Mittwoch, 15. Februar 2023

Befreiung der Natur oder Befreiung der Kunst?

 
aus FAZ.NET, 14. 2. 2023               Carl Robert Kummer Abendstimmung an der Elbe, wohl 1830er.                  zu Geschmackssachen

ÖLSTUDIEN
Grau zu Blau in Mutter Natur
Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang: Wieso man in einer von Florian Illies klug kuratierten Schau in Düsseldorf das Lied nicht mehr aus dem Kopf bekommt.

von STEFAN TRINKS


Ölstudien, das Wort mag für manche wie die Suche nach unerschlossenen Quellen schwarzen Goldes klingen. Für Kunstinteressierte jedoch ist es seit einigen Jahren der Goldstandard. Oft auf Reisen und nahezu immer in der Natur vor dem Objekt entstanden, sind es gut transportable und daher kleinformatige Skizzen auf einfachen und leichten Materialien wie Karton oder eigens (teils abenteuerlich krumm, wie nach dem Genuss von zwei Flaschen Chianti) zugeschnittenen dünnen Holzplatten. Ein Widerspruch bleibt: Die Ölstudie versucht Flüchtiges wie den wandernden Stand der Sonne in größter Spontaneität und Frische festzuhalten, setzt dies jedoch mit der eigentlich langsam trocknenden Ölfarbe um. Das allerdings ist konsequent, wollten die Künstler doch die Stimmung eines bestimmten Moments in genau der Maltechnik und Tonalität fixieren, in der das Bild später ausgeführt würde.

Immerhin konnte ab 1840 die fertige Ölfarbe in Tuben bequem mit unter freien Himmel genommen werden, wogegen sie zuvor mühsam im Atelier angerührt und in Schweineblasen transportiert werden musste. Zwar hat die Ölstudie in ihrer Blütezeit, dem neunzehnten Jahrhundert, primär dienende Funktion – sie schafft die kleinen Vorlagen für oft monumentale Landschaftsgemälde. Durch ihre gestische Spontaneität ist sie aber wesentlich freier, zugleich sanfter als das fertige Produkt. Heutzutage, mit seit der Moderne entwickelten Vorlieben für das nicht in allen Details Ausgeführte, gar Fragmentierte in gewagten, quasicineastischen Anschnitten, sind die Studien eines der angesagtesten Sammelgebiete der Kunst.

Ttaugott Faber Blick auf Dresden“,1823 in Öl 

Insofern darf schon jetzt ungestraft behauptet werden: Die vollständig diesen flüchtigen Ölstudien – und zwar über hundert von ihnen – gewidmete Schau „Mehr Licht. Die Befreiung der Natur“ im Düsseldorfer Kunstpalast, kuratiert von Florian Illies und Anna Schütz, ist eine der faszinierendsten des Jahres. Denn wo ließen sich sonst bei Meistern wie Achenbach, Blechen, Carus oder Friedrich die Wege zum fertigen und oft wohlbekannten Bild so atemberaubend verfolgen – gerade so, als würde man in der flirrenden Sonne Italiens den Malern über die Schulter blicken und ihnen zusehen, wie sie unter Aufbietung all ihrer Kunst etwas so Abstraktes wie Sonnenlicht auf den Bildträger zu bannen suchen.

Symbol für weltabgewandte Traumzonen

Die Auftaktwand zeigt dann auch neun traumschöne Wolkenstudien diverser Hände, Inbegriff der Flüchtigkeit und Symbol für weltabgewandte Traumzonen. Genauso fesselnd sind allerdings die heute vergessenen oder damals schon nur in der zweiten Liga spielenden Künstler, die interessanterweise in den Ölstudien all ihre sonstige Holzigkeit und Starre ablegen und zu Spitzenleistungen auflaufen. Beispielsweise werden die wenigsten behaupten können, auf Anhieb sonderlich viel über den Maler Heinrich Reinhold aus dem Gedächtnis abrufen zu können; in Düsseldorf hängt zweimal seine fast identische, sonnengebadete Landschaft von Cocumella bei Sorrent in Süditalien, im Sommer 1823 im Abstand von nur einem Tag auf dem Malkarton fixiert.



