Donnerstag, 22. Juni 2023

Wo sind die vergessenen Malerinnen geblieben?

                              zu Männlich zu Geschmackssachen 
aus welt.de, 14.06.2023     Rosalba Carriera, Eine Dame mit einem Papagei auf der rechten Hand (Allegorie der Beredsamkeit) um 1725/30

FOLGEN DER DISKRIMINIERUNG

Das vergebliche Hoffen auf die unentdeckten Meisterinnen
Verstärkt suchen Museen in ihren Magazinen nach Werken übersehener weiblicher Künstler. Und finden wenig. Warum wir akzeptieren müssen, dass sie oft nicht an die männliche Konkurrenz heranreichten – und diese Erkenntnis trotzdem nicht misogyn ist.

Von Hans-Joachim Müller

Kunst, altes Ewigkeitsversprechen! Ewig unaufhaltsam, wechsellaunisch, erfindungssüchtig. Immer neue Namen, neue Stile. Nicht nur an Messetagen erscheint die Proliferation an Neuem so unaufhaltsam, dass man mit Schrecken an die Entrümpelung der Altbestände denkt. Zumal ja auch in längst verschlossenen Magazinen nach Übersehenem gegraben wird.

Kein anderes Medium hat sich so wie die Kunst systematischer Vergesslichkeit schuldig gemacht. Es gibt wohl Dichterinnen, an die sich niemand mehr erinnert, und gewiss auch Komponistinnen. Aber dass lange Jahrhunderte ohne Malerinnen und Zeichnerinnen überliefert worden sind, das ist singuläre Kunstgeschichte. Und zuweilen kommt es einem wie Hohn vor, dass die Sprache der Kunst ausgerechnet das weibliche Geschlecht verliehen hat.

Maskuline Zuständigkeiten

Man kann nicht sagen, dass Elisabetta Catanea Parasole keine Karriere gemacht hätte. Aber wenn sie nicht als Waisenkind in Bergamo im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts aufgewachsen und von früh an in der Stickkunst unterwiesen worden wäre, weil nur das ihrer Rolle als Frau aus armseligen Verhältnissen entsprach, wüsste man entschieden mehr. So hat sich nur der Ruf einer Textildesignerin erhalten, die es vorwiegend mit ihren Druckgrafiken zu einigem Ansehen und vergänglichem Ruhm gebracht hat.

Und wenn nicht das Berliner Kupferstichkabinett in einer verdienstvollen Recherche den „Frauen in der italienischen Renaissance 1400-1800“ nachgeforscht hätte, dann wären die Holzschnitte der Elisabetta Catanea Parasole für etliche dunkle Zeiten auch weiter im Prachtband der Kunstbibliothek versteckt geblieben.

Angelika Kauffmann, Die verlassene Ariadne, vor 1782

Nimmt man die „Künstlerinnen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert“ hinzu, die die Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden zeigt („Aus dem Schatten“), dann steht man vor einer ganzen Klasse unbekannter oder kaum bekannter Künstlerinnen, die in den Verschleißprozessen der Kunstgeschichte ausgemustert worden sind. Einer Kunstgeschichte, die sich eben nicht bloß ewig wechsellaunisch und erfindungssüchtig gab, sondern von der Antike an immer nur maskuline Zuständigkeiten gelten lassen wollte.

In keinem der platonischen Dialoge hat der rechthaberische Sokrates eine ebenbürtige Partnerin an seiner Seite. Und Aristoteles, der bis ins Mittelalter hinein die philosophischen Stichworte lieferte, kennt so wenig Künstlerinnen, wie die gelehrten Kirchenväter eine gelehrte Kirchenmutter neben sich geduldet hätten. So hat es auch nicht ausbleiben können, dass die Renaissance-Entdeckung des genialisch selbstbewussten Subjekts dem Männersport vorbehalten blieb, und malende Heroen wie Raffael, Leonardo oder Tizian keine Konkurrentin auf dem engen Markt zu fürchten hatten.

Weshalb es nun auch kaum verwundern kann, dass die Öffnung der lange verschlossenen Künstlerinnen-Archive nicht lauter unbekannte Meisterwerke ans Licht bringt. Vor allem die Ausstellung des Berliner Kupferstichkabinetts geht sehr großzügig mit der Berufsbezeichnung um. Barbara Pirckheimer, Tochter der mit Dürer befreundeten Nürnberger Patrizierfamilie, war eine gewiss kunstverständige Ordensfrau, aber von eigener Produktion ist nichts überliefert.

Oder Isabella d’Este. Am Hof von Mantua präsidierte sie als gebildete Mäzenin, die selbstbewussten Talenten wie Mantegna oder Correggio ebenso generös wie anspruchsvoll die Wege ebnete. Von eigener Mal- oder Zeichenbegabung ist nichts überliefert
.


Was freilich kein Einwand sein kann gegen die kunstgeschichtliche Erinnerung an die „Musen oder Macherinnen“, wie sie in Berlin vorgestellt werden. Markiert das Leistungsdefizit doch sehr genau die Grenzen, an die weiblicher Kunstverstand in der männerdominierten Renaissance-Gesellschaft stoßen musste.


