LUTHERS WERKE IN BOCHUM
Wer hier raucht, hat mehr vom Licht
Kühle Bildschleier vor opulenten Gläserwänden: Das Bochumer Museum unter Tage zeigt Adolf Luthers Spiegelobjekte und Teile seiner Sammlung
von GEORG IMDAHL
Auf den Abstand kommt es an. Der Kritiker Georg Jappe taxierte ihn 1969 in dieser Zeitung auf „gut einen Meter“, dann stelle sich der „Bildschleier vor der Gläserwand“ ein, eine Raumerfahrung gleich einer „Fata Morgana“, schrieb der Rezensent über eine Ausstellung von Adolf Luther in Leverkusen und kam zu dem Resümee: „In sich selbst sich spiegelnd, stellt das Licht sich selbst dar. Metaphysik? Optik? Metaoptik?“ So philosophisch ging Feuilleton damals. Nicht nur das. Angesichts einer Installation mit Lichtstrahlen, die von der Decke senkrecht auf zahlreiche Hohlspiegel am Boden herabfallen, hatte der Chronist eine Empfehlung parat, die heute nicht mehr durchginge: „Wer hier raucht, hat mehr vom Licht.“
Im Bochumer Museum unter Tage entfaltet der „Fokussierende Raum“ von 1968 auch für Besucher ohne Zigarette seine ätherische Wirkung. Tatsächlich eröffnen viele von Luthers Spiegelobjekten beim Hinschauen in der rechten Distanz einen sphärischen Raum, der die Wahrnehmung gleich einem Hologramm umfängt. Die Erscheinung ist, mit einem heutigen Modewort gesprochen, unbedingt immersiv, sie verdankt sich der Krümmung von Spiegeln, die, quadratisch im Raster geordnet, wie Flutlichtstrahler in einem Fußballstadion aussehen. Klarheit, Transparenz, Reinheit wusste der gebürtige Krefelder Adolf Luther (1912 bis 1990) in seinen Objekten in unterschiedlichsten Tonlagen zu orchestrieren. Mit flachen und gewölbten Spiegeln in makellosen Glasbehältnissen schuf er Instrumente des Sehens in einem kühlen Rationalismus, diskreter Eleganz oder auch schwelgerischer Opulenz.
Die Bochumer Ausstellung fächert die Facetten dieses Werks auf, von frühen massigen Farbspachtelungen, die die Farbe noch matt spiegeln, bis zu einem Raum mit mehreren schweren Bildobjekten samt einer frei stehenden „Sinuskurve“ – schon oft konnte man diesen Werken in den letzten Jahrzehnten begegnen, so harmonisch und schwerelos aber hat man sie im Verbund kaum gesehen. Der Raum badet in Wohlklang, bezeugt aber auch dies: Über einen retinalen Impressionismus kommt dieses Werk nicht hinaus.
Luthers Lebensweg ging vom Verwaltungsrichter zum Künstler
Zum dreißigjährigen Bestehen hat die Krefelder Adolf-Luther-Stiftung 2021 eine kiloschwere Monographie aufgelegt, die den ganzen Luther vorstellig macht und plausibel darlegt, wie dieser Bildhauer spätere Künstlergenerationen anregte, so Anish Kapoor, Olafur Eliasson oder Angela Bulloch. Dem Buch ist auch die ungewöhnliche Karriere des Autodidakten zu entnehmen, die erst über den jungen Essener Stadtinspektor und den Verwaltungsrichter in Minden und Düsseldorf schließlich im Jahr 1957 zum Beruf Künstler führte. Luther kündigte den Staatsdienst. Dank umsichtiger ökonomischer Daseinsvorsorge konnte er sich das leisten und eine autonome künstlerische Existenz aufbauen, die ihn nicht nur über Wasser hielt, sondern zu einem der gefragtesten Künstler der alten Bundesrepublik machte, wenn Foyers und Konferenzräume in Instituten, Banken, Firmen mit moderner Kunst ausgestattet werden sollten.
Glasbruch bringt künstlerisches Glück: Adolf Luthers „Lichtschleuse“ von 1964 aus Stahl, Aluminium und spiegelnden Brocken von Glas.
Für die Zeitspanne von 1938 bis 1945 verzeichnet die Biographie nur wenige Daten, für 1943 den kargen Eintrag „Promotion in Bonn zum Dr. jur.“. Das kann als Information allein nicht genügen. Weitere Angaben zu jenen Jahren lauten „erste Aquarelle und Zeichnungen“ an der Westfront, „vertiefte künstlerische Studien“ auf den Kanalinseln, „Aktzeichnen in den Studios am Montparnasse“. Im Krieg hat Luther eher harmlose Impressionen gemalt, direkt danach aber Nachdenkliches auf die Leinwand gebracht wie eine „Selbstbesinnung“ von 1947. Auch davon hätte man in der Schau gern etwas gesehen.
Adolf Luther – Licht. Werk und Sammlung.Museum unter Tage, Bochum, bis zum 10. April. Eine Künstler-Monographie aus dem Jahr 2021 im Hirmer Verlag kostet 68 Euro.
Nota. - Ja, das geht auch: einer, der malt, ohne beschlossen zu haben, Künstler zu werden. Und wenn er nicht weiß, was, dann malt er eben nichts. Aber er bildnert. Objekte und Installationen machen sie heute allenthalben; wer weiß, was er malen will, ist als Künstler fast schon suspekt. Doch ein solcher ist er ja im Ernst nicht geworden, und so kommt er auch nicht in Ver-dacht, irgendeiner Manier nach- oder vorausgelaufen zu sein. Retinaler Impressionismus bedeutet immerhin, dass auf den Bildern ganz altmodisch was zu sehen ist. Was es darüber zu sagen gibt, darf sich jeder selber denken.
JE
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