C. D. Friedrich, Küstenlandschaft im Morgenlicht, 1816-18

Und wie in der Bildgegenüberstellung eines „Finden-Sie-die-Fehler“ beginnt man unwillkürlich die leicht veränderte Farbe des flaschengrünen Meers und des leicht veränderten Anschnitts des Felsens links zu vergleichen. Zudem man sehr unmittelbar angesichts des Etretat-ähnlichen Felsbogens realisiert, dass dieser Reinhold und viele seiner in Ölstudien vernarrten Zeitgenossen ein halbes Jahrhundert vor Impressionisten wie Monet das Wandern der Sonne auf ebendiesem Felsen oder Fassaden von Gebäuden in Dutzenden von „seriellen“ Bildern festgehalten haben. Sage keiner, es handele sich hier um ein anachronistisches Überstülpen moderner Kategorien: Ebenjener Reinhold schreibt in dieser Zeit in einem Brief geradezu programmatisch an seine Frau, nirgends ließe sich mehr Italien und vor allem mehr Seele eines Künstlers finden als in einer Ölstudie.

Die Schau überrascht mit Volten

Ebenfalls sehr präimpressionistisch wirkt im zweiten Saal des Düsseldorfer Professors und Lehrers Johann Wilhelm Schirmers „Bachschleuse“ oder die „Menai Hängebrücke“ von 1837, die das dunkle Metall des technischen Wunders als Vertreter der „vie moderne“ in der Sonne glänzen lässt, ohne Menschen zu zeigen.

Johann Wilhelm Schirmer Bachschleuse um 1827-28

Menschenleer ist auch Blechens Studie „Sanssouci“ und an Lakonie nicht zu übertreffen, wenn er einen Baum ins Zentrum setzt und die Weinbergterrassen mit Schloss als dunkle Streifen ins Hintergrundsfumato verweist. Mit Ludwig Hugo Beckers „Waldlandschaft mit Sandballen“ hat sie dennoch ein kongeniales Pendant, da die Bäume mit ihren spinnrigen Wurzelfingern im sandigen Untergrund sichtlich verzweifelt Halt zu finden versuchen.

Der Spontaneität zuwider scheinen die Fensterstudienbilder zu laufen, wie etwa Traugott Fabers „Blick auf Dresden“ von 1823 (s. o.): Hinter den weit geöffneten Fensterläden erstreckt sich – einer altdorferschen Weltlandschaft gleich – sein „Blick auf Dresden“ im Sonnenuntergang, mit dem blau spiegelnden Band der Elbe im Vordergrund. Jedes Detail ist durchkomponiert, ebenso wie bei dem peniblen Fenster- und Türblick des auch malenden Erfinders der Daguerreotypie, Louis Jacques Mandé Daguerre, der hier im Grunde die Motive für seine technisierte „Lichtmalerei“ vorbereitet. Immer wieder überrascht die Schau mit Volten wie jene des gerade erst sechzehnjährigen Andreas Achenbach, dessen surreale Ölskizze zwar zwei Fensterblicke zeigt, allerdings durch zerbrochene aus Bleiglas in gotischen Spitzbögen der Ruine der Abtei Altenberg.

Carl Maria Nicolaus Hummel Studie eines Baumes im Park der Villa Carlotta 1855


Neue Wertschätzung der Farbe Grau

Den vorläufigen Höhepunkt bietet eine Apsis mit stundenunterteiltem Tagesverlauf auf dem Boden, dem jeweils ein Bild des jeweiligen Sonnenstands zugeordnet ist. Carl Robert Kummers „Abendstimmung an der Elbe“ (s. o.) ist hier mit nur 19 mal 31 Zentimetern eine der kleinsten Studien im Kunstpalast, zu Recht aber zum Plakatmotiv erkoren worden. Über der silbrig die untergehende Sonne reflektierenden Elbe zieht sich ein glutorangeroter Streifen ihres im Ersterben sich noch einmal aufbäumenden Lichts und darüber wiederum ein dunkles Wolkenband. Darüber hellt sich der Himmel zu der unbeschreiblichen Farbe der „blauen Stunde“ auf, der von schräg nach oben ziehenden kleinen Wolken gequert wird.