Männerdominierte Gesellschaft

Mitarbeit ja. Mitsprache eher selten. Teilhabe, wenn’s nicht anders geht. Aber vor allem keine Selbstständigkeit. Und schon gar keine Führungsaufgabe. Es kam vor, dass Maler-Väter ihre begabte Tochter in ihre Werkstatt aufgenommen oder viel beschäftigte Maler ihre Ehefrauen an den florierenden Geschäften beteiligt haben.

Aber dass Künstlerinnen ein eigenes Bilder-Unternehmen geleitet hätten, das gab’s nur ein-, zweimal. Lavinia Fontana blieb die zu Recht berühmte Ausnahme. Aufgewachsen im relativ liberalen Klima der norditalienischen Stadt Bologna hat die Malerin in den Siebzigerjahren des 16. Jahrhunderts die Werkstatt ihres Vaters übernommen und sie mit gutem Gespür für ihre vermögende Klientel in Kirche und Adel zum europäischen Erfolgslabel aufgerüstet.

Lavinia Fontanas „Die Heilige Familie“

Dass sie es durchsetzte, auch nach ihrer Heirat – ganz gegen die Gepflogenheiten – Malerin bleiben zu können und es trotz elf gemeinsamer Kinder geblieben ist, belegt das einzigartige Kraftgemisch aus Wille, Beharrlichkeit und künstlerischem Genie. Lavinia Fontana ist auch eine der seltenen Malerinnen ihrer Epoche, die an einem überlieferten Werk fassbar ist. Mit Museumsbildern in Bologna, Dublin, Marseille, Dresden („Heilige Familie“), worunter die beiden Selbstporträts in Florenz und Rom zu den stärksten Eindrücken gehören.

Wie nachhaltig ihr Werk wirkte, belegt ein Kupferstich des französischen Zeichners Jacques Callot nach Fontanas monumentalem Altarbild „Martyrium des Hl. Stephanus“, das bei einem Brand in der römischen Basilika St. Paul zerstört worden ist.

Versäumnis-Muster

Umso bemerkenswerter, dass die wenigen zu Leb- und Wirkzeiten überaus erfolgreichen Künstlerinnen wie Lavinia Fontana, Sofonisba Anguissola, die Tintoretto-Tochter Marietta Robusti oder die fabelhafte Pastellzeichnerin Rosalba Carriera so gut wie in keiner Chronik aufbewahrt werden.

Ein Versäumnis-Muster, das sich von Lorenzo Ghibertis „Commentarii“ über Leon Battista Alberti („De pictura“) oder Leonardo („Trattato della pittura“) bis zu den Künstlerbiografen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts durchzieht. Giorgio Vasari, der in seinen „Vite“ über 160 Werk- und Lebensbeschreibungen zur Renaissance-Kunst gesammelt hat, kennt nur die vorwiegend als Bildhauerin bekannt gewordene Properzia de‘ Rossi aus Bologna.

Für den Chronisten ein Fall von gelinder Amtsanmaßung, schien die Steinbearbeitung doch ganz und gar nicht ins Weichbild der Frau zu passen. Ein gleichsam pädagogisches Beispiel also, wie man es tunlichst nicht machen soll. Weshalb vom Werk der Künstlerin außer ihrer Fama auch nichts geblieben ist.

Von Diana Montovana ist nicht einmal der zutreffende Name gesichert. Nicht selten wird sie „Scultori“ genannt – wohl nach ihrem Vater, der einer Bildhauer-Werkstatt vorstand. Freilich hatte sie, was Geschäftssinn und künstlerischen Ruf anbetraf, den Familienbetrieb in Mantua bald überboten und mit ihren grafischen Blättern das lokale Netzwerk international erweitert.

Als erste Frau erhielt sie vom Papst das Privileg, ihre Druckplatten zu signieren und in der eigenen Offizin zu vermarkten. Ein Zugeständnis, das verschweigt, dass der ehrgeizigen Künstlerin, der die Teilnahme am obligaten Ausbildungsgang des Aktzeichnens verwehrt worden war, gar nichts anderes übrig blieb, als mit Kupferstichen nach Gemäldevorlagen ihrer männlichen Kollegen Furore zu machen.

Es ist so gesehen nicht bloß Ranküne einer lange Zeit männlich dominierten Kunstgeschichtsschreibung, wenn wir von Künstlerinnen kaum etwas wissen, und es schon ein Glücksfall ist, wenn man in den Museumssammlungen auf eines ihrer raren Bilder stößt. Und vergeblich wird man über der längst fälligen Rehabilitation auf unvergessliche Gemälde hoffen.

Frauenpower unerwünscht

Lavinia Fontana hat den gegenreformatorischen Bildermarkt eindrucksvoll bereichert und ihre Porträtbilder halten jede Zeitkonkurrenz aus. Aber die Virtuosität, den Erfindungsreichtum, die ihr Bologneser Stadtkollege Guido Reni bewies, hat sie nicht erreicht – nie erreichen können. Die überwiegende Mehrzahl vor allem in der Berliner Auswahl sind Werkstattmitarbeiterinnen gewesen, die ihre zugewiesenen Aufgaben bravourös erfüllten, aber keine Gesamtverantwortung trugen und wie die männlichen Malarbeiter neben ihnen niemals aktenkundig wurden.

