Montag, 24. April 2023

Ursprünglichste Ontologie.

 Menhir, Filitosa, Korsika                                                         zu Philosophierungen

Eine Sache ‚bestimmen’ heißt: ihren Platz in einem Wirkungszusammenhang ausfindig ma-chen. Daß sie in einem Wirkungszusammenhang steht, ist a priori vorausgesetzt. Dieses Apriori erscheint als ein logisches; ist aber ein historisches. Cf. Habermas: die Leistungen des transzendentalen Subjekts sind ein Erwerb der Gattungsgeschichte. Die ‚Idee’ eines Wirk-Zusammenhangs (Animismus) kommt auf, sobald die ‚Menschen’ (Hominiden) ihre ‚Welt’ selber machen: auf selbstgewählte Zwecke absehen und ihnen gemäß handeln. Die Idee der Kausalität - alles ist Wirkung, also hat alles eine Ursache - ist Teleologie a tergo [Nietzsche]. Zugrunde liegt die (‚unvordenklich’ gewordene) Frage: Wozu mag das Ding taugen? Zuerst: mir taugen. Erweiterung: Wenn es zwar nicht mir taugt, dann wohl einem Andern... Was dieses Andere sei, ist das Problem der Metaphysik. Der Wirkungszusammen-hang, der nicht meiner ist, ist das An-sich.

Im allgemeinen Wirkungszusammenhang (‚das Absolute’ in Fichtes Grundlagen...) wird das Eine durch das andere ‚bedeutet’: Nicht Es bedeutet ‚sich-selbst’, sondern das Andere be-deutet es. Nur darum kann ein ‚Wesen’ (das eigentliche Sein) von der ‚Erscheinung’ unter-schieden werden. - Es ist Entwicklungsgeschichtlich aber nicht so, daß das ‚Wesen’ nach-träglich zur Erscheinung hinzu tritt; sondern umgekehrt:
 
Der animistischen ‚Welt’-Anschauung erscheinen alle Dinge als mit eignem Willen begabt. Sie werden nicht von Anderem bedeutet, sondern bedeuten sich selber. Diese eigenwillige Selbstbedeutung kann man den Dingen und namentlich den Tieren ansehen; wohl nicht entziffern, aber doch erschauen: weniger erkennen als erraten. 

Ursprünglich besteht die Welt aus lauter Rätseln. Und zwar so, daß, was nicht zum Rätsel wird, in die ‚Welt’ gar nicht recht eintritt: als nichts-sagend. ‚Wissen’ ist ursprünglich Physio-Gnosis. Will sagen, ‚ursprünglich’ sind Anschauen und Begreifen nicht getrennt, sondern in der animistisch-magisch-mythischen Für-wahr-Nehmung eins. - Mit der Erweiterung des eigenen Wirkungskreises schiebt sich im angesammelten Gedächtnis vieler Generationen zwischen die Wahrnehmung der je einzelnen Wirkungsakte ‚belebter Dinge’ die Erfahrung von Wirkungs-Zusammenhängen - die im Gedächtnis nun als ein besonderes Bild (daimôn: 'der zuteilt', vgl. Prellwitz), neben den Abbildern der belebten Dinge, bewahrt werden kön-nen: Der Begriff tritt hinzu - und trägt, qua Abstraktion, in die Anschauung die Reflexion hinein. Jetzt erst scheiden sich Wesen und Erscheinung, indem das Werden (genesis = Wir-kung) als Akzidens eines substanten Seins, alias Ur-Sache (ontos on = Zusammenhang der Wirkungen in einem Ursprung) gedacht werden kann. Die Anschauung wird "intellektual" - d. h. spekulativ; und scheidet sich von der gewöhnlichen, ‚sinnlichen’ Anschauung, die sie als roh verachtet. Seitdem zerfällt die Welt in Subjekt und Objekt.

im Juni 2002


Nachtrag. Die moderne Vorstellung von einem Allgemeinen Zusammenhang ist die Grundlage aller Vernünftigkeit. Wenn von Vernunft heute auch niemand mehr reden will, ist doch jeder darauf bedacht, in der Öffentlichkeit nicht unvernünftig zu erscheinen. Denn wenn man ihm das nachweisen könnte, würde ihn niemand mehr für seinesgleichen erken-nen.

Das ist das, was Fichte das 'gemeine Bewusstsein' nennt; common sense, gesunder Men-schenverstand. Das ist die Bewusstseinsverfassung eines normalen Alltagsmenschen und des Professors einer Realwissenschaft gleichermaßen. Zweck der Vernunftkritik (Kant) alias Wissenschaftslehre (Fichte) war, die Rechtfertigung dieser Auffassung zu prüfen, indem sie ihre Herkunft untersuchten. 

Ihr Ausgangspunkt ist eine Welt, in der Alles - wenigstens virtuell - schon bestimmt ist. Ihr Verfahren ist, die Bestimmungen, rückwärts gehend, Schritt für Schritt aufzulösen Und an einen Punkt zu gelangen, wo das Bestimmen allererst angefangen hat. Es wird sich finden, dass dieser Punkt nur als das Selbst-Bestimmen eines zuvor (so gut wie)* Unbestimmten gedacht werden, aber das spielt hier noch keine Rolle. Auf jeden Fall bedeutet 'bestimmen' in transzendentalphilosophischem Sinn nicht, einen vorgegebenen Zusammenhang aufzu-suchen. Es bedeu-tet übergehen vom (relativ) Unbestimmten zum (relativ) Bestimmten. Ob und wie die unterwegs angesammelten Bestimmungen sich schließlich zu einem Zusam-menhang fügen, ist das Thema der realen Wissenschaften - zu denen in diesem Fall auch die Logik zu zählen ist.

Der obige Eintrag war ein Versuch in realer Anthropologie.

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*) Eine ursprüngliche Agilität wird man ihm nachträglich doch zudenken müssen, sonst passierte gar nichts.
11. 6. 18 


Nota. -  Das ist eine - spekulative - Realgeschichte des wirklichen Bewusstseins. Die prag-matische Geschichte der Vernunft verfährt umgekehrt: Sie beginnt beim vollständigen Ver-nunftsystem und zieht von ihm wie die Häute von einer Zwiebel nach und nach die histo-risch gewordenen Bestimmungen ab - bis sie zum Schluss, als auf das Vorauszusetzende schon der allerersten Bestimmung, auf das Bestimmende selber stößt. Das ist keine Realge-schichte, sondern Transzendentalphilosophie.
18. 6. 20

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