Heinrich Reinhold Welle an der Küste Sorrentos, 1823

Diese Bänderung aus Licht und Farbpigmenten erinnert unwillkürlich an die schwebend flirrenden Farbstreifen Marc Rothkos in der Moderne, ähnelt aber in ihrer Entstehungszeit, wohl die Dreißigerjahre des neunzehnten Jahrhunderts, sehr dem relativ monumentalen „Großen Gehege“ Caspar David Friedrichs in Dresden, aber auch dessen kleinformatiger „Küstenlandschaft im Morgenlicht“ von etwa 1816. Dies ist kein Zufall: Eines der erfolgreichsten Bücher zur Entwicklung der modernen Kunst ist Robert Rosenblums „Von Friedrich to Rothko“ – und bildet nicht von ungefähr den „Mönch am Meer“ des Romantikers auf dem Buchdeckel ab. Genauso hätte der Autor Böcklins „Teich mit Seerosen“ von 1846 abbilden können, eine erstaunliche schwebende Abstraktion in Matschbraungrau und Grün.

Georges Michel Ansicht von Meudon auf Paris


Auch diese neue Wertschätzung der Farbe Grau durch Friedrich und andere wird in Düsseldorf ernst genommen: Ein ganzer Saal ist dem „Schlechten Wetter“ und dem Zauber der uneindeutigen Grautöne etwa für die Romantiker gewidmet, inklusive eines Katalogbeitrags des Graubuch-Autors Peter Sloterdijk. Die eminente Bedeutung von Ölskizzen wie Anton Sminck van Pitloos spektakulärem „Wolkenbruch vor der Küste“ für Moderne wie Gerhard Richter flackert beim Betrachten im Hinterkopf auf, denn hier schlitzen vier breite Pinselstriche aus der höllendunkelgrauen Sintflut-Gewitterzone in die abstrakten Farbstreifen der Erde darunter.

Lord Frederic Leightons  Terrasse auf der Insel Capri 1859

Die Krönung der durchchoreographierten Schau bildet das Kapitel „Italienische Erleuchtung“, das vor allem mit Böcklins „Felswand der Aequerberge östlich von Rom“ aus dem Jahr 1850 und Corots Studien brilliert – von allen Reisezielen half die Sonne Italiens eben den Ölstudenten am besten, ihren Malkartons die täglich neu entflammende Sehnsucht in Öl einzubrennen.

Mehr Licht. Die Befreiung der Natur. Kunstpalast Düsseldorf; bis 7. Mai. Der ausnehmend schön gestaltete Katalog im Sandstein Verlag kostet 35 Euro.


Nota. - Zählen Sie nach, wenn Sie mir nicht glauben: Stefan Trinks verwendet in seinem Bericht über die Befreiung der Natur in der Malerei das Wort Landschaft genau vier Mal - beim Zitieren von Bildertiteln. Sehr anschaulich beschreibt er die Rolle der neuen industri-ellen Ölfarben aus der Tube - doch dass es sich bei der "Natur", die dadurch befreit wurde, natur gemäß um Landschaften handelt, spricht er nicht ein einziges Mal aus.

Die erwähnte technische Neuerung wäre ohne ästhetische Folgen geblieben, wäre sie nicht auf das Motiv gestoßen, dem sie mehr als irgendeinem andern entsprach: der Landschaft unter freiem Himmel. William Turner war ein Virtuose des Aquarells, seit er zu malen begann. Aber ein Genie des Landschaftsaquarells und Pionier der Abstraktion von der Gegenständlichkeit der Gegenstände wurde er, als er so zu aquarellieren begann, wie es ihn seine Ölskizzen gelehrt hatten. 

Turner, Brennendes Schiff auf hoher See

Ich nehme an, die Redaktion der FAZ erlaubt Stefan Trinks nicht, den Lesern ihrer Zeitung alles mitzuteilen, was er weiß. Nicht das Licht hat die Natur von den Kunst befreit, sondern die Landschaft hat die Kunst aus ihrer Verstrickung mit außerästhetischen Sujets befreit. Erforderlich war ein Gegenstand, der in einem gewissen Sinn keiner mehr war.
Doch eine Tageszeitung ist kein kunstgeschichtliches Seminar, das sehe ich ein.
JE

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