Natürlich wäre es längst an der Zeit, das verstreute Werk der Lavinia Fontana in einer gründlich erarbeiteten monografischen Ausstellung zu präsentieren. Und die grandiose Schau, in der jetzt Dresden rund hundert Pastelle der Venezianerin Rosalba Carriera versammelt, macht mehr noch als die parallele Künstlerinnen-Übersicht anschaulich, was man bislang versäumt, was man einfach übersehen hat.

„Pastellmalerei“: Gleich denkt man an Jean-Etienne Liotard und sein zauberhaftes „Schokoladenmädchen“ in der Gemäldegalerie. Nun hat die fein gepuderte Serviertochter eine feinst gepuderte Entourage bekommen, und zumindest hier leuchtet es unmittelbar ein, warum die Sprache doch recht behält, wenn sie zur Kunst gegen alle Wahrscheinlichkeit „die“ sagt.


Nota. - Wurden sie vergessen, oder gab es nicht viele von ihnen? Na, mehr als Hajo Müller kennt, gab es jedenfalls. Und dass sie von den Zeitgenossen nicht beachtet wurden, kann man nicht eben sagen. Rosalba Carriera, die er uns doch so darstellt, war im Gegenteil eine künstlerische und geschäftliche Großmacht ihrer Zeit. Um an ihre in ganz Europa begehr-ten Pastelle zu gelangen, reiste der sächsische König von Polen höchstselbst nach Venedig. Und Angelika Kauffmann vom Vorarlberg war in England so erfolgreich, dass sie ihren Lehrer und Präsidenten der Royal Academy, der dort den Markt und den Geschmack beherrschte, fast an den Rand drängte. 

Und doch geriet sie so in Vergessenheit, dass Hajo Müller noch ihren Namen falsch schreibt.

Wieso? Da habe ich eine Idee, und die kommt mir eben bei der Erwähnung von Joshua Reynolds. Der galt noch vor ein paar Jahrzehnten auch bei uns auf dem Kontinent als der englische Maler de Rokoko. Inzwischen trat er fast unbemerkt in den Schatten seines zeit-lebens unterlegenen Rivalen Gainsborough. In diesem Fall liegt der Grund klar auf der Hand. Reynolds war der Primus, weil er der König der Porträtmalerei war - weil und solange die Porträtmalerei die Königin der Malerei war. Das war sie nämlich im Rokokozeitalter, als jeder Gentleman ein Bild von sich und seiner Familie in seinem Landsitz aufhängen wollte.

Joshua Reynolds, Master Thomas Lister, 1775

Ob Gainsborough als Porträtist genauso gut oder gar besser war, ist Geschmackssache. Doch allzusehr lag es ihm gar nicht am Herzen. Er war die ewigen Porträts, die wenig Platz für ästhetischen Eigensinn ließen, leid und widmete sich immer wieder mal nach holländi-schem Vorbild der Landschaft. Und die war unter den Malereifächern noch die am gering-sten geachtete.

Aber sie war im Kommen. Dieselbe Gentry, die dem Porträt einen Supermarkt gebildet hatten, ging dazu über, ihre Barockgärten in naturgemäße Landschaftsparks umzuwandeln. Gainsborough hat Reynolds verdrängt. Er ist zu seiner Zeit ein Avantgardist gewesen.

Thomas Gainsborough, Der Marktkarren, 1786

Angelika Kauffmann und Rosalba Carriera haben zu Lebzeiten Furore gemacht, weil sie den Zeitgeschmack ihrer Epoche bedienten. Und darum sind sie in Vergessenheit geraten.

Soviel zur ästhetischen Seite. Auf der geschäftlichen Seite haben Frauen schon während der Renaissance, die ja Hajo Müllers Streitross ist, mit ihren männlichen Kollegen gleichgezo-gen; teste die Werkstatt der Plautilla Nelli. Gleichgezogen? Sie haben sie eingeholt und überholt. Sie haben die erste Manufaktur der Bildkopie gegründet und das Zeitalter der Reproduzierbarkeit eingeläutet. 

Avantgardistisch waren sie aber nur in kommerzieller Hinsicht. In ästhetischer Hinsicht bedienten sie natürlich den Geschmack ihrer Epoche.

*

Ach, übrigens war auch Artemisia Gentileschi zu Lebzeiten recht erfolgreich. Stilistisch originell war sie allemal. Sie hat die dramatisch-naturalistische Malweise Caravaggios von ihrem Vater Orazio übernommen, der einer von dessen ersten Gefolgsleuten war. Sie hat aber die Marotten der Manieristen, die Caravaggio gerade eben überwunden hatte, wieder unterschoben. Das hat momentan anscheinend gefallen, aber auf die Dauer hat sie sich damit blamiert.
JE


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