann noch was werden.

aus derStandard.at, 4. 7. 2024   Sich durch teils komplexe Internetseiten zu navigieren ist eine große kognitive Leistung, sagt Pietschni...